Verlag und Redaktion Ossietzky schlossen sich vor fünf Jahren meinen Wünschen, gerichtet an die Adresse des damals achtzigjährigen Ralph Hartmann, an, als ich ihm und seiner unbeugsamen Lebensgefährtin Eveline viel Kraft und etliche erfreuliche Jahre (Sto-Lat!) im Kreise der Familie und Freunde wünschte (Ossietzky 19/2015). Beide, bereits damals von schwerer Krankheit gezeichnet, sind heute nicht mehr unter uns. Ralph ist am 18. Oktober kurz nach seinem 85. Geburtstag gestorben. Er hinterlässt eine unverwechselbare Lebensspur eines sozialistischen Diplomaten der DDR in Kuba und vor allem in Jugoslawien, eines wissenschaftlichen Mitarbeiters der PDS-Abgeordnetengruppe in Bonn, eines klugen Autors von Büchern zu aktuellen Fragen des »Vereinigungsprozesses« beider deutscher Staaten und nicht zuletzt von unzähligen spritzig verfassten Beiträgen zu nationalen und weltpolitischen Problemen in dieser Zeitschrift.
Gestützt auf das fundierte spezifisch fachliche Wissen sowie Fremdsprachenkenntnisse, die Ralph während des sechsjährigen Hochschulstudiums am Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen erworben hatte, reifte er im Laufe seiner langjährigen Tätigkeit im Auswärtigen Dienst nicht nur zu einem »Bevollmächtigten«, sondern auch zu einem »Außerordentlichen« Vertreter des deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, zuletzt als Doyen des Belgrader CD (Corps Diplomatique). Die Wahrnehmung der nationalen Interessen der DDR erfolgte stets unter respektvoller Berücksichtigung der Interessen seines Aufenthaltslandes und dessen leidvoller Geschichte während des Zweiten Weltkrieges. Umso schmerzlicher empfand er viele Jahre später die völkerrechtswidrige Aggression der NATO gegen Jugoslawien unter aktiver Beteiligung Deutschlands. 2004 schrieb er:
»Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es Dutzende von Kriegen gegeben, an deren Folgen noch heute Menschen leiden. Von all diesen Kriegen war der gegen Jugoslawien … der feigste« und weiter: »Die Aggression verfolgte viele Ziele. Das einzige Land in Europa, in dem die rote Fahne, wenn auch arg zerschlissen, immer noch wehte und das sich gegenüber der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds widerspenstig gezeigt hatte, sollte endgültig zerschlagen, die Osterweiterung der NATO vorangetrieben und der traditionelle Einfluss Russlands auf dem Balkan zurückgedrängt werden.« (Ossietzky 5/2004)
Ralph Hartmann verfügte nicht nur über ausgeprägte analytische Fähigkeiten, nationale und internationale Ereignisse und Entwicklungen zu erkennen, sondern vermochte diese auch in originell verfasster Sprache darzulegen. Sein Spürsinn für dringend Notwendiges, für Grundsätzliches, für Ursächliches und sich daraus Ergebendes versetzte ihn in die Lage, wissenswerte Beiträge zu aktuellen Fragen zu formulieren, aber auch eine erfolgreiche Autorenschaft von mehreren interessanten quellengestützten Büchern zu meistern. Man wird nunmehr seine vielfältige »Handschrift« vermissen. Bleiben über seinen Tod hinaus werden aber die wertvollen Erkenntnisse in seinen Büchern.
In einer Widmung im Buch »Die Liquidatoren« erinnerte mich Ralph 1997, wie wir im »wiedergewonnenen Vaterland« Anfang der 1990er Jahren zwischen B und B diskutierend gereist sind. Der lebhaften Diskussionen auf der Autobahn zwischen Bonn und Berlin erinnerten wir uns später häufig. Sie verkürzten zwar die Distanz nicht, die wir an Wochenenden zurücklegen mussten, um zu unseren jeweiligen Familien zu gelangen, aber wir nutzten die Strecke dermaßen intensiv, dass die Zeit wie im Fluge verging. Nicht selten vertraten wir durchaus auch kontroverse Standpunkte, so dass die 650 Kilometer nicht ausreichten, um sich über unsere Studienzeit am Institut, über das völlig veränderte Russland, über Jugoslawien/Balkan, die Nord-Süd-Problematik, die Ost-West-Beziehungen, den »Kalten Krieg«, dem die PDS-Abgeordneten in der Bonner Parlamentsarbeit ausgesetzt waren, die Rolle Deutschlands in der Weltpolitik und nicht zuletzt über die Friedensfrage »abschließend« zu verständigen. Die Fortsetzungen folgten dann prompt auf dem Rückweg. Natürlich tauschten wir uns auch über Persönliches aus und über unsere Eindrücke im Bonner Alltag. Es waren zweifellos lehrreiche Fahrten, die sich mit der Zeit immer mehr als wohltuende Ergänzung unserer Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiter in der PDS-Bundestagsgruppe erwiesen.
»Die Geschichte der DDR ist Teil unseres eigenen Lebens, wir haben sie erlebt und mitgestaltet« (»Mit der DDR ins Jahr 2000, Seite 46). Die DDR ermöglichte dem Arbeitersohn aus Zwickau wie etlichen seiner Artgenossen eine berufliche Entwicklung als Diplomat, die heute in Deutschland kaum denkbar ist. Sie bestimmte seinen Werdegang im ersten Lebensabschnitt, und sie versetzte ihn in die Lage, sich als glühender Sozialist in Wort und Tat weitere drei Jahrzehnte für eine sozial gerechte und friedliche Welt einzusetzen. Ralph Hartmann war zutiefst davon überzeugt, dass das derzeitige Deutschland nicht das letzte Wort deutscher Geschichte sein wird.
Als Repräsentant eines Staates, der sich in seiner vierzigjährigen Geschichte an keinem einzigen Krieg beteiligte, war für Ralph das Thema Frieden nicht erst seit der NATO-Aggression 1999 ein erstrangiges Anliegen. Als Zehnjähriger erlebte er nach dem Zweiten Weltbrand des vorigen Jahrhunderts den anfänglichen Frieden. Ihm war es vergönnt, im Frieden zu leben, dem Frieden zu dienen und für einen dauerhaften Frieden in der Welt zu schreiben. Davon zeugt nicht zuletzt seine hochaktuelle Ansprache vor 35 Jahren vor DDR-Bürgern in Räumen der Belgrader Botschaft, an der auch eine Abordnung der sowjetischen Botschaft teilnahm.
»Noch nie war die Betrachtung eines Jubiläums des Sieges über den Faschismus so vielen Verfälschungen, Diskussionen und Kontroversen ausgesetzt wie die des 40. Jahrestages. Das ist alles andere als ein Zufall. Gerade in der gegenwärtigen internationalen Situation, da imperialistische Konfrontationspolitik die Völker aufs neue den Gefahren eines Weltbrandes aussetzt, ist es unvermeidlich und höchst aktuell, sich des Zweiten Weltkrieges und seiner Lehren zu erinnern. Die Hauptlehre dieses Krieges aber heißt: alle Kräfte zusammenführen, um eine nukleare Katastrophe, mit der selbst der furchtbare Zweite Weltkrieg nicht einmal annähernd verglichen werden könnte, zu verhindern. Die Kräfte des Friedens, der Vernunft, des Realismus zu stärken und die des Krieges zu zähmen, das vor allem gebietet die Erinnerung an den 8. Mai 1945.« (»Mit der DDR ins Jahr 2000«, Seite 58)
Ralph Hartmann erblindete infolge seiner schweren Erkrankung nach mehreren Operationen, behielt dennoch bis zuletzt einen klassenbewussten Durchblick.
Ralph Hartmann schrieb kontinuierlich für Ossietzky. Er gehörte zu den beliebtesten Autoren. Nachdem er keine Beiträge mehr für das Heft liefern konnte, erreichten die Redaktion viele besorgte Anrufe und Briefe. Die Redaktion Ossietzky trauert um ihren Autor und Mitstreiter.