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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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KI versus NI

Es geschah am hell­lich­ten Tag zur Mit­tags­stun­de, als mein Smart­phone eine neue E-Mail signa­li­sier­te. »Hal­lo Klaus«, mel­de­te sich ein sehr geschätz­tes Mit­glied aus der Leser­schaft: »Wie gefällt dir die­ser Text?«

Am Vor­tag war in Ossietzky »Im War­te­saal« erschie­nen, mei­ne Rezen­si­on des Buches »Alba­ni­sche Schwe­stern« von Lin­di­ta Ara­pi, aus dem Alba­ni­schen über­setzt von Flo­ri­an Kienz­le (Heft 11/​2023). Mein tech­no­phi­ler Bekann­ter hat­te sich, wie eine Woche zuvor in Ham­burg eini­ge Schü­ler bei Klau­su­ren, einer Künst­li­chen Intel­li­genz bedient und dem von der US-ame­ri­ka­ni­schen For­schungs­or­ga­ni­sa­ti­on Open­Air ent­wickel­ten Chat­bot ChatGPT fol­gen­de Auf­ga­be gestellt: »Auf­satz Lin­di­ta Ara­pi: Alba­ni­sche Schwe­stern«. In Sekun­den­schnel­le hat­te er das Ergeb­nis auf dem Bild­schirm, das er mir nun per E-Mail zuge­schickt hat­te. Das Duell zwi­schen mir und der Soft­ware war eröff­net: KI ver­sus NI.

Hier eini­ge Stich­pro­ben des KI-Textes:

»Lin­di­ta Ara­pi ist eine bemer­kens­wer­te Figur in der alba­ni­schen Lite­ra­tur­sze­ne und eine star­ke Stim­me für Frau­en­rech­te und Gleich­be­rech­ti­gung in Alba­ni­en. Gebo­ren und auf­ge­wach­sen in einem kon­ser­va­ti­ven Umfeld, hat sie sich mutig gegen gesell­schaft­li­che Nor­men auf­ge­lehnt und sich für die Befrei­ung der Frau­en ein­ge­setzt. Ihre Wer­ke zeich­nen sich durch ihre authen­ti­sche Dar­stel­lung des alba­ni­schen Lebens und ihrer tief­grei­fen­den Refle­xio­nen über die Erfah­run­gen von Frau­en aus.«

»Was ›Alba­ni­sche Schwe­stern‹ von ande­ren Büchern abhebt, ist Ara­pis Fähig­keit, die Tie­fe der mensch­li­chen Erfah­rung ein­zu­fan­gen. Sie ver­webt geschickt kul­tu­rel­le Ele­men­te und tra­di­tio­nel­le Bräu­che in ihre Geschich­ten und schafft so eine leben­di­ge Dar­stel­lung der alba­ni­schen Kul­tur. Gleich­zei­tig stellt sie die Gren­zen und Ein­schrän­kun­gen in Fra­ge, die Frau­en in die­ser Gesell­schaft auf­er­legt wer­den, und for­dert die Lese­rin­nen und Leser dazu auf, über Geschlech­ter­rol­len und gesell­schaft­li­che Nor­men nachzudenken.«

»Ins­ge­samt ist Lin­di­ta Ara­pi eine her­aus­ra­gen­de Schrift­stel­le­rin, die mit ihren Wer­ken das Bewusst­sein für die Rech­te der Frau­en in Alba­ni­en schärft. Ihr Roman ›Alba­ni­sche Schwe­stern‹ ist ein kraft­vol­les Werk, das zum Nach­den­ken anregt und die Lese­rin­nen und Leser dazu ermu­tigt, sich mit den Her­aus­for­de­run­gen der weib­li­chen Erfah­rung aus­ein­an­der­zu­set­zen. Lin­di­ta Ara­pi wird zwei­fel­los wei­ter­hin eine wich­ti­ge Stim­me in der Lite­ra­tur sein und einen posi­ti­ven Ein­fluss auf die Gesell­schaft ausüben.«

Mein Bekann­ter war begei­stert: Der Text sei »gefäl­li­ger, leich­ter, flüs­si­ger zu lesen«, aller­dings feh­le mei­ne »beson­de­re und inter­es­san­te Art, sich dem eigent­li­chen The­ma zu nähern«, eben­so der von mir gelie­fer­te zeit­ge­schicht­li­che Hintergrund.

Beim kri­ti­schen Nach­le­sen ergibt sich jedoch ein Text-Bild, das »reich an Red­un­dan­zen, Flos­keln und Unprä­zi­sem« ist, ähn­lich wie es 14 Tage spä­ter Jonas Heß, Wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter der Uni Mainz, kon­sta­tier­te, als er in literaturkritik.de die »Rezen­si­on einer Rezen­si­on von ChatGPT« ver­öf­fent­lich­te. Er hat­te der KI die Auf­ga­be gestellt, das 2020 im Claa­sen Ver­lag, Ber­lin, erschie­ne­ne Buch »Ein Mann sei­ner Klas­se« von Chri­sti­an Baron zu rezen­sie­ren (sie­he: https://literaturkritik.de/rezension-chatgpt.29758.html).

Fazit: »Ein ein­drucks­vol­les Ergeb­nis. Der Text weist auf den ersten Blick kei­ne Mög­lich­kei­ten auf, ihn als soft­ware-gene­riert zu erken­nen. Die Sät­ze sind voll­stän­dig, gram­ma­ti­ka­lisch nicht feh­ler­haft und erge­ben dar­über hin­aus ein stim­mi­ges Gan­zes. Selbst die Satz­zei­chen wer­den kor­rekt gesetzt.«

Aller­dings zeig­ten sich bei genaue­rem Hin­se­hen eini­ge Auf­fäl­lig­kei­ten oder Män­gel. Heß nennt sti­li­sti­sche bzw. kom­po­si­to­ri­sche Red­un­dan­zen (»auf­rich­ti­ge Erzähl­wei­se, auf­rich­ti­ge Erzäh­lung«), eine Fül­le ver­brauch­ter, gleich­sam lee­rer Adjek­ti­ve (der Text sei »auf­rich­tig«, »kraft­voll«, »bedeu­tend«). Auch sei­en vie­le For­mu­lie­run­gen eigen­tüm­lich ober­fläch­lich und vage (»Kom­ple­xi­tät sozia­ler Klas­sen«) und gan­ze Sät­ze inhalt­lich krumm (»die Kluft zwi­schen den ver­schie­de­nen Klas­sen und den damit ver­bun­de­nen Span­nun­gen« – eine Kluft zwi­schen Klas­sen und zwi­schen Span­nun­gen? Auch täu­sche die KI an vie­len Stel­len Mensch­lich­keit bzw. einen huma­nen Rezen­sen­ten vor.

Gera­de sol­che Täu­schun­gen gehö­ren zu den diver­sen mög­li­chen Gefah­ren durch unre­gu­lier­te KI, mit denen sich das EU-Par­la­ment am 14. Juni befasst hat. Als Ergeb­nis wur­de der welt­weit erste Ver­such zur Regu­lie­rung Künst­li­cher Intel­li­genz vor­ge­legt. Ziel die­ser Posi­ti­on ist, KI zukünf­tig nach Anwen­dungs­ri­si­ken zu klas­si­fi­zie­ren, von risi­ko­arm bis inak­zep­ta­bel. Gene­ra­ti­ve KI wie die ChatGPT, die neue Tex­te, Bil­der oder Vide­os erstellt, soll erlaubt bleiben.

Viel­leicht hät­ten die EU-Par­la­men­ta­ri­er bei ihrer Dis­kus­si­on mora­li­scher, ethi­scher und viel­leicht auch phi­lo­so­phi­scher Fra­gen rund um das The­ma KI einen Blick in den Sci­ence-Fic­tion-Klas­si­ker »Ich, der Robot« des rus­sisch-ame­ri­ka­ni­schen Autors Isaac Asi­mov wer­fen sol­len, 1952 unter die­sem Titel in deut­scher Erst­aus­ga­be erschie­nen. In die­ser Samm­lung von Erzäh­lun­gen aus den 1940er Jah­ren wur­den zum ersten Mal die berühm­ten drei Robo­ter­ge­set­ze postuliert:

Robo­ter dür­fen kei­ne Men­schen verletzen.

Robo­ter müs­sen den Befeh­len des Men­schen gehorchen.

Robo­ter müs­sen sich selbst schützen.

An die­se Geset­ze hiel­ten sich in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten die mei­sten SF-Autoren. Erst der neu­ro­ti­sche Com­pu­ter HAL 9000 ver­ab­so­lu­tier­te in den Film »2002: Odys­see im Welt­raum« das drit­te Gebot und töte­te bis auf einen Raum­fah­rer die gesam­te Besat­zung des Raum­schiffs Dis­co­very. Die­sem war es gelun­gen, in den Zen­tral­raum des Com­pu­ters ein­zu­drin­gen und des­sen Funk­ti­ons­mo­du­le zu deak­ti­vie­ren: Der Mensch sieg­te schließ­lich doch noch über die KI.

Die Ham­bur­ger Schul­be­hör­de hat im Übri­gen nach den Schum­mel­ver­su­chen bei schrift­li­chem Abitur für die münd­li­chen Prü­fun­gen den Ein­satz des KI-Systems ChatGPT erlaubt. Der Prüf­ling hat dies anzu­zei­gen und wird dop­pelt so lan­ge geprüft wie bis­her, um her­aus­zu­fin­den, ob er den Prüf­stoff wirk­lich ver­stan­den hat.