Mehrfach habe ich in letzter Zeit einen Spiegel-Bestseller aus dem Regal geholt. Was Peter Scholl-Latour 2007(!) über »Russland im Zangengriff« geschrieben hatte, könnte fast Wort für Wort heute geschrieben worden sein. Die weltweite militärischen Einkreisung mit US- und Nato-Militärbasen sowie die politische Isolierung stand damals wie heute auf der Agenda der USA und ihrer Verbündeten. Aber wer kennt heutzutage noch diesen Scholl-Latour? Die russophobe Baerbock als Außenministerin sicher nicht. Ihr Kanzler?
Vom Chef im Weißen Haus in Washington wollen wir gar nicht erst reden. Sein Vorgänger hat den Ukraine-Konflikt befeuert. Der Ausstieg aus dem Open-Skies-Abkommen mit Moskau geht auf ihn zurück. Es erlaubte Aufklärungsflüge über Militäreinrichtungen in den USA und Russland. Und die hätten eine andere, eine reale Sicht auf die »Bedrohungen« ergeben. Biden hätte das ändern können. Er aber bevorzugte das Kiewer Roulette.
Für die USA geht es einzig und allein um die Frontbegradigung zur Russischen Föderation unter dem Deckmantel der Nato. Die Republik Ukraine soll nur den Schuss auslösen, um endlich auch freien Zugang bis ans Schwarze und Asowsche Meer zu haben. Nur gut, dass das »wertebasierte« westliche Spitzenpersonal dem erfahrenen russischen Außenminister Sergej Lawrow nie das Wasser wird reichen können. Umso gefährlicher wären Provokationen im Gebiet der Ostukraine oder sogar vom verseuchten Tschernobyl aus, die Russland untergeschoben würden. Den USA und der Nato ist nach provozierten Kriegen gegen Vietnam, Jugoslawien, den Irak und Afghanistan alles zuzutrauen, »Farbenrevolutionen« inklusive.
Am 24. Januar 2021 verdarb ausgerechnet der ukrainische Verteidigungsminister Alexej Resnikow das ausgeklügelte Ränkespiel. In einem Gespräch mit dem TV-Sender ICTV stellte er General Alexander Pawljuk, den Befehlshaber im Südosten der Ukraine, und mit ihm Washington, Nato, Berlin & Co. samt Medientross in aller Öffentlichkeit bloß. Dieser General hatte orakelt, Russland könnte zum Abschlusstag der Olympischen Winterspiele in Peking am 20. Februar die Ukraine angreifen. Gefragt, wie er diese Mutmaßungen einschätze, antwortete Resnikow: »Ich schätze ein solches Szenario nicht hoch ein. (…) Die Fakten, die unsere Nachrichtendienste und die der Partnerländer beobachten, lassen darauf schließen, dass die Russische Föderation bis heute keine Einsatztruppe zusammengestellt hat, die darauf hindeuten würde, dass sie morgen in die Offensive gehen werde.« Endlich waren offenbar CIA, BND, MI5 und wie sie alle heißen einmal ihr Geld wert. Ihr geheimes Wissen haben sie offenbar ihren Politikern vorenthalten.
Der deutsche Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach hatte das bei einem Gespräch in Indien in anderer Form artikuliert. Er beantwortete sich selbst die Frage: »Hat Russland wirklich Interesse an einem kleinen Stück ukrainischen Bodens?« mit: »Nein, das ist Nonsens.« Eilfertig schasste Berlin den Marineinspekteur und warf flugs das grundgesetzlich gesicherte hohe Gut der Meinungsfreiheit mit über Bord. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, sagte dazu in einem Interview mit tagesschau24: »Wenn ich noch im Amt wäre, hätte ich mich vor Admiral Schönbach gestellt, und ich hätte versucht, seine Entlassung zu verhindern – und zwar mit allen Mitteln.« Deutlicher kann sich ein Ex-Militär wohl nicht gegenüber einer Regierung und der zuständigen SPD-Ministerin positionieren. Deren Teilnahme an einer Würdigung der Männer des 20. Juli 1944 käme einer Beleidigung gleich.
In den letzten Monaten wurden täglich Bilder von Truppenlagern, Militärtransporten, aus Kasernen und von Soldaten in Nachrichtensendungen als »Beweise« für die russische Bedrohung wiederholt und willkürlich mit aktuellen Nachrichten vermischt. Die »Fakten« zeigen weder Ort, Datum oder Zeit an. Es gab keine geografische Einordnung mit Koordinaten. Eins dieser überstrapazierten Satellitenfotos zu angeblichen russischen Militärfahrzeugen nahe der Ukraine erschien im Tagesspiegel vom 15. November 2021. Quelle des Fotos: AFP/Maxar Technologies. Und wer ist das? Hinter dem Kürzel AFP steht die renommierte französische Agence France-Presse als älteste internationale Nachrichtenagentur. Hinter Maxar verbirgt sich ein US-Unternehmen in Colorado. Das Geschäftsmodell umfasst Herstellung und Betrieb von Satelliten, die vorrangig der Erdbeobachtung dienen. Die Adresse lautet: 1300 W 120th Avenue - Westminster, CO 80234 E-Mail: info@maxar.com. Unter https://www.maxar.com/legal ist mehr zu erfahren. Das Tochterunternehmen DigitalGlobe beliefert unter anderem Google Maps mit Satellitenbildern. Gewöhnlich werden Aufnahmen aller Art vom Urheber mit einem Begleittext versehen. Es sei denn, diese Art Beweise würden zu Fake News.
Russland, das größte Land der Erde, gibt etwa 62 Milliarden Dollar für seinen Militärhaushalt aus. Der flächenmäßige »Zwergstaat« Bundesrepublik bringt es auf etwa 53 Milliarden Dollar und steht auf Platz 7 in der Weltrangliste der Rüstungsausgaben. Spitzenreiter sind natürlich die USA mit etwa 778 Milliarden Dollar. Ein Zangengriff für freedom und demokracy made in USA ist eben nicht für peanuts zu haben.
Wir können leider nur hoffen, dass ein letztes Fünkchen Vernunft obsiegt. Washingtons Forderung an den UN-Sicherheitsrat, sich wegen der »eindeutigen Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit« durch Russland mit dem Ukraine-Konflikt zu befassen, lässt leider das Gegenteil erwarten.