Die Welt der Toten hat nichts mit der Welt der Lebendigen zu tun …
Aber sie drängen sich herein, obwohl die Tür hermetisch verschlossen sein soll. Hermetisch, luft- und wasserdicht abgeschlossen. Siehe: Hermes legt den Finger auf den Mund, er verschweigt die göttliche Weisheit und führt die Seelen der Toten in die Unterwelt, psychopompos. Manchmal macht er Umwege.
Wuppertal. Elberfeld plus Barmen, seit 1930. »Ich suche allerlanden eine Stadt / Die einen Engel vor der Pforte hat …«
Oberbarmen. Die Wupper. Die Stadt im engen Talkessel. Der Schneefall lässt nach. Hauptbahnhof Wuppertal. Der Vorplatz ist aufgewühlt. Flüche, die etwas rheinisch klingen und darum nicht bösartig. Die meisten Passanten sind aber schweigende, arabisch aussende Ausländer, mit Rauchen beschäftigt. Nicht einmal die Kinder sind laut. Wuppertal ist eine Stadt der Fremden. Else Lasker-Schüler muss es ähnlich empfunden haben. Schneematsch auf den Gehwegen. Autos spritzen hohe Fontänen.
Der Winterdienst beginnt allmählich mit der Arbeit. Möglicherweise ist sie genau hier entlanggekommen: Döppersberg, Schloßbleiche, Wall, Herzogstraße, Kasinostraße.
Nur wenige Besucher an diesem Vormittag in der Bibliothek. Nicht einmal alle Mitarbeiter konnten infolge des Schneefalles pünktlich zum Dienst erscheinen.
Im Armin-T.-Wegener-Zimmer: Paul Zech, Else Lasker-Schüler. Eine Postkarte an Trakl: »Lieber Dichter und Herr von Thyrol, ich schreibe morgen einen Brief … Bleiben Sie in Innsbruck? Wie ist es dort? Ich war mal in der Schweiz.«
In der Schwebebahn, die sie auch gesehen hat. Fahrt vom Hauptbahnhof nach Oberbarmen. Unten die Wupper. Schnee am Ufer. Die Wupper schnell, erdig an diesem Tag.
Döppersberg, Hauptbahnhof. Das Café besetzt inzwischen, erfüllt von Gesprächen, die Fremdheit nur verstärken. Doch wo Heimat suchen? »O Gott, schließ um mich deinen Mantel fest; / Ich weiß, ich bin im Kugelglas der Rest …«
Der Text ruft auf: »Gebet« aus Else Lasker-Schüler: »Gedichte und Prosa« Gustav Kiepenheuer Verlag Weimar, [Gustav-Kiepenheuer Bücherei, Bd. 29] Seite 39. Die Postkarte von Else Lasker-Schüler an Georg Trakl wird aufbewahrt in der Stadtbibliothek Wuppertal: /A 303/ Trakl, Georg/ Postkarte / Berlin /11.4.1914.