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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Klaus Roenspieß und Monika Meiser im Dialog

Er wäre jetzt im Janu­ar 90 gewor­den, der 2023 ver­stor­be­ne Ber­li­ner Maler, Zeich­ner und Gra­phi­ker Klaus Roen­spieß, der fast ein gan­zes Men­schen­le­ben zwi­schen Ber­lin-Mit­te, Prenz­lau­er Berg und Fried­richs­hain ver­bracht hat. Die­se Stadt, so bekann­te er, »hat mich auch außer­künst­le­risch immer als Gan­zes bewegt und inter­es­siert. Ich habe sie auch zu allen Zei­ten auf wei­ten Wegen durch­streift. Mit die­ser bekann­ten Ein­schrän­kung, die es da gab, schmerz­lich« (gemeint ist die Mauer).

Durch sei­ne dunk­le, feste Male­rei, den expres­si­ven Grund­ge­stus, der Raum durch Wir­kung und Gegen­wir­kung von Far­be erzeugt, ist er bekannt gewor­den. Schein­bar wird das Gegen­ständ­li­che ver­schluckt durch die mono­chro­me Far­be (man hat auch von einer »schwar­zen Peri­ode« gespro­chen). Doch aus dem Dun­kel wach­sen magisch, geheim­nis­voll For­men und Far­ben her­vor, ver­mit­teln Tröst­li­ches und Bedroh­li­ches (»Gro­ße Land­schaft«, 1991/​92). Gei­ster­haft tau­chen gegen­ständ­li­che Moti­ve auf – Bäu­me, Stra­ßen, Mau­ern, Brücken, Kanä­le, Gebäu­de, Höfe in unter­schied­li­chen Tages- und Jah­res­zei­ten. Die­se Vexier­bil­der muss sich das Auge des Betrach­ters erst aus dem Farb­ge­fü­ge zusam­men­su­chen. Gegen­ständ­li­ches und Phy­sio­gno­mie­haf­tes wer­den vom Künst­ler in den gegen­stands­lo­sen Form­ab­lauf impli­ziert. So ver­moch­te er eine Spra­che von uner­hör­ter Sen­si­bi­li­tät zu ent­wickeln. Der Betrach­ter fin­det iden­ti­fi­zier­ba­re For­men zu eige­nen Erin­ne­run­gen, aber stets füg­te der Künst­ler dem Bekann­ten – nie ging es ihm um topo­gra­fi­sche Iden­ti­tät – Unbe­kann­tes hin­zu und führ­te den Betrach­ter so unver­se­hens in sei­ne gei­sti­ge Pro­vinz, wo Erschei­nung und Visi­on die Wirk­lich­keit ver­drängt haben und uns von Zer­ris­sen­heit und Unru­he befrei­en sollen.

Seit Mit­te der 1980er Jah­re hat­te sich sei­ne Farb­ska­la erhellt, war die Bild­tek­to­nik in Bewe­gung, in Ver­än­de­rung gera­ten. Aus fast absichts­los gesetz­ten For­men und Far­ben ergab sich das Bild­zei­chen einer Stadt oder Land­schaft. Mit­un­ter wur­de aus dem Schwarz-Blau-Grau nur ein schein­bar unwich­ti­ger Moment – ein gelb-oran­ger Fleck – her­vor­ge­ho­ben (»Stadt­bild«, Öl, 1986/​87). Viel­fach ist die Erin­ne­rung an mensch­li­che Figu­ra­tio­nen in sei­nen Bil­dern ver­wo­ben. Sie ste­hen auch als Rücken­fi­gu­ren – stell­ver­tre­tend für den Betrach­ter – und schau­en in die Land­schaft (»Hom­mage à Cas­par David Fried­rich«, Öl, 1989). Die Far­be treibt als »Los­ge­lö­stes« der Ver­wirk­li­chung des anschau­ungs­frei­en Sehens ent­ge­gen. Es ging Roen­spieß nicht um den flüch­ti­gen Augen­blick, nicht um das Vor­über­hu­schen­de und Ent­glei­ten­de der Erschei­nung, son­dern um deren Dich­te und Dau­er im Sin­ne der gestal­te­ten Male­rei, die sich in die Natur nicht mehr ein­fühlt, son­dern ihr eine Ord­nung ent­ris­sen hat, die im Kunst­werk jetzt selb­stän­dig gegen­über der Natur steht.

Die (Farb-)Holzschnitte von Klaus Roen­spieß sind zu einer Art von »Ste­no­gramm« ver­kürzt; nur noch die wesent­lich­sten Ele­men­te wer­den ange­deu­tet. Die rei­nen Schwarz-Weiß-Kon­tra­ste wer­den ohne Zwi­schen­tö­ne und Über­gän­ge als Gestal­tungs­mit­tel ver­wen­det. Ist in sei­ner Male­rei das Zei­chen von vorn­her­ein als far­bi­ge Erschei­nung da, bedeu­tet im Holz­schnitt das Schwarz die ent­spre­chen­de »Far­be« und stei­gert sich zu höch­ster Inten­si­tät. »Tek­to­ni­ker der Inner­lich­keit« (Roland März) ist er genannt worden.

Die Ana­lo­gie zum Pro­zess der Schöp­fung des Wer­dens und Auf­blü­hens von Far­be bleibt auch in den Papier­ar­bei­ten der Ber­li­ner Male­rin und Gra­phi­ke­rin Moni­ka Mei­ser durch­aus offen und kann vom Betrach­ter ganz unter­schied­lich erlebt wer­den. Die For­men und Far­ben ver­än­dern und ver­rät­seln sich, sie schei­nen im Raum zu schwe­ben, sie wie­der­ho­len sich echo­ar­tig in – ihre Form immer wie­der neu defi­nie­ren­den – Erschei­nun­gen. Ein Ele­ment wächst aus dem ande­ren her­aus, eine unend­li­che Ket­te von Asso­zia­tio­nen. Fre­quen­zen, Anläu­fe, Abläu­fe, Rhyth­men, Stau­un­gen, Anschwel­lun­gen, Bal­lun­gen las­sen Form­si­gna­le, Bewe­gungs­ab­läu­fe, Vibra­tio­nen und Klang­bil­der ent­ste­hen. Die­se For­men schil­dern eine ima­gi­nä­re, zwi­schen sehr fern und sehr nah alter­nie­ren­de Bil­der­welt. Das Licht ist das von Land­schafts­bil­dern, aber die ver­schie­de­nen pul­sie­ren­den For­men las­sen eher an blü­ten­haf­te Gewäch­se, Grä­ser, Blät­ter­werk, ja belaub­te Bäu­me – aufs Äußer­ste redu­ziert – den­ken, wie man sie an einem hei­ßen Som­mer­tag erblicken kann. »Inne­re Land­schaf­ten«, die zu glü­hen schei­nen wie im Urlicht? Ein Blick auf die Innen­sei­te des Lebens? Oder auch Mani­fe­sta­tio­nen der See­le? Abstrak­ti­on um ihrer selbst wil­len inter­es­siert Moni­ka Mei­ser – einst war sie prak­ti­zie­ren­de Mathe­ma­ti­ke­rin – nicht. Was zählt, ist das lust­vol­le Gefühl, die früh­lings­haf­te Freu­de, die die leuch­ten­den und trans­pa­ren­ten Flecken aus Pri­mär­far­ben aus­lö­sen – Rot, Blau, Gelb und Weiß –, die sich sanft wie ver­schwom­me­ne Licht­quel­len im Nebel vor dem Auge ent­fal­ten. Das Gefühl von Rhyth­mik, Wie­der­ho­lung und Ent­fal­tung über­trägt sich ganz selbst­ver­ständ­lich auf ihre Welt der For­men. Mit wenig Kon­tra­sten von Hell und Dun­kel wird die Ober­flä­che zum »Schlei­er«, wie auch ein Titel ihrer meist titel­lo­sen Arbei­ten sagt, ein sub­til modu­lier­ter, luf­ti­ger Raum, der nichts mit dem kubi­sti­schen Git­ter­raum zu tun hat.

Ihr Ziel ist es, mit der Illu­si­on zu bre­chen, dass das Bild ein Fen­ster zur Welt sei. Statt­des­sen will sie wie­der­ge­ben, was man als viel­fäl­ti­ge Erfah­rung beschreibt: einen Gegen­stand auf einem Bild, den man gleich­zei­tig aus ver­schie­de­nen Blick­win­keln und in ver­schie­de­nem Licht sieht. Ihre Bil­der sol­len die Grund­kräf­te des Wach­sens und Bau­ens ver­kör­pern. Star­ke Rot-, Blau- und Grün­tö­ne sind mit schwe­ren Pin­sel­stri­chen zusam­men­ge­drängt wor­den. Hier scheint alles zu wach­sen, sich zu ent­fal­ten und zu bewe­gen. Das Feh­len aller Bedin­gun­gen der Schwer­kraft in ihren Aqua­rel­len hat doch etwas zu bedeu­ten. Wenn sie eine stil­le und inten­si­ve Hei­ter­keit aus­strah­len, kom­men sie der Traum­welt sehr nahe. Doch Träu­me kön­nen auch sehr leicht zu Alp­träu­men wer­den. So drän­gen dunk­le Unter­tö­ne in den Vor­der­grund, hin­dern ande­re For­men am Durch­schei­nen. Die kon­ven­tio­nel­le Per­spek­ti­ve ist zugun­sten des immer wie­der neu form­ba­ren Rau­mes auf­ge­ge­ben, der sich aus­dehnt, krümmt, dreht, schwillt und zusam­men­zieht wie der Raum in Träu­men. Far­be drängt sich wie aus dem Unter­be­wusst­sein und hat alle figu­ra­len Ele­men­te ver­drängt. Und doch sucht Moni­ka Mei­ser immer ein gespann­tes Gleich­ge­wicht zwi­schen Bedräng­nis und Har­mo­nie, Dun­kel­heit und Licht her­zu­stel­len. Ja, ihre Bil­der sind Spie­gel see­li­scher Gestimmt­heit, sie drücken Erwar­tung, Bereit­schaft und Sehn­sucht aus. Bleibt der Mensch zwar als kör­per­haf­te Gestalt aus­ge­spart, war­ten doch die­se so magisch »beleb­ten« Bild-Räu­me auf sein Erscheinen.

Klaus Roen­spieß und Moni­ka Mei­ser – Über­gän­ge. Gale­rie Ama­li­en­park, Ber­lin-Pan­kow, Brei­te Str. 23, Di-Fr 14-19 Uhr, Sa 12-17 Uhr, bis 15. Febru­ar. Faltblatt.