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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Konrad Wolfs Zeitzeichen

Erfreu­lich früh gedach­te die Stadt Ber­nau bei Ber­lin ihres Ehren­bür­gers Kon­rad Wolf. Der Geburts­tag des groß­ar­ti­gen Film­re­gis­seurs und lang­jäh­ri­gen Prä­si­den­ten der Aka­de­mie der Kün­ste der DDR jährt sich erst im Okto­ber zum 100. Mal. Nun hat die URANIA Bar­nim im über­füll­ten Rat­haus­saal einen Auf­takt für die Besin­nung auf sein Werk geschaf­fen, das in der DDR jeder kann­te, in der Natio­nal­kul­tur der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land hin­ge­gen noch immer nicht den ihm gebüh­ren­den Platz ein­nimmt. Zu unver­zeih­lich scheint Wolfs nie ver­leug­ne­te Bin­dung an den sozia­li­sti­schen Staat im Osten zu sein und zu wenig bekannt sein inne­rer Kon­flikt zwi­schen Gesin­nungs­treue und der Zurück­wei­sung kul­tur­po­li­ti­scher Bor­niert­heit. Von den kom­mu­ni­sti­schen Ein­stel­lun­gen des Eltern­hau­ses und der pro­le­ta­risch ori­en­tier­ten Kunst sei­nes Vaters, Fried­rich Wolf, von den Bil­dungs­jah­ren im sowje­ti­schen Exil und vom anti­fa­schi­sti­schen Kampf in den Rei­hen der Roten Armee geprägt, leb­te und arbei­te­te er in sei­ner Wahl­hei­mat DDR (seit 1952) offen­siv nach den gewon­ne­nen Über­zeu­gun­gen. Fal­sche kul­tur­po­li­ti­sche Ent­schei­dun­gen, wie die Bier­mann-Aus­bür­ge­rung, ver­ur­teil­te er nicht, ver­such­te aber, ihre nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen zu dämp­fen. Sei­ne Par­tei­lich­keit war und blieb sen­si­bel für Ver­wer­fun­gen in der gesell­schaft­li­chen Ord­nung, der er errun­ge­nen Fort­schritt und veri­ta­ble Zukunfts­fä­hig­keit zusprach. Er erin­ner­te die im Mos­kau­er Umfeld erleb­ten Sta­lin­schen »Säu­be­run­gen« mit Trau­er, und er hat­te in den Ent­wick­lungs­pha­sen der DDR offen­bar gewor­de­ne Kon­flikt­stof­fe streit­bar in die Kunst­pro­duk­ti­on ein­ge­bracht. Ärger und Ver­zweif­lung über enge kul­tur­po­li­ti­sche Echos konn­ten dann quä­len­de Ampli­tu­den um sein Ver­ständ­nis von Linie schla­gen. Kon­rad Wolf sprach lei­se davon.

Wie­der sah ich »Son­nen­su­cher«, Kon­rad Wolfs 1958 fer­tig­ge­stell­ten, aber bis 1972 ver­bo­te­nen Film über den von der Sowje­ti­schen Mili­tär­ad­mi­ni­stra­ti­on kon­trol­lier­ten Uran­berg­bau der SDAG WISMUT. Sepp Wenig, hier selbst Bri­ga­dier, Ober­stei­ger und einer der ersten Akti­vi­sten der DDR, hat­te den Film für ein pro­ka­pi­ta­li­sti­sches Skan­dal­stück gehal­ten. Hin­ter sei­nem Wort for­mier­te sich die Ver­botspha­lanx. Na ja, da macht sich das kom­mu­ni­sti­sche Urge­stein Jupp König mit einer Pro­sti­tu­ier­ten gemein, die ihn einst vor faschi­sti­scher Ver­fol­gung geschützt hat, und die blut­jun­ge Lot­te hei­ra­tet den ehr­gei­zi­gen Ober­stei­ger, der als Genos­se sei­ne faschi­sti­sche Ver­gan­gen­heit ver­birgt, und liebt am Ende doch den heim­keh­ren­den sowje­ti­schen Inge­nieur Ser­gej. Ein cha­rak­ter­lich und in den poli­ti­schen Ansich­ten wenig homo­ge­nes Volk schuf­tet unter Tage und prü­gelt sich oben im Wirts­haus unter­ein­an­der und mit der Poli­zei. Raue, wah­re Zeit­zei­chen, die Kon­rad Wolf nicht schmin­ken moch­te. Weil sie aus­ge­stan­den wer­den muss­ten im Rin­gen um mehr Uran, das die Sowjet­uni­on nach den Bom­ben auf Hiro­shi­ma und Naga­sa­ki drin­gend für die Siche­rung des Welt­frie­dens benötigte.

Als ich hör­te, wie zufäl­lig Kon­rad Wolf sei­ne jun­ge Dar­stel­le­rin der Lot­te, Ulri­ke Ger­mer, geca­stet hat­te, dach­te ich an ein eige­nes Erleb­nis mit dem Regis­seur, der offen­bar gern etwas mit jun­gen Leu­ten aus­pro­bier­te. Als Kon­rad Wolf sei­nen auto­bio­gra­fisch ange­leg­ten Film »Ich war neun­zehn« vor­be­rei­te­te, hat­te ich gera­de das Abitur gemacht und war Volon­tär bei einer Tages­zei­tung. Dort erreich­te mich die Auf­for­de­rung, zu Pro­be­auf­nah­men für die Haupt­rol­le des Gre­gor Hecker nach Babels­berg zu kom­men. Wegen des bevor­ste­hen­den Stu­di­ums woll­te ich ableh­nen, krieg­te aber das Dreh­buch mit der Bemer­kung zuge­stellt, Kon­rad Wolf leh­ne man nichts unbe­se­hen ab. Also ging ich hin und saß im Rot­ar­mi­sten­rock, als Kon­rad Wolf dazu kam und Wer­ner Berg­manns Kame­ra zu sur­ren begann. Ehe wir die – wie ich noch heu­te fin­de – schwie­rig­ste Sze­ne des Films pro­bier­ten, erzähl­te Kon­rad Wolf von sei­ner ersten Wie­der­be­geg­nung mit Deutsch­land in jener Uni­form, die ich gera­de über­ge­streift hat­te. Wie zwei Hei­ma­ten in sei­ner See­le kämpf­ten, weil man als Besat­zungs­of­fi­zier mit deut­schen Wur­zeln je nach Ansicht des Gegen­übers ein Ver­rä­ter, Rächer oder Befrei­er war. Damals auch in Ber­nau, als des­sen sowje­ti­scher Stadt­kom­man­dant er für ein paar Tage ein­ge­setzt war und das ihm 1975 die Ehren­bür­ger­schaft ver­lieh. Lei­se erzähl­te er auch, wie sei­ne Abtei­lung unter­wegs aus Gefäng­nis­sen und KZs befrei­ten Anti­fa­schi­sten begeg­ne­te und wegen deren Ver­fas­sung einen kräf­ti­gen Hän­de­druck scheu­te. Und dass man trotz­dem den Hass auf die Faschi­sten nicht auf alle Deut­schen über­tra­gen durf­te. Auch dass er, der das Wesen der Rus­sen so gut kann­te, geahnt hat­te, dass Freund­schaft Zeit brau­chen, aber aus einem neu­en Leben her­aus ent­ste­hen wür­de. Ich war auch neun­zehn und merk­te mir sol­che Sät­ze. Dann prob­ten wir die bewuss­te Sze­ne, in der Gre­gor Hecker einen gera­de aus dem Zucht­haus befrei­ten alten Kom­mu­ni­sten über­zeugt, gegen sei­ne Furcht, der Auf­ga­be nicht gewach­sen zu sein, Bür­ger­mei­ster eines Dor­fes zu wer­den. Gezeich­net von der Haft, steht er den miss­traui­schen Bewoh­nern gegen­über. Das ist der Anbe­ginn. Heckers Trupp spielt ihm zum Abschied das gelieb­te Inter­bri­ga­di­sten-Lied von der Jara­ma-Front in Ernst Buschs unver­gleich­li­chem Gesang. Kon­rad Wolf sprach in der Pro­be den Anti­fa­schi­sten, ich Gre­gors Part, wobei ich merk­te, dass ich kein Schau­spie­ler wer­den wür­de. Dafür hat­te ich eine bis heu­te prä­sen­te, warm­her­zig vor­ge­tra­ge­ne Geschichts­lek­ti­on erhal­ten. Wenn wir uns spä­ter sahen, spra­chen wir manch­mal über die Babels­ber­ger Stunde.

Dem Freund Ernst Busch war Kon­rad Wolfs letz­te Film­pro­duk­ti­on gewid­met. Das mehr­tei­li­ge Werk »Busch singt«, für das ihm die Gesamt­lei­tung über­tra­gen war und für des­sen drit­ten und fünf­ten Teil er noch selbst Regie geführt hat­te, konn­te er nicht mehr in Gän­ze erle­ben. Er war am 7. März 1982 in Ber­lin gestor­ben. Nicht nur wer etwas mit Songs zu tun hat, spürt in »Busch singt« Wolfs tie­fes Ver­ständ­nis von der Wirk­kraft poli­ti­scher Lied­kunst in den Kämp­fen der Zeit. Ein Denk­mal für den Arbei­ter­sän­ger, eine Col­la­ge von Zeit­zei­chen in Lie­dern, die Geschichts­wahr­heit abbil­det, so wie die bedeu­ten­den ande­ren Arbei­ten Kon­rad Wolfs, die uns die Erin­ne­rung nennt: Lis­sy; Ster­ne; Pro­fes­sor Mam­lock; Der geteil­te Him­mel; Goya; Der nack­te Mann auf dem Sport­platz; Mama, ich lebe; Solo Sunny. 

So früh vor dem Jah­res­tag eine Erin­ne­rung? Unbe­dingt! Die Erin­ne­rung an Kon­rad Wolfs Ver­mächt­nis braucht kei­nen Anlass. Heu­te nicht, mor­gen nicht und erst recht nicht zu bes­se­rer, auf­ge­klär­ter Zeit.