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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Keine Flagge zeigen!

Wenn man sich so man­ches Pro­fil in den Sozia­len Netz­wer­ken ansieht, etwa bei X oder auf Insta­gram, dann wird man fast geblen­det vom Natio­nal­stolz des Users oder der Use­rin. Das drückt sich nicht nur in kur­zen State­ments wie »stol­zer Deut­scher« oder »#Bozk­urts« aus, son­dern vor allem dar­in, dass es von Natio­nal­flag­gen im Pro­fil nur so wim­melt. Davon mag man geschmack­lich hal­ten, was man will. Mich stört die­ser natio­na­le Eifer aber vor allem des­halb, weil er Ab- und Aus­gren­zung unter den Men­schen för­dert. Wir brau­chen in die­ser kri­sen­ge­beu­tel­ten Zeit jedoch genau das Gegen­teil. Wir brau­chen mehr Zusam­men­halt und Soli­da­ri­tät – auch über Län­der­gren­zen hin­weg. Das gilt umso mehr, als aktu­ell die Kon­flik­te zwi­schen Natio­nal­staa­ten zuneh­men. Es ist wenig hilf­reich, sich das Freund-Feind-Sche­ma direkt ins Social-Media-Pro­fil zu laden. Kurz­um: Die­ser Flag­gen­wir­bel wirkt auf­dring­lich. Genau­so auf­dring­lich wie AfD-Poli­ti­ker Björn Höcke, wenn er sei­ne Deutsch­land­flag­ge in der Talk­show herausholt.

Mein Wunsch an all die Natio­nal­staat­ler in den Sozia­len Netz­wer­ken lau­tet daher: Weg mit den Flag­gen. Schluss mit Abgren­zung und über­trie­be­nem Natio­nal­stolz auf Social Media. Das wür­de die Atmo­sphä­re und hof­fent­lich auch den Dis­kurs verbessern.

Doch damit nicht genug. Wenn man schon – Stich­wort: Kei­ne Flag­ge zei­gen – kri­tisch über die Ver­wen­dung von Natio­nal­flag­gen nach­denkt, soll­te man auch den straf­recht­li­chen Schutz die­ser Flag­gen und damit ins­be­son­de­re Para­graf 104 des Straf­ge­setz­bu­ches in die Über­le­gun­gen ein­be­zie­hen. Der Para­graf wur­de 2020 geän­dert und dient – laut Gesetz­ge­ber – dem Schutz gleich zwei­er Rechts­gü­ter: dem Anse­hen aus­län­di­scher Staa­ten und den deut­schen Inter­es­sen an guten Bezie­hun­gen zu eben­die­sen Staa­ten. Kri­tisch dabei ist: Durch die Ände­rung im Jahr 2020 wur­de sei­ne Reich­wei­te mit Blick auf den Schutz von Flag­gen aus­län­di­scher Staa­ten zwar ver­grö­ßert, gleich­zei­tig aber die Mei­nungs­frei­heit ein­ge­schränkt. Nach Para­graf 104 Absatz 1 Satz 2 des Straf­ge­setz­bu­ches wird nun­mehr bestraft, »wer öffent­lich die Flag­ge eines aus­län­di­schen Staa­tes zer­stört oder beschä­digt und dadurch ver­un­glimpft«. Der Rechts­an­walt May­eul Hié­ra­men­te schrieb dazu Fol­gen­des: »Der Gesetz­ge­ber hat mit § 104 Abs. 1 S. 2 StGB einen ver­fas­sungs­recht­lich zwei­fel­haf­ten Tat­be­stand geschaf­fen.« Recht hat er. Denn machen wir uns nichts vor: So besteht die Gefahr, dass auch non­ver­ba­le Kri­tik an einem Staat und damit eine Form des poli­ti­schen Pro­tests, etwa gegen eine Dik­ta­tur, kri­mi­na­li­siert wird. Das ist bedenklich.