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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Klatsche für Gauck

Dies­mal las­sen wir uns ger­ne das übli­cher­wei­se tadelnd gemein­te oder spöt­tisch kon­no­tier­te Eti­kett vom Bes­ser­wis­ser anhän­gen. Unter der Über­schrift »Gaucke­lei­en« hat­te sich Ossietzky am 2. Novem­ber 2024 mit einem Inter­view-Auf­tritt des damals 84-jäh­ri­gen Alt-Bun­des­prä­si­den­ten Joa­chim Gauck in dem zur Fun­ke Medi­en­grup­pe gehö­ren­den Ham­bur­ger Abend­blatt beschäf­tigt – sowie mit der spä­te­ren Wei­ge­rung der Tages­zei­tung, einen kri­ti­schen Leser­brief dazu zu veröffentlichen.

Eine Aus­sa­ge Gaucks war den Redak­teu­ren als so wich­tig erschie­nen, dass sie als Anrei­ßer auf Sei­te 1 geho­ben wor­den war: »In Deutsch­land wer­den zu wenig Kin­der gebo­ren, und es gibt ein­fach zu wenig arbeits­fä­hi­ge und arbeits­wil­li­ge Bio-Deutsche.«

Die Wort­wahl schockier­te zwei Ham­bur­ger Abend­blatt-Leser, die, ver­wun­dert über die »unkri­ti­sche Ver­wen­dung die­ser ras­si­sti­schen For­mu­lie­rung«, einen Leser­brief an die Redak­ti­on schick­ten. Ohne Erfolg. Kein Abdruck, kei­ne Reaktion.

Drei Mona­te spä­ter durf­ten sich die bei­den über eine Klat­sche für Gauck und eine Ohr­fei­ge für die Jour­na­li­sten freu­en: Der Aus­druck »bio­deutsch« wur­de von Sprach­wis­sen­schaft­lern zum »Unwort des Jah­res 2024« gewählt. Ihre Begrün­dung: Das Wort sei im Jahr 2024 »im öffent­li­chen und gesell­schaft­li­chen Sprach­ge­brauch und ins­be­son­de­re in den Sozia­len Medi­en ver­stärkt ver­wen­det (wor­den), um Men­schen vor dem Hin­ter­grund ver­meint­lich bio­lo­gi­scher Abstam­mungs­kri­te­ri­en ein­zu­tei­len, zu bewer­ten und zu diskriminieren.«

Herrn Gauck und dem Ham­bur­ger Abend­blatt sei das Votum ins Stamm­buch geschrie­ben: »Mit dem Wort bio­deutsch wird eine ras­si­sti­sche, bio­lo­gi­sti­sche Form von Natio­na­li­tät kon­stru­iert. Ursprüng­lich iro­nisch als sati­ri­scher Aus­druck ver­wen­det, der mit dem Bio-Sie­gel als Güte-Sie­gel für öko­lo­gi­schen Anbau spiel­te, ist für bio­deutsch seit meh­re­ren Jah­ren eine sehr gedan­ken­lo­se und unre­flek­tier­te, nicht-sati­ri­sche, also wört­lich gemein­te Ver­wen­dung fest­zu­stel­len. Dabei wird ›Deutsch­sein‹ natur­be­zo­gen begrün­det, um eine Abgren­zung und Abwer­tung von Deut­schen mit Migra­ti­ons­bio­gra­fie vor­zu­neh­men. Bio­deutsch steht zusam­men mit den zuge­hö­ri­gen Sub­stan­ti­ven Bio­deut­sche, Bio­deut­scher in einer Rei­he mit wei­te­ren Wör­tern wie Pass­deut­sche oder ech­te Deut­sche, die dazu die­nen, Men­schen­grup­pen, die vor dem Gesetz gleich sind, unglei­che Eigen­schaf­ten zuzu­schrei­ben und sie somit hier­ar­chisch zu klas­si­fi­zie­ren. Die­se mit dem Gebrauch von bio­deutsch ein­her­ge­hen­de Unter­tei­lung in angeb­lich ›ech­te‹ Deut­sche und in Deut­sche zwei­ter Klas­se ist eine Form von Alltagsrassismus.«

Die Sprach­kri­ti­ker kri­ti­sier­ten nicht den iro­nisch-sati­ri­schen, son­dern den dis­kri­mi­nie­ren­den Wort­ge­brauch, »weil er gegen die Idee von demo­kra­ti­scher Gleich­heit und Inklu­si­on ver­stößt und eine Pri­vi­le­gie­rung der ima­gi­nä­ren Gemein­schaft der ›Bio­deut­schen‹ gegen­über Grup­pen dar­stellt, die aus dem ras­si­sti­schen Kon­strukt der ver­meint­li­chen ›Bio­deut­schen‹ aus­ge­schlos­sen wer­den. Durch die nicht-iro­ni­sche Ver­wen­dung des Wor­tes wird ein bio­lo­gi­scher Zusam­men­hang von Natio­na­li­tät und ›Deutsch­sein‹ ima­gi­niert, den es nicht gibt.«

Mit Shake­speare rufen wir daher der Jury zu: »Gut gebrüllt, Löwe.« Für Joa­chim Gauck hal­ten wir eben­falls ein pas­sen­des Zitat von Shake­speare parat, Kleo­pa­tra sei Dank: »Alter schützt vor Tor­heit nicht.« Und Ossietzky darf sich, bild­lich gespro­chen, auf die Schul­tern klopfen.

Und wie reagier­te das Ham­bur­ger Abend­blatt? Am Tag nach der Bekannt­ga­be steht eine Kurz­mel­dung auf Sei­te 1: »Es wir oft natio­na­li­stisch und ras­si­stisch ver­wen­det: Exper­ten wähl­ten ›bio­deutsch‹ zum Unwort des Jah­res.« So aber haben die Sprach­kri­ti­ker nicht geur­teilt. Für sie gehört das Wort – sie­he oben – in die Kate­go­rie »All­tags­ras­sis­mus« und wird nicht ein­fach nur »oft ras­si­stisch verwendet«.

Infor­ma­tio­nen zu der insti­tu­tio­nell unab­hän­gi­gen und ehren­amt­li­chen Akti­on »Unwort des Jah­res« gibt es auf der Home­page www.unwortdesjahres.net.