Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen, hat Albert Camus einst in seinem berühmten Buch über den »Mythos des Sisyphos« geschrieben. Und genauso möchte ich mir den in Köln lebenden Schriftsteller Erasmus Schöfer vorstellen, der am 4. Juni 2021 seinen 90. Geburtstag feierte und ebenso unermüdlich wie der Mann im Mythos »den Stein« der Arbeiterliteratur bewegte. Gemeinsam mit Günter Wallraff hat Schöfer 1969 den »Werkkreis Literatur der Arbeitswelt« gegründet und damit eine Bewegung initiiert und koordiniert, deren Hunderte Mitglieder vor allem in den 1970er und 1980er Jahren der Arbeitswelt erstmals eine auch literarisch hörbare Stimme verliehen.
Gekrönt hat Erasmus Schöfer diesen Erfolg selbst, indem er den genannten Jahrzehnten in seiner Roman-Tetralogie »Die Kinder des Sisyfos« ein unvergleichliches Denkmal setzte – vergleichbar allenfalls mit Peter Weiss’ »Ästhetik des Widerstands«. Der Autor dieser Zeilen darf sich glücklich schätzen, die Entstehung dieses Roman-Zyklus zu Beginn der 2000er Jahre ein gutes Stück mitlesend begleitet zu haben. Darin entwirft Erasmus Schöfer ein pralles Panorama des westdeutschen Widerstands seit Ende der 1960er Jahre in all seinen Facetten: gegen die Notstandsgesetze, die Springerpresse, den Vietnamkrieg, gegen Atomkraftwerke und die Startbahn West, gegen Berufsverbote und die Raketenaufrüstung. »Prall« ist dieses Zeitmonument deshalb, weil das Widerständige in den Romanfiguren mit all seinen Brechungen lebendig wird. Schöfer erzählt das Zeitgeschehen stets aus der Perspektive linker Demokraten, Lehrer, Facharbeiter, Betriebsräte, Sozialhelfer, private Geschichte und gesellschaftliche Entwicklungen sind untrennbar ineinander verwoben, ebenso wie kleine Erfolge und große Niederlagen. Ist der Fels mühsam ein Stück den Hang hinauf geschleppt, rollt er auch schon wieder hinunter. Und dennoch: Zwar empfinden Schöfers Protagonistinnen und Protagonisten das Unrecht, gegen das sie sich wenden, immer auch als privates Unglück, sie schöpfen aus dem Kampf dagegen aber stets auch Lebensfreude und Glück – und erweisen sich eben darin als »Kinder des Sisyfos«.
Erasmus Schöfer: Die Kinder des Sisyfos. Gesamtausgabe in 5 Bänden inkl. Begleitband »Quellen des Widerstands« (kommentiertes Sach- und Personenregister), Dittrich 2018, 24,90 €.