Um die Bedeutung des hier vorgestellten Buches von Jonas Tögel und des Themas »Kognitive Kriegsführung« zu veranschaulichen, weise ich auf eine Entlehnung eines Gedankens von Aldous Huxley hin, den das Buch (S. 183) aufgreift. Es zeigt, wie die kognitive oder auch psychologische Kriegsführung in besonderer Weise auch auf die eigene Bevölkerung in den Nato-Staaten zielt; ich modifiziere das Zitat, das der Autor in der im Buch präsentierten Form fälschlicherweise so, wie dort abgedruckt, Aldous Huxley zuschreibt. Da dieses Zitat wie kaum ein anderer Text pointiert erklärt, wovor wir alle uns zu hüten haben, wenn wir unsere kritische Denkfähigkeit bewahren und weiterentwickeln wollen, verwende ich es hier in einer nun von mir modifizierten Form: »Die perfekten Diktaturen der Zukunft werden den Anschein einer Demokratie machen, sie werden Gefängnissen ohne Mauern gleichen und dadurch herrschen, dass sie die Zustimmung der Menschen bekommen, welche sie regieren, indem sie die rationale Seite der Menschen lähmen und umgehen, indem sie ihr Unterbewusstsein, ihre tieferen Emotionen ansprechen. Die Diktaturen werden sich wissenschaftlicher Methoden bedienen, um die Menschen zu manipulieren. Die Gefahr ist groß, dass die Menschen sogar glücklich sein werden in Situationen, in denen sie objektiv gesehen gar nicht glücklich sein könnten, wenn sie merken würden, was sie nicht merken sollen.« Solche Gedanken brachte Aldous Huxley in ähnlicher Wortwahl.*
Das Buch zur Militär- und Kriegspropaganda unserer Zeit macht deutlich, dass die Menschen – also wir alle – in dieser Gesellschaft Ziel kriegerischer Handlungen sind, auch wenn die äußeren Umstände friedlich erscheinen.
Mit der Darstellung neuer und alter Manipulationstechniken der transatlantischen Propaganda belegt das Buch, wie die Nato-Lobby die Psyche der Menschen »direkt ins Visier« nimmt. Die Einflussnahme der Militärs auf die Menschen nutzt bewährte und die neuesten Erkenntnisse der Neurowissenschaften, damit die Menschen den Gedankenkrieg möglichst nicht bemerken. Der Feldzug auf die Gehirne erfolgt mit »Soft Power-Techniken« durch psychologische Indoktrination. Viele Menschen gehen davon aus, dass derartiges nur in Staaten wie Russland oder China stattfindet und haben deshalb ihren Abwehrschirm gegen diese Steuerung ihrer Wahrnehmung von Informationen nicht aktiviert.
Die wissenschaftsbasierte Manipulationsmethode integriert Erkenntnisse der Nanotechnologie mit Elementen der Biotechnologie, der Informationstechnologie und der Kognitionswissenschaft im Zusammenwirken mit neuen Prozessen der Entwicklung künstlicher Intelligenz für die Einflussnahme auf das Denken und Verhalten der Menschen. Einfluss erfolgt über ein von der Nato entdecktes Einsatzgebiet (»Domäne«), in dem die Meinungsbildung möglichst eines jeden unmerklich nach Plänen der Militärs mit Halbwahrheiten, doppelten Standards, eingängigen Geschichten und einfachen Bildern in eine gewünschte Richtung geführt wird. Gedanken und Gefühle jedes einzelnen Menschen stehen immer stärker im Zentrum dieser neuen Kriegsführung, sie sind das umkämpfte Gebiet, wo auch immer Sie sich aufhalten und wer auch immer Sie sind.
Jonas Tögel belegt mehrfach, inwiefern Kognitive Kriegsführung von den Militärs als unverzichtbares Element der Strategie, militärische Siege auf den Schlachtfeldern zu ermöglichen und dauerhaft politisch abzusichern. Das Einsatzgebiet der »Domäne« Mensch wird dafür immer deutlicher als entscheidend angesehen und tritt immer klarer neben die bislang gängigen militärischen Domänen Land, Wasser, Luft, Weltraum und Cyberspace. Zitat aus dem Buch: »Die Extremform und der Übergriff für diese psychologischen Operationen ist der ›Cognitive Warfare‹, in dem offen über die Gefahren der Informationsrevolution durch das Internet gesprochen wird (…). Die Informationsrevolution führte somit zu dem sog. Informationskrieg, in welchem mit den Waffen der Soft Power um die Gedanken und Gefühle der Menschen intensiv gekämpft wird. Die neueste Weiterentwicklung dieses Informationskrieges ist die Kognitive Kriegsführung, die sich auf intelligente Weise die Kehrseiten der Informationsrevolution zunutze macht« (S. 113). So können Algorithmen individuelle Informationspakete für Netz-User zusammenstellen, die auf das Surf-Verhalten und damit auf die individuellen Habitus-Strukturen abgestimmt sind. Der Mensch ist unmerklich als persönliche Zielscheibe Element des psychologischen Informationskrieges, um eine den Militärs gegenüber offene bis zustimmende Wahrnehmung, Haltung und Verhaltensweise zu generieren. Das Pentagon hat dafür 27 000 Mitarbeiter/innen unter Vertrag, die mit einem 4,7 Mrd. $-Etat die Meinungsbildung der Menschen beeinflussen. »Diese Abteilung hat damit zehnmal so viele Mitglieder, wie Untergrundeinheiten der CIA und widmet sich ganz der digitalen Manipulation« (S. 137). Für das Gesamtpaket der Kognitiven Kriegsführung bedient sich die Strategische Kommunikation der Nato und ihrer einzelnen Armeen der »Psychologie, Linguistik, Neurobiologie, Logik und mehr« (S. 174). James Giordano vom Modern War Institute bringt es auf den Punkt: »Je mehr ich darüber weiß, wie du tickst, desto besser kann ich meine Interaktionen mit dir darauf abstimmen, dass du so tickst, wie ich es möchte« (S. 176). »Damit werden weite Teile der Bevölkerung in die Pläne zur Kognitiven Kriegsführung mit einbezogen und Wissenschaftsbereiche wie die Neurowissenschaften militarisiert« (S. 190).
Im Ergebnis wird das Alltagsbewusstsein der Menschen mit jeder Nachrichten- und mit einer Vielzahl von politischen Informationssendungen durch Halbwahrheiten und doppelte Standards, durch systematisch-regelmäßige Begriffsbenutzung – wie »Angriffskrieg«, wenn Russland als Akteur auszumachen ist, und »Sicherheitspolitik«, wenn es um Krieg und Militär im Allgemeinen geht – umprogrammiert.
Jonas Tögel kommt zum Schluss: »Die daraus wachsende Beobachtung und (…) Kenntnis der Propagandatechniken (…) können helfen, heutige Propaganda zu erkennen und den Cognitive Warfare so ein Stück weit zu entschärfen« (S. 193). Denn es geht um das Empowerment für das Mitgefühl und die Befehlsverweigerung im umfassend psychologischen Sinn, also darum, bei einem fast unmerklich herbeigeführten Gehorsam gegenüber erwünschtem Verhalten die Kraft zu generieren, »Nein!« sagen zu können und Gleichgesinnte zu suchen und sich mit ihnen um umfassende Informationen zu bemühen. Das ist angesichts der gehirnwäscheartigen Meinungsmache der seriös verpackten Meinungsmache schwierig. Die Nato ist mitnichten ein Element der Sicherheitspolitik, das Alleinstellungsmerkmal der Gefahr und entsprechend die »Achse des Bösen« lassen sich mitnichten einseitig im Osten verorten, Hochrüstung ist kein Element des Friedens, ein nuklearer Schirm über der Freiheit Europas ist ein Propagandainstrument der Vernichtungsindustrie.
* Hier das Originalzitat aus »Schöne neue Welt« S. 13: »Ein wirklich leistungsfähiger totalitärer Staat wäre ein Staat, in dem die allmächtige Exekutive politischer Machthaber und ihre Armee von Managern eine Bevölkerung von Zwangsarbeitern beherrscht, die zu gar nichts gezwungen zu werden brauchen, weil sie ihre Sklaverei lieben.«
Jonas Tögel: Kognitive Kriegsführung: Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO, Westendverlag, Frankfurt/Main 2023, 256 S., 24 €.