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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kognitive Kriegsführung

Um die Bedeu­tung des hier vor­ge­stell­ten Buches von Jonas Tögel und des The­mas »Kogni­ti­ve Kriegs­füh­rung« zu ver­an­schau­li­chen, wei­se ich auf eine Ent­leh­nung eines Gedan­kens von Aldous Hux­ley hin, den das Buch (S. 183) auf­greift. Es zeigt, wie die kogni­ti­ve oder auch psy­cho­lo­gi­sche Kriegs­füh­rung in beson­de­rer Wei­se auch auf die eige­ne Bevöl­ke­rung in den Nato-Staa­ten zielt; ich modi­fi­zie­re das Zitat, das der Autor in der im Buch prä­sen­tier­ten Form fälsch­li­cher­wei­se so, wie dort abge­druckt, Aldous Hux­ley zuschreibt. Da die­ses Zitat wie kaum ein ande­rer Text poin­tiert erklärt, wovor wir alle uns zu hüten haben, wenn wir unse­re kri­ti­sche Denk­fä­hig­keit bewah­ren und wei­ter­ent­wickeln wol­len, ver­wen­de ich es hier in einer nun von mir modi­fi­zier­ten Form: »Die per­fek­ten Dik­ta­tu­ren der Zukunft wer­den den Anschein einer Demo­kra­tie machen, sie wer­den Gefäng­nis­sen ohne Mau­ern glei­chen und dadurch herr­schen, dass sie die Zustim­mung der Men­schen bekom­men, wel­che sie regie­ren, indem sie die ratio­na­le Sei­te der Men­schen läh­men und umge­hen, indem sie ihr Unter­be­wusst­sein, ihre tie­fe­ren Emo­tio­nen anspre­chen. Die Dik­ta­tu­ren wer­den sich wis­sen­schaft­li­cher Metho­den bedie­nen, um die Men­schen zu mani­pu­lie­ren. Die Gefahr ist groß, dass die Men­schen sogar glück­lich sein wer­den in Situa­tio­nen, in denen sie objek­tiv gese­hen gar nicht glück­lich sein könn­ten, wenn sie mer­ken wür­den, was sie nicht mer­ken sol­len.« Sol­che Gedan­ken brach­te Aldous Hux­ley in ähn­li­cher Wortwahl.*

Das Buch zur Mili­tär- und Kriegs­pro­pa­gan­da unse­rer Zeit macht deut­lich, dass die Men­schen – also wir alle – in die­ser Gesell­schaft Ziel krie­ge­ri­scher Hand­lun­gen sind, auch wenn die äuße­ren Umstän­de fried­lich erscheinen.

Mit der Dar­stel­lung neu­er und alter Mani­pu­la­ti­ons­tech­ni­ken der trans­at­lan­ti­schen Pro­pa­gan­da belegt das Buch, wie die Nato-Lob­by die Psy­che der Men­schen »direkt ins Visier« nimmt. Die Ein­fluss­nah­me der Mili­tärs auf die Men­schen nutzt bewähr­te und die neue­sten Erkennt­nis­se der Neu­ro­wis­sen­schaf­ten, damit die Men­schen den Gedan­ken­krieg mög­lichst nicht bemer­ken. Der Feld­zug auf die Gehir­ne erfolgt mit »Soft Power-Tech­ni­ken« durch psy­cho­lo­gi­sche Indok­tri­na­ti­on. Vie­le Men­schen gehen davon aus, dass der­ar­ti­ges nur in Staa­ten wie Russ­land oder Chi­na statt­fin­det und haben des­halb ihren Abwehr­schirm gegen die­se Steue­rung ihrer Wahr­neh­mung von Infor­ma­tio­nen nicht aktiviert.

Die wis­sen­schafts­ba­sier­te Mani­pu­la­ti­ons­me­tho­de inte­griert Erkennt­nis­se der Nano­tech­no­lo­gie mit Ele­men­ten der Bio­tech­no­lo­gie, der Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie und der Kogni­ti­ons­wis­sen­schaft im Zusam­men­wir­ken mit neu­en Pro­zes­sen der Ent­wick­lung künst­li­cher Intel­li­genz für die Ein­fluss­nah­me auf das Den­ken und Ver­hal­ten der Men­schen. Ein­fluss erfolgt über ein von der Nato ent­deck­tes Ein­satz­ge­biet (»Domä­ne«), in dem die Mei­nungs­bil­dung mög­lichst eines jeden unmerk­lich nach Plä­nen der Mili­tärs mit Halb­wahr­hei­ten, dop­pel­ten Stan­dards, ein­gän­gi­gen Geschich­ten und ein­fa­chen Bil­dern in eine gewünsch­te Rich­tung geführt wird. Gedan­ken und Gefüh­le jedes ein­zel­nen Men­schen ste­hen immer stär­ker im Zen­trum die­ser neu­en Kriegs­füh­rung, sie sind das umkämpf­te Gebiet, wo auch immer Sie sich auf­hal­ten und wer auch immer Sie sind.

Jonas Tögel belegt mehr­fach, inwie­fern Kogni­ti­ve Kriegs­füh­rung von den Mili­tärs als unver­zicht­ba­res Ele­ment der Stra­te­gie, mili­tä­ri­sche Sie­ge auf den Schlacht­fel­dern zu ermög­li­chen und dau­er­haft poli­tisch abzu­si­chern. Das Ein­satz­ge­biet der »Domä­ne« Mensch wird dafür immer deut­li­cher als ent­schei­dend ange­se­hen und tritt immer kla­rer neben die bis­lang gän­gi­gen mili­tä­ri­schen Domä­nen Land, Was­ser, Luft, Welt­raum und Cyber­space. Zitat aus dem Buch: »Die Extrem­form und der Über­griff für die­se psy­cho­lo­gi­schen Ope­ra­tio­nen ist der ›Cogni­ti­ve War­fa­re‹, in dem offen über die Gefah­ren der Infor­ma­ti­ons­re­vo­lu­ti­on durch das Inter­net gespro­chen wird (…). Die Infor­ma­ti­ons­re­vo­lu­ti­on führ­te somit zu dem sog. Infor­ma­ti­ons­krieg, in wel­chem mit den Waf­fen der Soft Power um die Gedan­ken und Gefüh­le der Men­schen inten­siv gekämpft wird. Die neue­ste Wei­ter­ent­wick­lung die­ses Infor­ma­ti­ons­krie­ges ist die Kogni­ti­ve Kriegs­füh­rung, die sich auf intel­li­gen­te Wei­se die Kehr­sei­ten der Infor­ma­ti­ons­re­vo­lu­ti­on zunut­ze macht« (S. 113). So kön­nen Algo­rith­men indi­vi­du­el­le Infor­ma­ti­ons­pa­ke­te für Netz-User zusam­men­stel­len, die auf das Surf-Ver­hal­ten und damit auf die indi­vi­du­el­len Habi­tus-Struk­tu­ren abge­stimmt sind. Der Mensch ist unmerk­lich als per­sön­li­che Ziel­schei­be Ele­ment des psy­cho­lo­gi­schen Infor­ma­ti­ons­krie­ges, um eine den Mili­tärs gegen­über offe­ne bis zustim­men­de Wahr­neh­mung, Hal­tung und Ver­hal­tens­wei­se zu gene­rie­ren. Das Pen­ta­gon hat dafür 27 000 Mitarbeiter/​innen unter Ver­trag, die mit einem 4,7 Mrd. $-Etat die Mei­nungs­bil­dung der Men­schen beein­flus­sen. »Die­se Abtei­lung hat damit zehn­mal so vie­le Mit­glie­der, wie Unter­grund­ein­hei­ten der CIA und wid­met sich ganz der digi­ta­len Mani­pu­la­ti­on« (S. 137). Für das Gesamt­pa­ket der Kogni­ti­ven Kriegs­füh­rung bedient sich die Stra­te­gi­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on der Nato und ihrer ein­zel­nen Armeen der »Psy­cho­lo­gie, Lin­gu­istik, Neu­ro­bio­lo­gie, Logik und mehr« (S. 174). James Giord­a­no vom Modern War Insti­tu­te bringt es auf den Punkt: »Je mehr ich dar­über weiß, wie du tickst, desto bes­ser kann ich mei­ne Inter­ak­tio­nen mit dir dar­auf abstim­men, dass du so tickst, wie ich es möch­te« (S. 176). »Damit wer­den wei­te Tei­le der Bevöl­ke­rung in die Plä­ne zur Kogni­ti­ven Kriegs­füh­rung mit ein­be­zo­gen und Wis­sen­schafts­be­rei­che wie die Neu­ro­wis­sen­schaf­ten mili­ta­ri­siert« (S. 190).

Im Ergeb­nis wird das All­tags­be­wusst­sein der Men­schen mit jeder Nach­rich­ten- und mit einer Viel­zahl von poli­ti­schen Infor­ma­ti­ons­sen­dun­gen durch Halb­wahr­hei­ten und dop­pel­te Stan­dards, durch syste­ma­tisch-regel­mä­ßi­ge Begriffs­be­nut­zung – wie »Angriffs­krieg«, wenn Russ­land als Akteur aus­zu­ma­chen ist, und »Sicher­heits­po­li­tik«, wenn es um Krieg und Mili­tär im All­ge­mei­nen geht – umprogrammiert.

Jonas Tögel kommt zum Schluss: »Die dar­aus wach­sen­de Beob­ach­tung und (…) Kennt­nis der Pro­pa­gan­da­tech­ni­ken (…) kön­nen hel­fen, heu­ti­ge Pro­pa­gan­da zu erken­nen und den Cogni­ti­ve War­fa­re so ein Stück weit zu ent­schär­fen« (S. 193). Denn es geht um das Empower­ment für das Mit­ge­fühl und die Befehls­ver­wei­ge­rung im umfas­send psy­cho­lo­gi­schen Sinn, also dar­um, bei einem fast unmerk­lich her­bei­ge­führ­ten Gehor­sam gegen­über erwünsch­tem Ver­hal­ten die Kraft zu gene­rie­ren, »Nein!« sagen zu kön­nen und Gleich­ge­sinn­te zu suchen und sich mit ihnen um umfas­sen­de Infor­ma­tio­nen zu bemü­hen. Das ist ange­sichts der gehirn­wä­sche­ar­ti­gen Mei­nungs­ma­che der seri­ös ver­pack­ten Mei­nungs­ma­che schwie­rig. Die Nato ist mit­nich­ten ein Ele­ment der Sicher­heits­po­li­tik, das Allein­stel­lungs­merk­mal der Gefahr und ent­spre­chend die »Ach­se des Bösen« las­sen sich mit­nich­ten ein­sei­tig im Osten ver­or­ten, Hoch­rü­stung ist kein Ele­ment des Frie­dens, ein nuklea­rer Schirm über der Frei­heit Euro­pas ist ein Pro­pa­gan­da­in­stru­ment der Vernichtungsindustrie.

* Hier das Ori­gi­nal­zi­tat aus »Schö­ne neue Welt« S. 13: »Ein wirk­lich lei­stungs­fä­hi­ger tota­li­tä­rer Staat wäre ein Staat, in dem die all­mäch­ti­ge Exe­ku­ti­ve poli­ti­scher Macht­ha­ber und ihre Armee von Mana­gern eine Bevöl­ke­rung von Zwangs­ar­bei­tern beherrscht, die zu gar nichts gezwun­gen zu wer­den brau­chen, weil sie ihre Skla­ve­rei lieben.«

Jonas Tögel: Kogni­ti­ve Kriegs­füh­rung: Neue­ste Mani­pu­la­ti­ons­tech­ni­ken als Waf­fen­gat­tung der NATO, Westend­ver­lag, Frankfurt/​Main 2023, 256 S., 24 €.