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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kontinuitäten mit Folgen

Inzwi­schen ist mehr als ein Jahr­zehnt ver­gan­gen, seit die erste Stu­die über die Geschich­te der frü­hen Jah­re obe­rer bun­des­deut­scher Behör­den vor­ge­legt wur­de. Sie betraf das Aus­wär­ti­ge Amt. Seit­her sind zahl­rei­che wei­te­re Unter­su­chun­gen ver­öf­fent­licht wor­den. Der Histo­ri­ker Fried­rich Kieß­ling und der Jurist Chri­stoph Saf­fer­ling leg­ten kürz­lich ihre Stu­die zur Bun­des­an­walt­schaft unter dem Titel »Staats­schutz im Kal­ten Krieg« vor. Bevor sich die Autoren dem eigent­li­chen The­ma zuwen­den, geben sie einen Über­blick über die Rol­le der Reichs­an­walt­schaft im Kai­ser­reich und in der Wei­ma­rer Repu­blik sowie den Staats­schutz wäh­rend der Nazi­zeit. Letz­te­res ist beson­ders des­halb not­wen­dig, weil dar­in der »Umbau des poli­ti­schen Straf­rechts«, die Schaf­fung von Son­der­ge­rich­ten wie dem Volks­ge­richts­hof näher beleuch­tet wer­den. Vie­le der Juri­sten, die in jener Pha­se deut­scher Geschich­te in Amt und Wür­den waren, erwie­sen sich als will­fäh­ri­ges Instru­ment zur Stüt­ze des Naziregimes.

Nach der Zer­schla­gung des Hit­ler­fa­schis­mus war man­cher von ihnen der Auf­fas­sung, dass die­se »Loya­li­tät« ihm doch nicht zum Nach­teil gerei­chen dür­fe, sie hät­ten doch schließ­lich nur dem »Recht« gedient. Dass es sich dabei um einen Unrechts­staat im wahr­sten Sin­ne des Wor­tes han­del­te, war ent­we­der vie­len nicht bewusst, oder sie woll­ten es nicht wahr­ha­ben. Als 1950 die Bun­des­an­walt­schaft als höch­ste Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de der BRD gegrün­det wur­de, fan­den sich auch bald ehe­ma­li­ge Nazi­ju­ri­sten dort wie­der. Für man­chen war das ein gera­de­zu fast naht­lo­ser Über­gang von der brau­nen Dik­ta­tur in die jun­ge Bundesrepublik.

Das Ergeb­nis der Unter­su­chun­gen der Autoren ist nie­der­schmet­ternd, wenn auch letzt­lich nicht über­ra­schend. Im höhe­ren Dienst der Bun­des­an­walt­schaft waren im Zeit­raum von 1953-1959 etwa drei Vier­tel der Mit­ar­bei­ter ehe­ma­li­ge Mit­glie­der der NSDAP. Bei den Bun­des­an­wäl­ten war die Quo­te beson­ders hoch. Etwa 83 Pro­zent der Bun­des- bzw. Ober­staats­an­wäl­te waren wäh­rend der Nazi­zeit im höhe­ren Justiz­dienst beschäf­tigt. Die Zah­len nah­men zunächst eher zu und erst sehr viel spä­ter lang­sam ab. Neue unbe­la­ste­te Juri­sten rück­ten all­mäh­lich nach. Das soll­te aber noch bis in die 1970er Jah­re andau­ern. Bis dahin waren noch immer Juri­sten aus faschi­sti­scher Zeit beschäftigt.

Lan­ge sah sich die Bun­des­an­walt­schaft auch in der Tra­di­ti­on der 1879 gegrün­de­ten Reichs­an­walt­schaft. Fazit der bei­den Autoren: 80 Pro­zent der »bei der Bun­des­an­walt­schaft beschäf­tig­ten Beam­ten im höhe­ren Dienst waren (…) auch schon vor 1945 als Juri­sten im Staats­dienst tätig. Bei den Bun­des- und Ober­staats­an­wäl­ten (…) waren es auch zehn Jah­re spä­ter, am Ende der Ade­nau­er­zeit, noch 75 Pro­zent.«. 1966 »waren noch immer zehn von elf Bun­des­an­wäl­ten ehe­ma­li­ge NSDAP-Mit­glie­der. Nicht unbe­grün­det spre­chen die Autoren des­halb davon, dass am Anfang »vor allem Kon­ti­nui­tät« herrsch­te. Gesucht wur­den in den ersten Jah­ren vor allem fach­lich geeig­ne­te Bewer­ber. Der Blick auf die Ver­gan­gen­heit der­sel­ben war dabei – bis auf Aus­nah­men – untergeordnet.

Die frü­hen Jah­re der Bun­des­an­walt­schaft sind zugleich auch der Beginn einer ver­stärkt auch auf juri­sti­scher Ebe­ne betrie­be­nen Anti­kom­mu­nis­mus-Kam­pa­gne. So über­rascht es nicht, dass in die­se Zeit sowohl das Ver­bot der KPD durch Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts 1956 wie auch das Ver­bot der FDJ durch das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt drei Jah­re zuvor fie­len. Es folg­ten im Anschluss dar­an Tau­sen­de Straf­ver­fah­ren gegen Mit­glie­der und Akti­ve der ver­bo­te­nen Par­tei bzw. Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on. Nicht weni­ge von ihnen wur­den mit Vor­wür­fen kon­fron­tiert, wie etwa »Rädels­füh­rer einer ver­fas­sungs­feind­li­chen Ver­ei­ni­gung« gewe­sen zu sein, oder der »Geheim­bün­de­lei in staats­ge­fähr­den­der Absicht« bezich­tigt. Dar­aus wur­de nicht sel­ten – allen vor­an durch den dama­li­gen 3. (poli­ti­schen) Straf­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs – mit emp­find­sa­men Gefäng­nis­stra­fen reagiert. Für die Ankla­ge­er­he­bung beim Bun­des­ge­richts­hof war aber die Bun­des­an­walt­schaft zustän­dig, die auch die ent­spre­chen­den Straf­an­trä­ge stell­te. Dies geschah mit­hin durch dort beschäf­tig­te Bun­des- und Ober­staats­an­wäl­te, die ihre Erfah­run­gen mit der Ver­fol­gung kom­mu­ni­stisch gesinn­ter Ange­klag­ter bereits Jah­re zuvor wäh­rend der Nazi­dik­ta­tur gemacht hatten.

Die ab 1968 ein­set­zen­de Libe­ra­li­sie­rung des poli­ti­schen Straf­rechts führ­te aller­dings bis heu­te nicht dazu, dass die in den 1950er Jah­ren oft­mals wegen ihrer Gesin­nung Ver­folg­ten reha­bi­li­tiert oder ent­schä­digt wur­den. Das Bild, die Juri­sten der frü­hen Jah­re sei­en »ein­zig und allein Die­ner des Rechts«, wie sie sich selbst gern sahen, gewe­sen, bleibt damit noch immer ein Stück weit aufrechterhalten.

Kieß­ling und Saf­fer­ling stel­len aller­dings auch den pro­mi­nen­ten Fall Wolf­gang Frän­kel vor, des­sen deut­li­che faschi­sti­sche Gesin­nung wäh­rend der Hit­ler­zeit auch dadurch zum Aus­druck kam, dass er bereits für Baga­tell­de­lik­te Todes­stra­fen bean­trag­te. Trotz­dem wur­de er bereits 1947 in den Justiz­dienst über­nom­men und 1951 Bun­des­an­walt. Elf Jah­re spä­ter trat er die Nach­fol­ge des Gene­ral­bun­des­an­walts Max Güde an. In der DDR wur­de die­se per­so­nel­le Ent­schei­dung mit gro­ßer Sor­ge beob­ach­tet. Die dort erschie­ne­ne Bro­schü­re »Von der Reichs­an­walt­schaft zur Bun­des­an­walt­schaft« beleuch­te­te Frän­kels Rol­le bei der Ver­hän­gung von Todes­stra­fen und führ­te letzt­lich dazu, dass er bereits vier Mona­te nach sei­ner Ernen­nung in den Ruhe­stand ver­setzt wur­de. Die gegen ihn zusam­men­ge­tra­ge­nen Fak­ten waren erdrückend. Auch wenn sie aus der DDR kamen, war Frän­kel nicht mehr als ober­ster Anklä­ger zu hal­ten. Gleich­wohl kas­sier­te er noch mehr als vier Jahr­zehn­te eine nicht uner­heb­li­che monat­li­che Pen­si­on, bis er Ende 2010 verstarb.

Die von den Autoren unter­such­ten per­so­nel­len Kon­ti­nui­tä­ten bestä­ti­gen nur ein­mal mehr, was sich lei­der auch bei den bis­her vor­ge­leg­ten Unter­su­chun­gen zu den frü­hen Jah­ren ande­rer Bun­des­be­hör­den bereits zeigte.

 Fried­rich Kießling/​Christoph Saf­fer­ling: Staats­schutz im Kal­ten Krieg – Die Bun­des­an­walt­schaft zwi­schen NS-Ver­gan­gen­heit, Spie­gel-Affä­re und RAF, Mün­chen 2021,607 S., 34 €.