Inzwischen ist mehr als ein Jahrzehnt vergangen, seit die erste Studie über die Geschichte der frühen Jahre oberer bundesdeutscher Behörden vorgelegt wurde. Sie betraf das Auswärtige Amt. Seither sind zahlreiche weitere Untersuchungen veröffentlicht worden. Der Historiker Friedrich Kießling und der Jurist Christoph Safferling legten kürzlich ihre Studie zur Bundesanwaltschaft unter dem Titel »Staatsschutz im Kalten Krieg« vor. Bevor sich die Autoren dem eigentlichen Thema zuwenden, geben sie einen Überblick über die Rolle der Reichsanwaltschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik sowie den Staatsschutz während der Nazizeit. Letzteres ist besonders deshalb notwendig, weil darin der »Umbau des politischen Strafrechts«, die Schaffung von Sondergerichten wie dem Volksgerichtshof näher beleuchtet werden. Viele der Juristen, die in jener Phase deutscher Geschichte in Amt und Würden waren, erwiesen sich als willfähriges Instrument zur Stütze des Naziregimes.
Nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus war mancher von ihnen der Auffassung, dass diese »Loyalität« ihm doch nicht zum Nachteil gereichen dürfe, sie hätten doch schließlich nur dem »Recht« gedient. Dass es sich dabei um einen Unrechtsstaat im wahrsten Sinne des Wortes handelte, war entweder vielen nicht bewusst, oder sie wollten es nicht wahrhaben. Als 1950 die Bundesanwaltschaft als höchste Strafverfolgungsbehörde der BRD gegründet wurde, fanden sich auch bald ehemalige Nazijuristen dort wieder. Für manchen war das ein geradezu fast nahtloser Übergang von der braunen Diktatur in die junge Bundesrepublik.
Das Ergebnis der Untersuchungen der Autoren ist niederschmetternd, wenn auch letztlich nicht überraschend. Im höheren Dienst der Bundesanwaltschaft waren im Zeitraum von 1953-1959 etwa drei Viertel der Mitarbeiter ehemalige Mitglieder der NSDAP. Bei den Bundesanwälten war die Quote besonders hoch. Etwa 83 Prozent der Bundes- bzw. Oberstaatsanwälte waren während der Nazizeit im höheren Justizdienst beschäftigt. Die Zahlen nahmen zunächst eher zu und erst sehr viel später langsam ab. Neue unbelastete Juristen rückten allmählich nach. Das sollte aber noch bis in die 1970er Jahre andauern. Bis dahin waren noch immer Juristen aus faschistischer Zeit beschäftigt.
Lange sah sich die Bundesanwaltschaft auch in der Tradition der 1879 gegründeten Reichsanwaltschaft. Fazit der beiden Autoren: 80 Prozent der »bei der Bundesanwaltschaft beschäftigten Beamten im höheren Dienst waren (…) auch schon vor 1945 als Juristen im Staatsdienst tätig. Bei den Bundes- und Oberstaatsanwälten (…) waren es auch zehn Jahre später, am Ende der Adenauerzeit, noch 75 Prozent.«. 1966 »waren noch immer zehn von elf Bundesanwälten ehemalige NSDAP-Mitglieder. Nicht unbegründet sprechen die Autoren deshalb davon, dass am Anfang »vor allem Kontinuität« herrschte. Gesucht wurden in den ersten Jahren vor allem fachlich geeignete Bewerber. Der Blick auf die Vergangenheit derselben war dabei – bis auf Ausnahmen – untergeordnet.
Die frühen Jahre der Bundesanwaltschaft sind zugleich auch der Beginn einer verstärkt auch auf juristischer Ebene betriebenen Antikommunismus-Kampagne. So überrascht es nicht, dass in diese Zeit sowohl das Verbot der KPD durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1956 wie auch das Verbot der FDJ durch das Bundesverwaltungsgericht drei Jahre zuvor fielen. Es folgten im Anschluss daran Tausende Strafverfahren gegen Mitglieder und Aktive der verbotenen Partei bzw. Jugendorganisation. Nicht wenige von ihnen wurden mit Vorwürfen konfrontiert, wie etwa »Rädelsführer einer verfassungsfeindlichen Vereinigung« gewesen zu sein, oder der »Geheimbündelei in staatsgefährdender Absicht« bezichtigt. Daraus wurde nicht selten – allen voran durch den damaligen 3. (politischen) Strafsenat des Bundesgerichtshofs – mit empfindsamen Gefängnisstrafen reagiert. Für die Anklageerhebung beim Bundesgerichtshof war aber die Bundesanwaltschaft zuständig, die auch die entsprechenden Strafanträge stellte. Dies geschah mithin durch dort beschäftigte Bundes- und Oberstaatsanwälte, die ihre Erfahrungen mit der Verfolgung kommunistisch gesinnter Angeklagter bereits Jahre zuvor während der Nazidiktatur gemacht hatten.
Die ab 1968 einsetzende Liberalisierung des politischen Strafrechts führte allerdings bis heute nicht dazu, dass die in den 1950er Jahren oftmals wegen ihrer Gesinnung Verfolgten rehabilitiert oder entschädigt wurden. Das Bild, die Juristen der frühen Jahre seien »einzig und allein Diener des Rechts«, wie sie sich selbst gern sahen, gewesen, bleibt damit noch immer ein Stück weit aufrechterhalten.
Kießling und Safferling stellen allerdings auch den prominenten Fall Wolfgang Fränkel vor, dessen deutliche faschistische Gesinnung während der Hitlerzeit auch dadurch zum Ausdruck kam, dass er bereits für Bagatelldelikte Todesstrafen beantragte. Trotzdem wurde er bereits 1947 in den Justizdienst übernommen und 1951 Bundesanwalt. Elf Jahre später trat er die Nachfolge des Generalbundesanwalts Max Güde an. In der DDR wurde diese personelle Entscheidung mit großer Sorge beobachtet. Die dort erschienene Broschüre »Von der Reichsanwaltschaft zur Bundesanwaltschaft« beleuchtete Fränkels Rolle bei der Verhängung von Todesstrafen und führte letztlich dazu, dass er bereits vier Monate nach seiner Ernennung in den Ruhestand versetzt wurde. Die gegen ihn zusammengetragenen Fakten waren erdrückend. Auch wenn sie aus der DDR kamen, war Fränkel nicht mehr als oberster Ankläger zu halten. Gleichwohl kassierte er noch mehr als vier Jahrzehnte eine nicht unerhebliche monatliche Pension, bis er Ende 2010 verstarb.
Die von den Autoren untersuchten personellen Kontinuitäten bestätigen nur einmal mehr, was sich leider auch bei den bisher vorgelegten Untersuchungen zu den frühen Jahren anderer Bundesbehörden bereits zeigte.
Friedrich Kießling/Christoph Safferling: Staatsschutz im Kalten Krieg – Die Bundesanwaltschaft zwischen NS-Vergangenheit, Spiegel-Affäre und RAF, München 2021,607 S., 34 €.