Es geschah am helllichten Tag zur Mittagsstunde, als mein Smartphone eine neue E-Mail signalisierte. »Hallo Klaus«, meldete sich ein sehr geschätztes Mitglied aus der Leserschaft: »Wie gefällt dir dieser Text?«
Am Vortag war in Ossietzky »Im Wartesaal« erschienen, meine Rezension des Buches »Albanische Schwestern« von Lindita Arapi, aus dem Albanischen übersetzt von Florian Kienzle (Heft 11/2023). Mein technophiler Bekannter hatte sich, wie eine Woche zuvor in Hamburg einige Schüler bei Klausuren, einer Künstlichen Intelligenz bedient und dem von der US-amerikanischen Forschungsorganisation OpenAir entwickelten Chatbot ChatGPT folgende Aufgabe gestellt: »Aufsatz Lindita Arapi: Albanische Schwestern«. In Sekundenschnelle hatte er das Ergebnis auf dem Bildschirm, das er mir nun per E-Mail zugeschickt hatte. Das Duell zwischen mir und der Software war eröffnet: KI versus NI.
Hier einige Stichproben des KI-Textes:
»Lindita Arapi ist eine bemerkenswerte Figur in der albanischen Literaturszene und eine starke Stimme für Frauenrechte und Gleichberechtigung in Albanien. Geboren und aufgewachsen in einem konservativen Umfeld, hat sie sich mutig gegen gesellschaftliche Normen aufgelehnt und sich für die Befreiung der Frauen eingesetzt. Ihre Werke zeichnen sich durch ihre authentische Darstellung des albanischen Lebens und ihrer tiefgreifenden Reflexionen über die Erfahrungen von Frauen aus.«
»Was ›Albanische Schwestern‹ von anderen Büchern abhebt, ist Arapis Fähigkeit, die Tiefe der menschlichen Erfahrung einzufangen. Sie verwebt geschickt kulturelle Elemente und traditionelle Bräuche in ihre Geschichten und schafft so eine lebendige Darstellung der albanischen Kultur. Gleichzeitig stellt sie die Grenzen und Einschränkungen in Frage, die Frauen in dieser Gesellschaft auferlegt werden, und fordert die Leserinnen und Leser dazu auf, über Geschlechterrollen und gesellschaftliche Normen nachzudenken.«
»Insgesamt ist Lindita Arapi eine herausragende Schriftstellerin, die mit ihren Werken das Bewusstsein für die Rechte der Frauen in Albanien schärft. Ihr Roman ›Albanische Schwestern‹ ist ein kraftvolles Werk, das zum Nachdenken anregt und die Leserinnen und Leser dazu ermutigt, sich mit den Herausforderungen der weiblichen Erfahrung auseinanderzusetzen. Lindita Arapi wird zweifellos weiterhin eine wichtige Stimme in der Literatur sein und einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft ausüben.«
Mein Bekannter war begeistert: Der Text sei »gefälliger, leichter, flüssiger zu lesen«, allerdings fehle meine »besondere und interessante Art, sich dem eigentlichen Thema zu nähern«, ebenso der von mir gelieferte zeitgeschichtliche Hintergrund.
Beim kritischen Nachlesen ergibt sich jedoch ein Text-Bild, das »reich an Redundanzen, Floskeln und Unpräzisem« ist, ähnlich wie es 14 Tage später Jonas Heß, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Mainz, konstatierte, als er in literaturkritik.de die »Rezension einer Rezension von ChatGPT« veröffentlichte. Er hatte der KI die Aufgabe gestellt, das 2020 im Claasen Verlag, Berlin, erschienene Buch »Ein Mann seiner Klasse« von Christian Baron zu rezensieren (siehe: https://literaturkritik.de/rezension-chatgpt.29758.html).
Fazit: »Ein eindrucksvolles Ergebnis. Der Text weist auf den ersten Blick keine Möglichkeiten auf, ihn als software-generiert zu erkennen. Die Sätze sind vollständig, grammatikalisch nicht fehlerhaft und ergeben darüber hinaus ein stimmiges Ganzes. Selbst die Satzzeichen werden korrekt gesetzt.«
Allerdings zeigten sich bei genauerem Hinsehen einige Auffälligkeiten oder Mängel. Heß nennt stilistische bzw. kompositorische Redundanzen (»aufrichtige Erzählweise, aufrichtige Erzählung«), eine Fülle verbrauchter, gleichsam leerer Adjektive (der Text sei »aufrichtig«, »kraftvoll«, »bedeutend«). Auch seien viele Formulierungen eigentümlich oberflächlich und vage (»Komplexität sozialer Klassen«) und ganze Sätze inhaltlich krumm (»die Kluft zwischen den verschiedenen Klassen und den damit verbundenen Spannungen« – eine Kluft zwischen Klassen und zwischen Spannungen? Auch täusche die KI an vielen Stellen Menschlichkeit bzw. einen humanen Rezensenten vor.
Gerade solche Täuschungen gehören zu den diversen möglichen Gefahren durch unregulierte KI, mit denen sich das EU-Parlament am 14. Juni befasst hat. Als Ergebnis wurde der weltweit erste Versuch zur Regulierung Künstlicher Intelligenz vorgelegt. Ziel dieser Position ist, KI zukünftig nach Anwendungsrisiken zu klassifizieren, von risikoarm bis inakzeptabel. Generative KI wie die ChatGPT, die neue Texte, Bilder oder Videos erstellt, soll erlaubt bleiben.
Vielleicht hätten die EU-Parlamentarier bei ihrer Diskussion moralischer, ethischer und vielleicht auch philosophischer Fragen rund um das Thema KI einen Blick in den Science-Fiction-Klassiker »Ich, der Robot« des russisch-amerikanischen Autors Isaac Asimov werfen sollen, 1952 unter diesem Titel in deutscher Erstausgabe erschienen. In dieser Sammlung von Erzählungen aus den 1940er Jahren wurden zum ersten Mal die berühmten drei Robotergesetze postuliert:
Roboter dürfen keine Menschen verletzen.
Roboter müssen den Befehlen des Menschen gehorchen.
Roboter müssen sich selbst schützen.
An diese Gesetze hielten sich in den folgenden Jahrzehnten die meisten SF-Autoren. Erst der neurotische Computer HAL 9000 verabsolutierte in den Film »2002: Odyssee im Weltraum« das dritte Gebot und tötete bis auf einen Raumfahrer die gesamte Besatzung des Raumschiffs Discovery. Diesem war es gelungen, in den Zentralraum des Computers einzudringen und dessen Funktionsmodule zu deaktivieren: Der Mensch siegte schließlich doch noch über die KI.
Die Hamburger Schulbehörde hat im Übrigen nach den Schummelversuchen bei schriftlichem Abitur für die mündlichen Prüfungen den Einsatz des KI-Systems ChatGPT erlaubt. Der Prüfling hat dies anzuzeigen und wird doppelt so lange geprüft wie bisher, um herauszufinden, ob er den Prüfstoff wirklich verstanden hat.