Viele Jungautoren schreiben in ihren Romanen aus der Ich-Sicht über Döntjes aus ihrer Jugendzeit und Studierenden-WG. Vorteil: Ein solches autofiktionales Erzählen zieht den Leser barrierefrei und ungetriggert in die Geschichte hinein.
Ken Merten ist in diesem Sinne kein normaler Jungautor, denn in seinem Debütroman »Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist« hat er den Mut, eine erfundene Abenteuergeschichte aus einem Kriegsgebiet zu erzählen. Statt eines Ichs tritt eine junge männliche Hauptperson mit dem Initial I. auf, die eines schönen Tages in Dresden alles stehen und liegen lässt, um in Syrien mit der Waffe gegen den IS zu kämpfen. Dieser Ausbruch aus dem Alltag wird wohlbegründet. I. ist kurz davor, sein Studium wegen undiplomatischen Verhaltens schmeißen zu müssen, ist überfordert mit seinem übergriffigen, alkoholkranken Vater und hat sich gerade in die politisch radikale Kim schockverliebt. Kim steckt I. nicht ganz uneigennützig an, mit ihr zusammen ab ins kurdische Rojava zu machen, um dort am Kampf für ein freies und selbstbestimmtes Leben teilzunehmen. Dies geht doch schon mal in Richtung Lösung von Lebensproblemen, oder? Diese Abenteuerpistole wird nun nicht in einem spießigen Schnarchdeutsch erzählt, sondern seinem Stoff und Thema gemäß in einer recht abenteuerlichen Sprache, die der Autor extra für diesen Roman erfunden hat und den Leser aus der Komfortzone vertreibt.
Dabei greift der Autor vor allem zu Verlaufsformen von Verben. Beispiele: Die Personen machen nicht einfach etwas, sondern sie sind ständig »am Machen«, sie gucken nicht wie ein Fragezeichen oder sitzen im Schneidersitz, sondern sie gucken »fragenzeichend« und »schneidersitzen«. Es ist bewundernswert, wie konsequent, stilsicher und poetisch der Autor vorgeht.
Dieser Erzähl-Stil hat auch einen nachvollziehbaren Sinn. So spiegelt die Sprache wider, wie die Welt sich vor I.s Augen »am Bewegen« ist. Die Welt und die dazugehörigen Gedanken und Gefühle von I. werden im Fluss ihrer Ent- und Verwicklung gezeigt. Man kann diese Einheit von Sprechen und Praxis als kursives Erzählen bezeichnen. I. macht in Syrien in der Tat existentielle Erfahrungen. Nicht ohne Ironie werden die beiden Verliebten gleich nach der Ankunft getrennt und können fortan nur noch per SMS Kontakt halten, da die militärische und ideologische Ausbildung differenziert nach Geschlechtern durchgeführt wird. Am Ende verliert I. im Gefecht ein Stück seines Fingers und kommt zur Einsicht, dass sein Platz doch besser bei seinem Vater und seiner Peergroup in Dresden ist, wo es zwar keinen IS, aber ein ähnliches Durchgeknalltsein gibt. I.s Resümee: Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist. I. hat sein Ziel erreicht.
Der Roman ist reich bestückt mit Anspielungen aus Kunst, Wissenschaft, Kultur und Sport. Ein Beispiel: Mit seinem Vater besucht I. das berühmte Rundpanorama-Gemälde über den Bauernkrieg von Werner Tübke. I. ist geradezu »erschlagen« von den Eindrücken und fühlt sich unvermittelt mitten ins Schlachtgetümmel hineinversetzt. Im Umgang mit einem Kunstwerk erfasst er mit Leib und Seele Gewalt und Schrecken des Krieges – eines Krieges, in dem es um Menschenbefreiung geht.
Man darf also annehmen, dass wir Leser auf analoge Weise von Leseeindrücken des Romans »erschlagen« werden sollen. Dafür müssen wir nichts weiter tun, als beim Buchaufschlagen alle Hoffnung fahren und uns vertrauensvoll in Sound und Sog der Erzählsprache fallen zu lassen. Es ist ein wahrlich revolutionärer Roman über einen revolutionären Gegenstand, mit dem wir unsere Befreiung gleich bei uns zuhause beginnen können.
Ken Merten: Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist. Roman, XS-Verlag, Berlin 2024, 247 S., 23 €.