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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kanzler-Abschiebung

»Wir müs­sen end­lich im gro­ßen Stil die­je­ni­gen abschie­ben, die kein Recht haben, in Deutsch­land zu blei­ben« (Kanz­ler Scholz).

Zwei Beam­te haben den deut­schen Bun­des­kanz­ler mit sechs Fes­seln an eine Holz­bank geket­tet, Klam­mern aus Stahl, die sei­ne Fuß­ge­len­ke umschlie­ßen und ihn durch eine Pla­stik­fes­sel mit der Holz­bank ver­bin­den, schrän­ken sei­ne Bewe­gungs­frei­heit ein. Die Hän­de sind unter­halb der Ober­schen­kel fest zusam­men­ge­schlos­sen, Fuß- und Hand­fes­seln mit wei­te­ren Hart­pla­stik­ver­bin­dun­gen quä­len ihn. Zusam­men­ge­schnürt wie ein Paket, soll Olaf S. (Name von der Redak­ti­on nicht geän­dert) die letz­te Stun­de sei­nes Deutsch­land­auf­ent­hal­tes ver­brin­gen. Sei­ne Abschie­bung ist vor­ge­se­hen. Jede Vier­tel­stun­de kom­men Beam­te her­ein, über­prü­fen den kor­rek­ten Sitz der Fes­seln, doch nie­mand rich­tet ein Wort an ihn.

Auf dem Flug­ha­fen waren 70 Minu­ten in den Gewahr­sams­räu­men ver­gan­gen, als zwei Beam­te erschei­nen, die das Ver­bin­dungs­stück, dass ihn an die Holz­bank ket­tet, lösen und ihn auf­for­dern, sich auf eine Holz­stan­ge zu set­zen, die ihm zwi­schen die zusam­men­ge­bun­de­nen Unter­ar­me und Ober­schen­kel gescho­ben wird. Mit der einen Hand tra­gen die Män­ner die Stan­ge, mit der ande­ren stüt­zen sie den Gefes­sel­ten und balan­cie­ren auf die­se Art sei­ne Last zum Trans­port­fahr­zeug, das zu einem Flug­zeug fährt. Vier Beam­te neh­men als Beglei­ter im Flug­zeug Platz, mit dem der Bun­des­kanz­ler nach Lagos abge­scho­ben wer­den soll. Sie schnal­len dem unter Trä­nen Schrei­en­den den Sicher­heits­gurt um und kon­trol­lie­ren den Sitz der Fuß- und Hand­fes­seln. Da der Bun­des­kanz­ler sich wehrt, wird er unter erheb­li­chem Kraft­auf­wand in die letz­te Rei­he des Flug­zeu­ges geschleppt. Der Bun­des­kanz­ler stößt mit dem Kopf gegen einen Beam­ten, die­ser ver­sucht, ihn mit einem bei der Poli­zei übli­chen »Fest­hal­te­griff« zur Räson zu brin­gen. Dabei wird mit dem klei­nen Fin­ger ein Ner­ven­punkt unter der Nase fixiert, wäh­rend die übri­gen Fin­ger und die Mit­tel­hand die Augen zudecken. Die­ser Griff, so die Staats­or­ga­ne, sei bei Abschie­be­be­für­wor­tern oft unwirk­sam, weil die über eine aus­ge­präg­te Unemp­find­lich­keit gegen­über Schmer­zen ver­fü­gen. In sei­ner Panik beißt der Bun­des­kanz­ler in die Hand eines Beam­ten. Die­ser schlägt ihm mit der frei­en Hand ins Gesicht, die Kol­le­gen rei­ßen Herrn S. Kopf zurück und drücken ihm die Strick­jacke eines Beam­ten ins Gesicht. Die Flug­ge­sell­schaft wei­gert sich, den »Abschub« durch­zu­füh­ren. Der Bun­des­kanz­ler kommt in einem der­art deso­la­ten Zustand in die Abschie­be­haft­an­stalt zurück, dass der dienst­ha­ben­de Wach­lei­ter eine Straf­an­zei­ge wegen »Gefähr­li­cher Kör­per­ver­let­zung im Amt« gegen die Abschie­be­be­am­ten einreicht.

Tage spä­ter, es ist noch dun­kel, wird O. S. in den Mor­gen­stun­den erneut abge­holt. Ein Anwalt trifft ihn schla­fend in sei­ner Zel­le an. Der Anwalt ver­mu­tet, man habe sei­nem Man­dan­ten gegen sei­nen Wil­len Beru­hi­gungs­mit­tel ver­ab­reicht, um nicht noch ein­mal die Abschie­bung zu gefähr­den. O. S. schil­dert unter Trä­nen sei­ne Angst, ohne Geld in einem unbe­kann­ten Land, wo er nie­man­den ken­ne, aus­ge­setzt zu wer­den. Wenig spä­ter for­dern zwei BGS-Beam­te Herrn O. S. auf, ihnen zu fol­gen. Ohne Fes­seln, ohne Balan­ce­akt auf einem Stock und ohne Sicher­heits­griff gelingt ihnen an die­sem Tag die Abschie­bung des Bun­des­kanz­lers. Seit­dem fehlt vom deut­schen Bun­des­kanz­ler, der ver­spro­chen hat­te, sich auf jeden Fall nach sei­ner Ankunft bei sei­nem Anwalt zu mel­den, jeg­li­che Spur. Das ist, da alle Men­schen vor dem Gesetz gleich sind, oft deut­sche Abschie­be­pra­xis. Sie wird lei­der bei dem deut­schen Bun­des­kanz­ler nicht prak­ti­ziert, bei Aus­län­dern, die in Deutsch­land Schutz und eine Über­le­bens­exi­stenz suchen, schon! Weil der Mensch kein Mensch ist!