Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Kapitalismus und Krieg

Krieg gilt als etwas Uraltes, schon immer Dage­we­se­nes. Das stimmt aber nur inso­fern, als gewalt­sam aus­ge­tra­ge­ne Ver­tei­lungs­kämp­fe zwi­schen ver­schie­de­nen Bevöl­ke­rungs­grup­pen schon aus der Früh­ge­schich­te der Mensch­heit über­lie­fert sind. Die Bau­ern­mi­li­zen, Adels­auf­ge­bo­te und räu­be­ri­schen Rei­ter­no­ma­den frü­her Agrar­kul­tu­ren hat­ten aller­dings kaum etwas mit einer moder­nen Natio­nal­ar­mee und deren Krieg­füh­rung zu tun. Was wir Krieg nen­nen, ist ein Pro­dukt des Frühkapitalismus.

Der frü­he Kapi­ta­lis­mus hat­te sei­ne Wur­zeln in den Nischen der hoch­mit­tel­al­ter­li­chen Agrar­ge­sell­schaft. Mit zuneh­men­der Ent­wick­lung von Hand­werk und Han­del, der begin­nen­den Ablö­sung von Natu­ral- durch Geld­wirt­schaft erhöh­te sich der Finanz­be­darf der Grund­her­ren. Infol­ge der Mone­ta­ri­sie­rung der Wirt­schaft war jeder Grund­herr, der in finan­zi­el­len Schwie­rig­kei­ten steck­te, bestrebt, nicht genau beur­kun­de­te Grenz­zie­hun­gen zwi­schen Besitz­tü­mern zu sei­nen Gun­sten zu ver­schie­ben. Und sei­ne Nach­barn lie­ßen sich Ein­grif­fe in ihre Rech­te und Schmä­le­rung ihres Besit­zes meist nicht gefal­len. Sol­che Kon­flik­te wur­den häu­fig bewaff­net aus­ge­tra­gen. Wer von den Grund­her­ren des aus­ge­hen­den Mit­tel­al­ters nicht immer­zu von sei­nen Nach­barn ter­ri­to­ri­al gerupft oder von empör­ten Bau­ern erschla­gen wer­den woll­te, muss­te per­ma­nent für etwa­ige Aus­ein­an­der­set­zun­gen gerü­stet sein und über die damals modern­sten Waf­fen ver­fü­gen. Das Resul­tat war die Ent­ste­hung des Berufs­stan­des des pro­fes­sio­nel­len Söld­ners, der für Geld alles tat, was von ihm ver­langt wurde.

Der Unter­halt von Söld­nern sowie der Ankauf von Feu­er­waf­fen waren jedoch teu­er. War die Her­stel­lung von Mord­in­stru­men­ten der adli­gen Rit­ter zuvor noch von simp­len Dorf­schmie­den zu bewerk­stel­li­gen, so bedurf­te es zum Gie­ßen von Kano­nen und der Her­stel­lung des Pul­vers weit grö­ße­rer Werk­stät­ten. Die­se waren dann erste Keim­zel­len begin­nen­der Indu­stria­li­sie­rung. Und die Betrei­ber die­ser Werk­stät­ten lie­ßen sich die Auf­rü­stung der Söld­ner­trup­pen teu­er bezah­len. Die frü­hen Rüstungs­fa­bri­kan­ten und Söld­ner­füh­rer waren als »Unter­neh­mer des Todes« Urvä­ter der heu­ti­gen Unter­neh­mens­ma­na­ger und Konzernchefs.

Der Finanz­be­darf der Grund­her­ren erhöh­te sich mit die­sen ersten Anfän­gen der Mili­ta­ri­sie­rung schlag­ar­tig. Dies wie­der­rum ließ die Kon­flik­te inner­halb der spät­feu­da­len Gesell­schaft wei­ter eska­lie­ren: Mord, Band­schat­zung und Gei­sel­nah­me waren damals durch­aus üblich und auch legal – solan­ge man sich an bestimm­te Spiel­re­geln hielt. Um den aus­ufern­den Feu­dal­feh­den, die die Ent­wick­lung des frü­hen Kapi­ta­lis­mus schließ­lich behin­der­ten, Herr zu wer­den, began­nen ab dem 14. Jahr­hun­dert beson­ders tat­kräf­ti­ge Herr­scher mit der Ent­wick­lung büro­kra­ti­scher Ver­wal­tungs­ap­pa­ra­te und eines ver­ein­heit­lich­ten Justiz­sy­stems. Dies war dann die Geburts­stun­de des Abso­lu­tis­mus und gleich­zei­tig erste Keim­zel­le eines bür­ger­li­chen Nationalstaates.

Die Unter­wer­fung der Men­schen unter das her­auf­däm­mern­de System kapi­ta­li­sti­scher Waren­pro­duk­ti­on erfolg­te damals mit­tels des Ein­sat­zes bru­tal­ster Gewalt. Schon Karl Marx defi­nier­te bekannt­lich die Staats­macht als »kon­zen­trier­te und orga­ni­sier­te Gewalt der Gesell­schaft, um den Ver­wand­lungs­pro­zess der feu­da­len in die kapi­ta­li­sti­sche Pro­duk­ti­ons­wei­se treib­haus­mä­ßig zu för­dern«. Im Zuge die­ses Ver­wand­lungs­pro­zes­ses wur­de die gemäch­li­che, ver­gleichs­wei­se repres­si­ons­ar­me Agrar­öko­no­mie des Hoch­mit­tel­al­ters schritt­wei­se in ein System kapi­ta­li­sti­scher Pacht­ver­hält­nis­se über­führt, damit mone­ta­ri­siert und einem rigi­den Zeit­re­gime unter­wor­fen. Reste des noch vor­han­de­nen uralten Gemein­ei­gen­tums, die bis dahin unter der Decke der feu­da­len Ver­hält­nis­se über­lebt hat­ten, wur­den in die­sem Zusam­men­hang rück­sichts­los ent­eig­net. Um dies gegen Wider­stän­de auch durch­set­zen zu kön­nen, erwie­sen sich die ent­ste­hen­den Justiz- und Mili­tär­ap­pa­ra­te als notwendig.

Um aus den dama­li­gen feu­da­len Flicken­tep­pi­chen höchst unter­schied­li­cher Ter­ri­to­ri­en in sich geschlos­se­ne Natio­nal­staa­ten zu for­men, bedurf­te es in der Zeit vom 15. bis zum 17. Jahr­hun­dert zudem noch einer gan­zen Ket­te von For­mie­rungs­krie­gen, die für die Bevöl­ke­rung die­ser Regio­nen fürch­ter­li­che Aus­wir­kun­gen hat­ten. Einen schau­er­li­chen Höhe­punkt erreich­te die­se Ent­wick­lung mit dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ge, als Hor­den mor­den­der und plün­dern­der Lands­knech­te gro­ße Tei­le Mit­tel­eu­ro­pas ver­wü­stet und sich schließ­lich der Kon­trol­le ihrer jewei­li­gen Auf­trag­ge­ber weit­ge­hend ent­zo­gen hat­ten. Nur als Bei­spiel: In den sich damals her­aus­bil­den­den deut­schen Teil­staa­ten Bran­den­burg und Sach­sen schrumpf­te die Bevöl­ke­rung auf etwa die Hälfte.

Erst nach die­ser Kata­stro­phe wich der freie Gewalt­un­ter­neh­mer schritt­wei­se der moder­nen Natio­nal­ar­mee. Oder, wie Robert Kurz es schrieb: Es »ent­stand ›das Mili­tär‹ als beson­de­re sozia­le Grup­pe, und die Armee wur­de zu einem sozia­len Fremd­kör­per in der Gesell­schaft«. An die Stel­le des ewig hung­ri­gen, maro­die­rend durch die Lan­de zie­hen­den Kriegs­knechts trat der gepress­te, unter der Zucht­ru­te sei­nes Kor­po­rals gedrill­te und in Reih und Glied gezwun­ge­ne Gre­na­dier. Gleich­zei­tig explo­dier­te in den ent­ste­hen­den bür­ger­li­chen Staa­ten die Zahl der pro­fes­sio­nel­len Mili­tärs – allein von 1500 bis 1700 etwa um das Zehn­fa­che. Und die Rüstungs­in­du­strie als trei­ben­de Kraft von Manu­fak­tur­pro­duk­ti­on und Indu­stria­li­sie­rung erhielt so ihren ent­schei­den­den Anstoß.

Unter den Bedin­gun­gen eines ent­wickel­ten Kapi­ta­lis­mus kön­nen Krie­ge nichts ande­res sein als die Fort­set­zung der Kon­kur­renz mit Mit­teln natio­nal­staat­li­cher Gewalt. Von einer fried­li­chen Zeit kann also nach der gewalt­sa­men Unter­drückung der Feu­dal­feh­den und nun rasant ein­set­zen­der Ent­wick­lung zum Kapi­ta­lis­mus über­haupt kei­ne Rede sein. Das Kon­kur­renz­prin­zip als Trieb­kraft bür­ger­li­cher Ent­wick­lung äußer­te sich zunächst pri­mär in Han­dels- und Erobe­rungs­krie­gen. Die ent­stan­de­nen oder noch ent­ste­hen­den bür­ger­li­chen Natio­nal­staa­ten gin­gen ein­an­der im Kampf um Han­dels­rech­te, um Ein­fluss­sphä­ren, Roh­stoff­quel­len und Absatz­märk­te an die Gur­gel. Fried­rich Engels hat es in einem sei­ner frü­hen Tex­te tref­fend beschrie­ben: »Im Grun­de war es doch die alte Geld­gier und Selbst­sucht, und die­se brach von Zeit zu Zeit in den Krie­gen aus, die in jener Peri­ode alle auf Han­dels­ei­fer­sucht beruh­ten. In die­sen Krie­gen zeig­te es sich auch, dass der Han­del, wie der Raub, auf dem Faust­recht beruhte.«

Die­se Ket­te von Krie­gen hat­te damals durch­aus schon glo­ba­le Züge; die in Afri­ka, Asi­en und Ame­ri­ka sta­tio­nier­ten Kolo­ni­al­trup­pen wur­den in die mili­tä­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen ein­be­zo­gen und ver­such­ten fol­ge­rich­tig, früh­feu­da­le Herr­schafts­be­rei­che und deren Krie­ger­hau­fen als Ver­bün­de­te zu gewin­nen – was meist auch gelang. Einen schau­er­li­chen Höhe­punkt erreich­ten die­se Krie­ge um Auf­tei­lung der Welt in Ein­fluss­sphä­ren der jewei­li­gen Natio­nal­öko­no­mie mit dem Ersten und Zwei­ten Welt­krieg, als ver­schie­de­ne New­co­mer, an der Spit­ze das Deut­sche Reich, den tra­di­tio­nel­len kapi­ta­li­sti­schen Groß­mäch­ten ihre Füh­rungs­rol­le strei­tig machen wollten.

Die Ent­wick­lung des Kapi­ta­lis­mus scheint der­zeit ihren Höhe­punkt über­schrit­ten zu haben. Wäh­rend der letz­ten Jahr­zehn­te folg­ten auf den poli­ti­schen Zusam­men­bruch von »Ver­lier­er­re­gio­nen«, die es nicht geschafft hat­ten, den wirt­schaft­li­chen Vor­sprung der ent­wickel­ten Indu­strie­mäch­te auf­zu­ho­len, eine gan­ze Ket­te von »Ent­staat­li­chungs­krie­gen«, in denen die Reste natio­nal­staat­li­cher Armeen in trau­ter Gemein­schaft mit diver­sen Got­tes­krie­gern und ganz gewöhn­li­chen Ban­di­ten die zuvor müh­sam aus dem Boden gestampf­ten Infra­struk­tu­ren fled­der­ten. Und der mar­xi­sti­sche Öko­nom Wolf­gang Fritz Haug pro­gno­sti­zier­te – einen US-ame­ri­ka­ni­schen Geo­gra­phen zitie­rend – schon vor Jah­ren ein mög­li­ches »Aus­ein­an­der­bre­chen der glo­ba­len Wirt­schaft in regio­na­le Hege­mo­ni­al­struk­tu­ren, die genau­so leicht wild mit­ein­an­der kon­kur­rie­ren als auch in der elen­den Fra­ge zusam­men­ar­bei­ten könn­ten, wer die Haupt­last der lang­an­hal­ten­den Depres­si­on tra­gen muss«.

Die­ses wild mit­ein­an­der kon­kur­rie­ren ist mitt­ler­wei­le in mili­tä­risch aus­ge­tra­ge­ne Ver­tei­lungs­kämp­fe eska­liert. In die­sem Kon­text ist der der­zeit toben­de Krieg zwi­schen Russ­land und der von den west­li­chen Staa­ten unter­stüt­zen Ukrai­ne zu sehen, auch das seit 2011 in Liby­en und Syri­en wüten­de Kriegs- und Bür­ger­kriegs­cha­os sowie der von der media­len Öffent­lich­keit kaum noch wahr­ge­nom­me­ne Bom­ben­krieg Sau­di-Ara­bi­ens gegen das Nach­bar­land Jemen.

Der unter Schüs­sen und Waf­fen­ge­klirr gebo­re­ne Kapi­ta­lis­mus scheint sich in sei­ner End­pha­se selbst treu zu blei­ben. Wobei er kraft der von ihm welt­weit ange­häuf­ten Arse­na­le von Atom­bom­ben und ande­rer Mord­in­stru­men­te die wei­te­re Exi­stenz der Mensch­heit gefährdet.

Kann man gegen einen nun dro­hen­den fina­len Ver­tei­lungs­krieg etwas tun? Aber gewiss doch. Und man soll­te es auch. Krieg ist nichts Natur­ge­ge­be­nen, er wird von Men­schen gemacht. Auf das Grau­en des Ersten und Zwei­ten Welt­kriegs sowie nach­fol­gen­der Ent­ko­lo­nia­li­sie­rungs­krie­ge folg­te bei der Welt­be­völ­ke­rung eine brei­te Ableh­nungs­front gegen­über jeder Form von mili­tä­ri­scher Gewalt – noch im Jah­re 2003 pro­te­stier­ten welt­weit Mil­lio­nen Men­schen gegen den Angriff einer von den USA geführ­ten Mili­tär­ko­ali­ti­on gegen den Irak. Es liegt an uns, eine neue Abwehr­front gegen Kapi­ta­lis­mus und Krieg zu organisieren.