Wenn man Menschen – ganz gleich, ob gläubig oder ungläubig – versucht, die sogenannten »Staatsleistungen« an die Kirchen zu erklären, trifft man auf Kopfschütteln. Kaum jemand weiß davon. Es geht dabei nicht um staatliche Zahlungen, etwa für den Betrieb von Kindergärten, Krankenhäusern, Pflege- und Seniorenheimen, die ohnehin fast vollständig von öffentlichen Haushalten (also von allen Steuerzahlen) an Caritas oder Diakonie geleistet werden. Nein, die Kirchen bekommen das Geld als – salopp formuliert – »Ausgleichzahlungen« aufgrund der Säkularisation
Anfang des 19. Jahrhunderts. Zur Zeit der napoleonischen Kriege wurden die geistlichen Territorien und Kirchengüter des »Heiligen Römischen Reichs« säkularisiert, das heißt, sie wurden der Hoheit der weltlichen Landesfürsten unterstellt. Der Staat verpflichtete sich im Gegenzug gegenüber den Kirchen dazu, sie für ihre Verluste zu entschädigen. Konkret zahlen alle Bundesländer – mit Ausnahme von Hamburg und Bremen – damit etwa teilweise Gehälter des Klerus, darunter von Bischöfen und Pfarrern. Große Anteile gehen in sogenannte »Bau-Dotationen«, also Gelder für den Erhalt von Kirchen.
Dabei wurde schon vor gut hundert Jahren in die Weimarer Reichsverfassung die Pflicht aufgenommen, diese Leistungen abzulösen. Das Grundgesetz übernahm diese Vorgabe in Artikel 140. Doch bis heute ist nichts passiert. Der Staat zahlt, die Kirche kassiert. Ein permanenter Verfassungsbruch. Und so erhalten die beiden großen Kirchen in Deutschland jedes Jahr Hunderte Millionen Euro vom Staat. Rund 618 Millionen Euro waren es zuletzt. Auch diejenigen Steuerzahler zahlen für die Kirchen, die nichts damit zu tun haben – und das werden Jahr für Jahr mehr. Im vergangenen Jahr traten allein aus der katholischen Kirche rund 402.000 Menschen aus, die evangelische Kirche verlor 2023 mehr als 380.000 Mitglieder. Immer weniger Mitglieder, dennoch konstante Einnahmen. Verglichen mit den Einnahmen der Kirche aus der Kirchensteuer – rund 6,52 Milliarden Euro im Jahr 2023 – sind die »Staatsleistungen« nur eine Nebeneinkunft der Kirche.
Doch damit soll es nun ein Ende haben. Eine interfraktionelle Fachgruppe von SPD, FDP und Grünen arbeitet einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge an einem Gesetzentwurf, um die Staatsleistungen an die Kirchen zu beenden. Im Herbst soll – wie 2021 im Koalitionsvertrag vereinbart – nun endlich ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. »Es geht darum, die finanziellen Verflechtungen zwischen dem Staat und den Kirchen zu kappen«, sagt der religionspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, der FAZ. Die Länder sollten selbst wählen, ob sie den Kirchen Geld zahlen wollen, oder ihnen Grundstücke, Wald oder Wertpapiere übertrügen. Doch die Länder lehnen das Vorhaben rundum ab.
»Es wäre dem deutschen Staatsaufbau angemessener, ein zustimmungspflichtiges Gesetz vorzulegen«, lässt der Chef der Staatskanzlei in Sachsen-Anhalt, Rainer Robra, ebenfalls in der FAZ verlautbaren und warnt vor einem Alleingang auf Bundesebene. »Angesichts der knappen Kassen wäre es klüger, die Ablösung der Staatsleistungen weiter zurückzustellen«, rät der CDU-Politiker, denn dieses eher vage Bundesgesetz käme zur »Unzeit«. Aus seiner Partei kommt noch ein anderer Vorschlag. Günter Krings, der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, möchte demnach nicht die Staatsleistungen, sondern stattdessen die entsprechende Vorgabe aus dem Grundgesetz zu streichen. Er ist der Meinung, dass sich »das Staat-Kirche-Verhältnis seit 1919 auch ohne Ablösung der Staatsleistungen gut eingespielt« habe. Daher stelle sich die Frage, ob der Verfassungsauftrag noch zeitgemäß sei und durch eine Änderung des Grundgesetzes nicht abgeschafft werden könne.
Gut eingespielt? Hier spricht ein Kirchen-Lobbyist. Krings ist evangelisch und engagiert sich zum Beispiel im Evangelischen Arbeitskreis der CDU, auch ist er Mitglied der Kreissynode Gladbach-Neuss. Sein Credo: Alles so lassen, wie es ist.
Seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ergeben sich kumuliert Zahlungen an die Kirchen von weit über 20 Milliarden Euro. Hinzu kommen vollständige staatliche Zahlungen für kirchliche Trägerschaften von Krankenhäusern, Kindergärten und Pflegeeinrichtungen. Auch für Restaurierungen kirchlicher Immobilien sowie für den Denkmalschutz kommt Geld aus der Staatskasse. Darüber hinaus genießen die Kirchen umfangreiche Steuer- und Abgabenprivilegien. Mit einem soliden Finanzpolster, das die gesetzliche Kirchensteuer den Kirchen garantiert, dürfen die Glaubensverwalter auch in Zukunft rechnen – trotz rasantem Mitglieder-Schwund.
Die jährlichen millionenschweren Ausgleichszahlungen – eine endlose Geschichte. Eine fragwürdige Allianz von Staat und Kirche, die aus der Zeit gefallen ist. Klerikale Besitzstandwahrer und ihre politischen Verbündeten wollen daran festhalten. Die Ampel-Regierung sollte dem permanenten Verfassungsbruch ein Ende setzen. Es ist überfällig.
Vom Autor erscheint demnächst: HEIMATKUNDE. Falsche Wahrheiten. Richtige Lügen, Edition Faust, Frankfurt.