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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Klimaschutz: Aufstand der Gerichte

Täg­lich wachen wir mit neu­en Zah­len auf: Schon 2024 scheint sich die Erwär­mung auf mehr als 1,5 Grad gegen­über dem vor­in­du­stri­el­len Zeit­al­ter hin­auf­ge­schraubt zu haben. Noch nie war der Aus­stoß von CO2 so groß wie jetzt. Und die Poli­tik fast aller Län­der ist unfä­hig oder unwil­lig, die Schrift auf den Com­pu­ter­bild­schir­men oder den Charts der Kli­ma­for­scher als Anlass für ener­gi­sches Han­deln zu neh­men. Wer kann da hel­fen? Viel­leicht die Gerichte?

Immer häu­fi­ger wird die Justiz in vie­len Län­dern mit Fra­gen des Kli­ma­schut­zes kon­fron­tiert, auch weil die poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen, trotz der unbe­streit­bar glo­bal immer gefähr­li­cher wer­den­den Lage, nur mini­mal­in­va­si­ve Ein­grif­fe in ihr Rechts­sy­stem zulas­sen. Dabei hilft die Justiz den kla­gen­den Par­tei­en, die teil­wei­se spek­ta­ku­lä­re Ergeb­nis­se erzie­len. Das begann in Deutsch­land schon 2021 mit einer bahn­bre­chen­den Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (BVerfG). Es erklär­te, dass die von der Bun­des­re­gie­rung vor­mals in ihrem Kli­ma­schutz­ge­setz aus­ge­ge­be­nen Kli­ma­schutz­zie­le nicht aus­reich­ten und mit Blick auf künf­ti­ge Gene­ra­tio­nen gegen das Grund­ge­setz ver­stie­ßen. Die­se Ent­wick­lung setz­te sich 2024 mit drei Ent­schei­dun­gen ver­schie­de­ner Gerich­te fort.

Als erstes ist ein Urteil des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR; nicht zu ver­wech­seln mit dem Euro­päi­schen Gerichts­hof der EU), der eine Insti­tu­ti­on des Euro­pa­ra­tes ist, gegen die Schweiz zu nen­nen. Hier hat­ten vier älte­re Frau­en und der Ver­ein der Kli­ma­se­nio­rin­nen erfolg­reich geklagt. Das Gericht, das die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EMRK) aus­zu­le­gen hat, stand bei sei­ner Ent­schei­dung vor drei Pro­ble­men. Ein­mal muss­te es defi­nie­ren, wer im Kli­ma­schutz den Sta­tus eines »Opfers« hat und des­halb kla­gen kann. Dann muss­te es sich mit dem Argu­ment aus­ein­an­der­set­zen, dass Gerich­te im Rah­men der Gewal­ten­tei­lung nicht in die poli­ti­sche Sphä­re »hin­ein­re­gie­ren« dürf­ten. Und schließ­lich war da noch die Fra­ge der Sub­si­dia­ri­tät, das heißt, dass zunächst alle inner­staat­li­chen Rechts­be­hel­fe aus­ge­schöpft sein müs­sen, bevor der EGMR mit Erfolg ange­ru­fen wer­den kann. In allen drei Berei­chen kommt der EGMR mei­nes Erach­tens im Ergeb­nis zu rich­ti­gen Feststellungen.

Die wich­tig­ste Aus­sa­ge ist zwei­fel­los, dass aus Arti­kel 8 der EMRK (Recht auf Pri­vat- und Fami­li­en­le­ben) Schutz­pflich­ten (»posi­ti­ve obli­ga­ti­ons«) zur Bekämp­fung des Kli­ma­wan­dels fol­gen. Dies wird auch die Aus­le­gung natio­na­ler Men­schen­rech­te in vie­len Rechts­ord­nun­gen beein­flus­sen. So genießt die EMRK etwa in Öster­reich Ver­fas­sungs­rang, was für Deutsch­land bis­her aller­dings eher sel­ten ver­tre­ten wird. Die schwä­che­re deut­sche Vari­an­te ver­hilft der EMRK gleich­wohl zu gewis­sem Ein­fluss auf die Grund­rech­te des Grund­ge­set­zes durch die Figur der völ­ker­rechts­freund­li­chen Auslegung.

Regie­rung und Par­la­ment der Schweiz zeig­ten sich nicht erfreut, son­dern kri­ti­sier­ten das Urteil scharf und erklär­ten, die Schweiz wer­de es nicht umset­zen – ein kla­rer Rechts­bruch. Man sprach von Ein­mi­schung in inner­staat­li­che Ange­le­gen­hei­ten, ein Argu­ment, das sonst oft von auto­ri­tä­ren Regimes ver­wen­det wird, wenn ihrem Füh­rungs­per­so­nal gericht­li­che Urtei­le gegen den Strich gehen. Die Hal­tung erin­nert aber auch an Mar­kus Söder, der nach einer rechts­kräf­ti­gen Ent­schei­dung des Ver­wal­tungs­ge­richts Mün­chen zu wei­te­ren Fahr­ver­bo­ten in Mün­chen schlicht erklär­te, man wer­de die­se Ent­schei­dung nicht umset­zen, und ihn erst der Euro­päi­sche Gerichts­hof vor Beu­ge­haft bewahrte.

Der zwei­te Fall betrifft wie­der­um das Kli­ma­schutz­ge­setz des Bun­des und stammt vom Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg. Hier hat­te unter ande­rem die Deut­sche Umwelt­hil­fe auf Grund der Vor­schrif­ten des nach der Ent­schei­dung des BVerfG noch 2021 novel­lier­ten deut­schen Kli­ma­schutz­ge­set­zes geklagt. Es sah bis Juli 2024 vor, dass bei Nicht­er­rei­chen der im Gesetz vor­ge­se­he­nen Kli­ma­zie­le Sofort­maß­nah­men in jedem Bereich zu tref­fen sei­en, der hier­von betrof­fen war. Das galt kon­kret für Ver­kehr und Wohn­be­bau­ung. Das Gericht ver­ur­teil­te die Bun­des­re­gie­rung, der­ar­ti­ge Sofort­maß­nah­men zu ergrei­fen. Dazu fand sich die Ampel jedoch nicht bereit und ver­wäs­ser­te das Gesetz ihrer Vor­gän­ger­re­gie­rung, indem nun­mehr kei­ne bereichs­spe­zi­fi­sche Betrach­tungs­wei­se mehr zuläs­sig ist und nur auf das Gesamt­ergeb­nis geschaut wer­den muss. So sind Ver­kehr und Bau­en zunächst ein­mal aus der Schuss­li­nie – schlicht ein Armuts­zeug­nis für die mit so gro­ßen Ambi­tio­nen im Kli­ma­schutz ange­tre­te­ne Koalition.

Im drit­ten Urteil trifft das Land­ge­richt Erfurt eine muti­ge Ent­schei­dung und sieht die Natur als Rechts­trä­ge­rin an, die folg­lich auch kla­ge­be­fugt sei. Die Fra­ge, ob Flüs­se, Tie­re oder Ber­ge Trä­ger von Rech­ten sein kön­nen, die es ihnen gestat­ten, vor Gerich­ten »auf­zu­tre­ten«, wird in letz­ter Zeit immer häu­fi­ger dis­ku­tiert. Einen ersten Ver­such in Deutsch­land gab es schon 1988. Damals ging es um Rob­ben. Ihre Kla­ge rich­te­te sich gegen die Ver­klap­pung von Schad­stof­fen in der Nord­see. Sie blieb vor dem Land­ge­richt Ham­burg ohne Erfolg, und die Dis­kus­si­on ver­ebb­te zunächst.

In ver­schie­de­nen Staa­ten ist sie aber in den letz­ten Jah­ren wie­der prä­sent. In Ecua­dor schaff­te es die Natur sogar 2008 in die Ver­fas­sung des süd­ame­ri­ka­ni­schen Landes.

Das LG Erfurt hat nun die EU-Grund­rech­te-Char­ta als Aus­gangs­punkt für sei­ne Über­le­gun­gen gewählt. Das ist nicht erstaun­lich, kom­men­tiert der erken­nen­de Rich­ter Borow­ski die Vor­schrif­ten die­ses Wer­kes doch in einem ein­schlä­gi­gen juri­sti­schen Kom­men­tar. Bizarr mutet aller­dings an, dass es in den zwei vor­lie­gen­den Ent­schei­dun­gen gar nicht um die Natur als Klä­ge­rin ging, son­dern sie die gericht­li­che Büh­ne qua­si durch die Hin­ter­tür in einem Die­sel­ver­fah­ren betrat, bei dem der zuge­bil­lig­te Scha­dens­er­satz­an­spruch für den getäusch­ten Die­sel­käu­fer mit der Begrün­dung erhöht wur­de, dass der nicht den Nor­men ent­spre­chen­de Die­sel­aus­stoß auch die Natur verletze.

Es wird kaum ver­wun­dern, dass die­ses Urteil gleich­falls Kri­tik her­aus­for­dert, beson­ders poin­tiert vom Leip­zi­ger Ver­fas­sungs­recht­ler Chri­stoph Degen­hart, sekun­diert vom FAZ-Chef­kom­men­ta­tor in juri­sti­schen Fra­gen Rein­hard Mül­ler, der gleich Gerich­te und NGOs in den­sel­ben Sack tut und dann kräf­tig drauf­drischt: »Ob all dies Umwelt und Kli­ma hilft, sei dahin­ge­stellt, nicht aber, was es für den demo­kra­ti­schen Rechts­staat bedeu­tet, wenn Gerich­te in exzes­si­ver Inan­spruch­nah­me ihrer Kom­pe­ten­zen, oft auf Ver­an­las­sung demo­kra­tisch nicht legi­ti­mier­ter NGOs, Umwelt­po­li­tik betrei­ben und sich in ihrem Sen­dungs­be­wusst­sein zu rechts­me­tho­disch und argu­men­ta­tiv so frag­wür­di­gen Ent­schei­dun­gen wie der des LG Erfurt hin­rei­ßen lassen.«

Es gibt aber auch seriö­se­re Kri­ti­ker, die einer­seits die ent­flamm­te Dis­kus­si­on begrü­ßen, jedoch kon­struk­ti­ve Män­gel der Ent­schei­dung erken­nen. Sie ver­wei­sen unter ande­rem auf die bereits heu­te bestehen­de Mög­lich­keit der Ver­bands­kla­ge im Natur­schutz­recht für ent­spre­chen­de Ver­ei­ni­gun­gen, übri­gens ein wei­te­res Argu­ment gegen die oben zitier­ten Aus­brü­che der Her­ren Degen­hardt und Mül­ler, die offen­bar das Umwelt-Rechts­be­helfs­ge­setz und § 64 Bun­des­na­tur­schutz­ge­setz und die ent­spre­chen­den Lan­des­ge­set­ze nicht ken­nen oder nicht ken­nen wollen.

Wei­te­re Ver­fah­ren bescher­ten den Klä­gern teil­wei­se Rück­schlä­ge, so in den Nie­der­lan­den, wo ein muti­ges erst­in­stanz­li­ches Urteil gegen Shell von einem Beru­fungs­ge­richt vor kur­zem auf­ge­ho­ben wur­de, die Sache sich aber jetzt dort in der Revi­si­on befin­det, oder in Nor­we­gen, wo ein erst­in­stanz­li­ches Gericht die Kla­ge von Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen abwies, die sich dage­gen wehr­ten, dass die Regie­rung einem Berg­bau­un­ter­neh­men gestat­tet hat­te, den Gru­ben­ab­fall sei­ner geplan­ten Mine­ral­ge­win­nung in einem Fjord zu ent­sor­gen. Nun ist das Ver­fah­ren auf sei­ner Rei­se in Luxem­burg ange­kom­men. Dort soll geklärt wer­den, ob die Geneh­mi­gun­gen gegen die EU-Was­ser­rah­men­richt­li­nie, die auch für Nor­we­gen gilt, ver­stie­ßen. Ab dem 2. Dezem­ber beschäf­tigt sich außer­dem der Inter­na­tio­na­le Gerichts­hof im Rah­men eines von Insel­staat Vanua­tu ange­streng­ten Ver­fah­rens im Wege eines Rechts­gut­ach­tens mit Fra­gen des Umweltschutzes.

Man darf gespannt sein, wie ins­ge­samt die Ent­wick­lung auf dem Feld des Rechts wei­ter­geht, auch wenn das Kli­ma sicher nicht auf gericht­li­che Urtei­le wartet.