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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kanonen statt Butter

Im Zuge der Neu­struk­tu­rie­rung der Lan­des- und Bünd­nis­ver­tei­di­gung, nicht allein wegen der stei­gen­den Mili­tär­aus­ga­ben durch das 100 Mrd. Euro Son­der­ver­mö­gen, ergibt sich für die Betrei­ber der stei­gen­den Rüstungs­spi­ra­le die Not­wen­dig­keit, die Gesell­schaft einer Mili­ta­ri­sie­rung zu unter­wer­fen. Galt gestern noch »Nie wie­der Krieg«, heißt es jetzt »Kriegs­tüch­tig­keit«, um ein gigan­ti­sches Auf­rü­stungs­pro­gramm zu legi­ti­mie­ren. Auf­rü­sten heißt jetzt »moder­ni­sie­ren«, und die­ses neue Sen­dungs­be­wusst­sein ver­sucht Deu­tungs­ho­heit zu erlan­gen. In Ver­ges­sen­heit gera­ten ist die Tat­sa­che, dass die Ver­tei­di­gungs­aus­ga­ben schon seit 7 Jah­ren kon­ti­nu­ier­lich von 33 Mrd. Euro 2015 auf 50,3 Euro im Jahr 2022 stie­gen. Um der­ar­ti­ge Aus­ga­ben zu recht­fer­ti­gen, wird die rea­le Gefahr eines Krie­ges in Euro­pa und auf deut­schem Boden beschwo­ren. Zu sol­chem Men­ta­li­täts­wech­sel gehö­ren auch State­ments wie bei­spiels­wei­se von Rode­rich Kie­se­wet­ter, CDU, der auf­for­dert, »mit unse­rem Leben die Sicher­heit Isra­els zu ver­tei­di­gen«. Kriegs­be­reit­schaft statt Lebens­qua­li­tät: Der Slo­gan »Kano­nen statt But­ter« erlebt aktu­ell eine Renaissance.

Das Schrau­ben an der Rüstungs­spi­ra­le ist nach aller Erfah­rung ohne Limit und läuft immer in Rich­tung eines sich gegen­sei­ti­gen Tot­rü­stens. Sozia­le, kul­tu­rel­le, Bil­dungs- und Gesund­heits­be­rei­che gera­ten dadurch unter die Räder. Ein­spa­run­gen und Aus­höh­lung in die­sen sen­si­blen Berei­chen füh­ren zwangs­läu­fig zu Unter­ver­sor­gung mit all den sich dar­aus erge­ben­den Konsequenzen.

Nach Berech­nun­gen der Nato benö­tigt der deut­sche Mili­tär­haus­halt für die Zukunft 250 Mrd. Euro, deut­lich mehr als das soge­nann­te Son­der­ver­mö­gen und die Fest­le­gung des jähr­li­chen Mili­tär­haus­halts auf min­de­stens 2 Pro­zent des regu­lä­ren Staats­haus­hal­tes. Bis­lang gal­ten schon 1,5 Pro­zent als ambi­tio­niert. Deut­lich höhe­re Mili­tär­aus­ga­ben ste­hen also auch in Zukunft ins Haus. Deutsch­land hat mit 52,3 Mrd. Euro den sechs­höch­sten Ver­tei­di­gungs­haus­halt hin­ter den USA, Chi­na, Russ­land, Sau­di-Ara­bi­en und Indi­en, hin­zu kommt jetzt noch das 100 Mrd. Son­der­ver­mö­gen für Aus­rü­stung und Auf­rü­stung. Zudem for­dert Vize­kanz­ler Habeck eine wei­te­re Auf­stockung. Der Ver­tei­di­gungs­etat 2023 ist so hoch wie der Etat für Bil­dung, Gesund­heit und Fami­li­en zusam­men. In den näch­sten drei Jah­ren ist eine Stei­ge­rung des deut­schen Ver­tei­di­gungs­haus­hal­tes um 12,4 Mrd. Euro vor­ge­se­hen. Hin­zu kom­men Rüstungs­expor­te in Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­te mit Rekord­wer­ten von 8 bis 10 Mrd. Euro pro Jahr. Die Waf­fen-Expor­te in die Ukrai­ne haben sich ver­vier­facht. Und wei­ter­hin wer­den die Mili­tär­hil­fen für die Ukrai­ne im kom­men­den Jahr von 4 auf 8 Mrd. Euro auf­ge­stockt. Mit wei­te­ren 17 Mrd. Euro Finanz­hil­fe für die Ukrai­ne liegt Deutsch­land an zwei­ter Stel­le hin­ter den USA mit 42 Mrd. Euro.

Aber auch im Innern wird geklotzt. Die Ein­kaufs­li­ste von Boris Pisto­ri­us ist lang, und die ein­zel­nen Posten lie­gen seit eini­ger Zeit auf dem Tisch. Die Pla­nun­gen das Son­der­ver­mö­gen ein­zu­set­zen, schlüs­seln sich wie folgt auf:

  • Das Heer erhält 16 Mrd. Euro um u. a. wei­te­re Leo­pard II-Kampf­pan­zer (Stück­preis 15 Mill. Euro) zu besor­gen. Der Schüt­zen­pan­zer Puma soll den tech­nisch ver­al­te­ten Mar­der erset­zen. Mit einer wei­te­ren Auf­stockung von 2 Mrd. Euro für Aus­stat­tung (z. B. Hel­me) und den Aus­bau der Digi­ta­li­sie­rung mit 21 Mrd. Euro für KI und Funk soll das Heer zur schlag­kräf­tig­sten Trup­pe Euro­pas werden.
  • Die Mari­ne wird mit 8 Mrd. Euro aus­ge­stat­tet, zum Kauf neu­er Fre­gat­ten und Korvetten.
  • Die Luft­waf­fe erhält den Betrag von 33 Mrd. Euro zum Kauf neu­er Euro­figh­ter, US-Bom­ber (Tarn­kap­pen­bom­ber F-35) und Hub­schrau­ber. Das mit Droh­nen und KI gekop­pel­te deutsch-fran­zö­si­sche Kampf­flug­zeug Future Com­bat Air System (FCAS) zur Kampf­füh­rungs­un­ter­stüt­zung steht eben­falls auf der Bestellliste.

Auch wenn noch unklar ist, ob die durch die Ent­schei­dung des BVG erfor­der­li­chen Ein­spa­run­gen auch das Son­der­ver­mö­gen betref­fen wer­den, bleibt die grund­sätz­li­che Posi­tio­nie­rung der Ampel, das mili­tä­ri­sche Auf­rü­stungs­pro­gramm bei­zu­be­hal­ten, erklär­tes Regierungsziel.

Zur Her­stel­lung sol­cher Waf­fen ver­fügt Deutsch­land über 250 Rüstungs­fir­men, die mitt­ler­wei­le enor­me Pro­fi­te ein­fah­ren. Die Umsatz­ge­win­ne der größ­ten Waf­fen­schmie­den wei­sen allein für das Jahr 2021 sel­ten hohe Umsät­ze aus, und ein Ende der Later­nen­stan­ge ist nicht auszumachen.

  • Der Pan­zer- und Hau­bit­zen-Her­stel­ler Rhein Metall Group ver­zeich­ne­te einen Jah­res­um­satz von 3 Mrd. Euro. Der Bör­sen­kurs des Kon­zerns stieg nach dem Über­fall Russ­lands auf die Ukrai­ne um 80 Prozent.
  • Die Pan­zer­schmie­de Krauss-Maffei Weg­mann, zusam­men mit dem Unter­neh­men Nex­ter, fuhr einen Jah­res­um­satz von 2,7 Mrd. Euro ein.
  • Beim Radar­ex­per­ten Hen­sold belief sich der Jah­res­um­satz auf 1,5 Mrd. Euro.
  • Thys­sen­krupp mari­ne erwirt­schaf­te­te einen Jah­res­um­satz von 2,4 Mrd. Euro.
  • Das deutsch-fran­zö­si­sche Unter­neh­men Air­bus Defence & Space gene­rier­te 2021 die Sum­me von 11 Mrd. Euro.
  • Der Lenk­waf­fen- und Muni­ti­ons­her­stel­ler Diehl Defence erwirt­schaf­te­te einen Jah­res­um­satz von 660 Mill. Euro.

Ohne deut­li­che Besteue­rung müs­sen die ver­aus­gab­ten Beträ­ge an ande­rer Stel­le wie­der her­ein­ge­holt wer­den. Und genau das geschieht aktu­ell. Weit­ge­hend unbe­ach­tet vom Groß­teil der Bevöl­ke­rung fin­det eine erneu­te Umver­tei­lung von unten nach oben statt, eine Zei­ten­wen­de der ande­ren Art, die ins­be­son­de­re den sozi­al bela­ste­ten Teil der Gesell­schaft betrifft.

Zusätz­lich zu stei­gen­den Mie­ten, der Unter­ver­sor­gung in Pfle­ge und Kran­ken­häu­sern, einer Teue­rungs­wel­le ins­be­son­de­re bei Lebens­mit­teln, stei­gen­den Prei­se bei Gas und Strom, stei­gen­den Ben­zin­prei­sen, einer pre­kä­ren Situa­ti­on in Schu­le und Kitas, Real­lohn­ver­lu­sten, Aus­beu­tungs­ver­hält­nis­sen bei pre­kä­rer Arbeit, der Tat­sa­che, dass 16,7 Pro­zent der Men­schen hier­zu­lan­de in Armut leben und jedes fünf­te Kind armuts­ge­fähr­det auf­wächst, ver­tei­digt der Finanz­mi­ni­ster Kür­zun­gen im Bun­des­haus­halt, bzw. legt die Bun­des­re­gie­rung wei­te­re »Kon­so­li­die­rungs­maß­nah­men« im Haus­halts­ent­wurf für 2024 vor.

  • Die ursprüng­lich ver­an­schlag­te Kin­der­grund­si­che­rung von 12 Mrd. Euro liegt jetzt bei kläg­li­chen 2,4 Mrd. Euro.
  • Das 49-Euro-Ticket soll zwar erhal­ten blei­ben, aber die Spat­zen pfei­fen es von den Dächern, dass es deut­lich ver­teu­ert wird.
  • 500 Mill. Euro Ein­spa­rung sieht der Bun­des­haus­halt 2024 bei Job­cen­tern vor, mit dem Ergeb­nis, dass u. a. Sozi­al­kauf­häu­ser in eini­gen Städ­ten geschlos­sen wer­den müs­sen wie z. B. das Dia­ko­nie-Sozi­al­kauf­haus in Hohen­we­stedt oder das Sozi­al­kauf­haus »Tisch und Tel­ler« im hes­si­schen Flörs­heim, Anlauf­punk­te ins­be­son­de­re für abge­häng­te Men­schen, Lang­zeit­ar­beits­lo­se und Bürgergeld-Beziehende.
  • Rund ein Fünf­tel der Mit­tel der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung soll eben­falls durch den neu­en Bun­des­haus­halt gekürzt wer­den, ent­ge­gen der Ver­ein­ba­rung im Koali­ti­ons­ver­trag, der eine »Erhö­hung der Demo­kra­tie­för­de­rung in Zei­ten eines erstar­ken­den Extre­mis­mus« festlegte.
  • Zuschüs­se zum Bau, zur Moder­ni­sie­rung und Sanie­rung für Ein­rich­tun­gen von Fami­li­en­fe­ri­en­stät­ten wer­den um 1,6 Mill. Euro gekürzt.
  • 3,5 Mill. Euro für den Bereich der Digi­ta­li­sie­rung in Wohl­fahrts­ver­bän­den wer­den kom­plett gestrichen.
  • Neben Kür­zun­gen bei Unter­stüt­zungs­lei­sten im Bereich Inte­gra­ti­on und Migra­ti­on wer­den ca. 1 Mill. Euro für Lei­stun­gen und Fort­bil­dun­gen in der Wohl­fahrts­pfle­ge gekürzt.
  • Die För­de­run­gen des Frei­wil­li­gen Sozia­len Jah­res (FSJ) und des Bun­des­frei­wil­li­gen­dien­stes (BFD) sol­len 2024 um ins­ge­samt 78 Mill. Euro und 2025 um wei­te­re 35 Mill. Euro redu­ziert wer­den. Vie­ler­orts könn­ten Frei­wil­li­gen­dien­ste in Zukunft nicht mehr ange­bo­ten werden.
  • Deutsch­land erlebt momen­tan die höch­ste Zuwan­de­rung seit 70 Jah­ren. Für die Migra­ti­ons­be­ra­tung sol­len für das kom­men­de Jahr 24 Mill. Euro weni­ger zur Ver­fü­gung ste­hen, was etwa einem Drit­tel der bis­he­ri­gen För­de­rung entspricht.

Ange­sichts die­ser unvoll­stän­di­gen Bei­spie­le spricht der Haupt­ge­schäfts­füh­rer des Pari­tä­ti­schen Gesamt­ver­ban­des Ulrich Schnei­der von einer Zei­ten­wen­de sozia­len Kahl­schlags, in der »sozia­le Infra­struk­tur geschred­dert« wird.

Die gemein­sa­me Auf­for­de­rung von ver.di und den Wohl­fahrts­ver­bän­den an die Ampel­par­tei­en, von der­ar­ti­gem sozia­len Kahl­schlag Abstand zu neh­men, Unter­schrif­ten­samm­lun­gen, War­nun­gen und Appel­le allein rei­chen nicht aus. Wenn durch die zuneh­men­de Mili­ta­ri­sie­rung eine zuneh­men­de Ver­ar­mung, die Zunah­me indi­vi­du­el­len Lei­dens und das Begrei­fen sozia­ler Benach­tei­li­gung in sozia­le Wut und kol­lek­ti­ven Wider­stand mün­det, gibt es begrün­de­te Hoff­nung, eine sicht­ba­re Kurs­än­de­rung her­bei­zu­füh­ren. In einer Pha­se, in der Sozi­al­re­for­men schon lan­ge zu Ende gekom­men sind, müs­sen die Betrof­fe­nen die Sache selbst in die Hand neh­men, anders geht es nicht.

Mit Beginn des letz­ten Jahr­hun­derts war eine natio­na­le und impe­ria­le Iden­ti­fi­ka­ti­on eine enor­me gesell­schaft­li­che Kraft, die, wie heu­te, sozia­le und frie­dens­för­dern­de Ansprü­che in Schach hielt bzw. aus­lösch­te. Mit die­ser histo­ri­schen Erfah­rung muss der For­de­rung nach einer »Kriegs­taug­lich­keit« heu­te ein ent­schie­de­ner Wider­stand ent­ge­gen­ge­setzt wer­den. Nur das Behar­ren auf ein sozi­al abge­si­cher­tes, fried­li­ches Mit­ein­an­der und die Unter­stüt­zung der Schwäch­sten, das bes­se­re Leben als Ziel, machen eine huma­ne Gesell­schaft aus.