Am Tag, als Bert Brecht geboren wurde, starb Hans Modrow. Der einstige DDR-Premier war 95, als er vor zwei Jahren ging – der Dichter und Dramatiker wäre an jenem 10. Februar 125 geworden. Auch wenn BB und sein Werk unsterblich sind, wird keiner so alt. Doch der Spruch »Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist«, besitzt unverändert Gültigkeit. Auch Prominenz schützt nicht vor dem Vergessen. Ist einer oder eine erst einmal unter der Erde, verblasst rasch der Glanz, fällt der Name aus der Erinnerung.
Gegen den Trend handelten etwa zwei Dutzend Personen, die sich an Modrows zweitem Todestag trafen, um sich des ostdeutschen Ausnahmepolitikers zu erinnern. Sie versammelten sich unterm Porträt von Marx und einem kleineren Foto des Mannes, der im Herbst ’89 und danach mit dafür gesorgt hatte, dass der gesellschaftliche Umbruch friedlich geblieben war. Oder wie er selber einmal bekundet hatte: »Mir war die Aufgabe zugefallen, den Übergang zu gestalten.« In seiner Verantwortung als Ministerpräsident wurden mehr Gesetze und Verfügungen erarbeitet und erlassen, als in Jahrzehnten zuvor. Noch heute profitieren Ostdeutsche von der mit Modrows Namen verbundenen Verfügung, ihr Haus behalten und kaufen zu dürfen, ehe die Heuschrecken das Land übernahmen. Oder wie Daniela Dahn es in ihrem jüngsten Buch formulierte: Das Kabinett Modrow verfolgte ein »klares Programm der Demokratisierung«. (Sie blieb der kleinen Feier entschuldigt fern, weil sie anderenorts aus eben jenem Buch »Der Schlaf der Vernunft« vortrug.)
Unter dem Dach der Modrow-Stiftung erinnerten sich Freunde und Weggefährten. Gabi Lindner trug aus Büchern ihres Mannes vor, darunter auch einen Text, den Modrow in eben diesem Raum und unter diesem Marx-Porträt vorgetragen hatte. Die Stiftung würdigte damals mit einer Konferenz die Gründung der KP Chinas vor 100 Jahren, und der 93-jährige Modrow sagte mit kritischem Blick auf Vergangenheit wie Gegenwart: »Eine neue Welt ist nur möglich, wenn man die kapitalistische überwindet. Global. Entweder ganz oder gar nicht. Ein wenig Sozialismus in dem einen oder dem anderen Land reicht nicht aus. Solange die vereinigte Kapitalistenklasse den Globus beherrscht, die entscheidenden Instrumente des Finanz- und des Wirtschaftsmarktes unbedrängt in ihren Händen hält, wird sich an den Macht- und Produktionsverhältnissen nichts ändern.« Und nicht minder deutlich appellierte Modrow an die Adresse der Linken: »Bei der Frage von Krieg und Frieden gibt es keine Äquidistanz«, womit er den Ukraine-Krieg im Blick und die seinerzeitige Haltung seiner Parteiführung zu diesem vor Augen hatte. Und noch deutlicher wurde er mit Bezug auf deren Haltung zur Volksrepublik China: »Wer als Linker die Konfrontation des Westens mitträgt, weil er die inneren Verhältnisse in China für kritikabel hält, macht sich letztlich zum nützlichen Idioten des westlichen Imperialismus.«
Der linke Liedermacher Tino Eisbrenner sang absichtsvoll zum Schluss seines Programms das DDR-Kinderlied »Kleine weiße Friedenstaube«. Er erzählte dazu, dass er vor wenigen Jahren aushilfsweise an einer Grundschule als Lehrer gearbeitet habe, nachdem dort über ein Jahr kein Musikunterricht erteilt worden war. Er hätte auch dieses Lied mit den Kindern gesungen, worauf Eltern schriftlich bei der Schulleitung protestiert hätten, dass ihre Kinder mit »diesem kommunistischen Scheiß« indoktriniert würden. Daraufhin habe er den Liedtext ausgedruckt und die Beschwerdeführer gebeten, alle »kommunistischen« Stellen anzukreuzen, damit er sie entferne. Auf die Antwort warte er noch heute, sagte Eisbrenner …
Modrow ist seit zwei Jahren nicht mehr unter uns. Aber keineswegs vergessen. Schon gar nicht die Aufgaben, die er aufgetragen hat.