Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

»Kommunistischer Scheiß«

Am Tag, als Bert Brecht gebo­ren wur­de, starb Hans Mod­row. Der ein­sti­ge DDR-Pre­mier war 95, als er vor zwei Jah­ren ging – der Dich­ter und Dra­ma­ti­ker wäre an jenem 10. Febru­ar 125 gewor­den. Auch wenn BB und sein Werk unsterb­lich sind, wird kei­ner so alt. Doch der Spruch »Ein Mensch ist erst ver­ges­sen, wenn sein Name ver­ges­sen ist«, besitzt unver­än­dert Gül­tig­keit. Auch Pro­mi­nenz schützt nicht vor dem Ver­ges­sen. Ist einer oder eine erst ein­mal unter der Erde, ver­blasst rasch der Glanz, fällt der Name aus der Erinnerung.

Gegen den Trend han­del­ten etwa zwei Dut­zend Per­so­nen, die sich an Mod­rows zwei­tem Todes­tag tra­fen, um sich des ost­deut­schen Aus­nah­me­po­li­ti­kers zu erin­nern. Sie ver­sam­mel­ten sich unterm Por­trät von Marx und einem klei­ne­ren Foto des Man­nes, der im Herbst ’89 und danach mit dafür gesorgt hat­te, dass der gesell­schaft­li­che Umbruch fried­lich geblie­ben war. Oder wie er sel­ber ein­mal bekun­det hat­te: »Mir war die Auf­ga­be zuge­fal­len, den Über­gang zu gestal­ten.« In sei­ner Ver­ant­wor­tung als Mini­ster­prä­si­dent wur­den mehr Geset­ze und Ver­fü­gun­gen erar­bei­tet und erlas­sen, als in Jahr­zehn­ten zuvor. Noch heu­te pro­fi­tie­ren Ost­deut­sche von der mit Mod­rows Namen ver­bun­de­nen Ver­fü­gung, ihr Haus behal­ten und kau­fen zu dür­fen, ehe die Heu­schrecken das Land über­nah­men. Oder wie Danie­la Dahn es in ihrem jüng­sten Buch for­mu­lier­te: Das Kabi­nett Mod­row ver­folg­te ein »kla­res Pro­gramm der Demo­kra­ti­sie­rung«. (Sie blieb der klei­nen Fei­er ent­schul­digt fern, weil sie ande­ren­orts aus eben jenem Buch »Der Schlaf der Ver­nunft« vortrug.)

Unter dem Dach der Mod­row-Stif­tung erin­ner­ten sich Freun­de und Weg­ge­fähr­ten. Gabi Lind­ner trug aus Büchern ihres Man­nes vor, dar­un­ter auch einen Text, den Mod­row in eben die­sem Raum und unter die­sem Marx-Por­trät vor­ge­tra­gen hat­te. Die Stif­tung wür­dig­te damals mit einer Kon­fe­renz die Grün­dung der KP Chi­nas vor 100 Jah­ren, und der 93-jäh­ri­ge Mod­row sag­te mit kri­ti­schem Blick auf Ver­gan­gen­heit wie Gegen­wart: »Eine neue Welt ist nur mög­lich, wenn man die kapi­ta­li­sti­sche über­win­det. Glo­bal. Ent­we­der ganz oder gar nicht. Ein wenig Sozia­lis­mus in dem einen oder dem ande­ren Land reicht nicht aus. Solan­ge die ver­ei­nig­te Kapi­ta­li­sten­klas­se den Glo­bus beherrscht, die ent­schei­den­den Instru­men­te des Finanz- und des Wirt­schafts­mark­tes unbe­drängt in ihren Hän­den hält, wird sich an den Macht- und Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­sen nichts ändern.« Und nicht min­der deut­lich appel­lier­te Mod­row an die Adres­se der Lin­ken: »Bei der Fra­ge von Krieg und Frie­den gibt es kei­ne Äqui­di­stanz«, womit er den Ukrai­ne-Krieg im Blick und die sei­ner­zei­ti­ge Hal­tung sei­ner Par­tei­füh­rung zu die­sem vor Augen hat­te. Und noch deut­li­cher wur­de er mit Bezug auf deren Hal­tung zur Volks­re­pu­blik Chi­na: »Wer als Lin­ker die Kon­fron­ta­ti­on des Westens mit­trägt, weil er die inne­ren Ver­hält­nis­se in Chi­na für kri­ti­kabel hält, macht sich letzt­lich zum nütz­li­chen Idio­ten des west­li­chen Imperialismus.«

Der lin­ke Lie­der­ma­cher Tino Eis­bren­ner sang absichts­voll zum Schluss sei­nes Pro­gramms das DDR-Kin­der­lied »Klei­ne wei­ße Frie­dens­tau­be«. Er erzähl­te dazu, dass er vor weni­gen Jah­ren aus­hilfs­wei­se an einer Grund­schu­le als Leh­rer gear­bei­tet habe, nach­dem dort über ein Jahr kein Musik­un­ter­richt erteilt wor­den war. Er hät­te auch die­ses Lied mit den Kin­dern gesun­gen, wor­auf Eltern schrift­lich bei der Schul­lei­tung pro­te­stiert hät­ten, dass ihre Kin­der mit »die­sem kom­mu­ni­sti­schen Scheiß« indok­tri­niert wür­den. Dar­auf­hin habe er den Lied­text aus­ge­druckt und die Beschwer­de­füh­rer gebe­ten, alle »kom­mu­ni­sti­schen« Stel­len anzu­kreu­zen, damit er sie ent­fer­ne. Auf die Ant­wort war­te er noch heu­te, sag­te Eisbrenner …

Mod­row ist seit zwei Jah­ren nicht mehr unter uns. Aber kei­nes­wegs ver­ges­sen. Schon gar nicht die Auf­ga­ben, die er auf­ge­tra­gen hat.