»Plötzlich ist der Porsche aus dem stehenden Verkehr auf die Gegenfahrbahn ausgeschert. Er hat dann […] beschleunigt. Der Wagen flog wie über eine Sprungschanze, es sah aus wie im Film«, berichteten Augenzeugen. Der zwei Tonnen schwere schwarze Wagen knickte einen Ampelmast und mehre Poller um, drehte sich in der Luft, durchbrach einen Bauzaun und blieb zerfetzt auf dem Grundstück hinter dem Bauzaun liegen. Vier Menschen starben bei dem tragischen Unfall am 6. September in Berlin; die Ursache ist bisher nicht geklärt.
Einen Unfall mit vier toten Menschen zum Anlass zu nehmen, über bestimmte Mobilitätsformen zu diskutieren, ist angemessen und notwendig – zumal Geländewagen schon viel länger in der Kritik stehen, weil sie viel Platz einnehmen, extrem klimaschädlich sind und bei Unfällen zu größeren Schäden führen als kleinere und leichtere Fahrzeuge. Jedes Jahr sterben über 3000 Menschen im deutschen Straßenverkehr – zehn tote Menschen jeden Tag.
Zunächst: Es geht darum, ob solche Stadtpanzer überhaupt benötigt werden. Der kleinste Porsche der Sorte, mit dem der Unfall in Berlin verursacht wurde, kommt mit 245 PS daher, hat 2000 Kubikzentimeter Hubraum, ist 1,70 Meter hoch, 4,70 Meter lang und zwei Meter breit, er wiegt fast zwei Tonnen, beschleunigt in sieben Sekunden auf 100 Kilometer pro Stunde und fährt 220 Kilometer pro Stunde in der Spitze. Wie gesagt: der Kleinste aus dieser Reihe. Er verbraucht mindestens zehn Liter Sprit, stößt mit 200 Gramm CO2 pro Kilometer das Doppelte des Zulässigen aus und kostet mit ein bisschen Schnickschnack eher 100.000 Euro. Diese Art von übergroßen und überhöhten Autos ist das am schnellsten wachsende Segment – vielleicht sogar das einzige Segment, das gegenwärtig wächst. Es ist das Segment, das am intensivsten von der Autoindustrie beworben wird – angeblich wegen der Nachfrage, angeblich wegen der Sicherheitsbedürfnisse der Autofahrer/innen. Aber tatsächlich ist es umgekehrt – kleine und sparsame Autos werden nicht beworben (und nicht angeboten), weil sie weniger Profit abwerfen. Es geht weder um Mobilität noch um angebliche Sicherheitsbedürfnisse, es geht ausschließlich um Profit. Das ist der Grund, weshalb die Produktion des Drei-Liter-Lupo von Volkswagen ersatzlos eingestellt wurde.
Übrigens sind zwei Drittel aller in Deutschland zugelassenen Pkws deutscher Hersteller Dienst- beziehungsweise Geschäftsfahrzeuge, die von den Geschäftemachern steuermindernd als Betriebskosten ausgewiesen werden. Wir zahlen auch noch für derartige Steuertrickserei!
In den meisten Ländern gibt es geringere Höchstgeschwindigkeiten auf Landstraßen als bei uns und ein Tempolimit auf Autobahnen. Es gibt Länder, in denen Obergrenzen für die Größe von Pkws festgelegt sind (zum Beispiel nicht mehr als 1600 Kubikzentimeter). Das sind demokratische Länder. Es gibt Länder und Städte – sogar in Deutschland –, da gibt es autofreie Zonen; teils von erheblicher Größe. Die Freiheit der allein Autofahrenden wird eingeschränkt, sicher. Gut so. Man darf nicht immer überall alles. An Rauchverbote in Gaststätten, öffentlichen Räumen, auf Bahnhöfen haben wir uns auch gewöhnt, ohne sofort von der Einschränkung der Freiheit zu sprechen. Die individuelle Freiheit, Unvernünftiges zu tun, endet dort, wo andere Individuen oder die Gesellschaft Schaden nehmen. Es ist nicht erlaubt, andere Menschen in ihrer Gesundheit einzuschränken.
Das beruht übrigens auf Vereinbarungen, auf Gesetzen, die sich ändern, ständig – siehe Rauchverbote in öffentlichen Räumen, die Einrichtung großer Fußgängerzonen in vielen Städten oder die partielle Freigabe von Cannabis. Nichts bleibt, wie es ist, alles verändert sich. Zum Beispiel wäre es möglich: maximal 100 Kilometer pro Stunde auf der Autobahn zuzulassen, außerdem PKWs mit maximal 1,5 Tonnen Gewicht, maximal 2000 Kubikzentimeter Hubraum, maximal 130 PS. Könnte alles politisch durchgesetzt werden. Autofreie Sonntage, autofreie Sonnabende und so weiter. Unverzichtbar allerdings sind, damit möglichst wenige Menschen noch auf Autos angewiesen sind, gute Alternativen zum Auto. Wir brauchen einen gut ausgebauten, bedarfsgerecht getakteten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), preiswert, bestens fahrscheinfrei – ebenso einfach und bequem zu nutzen wie das bisher eigene Auto. An solchen Konzepten arbeitet unter anderem ein Projekt der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Sozial-ökologische Transformation der (Auto)mobilität
Die Debatte über eine sozial-ökologische Transformation der (Auto)mobilität nimmt an Fahrt auf. Der Dieselskandal, das absehbare Ende des Verbrennungsmotors und die Entwicklungen in Richtung autonomes Fahren haben sie vom Rand ins Zentrum politischer Aufmerksamkeit katapultiert. Einigkeit besteht darüber, dass sich die fossilistische Automobilität grundlegend verändern wird. In welche Richtung die Veränderungen aber führen und wer sie kontrolliert, ist umstritten. Viele sehen die Zukunft in der Elektro-Automobilität, Konzern-kontrolliertem Carsharing und autonomem Fahren.
Der Gesprächskreis »Zukunft Auto, Umwelt, Mobilität« der Rosa-Luxemburg-Stiftung möchte demgegenüber ein Forum für jene Akteure bieten, die Wege zu einer grundlegenden sozial-ökologischen Transformation der (Auto-)Mobilität erkunden: weg von erzwungener Mobilität, Auto-dominierten Städten und der Herrschaft der Automobilkonzerne, hin zu einem demokratisch kontrollierten Mobilitätssystem, das sozial sinnvolle Mobilitätsdienstleistungen erbringt, gute Arbeitsplätze bietet, wenig Ressourcen verbraucht und weitgehend emissionsfrei ist. Dafür ist die Zusammenarbeit progressiver verkehrspolitischer Initiativen, Gewerkschaften, linker Politik und kritischer Wissenschaft unabdingbar.
Die Tagung »Sozial-ökologische Transformation der (Auto)mobilität« am 22./23. November in Berlin ist ein Schritt, diese Zusammenarbeit zu stärken und auf dem Weg zu einem anderen Mobilitätssystem voranzukommen. Sie beginnt mit einer Luxemburg-Lecture von Lu Zhang, Soziologin an der Temple University Philadelphia und Autorin des Buches »Arbeitskämpfe in Chinas Autofabriken« (Mandelbaum-Verlag, Wien, 2018), zum Thema »Globale Arbeitskämpfe und die Konversion der Automobilität« am Freitagabend. Für Samstag ist ein Austausch verschiedener umwelt- und verkehrspolitischer Akteure geplant (Trade Unions for Energy Democracy, IG Metall, Changing Cities und andere). Anschließend wird der Entwurf eines Manifests für eine sozial-ökologische Transformation der (Auto)mobilität zur Diskussion gestellt. Ein detailliertes Programm steht in den nächsten Tagen zur Verfügung: https://www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/8564T/sozial-oekologische-transformation-der-automobilitaet/. Anmeldung per Mail an stephan@krullonline.de.