Im Weißbuch der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) »Unfrieden in Deutschland – Kirche im Sündenfall«, herausgegeben 1995 im GNN-Verlag Schkeuditz, ist Erstaunliches zu lesen. Es geht um den Pfarrer Peter Franz aus Kapellendorf bei Weimar, gegen den ein »Amtszuchtverfahren« eingeleitet wurde, – und um die Stasi. Was wird dem 1941 in Apolda Geborenen angelastet?
In der Laudatio anlässlich der Verleihung des GBM-Menschenrechtspreises an ihn Ende 2019 war zu hören, dass er aus einer Arbeiterfamilie stammt, sich mit 21 Jahren taufen ließ, in Jena ein Theologiestudium absolvierte und Mitbegründer der Gruppe Religiöser Sozialisten in Thüringen war. Seine großen Vorbilder sind Thomas Müntzer und Dietrich Bonhoeffer. Martin Luthers Theologie war ihm zu zwielichtig, zu stark der herrschenden Klasse zugewandt. Was Wunder, dass der Pfarrer Peter Franz seinem eben gegründeten Gemeindezentrum in Kapellendorf 1975 den Namen »Thomas Müntzer« gab.
Peter Franz sieht seine Aufgabe darin, Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen. So setzte er sich für die Erneuerung einer Straße in seiner Gemeinde ein. Und es gelang ihm, Seminarräume, ein Übernachtungshaus und einen Freizeitkeller für die Junge Gemeinde zu schaffen. Die Arbeit mit der Jugend lag ihm besonders am Herzen. Friedensgruppen aus anderen europäischen Ländern trafen sich zu Gesprächen. Das Schicksal jüdischer Menschen bewegte ihn. Mit Jugendlichen besuchte er die Synagoge in Erfurt und das KZ Buchenwald. So entstand ein enger Kontakt zur Jüdischen Landesgemeinde Thüringen.
Dann kam die »Wende«. Am 5. November 1990 forderte der Landeskirchenrat im Thüringer Land die Gemeinden auf, eventuelle Stasi-Mitarbeit offenzulegen, um anonyme Verdächtigungen und unbewiesene Anschuldigungen zu vermeiden. In dem Brief wird zitiert: »Jesus spricht, wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.« Daraufhin erklärte der Pfarrer Peter Franz am 3. Dezember 1990, inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gewesen zu sein. Es ging dabei um Informationen zur Friedensbewegung und zur Abrüstung. Eine Entlohnung erhielt er nicht.
Ihm wurde angetragen, um seine Entlassung aus dem Dienst zu bitten – bei Verzicht auf alle kirchlichen Bezüge. Peter Franz weigerte sich, fühlte sich nicht schuldig. Neben dem Amtszuchtverfahren wurde ein Überprüfungsausschuss gebildet. Bis 1997 zogen sich diese Maßnahmen hin. Peter Franz darf sich nicht mehr Pfarrer nennen und musste das Pfarrhaus verlassen.
Einige Gemeindemitglieder hängten dem Thomas-Müntzer-Denkmal in Kapellendorf ein Schild um: »Lieber keinen Gott als einen roten Pfarrer.« Die Presse überstürzte sich mit Meldungen. Die Bremer Kirchenzeitung offenbarte das »Gift der Stasi«; die Thüringer Allgemeine titelte: »43 Kirchenmitarbeiter mit der Stasi verstrickt – Keine billige Gnade«. Das erinnert an die Inquisition, obwohl der Pfarrkonvent 1990 »nach ausführlicher Aussprache für eine Mitarbeit des Pfarrers im Kreise der Amtsbrüder« votiert hatte. Zu Feier der silbernen Ordination am 3. November 1994 wurde Peter Franz nicht eingeladen.
Nicht alle waren dem gewachsen, hielten das aus. Pfarrer Richard Naumann aus Schmalkalden erhängte sich. Die Jugendbildungsreferentin der Evangelischen Akademie Meißen Anne-Kathrin Krusche starb an einer Überdosis Tabletten.
Für Peter Franz entstand eine große Solidaritätsbewegung. »Für Dein Engagement für linke christliche, humanistische Ideale danke ich Dir und möchte meine Achtung vor Deinem Charakter aussprechen«, schrieb ihm der Pfarrer i. R. Hertrampf. Freunde aus Bremen, Hamburg, Köln und Wien beteuerten, dass Peter Franz als engagierter Theologe nach wie vor ihr Vertrauen habe, dass er Brücken baute, die Friedensbewegung unterstützte und das Misstrauen zwischen Ost und West abbauen half. Es existiert ein umfangreicher Briefwechsel, der zeigt, dass auch Gemeindemitglieder sich für Peter Franz einsetzten und ihn nicht verlieren wollten. Das waren Mutmacher für ihn. Doch das half alles nichts. Wie er verloren viele den Schutz der Kirche, wurden aus Lehranstalten, Universitäten und kirchlichen Ämtern verstoßen.
In seiner Heimatstadt Apolda half Peter Franz in den Folgejahren maßgeblich, gemeinsam mit Gleichgesinnten das Handels- und Wohnhaus eines jüdischen Fellhändlers, der von den Nazis ermordet worden war, liebevoll als Zeugnis jüdischen Lebens zu sanieren und zu erhalten. Dort finden Veranstaltungen statt; es ist ein Lern- und Gedenkort, der gut genutzt wird.