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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kirche ade

Über­all im Osten wer­den Kirch­ge­bäu­de auf­ge­ge­ben. Die katho­li­sche Kir­che ver­liert an Gläu­bi­gen, zuneh­mend erlei­den aber auch die evan­ge­li­schen Gemein­den einen Mit­glie­der­schwund. All­zu vie­le Men­schen sind frei­lich nicht vom Rück­zug der gro­ßen Glau­bens­ge­mein­schaf­ten betrof­fen. Bei­spiel Mer­se­burg: Hier sind gera­de ein­mal zwölf Pro­zent der Bevöl­ke­rung an eine Kirch­ge­mein­de gebun­den. Reli­gi­on fin­det für die gro­ße Mehr­heit längst nicht mehr statt.

Und trotz­dem! Auch für die­se gläu­bi­ge Min­der­heit ist es eine enor­me Ver­lust­er­fah­rung, wenn der Got­tes­dienst nicht mehr an jedem Sonn­tag durch­ge­führt wer­den kann, weil der Pfar­rer meh­re­re Gemein­den betreut. Wenn zu Ostern kei­ne Tau­fen mehr statt­fin­den, weil der Nach­wuchs fehlt. Wenn das Weih­nachts­fest in einer ande­ren Kir­che gefei­ert wer­den muss.

Beson­ders dra­ma­tisch ist es aber zu erle­ben, dass die Kir­che, in der man Kind­heit, Jugend und frü­he Erwach­se­nen­jah­re ver­bracht hat, ganz auf­ge­ge­ben, ent­weiht und ver­kauft wird. Für vie­le Gläu­bi­ge ist es eine bedrücken­de Erfah­rung, wenn der einst geweih­te Raum, in dem das Abend­mahl als höch­ste reli­giö­se Hand­lung zele­briert wur­de, nun plötz­lich nur noch ein Bau­werk aus Holz, Beton und Lin­ole­um sein soll.

Nicht immer ent­frem­den sich die Gläu­bi­gen von der Gemein­de, so dass eine Kir­che nicht mehr trag­fä­hig zu sein scheint. Oft rührt der Bevöl­ke­rungs­schwund aus dem wirt­schaft­li­chen Still­stand in wei­ten Tei­len Ost­deutsch­lands her. Wenn die Arbei­ter abwan­dern, wenn ihre Kin­der an fer­nen Aus­bil­dungs­plät­zen hei­misch wer­den, dann lei­det das sozia­le Leben der Zurück­ge­blie­be­nen, zu dem im städ­ti­schen Raum und oft stär­ker noch auf dem Land auch die Kir­che gehört. Gera­de wenn auf dem Dorf das kul­tu­rel­le Leben eher schwach aus­ge­prägt ist, hat die Kir­che als Ort der Begeg­nung auch für Nicht­gläu­bi­ge eine gro­ße Bedeu­tung. Man muss nicht an Gott glau­ben, um an einem Dorf­fest im Pfarr­gar­ten teil­zu­neh­men. Die Schlie­ßung des Gebäu­des trifft dann alle.

Wie­der Bei­spiel Mer­se­burg: Die Kir­che Sankt Ulrich im Süden der Stadt war ein kul­tu­rel­ler Mit­tel­punkt für die Men­schen aus den umlie­gen­den Arbei­ter­sied­lun­gen und den Dör­fern im Saa­le­tal. Vor fünf Jah­ren wur­de die Kir­che auf­ge­ge­ben. Seit­dem steht das Gebäu­de leer und war­tet auf sei­nen Ver­fall. Für die Men­schen gibt es kei­nen Ort, den sie statt­des­sen auf­su­chen kön­nen. Und so ver­liert ihr Leben ein Stück Mit­ein­an­der und die Stra­ße tauscht ein Stück Geschich­te gegen einen künf­ti­gen Schandfleck.