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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Keine halbe Lösung

Vie­le Jung­au­to­ren schrei­ben in ihren Roma­nen aus der Ich-Sicht über Dönt­jes aus ihrer Jugend­zeit und Stu­die­ren­den-WG. Vor­teil: Ein sol­ches auto­fik­tio­na­les Erzäh­len zieht den Leser bar­rie­re­frei und unge­trig­gert in die Geschich­te hinein.

Ken Mer­ten ist in die­sem Sin­ne kein nor­ma­ler Jung­au­tor, denn in sei­nem Debüt­ro­man »Ich glau­be jetzt, dass das die Lösung ist« hat er den Mut, eine erfun­de­ne Aben­teu­er­ge­schich­te aus einem Kriegs­ge­biet zu erzäh­len. Statt eines Ichs tritt eine jun­ge männ­li­che Haupt­per­son mit dem Initi­al I. auf, die eines schö­nen Tages in Dres­den alles ste­hen und lie­gen lässt, um in Syri­en mit der Waf­fe gegen den IS zu kämp­fen. Die­ser Aus­bruch aus dem All­tag wird wohl­be­grün­det. I. ist kurz davor, sein Stu­di­um wegen undi­plo­ma­ti­schen Ver­hal­tens schmei­ßen zu müs­sen, ist über­for­dert mit sei­nem über­grif­fi­gen, alko­hol­kran­ken Vater und hat sich gera­de in die poli­tisch radi­ka­le Kim schock­ver­liebt. Kim steckt I. nicht ganz unei­gen­nüt­zig an, mit ihr zusam­men ab ins kur­di­sche Roja­va zu machen, um dort am Kampf für ein frei­es und selbst­be­stimm­tes Leben teil­zu­neh­men. Dies geht doch schon mal in Rich­tung Lösung von Lebens­pro­ble­men, oder? Die­se Aben­teu­er­pi­sto­le wird nun nicht in einem spie­ßi­gen Schnarch­deutsch erzählt, son­dern sei­nem Stoff und The­ma gemäß in einer recht aben­teu­er­li­chen Spra­che, die der Autor extra für die­sen Roman erfun­den hat und den Leser aus der Kom­fort­zo­ne vertreibt.

Dabei greift der Autor vor allem zu Ver­laufs­for­men von Ver­ben. Bei­spie­le: Die Per­so­nen machen nicht ein­fach etwas, son­dern sie sind stän­dig »am Machen«, sie gucken nicht wie ein Fra­ge­zei­chen oder sit­zen im Schnei­der­sitz, son­dern sie gucken »fra­gen­zei­chend« und »schnei­der­sit­zen«. Es ist bewun­derns­wert, wie kon­se­quent, stil­si­cher und poe­tisch der Autor vorgeht.

Die­ser Erzähl-Stil hat auch einen nach­voll­zieh­ba­ren Sinn. So spie­gelt die Spra­che wider, wie die Welt sich vor I.s Augen »am Bewe­gen« ist. Die Welt und die dazu­ge­hö­ri­gen Gedan­ken und Gefüh­le von I. wer­den im Fluss ihrer Ent- und Ver­wick­lung gezeigt. Man kann die­se Ein­heit von Spre­chen und Pra­xis als kur­si­ves Erzäh­len bezeich­nen. I. macht in Syri­en in der Tat exi­sten­ti­el­le Erfah­run­gen. Nicht ohne Iro­nie wer­den die bei­den Ver­lieb­ten gleich nach der Ankunft getrennt und kön­nen fort­an nur noch per SMS Kon­takt hal­ten, da die mili­tä­ri­sche und ideo­lo­gi­sche Aus­bil­dung dif­fe­ren­ziert nach Geschlech­tern durch­ge­führt wird. Am Ende ver­liert I. im Gefecht ein Stück sei­nes Fin­gers und kommt zur Ein­sicht, dass sein Platz doch bes­ser bei sei­nem Vater und sei­ner Peer­group in Dres­den ist, wo es zwar kei­nen IS, aber ein ähn­li­ches Durch­ge­knallt­sein gibt. I.s Resü­mee: Ich glau­be jetzt, dass das die Lösung ist. I. hat sein Ziel erreicht.

Der Roman ist reich bestückt mit Anspie­lun­gen aus Kunst, Wis­sen­schaft, Kul­tur und Sport. Ein Bei­spiel: Mit sei­nem Vater besucht I. das berühm­te Rund­pan­ora­ma-Gemäl­de über den Bau­ern­krieg von Wer­ner Tüb­ke. I. ist gera­de­zu »erschla­gen« von den Ein­drücken und fühlt sich unver­mit­telt mit­ten ins Schlacht­ge­tüm­mel hin­ein­ver­setzt. Im Umgang mit einem Kunst­werk erfasst er mit Leib und See­le Gewalt und Schrecken des Krie­ges – eines Krie­ges, in dem es um Men­schen­be­frei­ung geht.

Man darf also anneh­men, dass wir Leser auf ana­lo­ge Wei­se von Lese­ein­drücken des Romans »erschla­gen« wer­den sol­len. Dafür müs­sen wir nichts wei­ter tun, als beim Buch­auf­schla­gen alle Hoff­nung fah­ren und uns ver­trau­ens­voll in Sound und Sog der Erzähl­spra­che fal­len zu las­sen. Es ist ein wahr­lich revo­lu­tio­nä­rer Roman über einen revo­lu­tio­nä­ren Gegen­stand, mit dem wir unse­re Befrei­ung gleich bei uns zuhau­se begin­nen können.

Ken Mer­ten: Ich glau­be jetzt, dass das die Lösung ist. Roman, XS-Ver­lag, Ber­lin 2024, 247 S., 23 €.