Er wäre jetzt im Januar 90 geworden, der 2023 verstorbene Berliner Maler, Zeichner und Graphiker Klaus Roenspieß, der fast ein ganzes Menschenleben zwischen Berlin-Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain verbracht hat. Diese Stadt, so bekannte er, »hat mich auch außerkünstlerisch immer als Ganzes bewegt und interessiert. Ich habe sie auch zu allen Zeiten auf weiten Wegen durchstreift. Mit dieser bekannten Einschränkung, die es da gab, schmerzlich« (gemeint ist die Mauer).
Durch seine dunkle, feste Malerei, den expressiven Grundgestus, der Raum durch Wirkung und Gegenwirkung von Farbe erzeugt, ist er bekannt geworden. Scheinbar wird das Gegenständliche verschluckt durch die monochrome Farbe (man hat auch von einer »schwarzen Periode« gesprochen). Doch aus dem Dunkel wachsen magisch, geheimnisvoll Formen und Farben hervor, vermitteln Tröstliches und Bedrohliches (»Große Landschaft«, 1991/92). Geisterhaft tauchen gegenständliche Motive auf – Bäume, Straßen, Mauern, Brücken, Kanäle, Gebäude, Höfe in unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten. Diese Vexierbilder muss sich das Auge des Betrachters erst aus dem Farbgefüge zusammensuchen. Gegenständliches und Physiognomiehaftes werden vom Künstler in den gegenstandslosen Formablauf impliziert. So vermochte er eine Sprache von unerhörter Sensibilität zu entwickeln. Der Betrachter findet identifizierbare Formen zu eigenen Erinnerungen, aber stets fügte der Künstler dem Bekannten – nie ging es ihm um topografische Identität – Unbekanntes hinzu und führte den Betrachter so unversehens in seine geistige Provinz, wo Erscheinung und Vision die Wirklichkeit verdrängt haben und uns von Zerrissenheit und Unruhe befreien sollen.
Seit Mitte der 1980er Jahre hatte sich seine Farbskala erhellt, war die Bildtektonik in Bewegung, in Veränderung geraten. Aus fast absichtslos gesetzten Formen und Farben ergab sich das Bildzeichen einer Stadt oder Landschaft. Mitunter wurde aus dem Schwarz-Blau-Grau nur ein scheinbar unwichtiger Moment – ein gelb-oranger Fleck – hervorgehoben (»Stadtbild«, Öl, 1986/87). Vielfach ist die Erinnerung an menschliche Figurationen in seinen Bildern verwoben. Sie stehen auch als Rückenfiguren – stellvertretend für den Betrachter – und schauen in die Landschaft (»Hommage à Caspar David Friedrich«, Öl, 1989). Die Farbe treibt als »Losgelöstes« der Verwirklichung des anschauungsfreien Sehens entgegen. Es ging Roenspieß nicht um den flüchtigen Augenblick, nicht um das Vorüberhuschende und Entgleitende der Erscheinung, sondern um deren Dichte und Dauer im Sinne der gestalteten Malerei, die sich in die Natur nicht mehr einfühlt, sondern ihr eine Ordnung entrissen hat, die im Kunstwerk jetzt selbständig gegenüber der Natur steht.
Die (Farb-)Holzschnitte von Klaus Roenspieß sind zu einer Art von »Stenogramm« verkürzt; nur noch die wesentlichsten Elemente werden angedeutet. Die reinen Schwarz-Weiß-Kontraste werden ohne Zwischentöne und Übergänge als Gestaltungsmittel verwendet. Ist in seiner Malerei das Zeichen von vornherein als farbige Erscheinung da, bedeutet im Holzschnitt das Schwarz die entsprechende »Farbe« und steigert sich zu höchster Intensität. »Tektoniker der Innerlichkeit« (Roland März) ist er genannt worden.
Die Analogie zum Prozess der Schöpfung des Werdens und Aufblühens von Farbe bleibt auch in den Papierarbeiten der Berliner Malerin und Graphikerin Monika Meiser durchaus offen und kann vom Betrachter ganz unterschiedlich erlebt werden. Die Formen und Farben verändern und verrätseln sich, sie scheinen im Raum zu schweben, sie wiederholen sich echoartig in – ihre Form immer wieder neu definierenden – Erscheinungen. Ein Element wächst aus dem anderen heraus, eine unendliche Kette von Assoziationen. Frequenzen, Anläufe, Abläufe, Rhythmen, Stauungen, Anschwellungen, Ballungen lassen Formsignale, Bewegungsabläufe, Vibrationen und Klangbilder entstehen. Diese Formen schildern eine imaginäre, zwischen sehr fern und sehr nah alternierende Bilderwelt. Das Licht ist das von Landschaftsbildern, aber die verschiedenen pulsierenden Formen lassen eher an blütenhafte Gewächse, Gräser, Blätterwerk, ja belaubte Bäume – aufs Äußerste reduziert – denken, wie man sie an einem heißen Sommertag erblicken kann. »Innere Landschaften«, die zu glühen scheinen wie im Urlicht? Ein Blick auf die Innenseite des Lebens? Oder auch Manifestationen der Seele? Abstraktion um ihrer selbst willen interessiert Monika Meiser – einst war sie praktizierende Mathematikerin – nicht. Was zählt, ist das lustvolle Gefühl, die frühlingshafte Freude, die die leuchtenden und transparenten Flecken aus Primärfarben auslösen – Rot, Blau, Gelb und Weiß –, die sich sanft wie verschwommene Lichtquellen im Nebel vor dem Auge entfalten. Das Gefühl von Rhythmik, Wiederholung und Entfaltung überträgt sich ganz selbstverständlich auf ihre Welt der Formen. Mit wenig Kontrasten von Hell und Dunkel wird die Oberfläche zum »Schleier«, wie auch ein Titel ihrer meist titellosen Arbeiten sagt, ein subtil modulierter, luftiger Raum, der nichts mit dem kubistischen Gitterraum zu tun hat.
Ihr Ziel ist es, mit der Illusion zu brechen, dass das Bild ein Fenster zur Welt sei. Stattdessen will sie wiedergeben, was man als vielfältige Erfahrung beschreibt: einen Gegenstand auf einem Bild, den man gleichzeitig aus verschiedenen Blickwinkeln und in verschiedenem Licht sieht. Ihre Bilder sollen die Grundkräfte des Wachsens und Bauens verkörpern. Starke Rot-, Blau- und Grüntöne sind mit schweren Pinselstrichen zusammengedrängt worden. Hier scheint alles zu wachsen, sich zu entfalten und zu bewegen. Das Fehlen aller Bedingungen der Schwerkraft in ihren Aquarellen hat doch etwas zu bedeuten. Wenn sie eine stille und intensive Heiterkeit ausstrahlen, kommen sie der Traumwelt sehr nahe. Doch Träume können auch sehr leicht zu Alpträumen werden. So drängen dunkle Untertöne in den Vordergrund, hindern andere Formen am Durchscheinen. Die konventionelle Perspektive ist zugunsten des immer wieder neu formbaren Raumes aufgegeben, der sich ausdehnt, krümmt, dreht, schwillt und zusammenzieht wie der Raum in Träumen. Farbe drängt sich wie aus dem Unterbewusstsein und hat alle figuralen Elemente verdrängt. Und doch sucht Monika Meiser immer ein gespanntes Gleichgewicht zwischen Bedrängnis und Harmonie, Dunkelheit und Licht herzustellen. Ja, ihre Bilder sind Spiegel seelischer Gestimmtheit, sie drücken Erwartung, Bereitschaft und Sehnsucht aus. Bleibt der Mensch zwar als körperhafte Gestalt ausgespart, warten doch diese so magisch »belebten« Bild-Räume auf sein Erscheinen.
Klaus Roenspieß und Monika Meiser – Übergänge. Galerie Amalienpark, Berlin-Pankow, Breite Str. 23, Di-Fr 14-19 Uhr, Sa 12-17 Uhr, bis 15. Februar. Faltblatt.