»Tête-à-Tête«, also Kopf an Kopf – so der Titel der Ausstellung –, bedeutet so viel wie ein vertrauliches Zwiegespräch, ein Stelldichein. Neudeutsch würde man auch Date sagen, was alles abdeckt vom Geschäftstermin bis zum privaten Treffen. Das Kunstforum der Berliner Volksbank zeigt aus seiner opulenten Sammlung Werke von etwa 20 KünstlerInnen, die sich in Malerei, Zeichnung, Druckgrafik und Skulptur zum Thema Mensch geäußert haben: Zum Menschen, der auf sich allein gestellt ist und dem wir hier in der Selbsterfahrung von Existenz, Schicksal, Auseinandersetzung, von Zustand und Erleiden teilhaftig werden. Es bedarf eigentlich keiner raumgreifenden Geste mehr, der eine Augenblick, der festgehalten ist, hat alles Vorher und Nachher in sich aufgenommen.
»Landschaften als Gehirnbau« hat Gerhard Altenbourg seine Methode bezeichnet, landschaftliche Strukturen – auch geologische Schichtungen – in seine Figuren-Darstellungen einzubeziehen. Er schwankt in seinen Bildnissen zwischen Traum- und Leidensgestalten (»Kopf«, 1961), sie lösen Assoziationsketten aus, nicht zuletzt durch ihre Titel, mit denen er sich durchaus Paul Klee nähert (»Dort geistern Erinnerungen unaussprechliche Wälder«, 1966/67). »Der ganze Mensch ist im Kopf enthalten«, hat Horst Antes einmal gesagt, der zu den Vertretern der Neuen Figuration gehört. Zeichenhaft, unbewegt und starr wirkt sein offener »Kopf mit stehender Figur. Reif und Stab« (1979/80). Dieser »begehbare« Kopf bildet ein autonomes System. Ist das noch Kopf oder Körper? Der mythische Aspekt der Daseinsverbundenheit spielt bei Antes eine besondere Rolle, aber auch die Auseinandersetzung mit den Kachina-Puppen der Hopi-Indianer Nordamerikas. Ulla Walter wiederum hat für ihre Plastik »Freidenker mit archimedischem Punkt« (2017/18) eine neue Technik angewendet, bei der eine Plastik trotz aufgebrochener Oberfläche stabil bleibt. »Es ist ein offener Mensch, dem ein Sockel einen inneren Halt gibt«, erklärt die Malerin. Dieter Hackers Skulptur »Atem« (1985) – die Hand, die der Kopf ungläubig staunend betrachtet, die den Kopf beschützt – ist ein existentielles Gleichnis für Sinn, Zweck, Ziel menschlichen Handelns im Spannungsverhältnis des Eigenen und Fremden.
Aus den Gesichtszügen von Helge Leibergs Gemälde »Wildheit im Kopf« (1986/87) steigt eine andere Figur, wie einem Alptraum entwichen, diagonal auf, während ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen bedrohlich über dem Kopf schwebt – es sind Anklagen, Empörungsschreie, in denen der Künstler sich mit dem Opfer identifiziert. Durch suggestive Kraft und archaische Monumentalität zeichnen sich Markus Lüpertz’ Bildgegenstände aus. Das verzerrte Gesicht des »Sterndeuters« (1987) muss Schreckliches erlebt haben. Bei Angela Hampel erscheint die Frau als Ich-Bild (»Selbst mit Maske«, 1993), als das zugleich stärkere, aber auch gefährdetere menschliche Wesen. Ihre Arbeiten strahlen Provokation, Aufbegehren, Widerstand aus.
In Profil- wie Seitenansichten, im Aufrecken wie im Neigen der Köpfe und Körper greifen die KünstlerInnen symbolische Körperhaltungen auf: gestalthafte Sinnbilder der Selbstbehauptung, der Verlassenheit, Bedrückung und Angst, aber auch Gegenbilder wie Hochmut, Arroganz und Gewalttätigkeit. Expressive Gestik und statuarische Haltung gehen ineinander über. Fleckige Farbe, Risse, Schürfungen, Absplitterungen und Linien führen zur psychologischen Differenzierung, zum Aufreißen von Widersprüchen und Konflikten.
Gerd Sonntags Glasskulpturen (»Susan in Streifen«, 2010; »Die Bäuerin«, 2016) erklären sich aus der Malerei, verweben Striche im Raum, verwahren Momente auf Dauer und sind doch ganz eigen und außergewöhnlich. »Ich wechsle dabei zwischen durchsichtigem und undurchsichtigem Glas, füge fremde Elemente wie Draht ein und setze Akzente mit Glaspulver und Metalloxiden. Ich zeichne sozusagen mit Glas«, so Sonntag. Seine Skulpturen scheinen in ständiger Wandlung begriffen. Sie fangen das Licht ein, sind mal transparent und zeigen ihre eigene Immanenz, mal opak und sprechen von der Verschlossenheit aller Wesen.
In der Mehrzahl der ausgestellten Werke geht es nicht um das psychologische Bildnis, nicht um die bestimmte Person, mit unverwechselbaren Kennzeichen, sondern um das individuelle menschliche Sein. Erika Stürmer-Alex reduziert die Formen des Motivs – das menschliche Antlitz – auf ein Grundmuster, innerhalb dessen sie einzelne Komponenten immer wieder neu wandelt und kombiniert (»Kopf auf Rot«, 1995). Sie steigert die geheimen seelischen und geistigen Prozesse des Menschen ins Abstrakte, das sich im Klang und Rhythmus der Farbe mit den schicksalhaften Linien verbindet. Dieter Zimmermann hat die Erinnerung an menschliche Figurationen, an Gesichter in seinen Bildern verwoben, wobei sich aus den Positiv- und Negativformen der noch erkennbaren Umrissgestalt die Grundmelodie für das ganze Bild entwickelt (»Tor«, 1994). Was in den Kurven der Figur anklingt, tönt als Echo in den begleitenden Formen wider, sensibel die Grundgestalt modulierend. Dagegen erreicht der ganz von der Farbe getragene expressive Realismus in Rainer Fettings New Yorker Serie »Man with hat« (1989) eine Genauigkeit, die Ergebnis einer rigorosen Reduktion ist. »Die Realität ist eine Art Bewusstsein oder Erfahrung, die man gemacht hat, und dafür findet man eine Metapher«, sagt Fetting, und diese Metapher ist hier der Hut, der den Köpfen ihre besondere, eigenwillige Physiognomie verleiht.
Der Kopf also als uns magisch anziehender »Schauplatz letzter Fragen«, als Welt, als Seelenlandschaft, als »große Rundung des Universums?« fragt Joachim Sartorius. Köpfe, Gesichtslandschaften, die Spiegelung und bildinterne Entgegensetzung des Gesichts, im freien Spiel der Formen und Farben. Ein Blick auf die Innenseite des Lebens, nicht auf die Außenseite. Gesichter in existenzialistischer Einsamkeit, in transzendentaler Abstraktion, zwischen Entstehen und Vergehen, meditativer Versunkenheit und wütender Aggressivität, zwischen sehr nah und sehr fern. Ein unablässiges Suchen nach dem wahren Sitz des Ich findet in den Arbeiten der Ausstellung statt.
»Tête-à-Tête. Köpfe aus der Kunstsammlung der Berliner Volksbank«, Kunstforum der Berliner Volksbank. Kaiserdamm 105, 14057 Berlin, dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, bis 28. Juni, Eintritt 4/3 €, Katalog 10 €