Im Zuge der Neustrukturierung der Landes- und Bündnisverteidigung, nicht allein wegen der steigenden Militärausgaben durch das 100 Mrd. Euro Sondervermögen, ergibt sich für die Betreiber der steigenden Rüstungsspirale die Notwendigkeit, die Gesellschaft einer Militarisierung zu unterwerfen. Galt gestern noch »Nie wieder Krieg«, heißt es jetzt »Kriegstüchtigkeit«, um ein gigantisches Aufrüstungsprogramm zu legitimieren. Aufrüsten heißt jetzt »modernisieren«, und dieses neue Sendungsbewusstsein versucht Deutungshoheit zu erlangen. In Vergessenheit geraten ist die Tatsache, dass die Verteidigungsausgaben schon seit 7 Jahren kontinuierlich von 33 Mrd. Euro 2015 auf 50,3 Euro im Jahr 2022 stiegen. Um derartige Ausgaben zu rechtfertigen, wird die reale Gefahr eines Krieges in Europa und auf deutschem Boden beschworen. Zu solchem Mentalitätswechsel gehören auch Statements wie beispielsweise von Roderich Kiesewetter, CDU, der auffordert, »mit unserem Leben die Sicherheit Israels zu verteidigen«. Kriegsbereitschaft statt Lebensqualität: Der Slogan »Kanonen statt Butter« erlebt aktuell eine Renaissance.
Das Schrauben an der Rüstungsspirale ist nach aller Erfahrung ohne Limit und läuft immer in Richtung eines sich gegenseitigen Totrüstens. Soziale, kulturelle, Bildungs- und Gesundheitsbereiche geraten dadurch unter die Räder. Einsparungen und Aushöhlung in diesen sensiblen Bereichen führen zwangsläufig zu Unterversorgung mit all den sich daraus ergebenden Konsequenzen.
Nach Berechnungen der Nato benötigt der deutsche Militärhaushalt für die Zukunft 250 Mrd. Euro, deutlich mehr als das sogenannte Sondervermögen und die Festlegung des jährlichen Militärhaushalts auf mindestens 2 Prozent des regulären Staatshaushaltes. Bislang galten schon 1,5 Prozent als ambitioniert. Deutlich höhere Militärausgaben stehen also auch in Zukunft ins Haus. Deutschland hat mit 52,3 Mrd. Euro den sechshöchsten Verteidigungshaushalt hinter den USA, China, Russland, Saudi-Arabien und Indien, hinzu kommt jetzt noch das 100 Mrd. Sondervermögen für Ausrüstung und Aufrüstung. Zudem fordert Vizekanzler Habeck eine weitere Aufstockung. Der Verteidigungsetat 2023 ist so hoch wie der Etat für Bildung, Gesundheit und Familien zusammen. In den nächsten drei Jahren ist eine Steigerung des deutschen Verteidigungshaushaltes um 12,4 Mrd. Euro vorgesehen. Hinzu kommen Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete mit Rekordwerten von 8 bis 10 Mrd. Euro pro Jahr. Die Waffen-Exporte in die Ukraine haben sich vervierfacht. Und weiterhin werden die Militärhilfen für die Ukraine im kommenden Jahr von 4 auf 8 Mrd. Euro aufgestockt. Mit weiteren 17 Mrd. Euro Finanzhilfe für die Ukraine liegt Deutschland an zweiter Stelle hinter den USA mit 42 Mrd. Euro.
Aber auch im Innern wird geklotzt. Die Einkaufsliste von Boris Pistorius ist lang, und die einzelnen Posten liegen seit einiger Zeit auf dem Tisch. Die Planungen das Sondervermögen einzusetzen, schlüsseln sich wie folgt auf:
- Das Heer erhält 16 Mrd. Euro um u. a. weitere Leopard II-Kampfpanzer (Stückpreis 15 Mill. Euro) zu besorgen. Der Schützenpanzer Puma soll den technisch veralteten Marder ersetzen. Mit einer weiteren Aufstockung von 2 Mrd. Euro für Ausstattung (z. B. Helme) und den Ausbau der Digitalisierung mit 21 Mrd. Euro für KI und Funk soll das Heer zur schlagkräftigsten Truppe Europas werden.
- Die Marine wird mit 8 Mrd. Euro ausgestattet, zum Kauf neuer Fregatten und Korvetten.
- Die Luftwaffe erhält den Betrag von 33 Mrd. Euro zum Kauf neuer Eurofighter, US-Bomber (Tarnkappenbomber F-35) und Hubschrauber. Das mit Drohnen und KI gekoppelte deutsch-französische Kampfflugzeug Future Combat Air System (FCAS) zur Kampfführungsunterstützung steht ebenfalls auf der Bestellliste.
Auch wenn noch unklar ist, ob die durch die Entscheidung des BVG erforderlichen Einsparungen auch das Sondervermögen betreffen werden, bleibt die grundsätzliche Positionierung der Ampel, das militärische Aufrüstungsprogramm beizubehalten, erklärtes Regierungsziel.
Zur Herstellung solcher Waffen verfügt Deutschland über 250 Rüstungsfirmen, die mittlerweile enorme Profite einfahren. Die Umsatzgewinne der größten Waffenschmieden weisen allein für das Jahr 2021 selten hohe Umsätze aus, und ein Ende der Laternenstange ist nicht auszumachen.
- Der Panzer- und Haubitzen-Hersteller Rhein Metall Group verzeichnete einen Jahresumsatz von 3 Mrd. Euro. Der Börsenkurs des Konzerns stieg nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine um 80 Prozent.
- Die Panzerschmiede Krauss-Maffei Wegmann, zusammen mit dem Unternehmen Nexter, fuhr einen Jahresumsatz von 2,7 Mrd. Euro ein.
- Beim Radarexperten Hensold belief sich der Jahresumsatz auf 1,5 Mrd. Euro.
- Thyssenkrupp marine erwirtschaftete einen Jahresumsatz von 2,4 Mrd. Euro.
- Das deutsch-französische Unternehmen Airbus Defence & Space generierte 2021 die Summe von 11 Mrd. Euro.
- Der Lenkwaffen- und Munitionshersteller Diehl Defence erwirtschaftete einen Jahresumsatz von 660 Mill. Euro.
Ohne deutliche Besteuerung müssen die verausgabten Beträge an anderer Stelle wieder hereingeholt werden. Und genau das geschieht aktuell. Weitgehend unbeachtet vom Großteil der Bevölkerung findet eine erneute Umverteilung von unten nach oben statt, eine Zeitenwende der anderen Art, die insbesondere den sozial belasteten Teil der Gesellschaft betrifft.
Zusätzlich zu steigenden Mieten, der Unterversorgung in Pflege und Krankenhäusern, einer Teuerungswelle insbesondere bei Lebensmitteln, steigenden Preise bei Gas und Strom, steigenden Benzinpreisen, einer prekären Situation in Schule und Kitas, Reallohnverlusten, Ausbeutungsverhältnissen bei prekärer Arbeit, der Tatsache, dass 16,7 Prozent der Menschen hierzulande in Armut leben und jedes fünfte Kind armutsgefährdet aufwächst, verteidigt der Finanzminister Kürzungen im Bundeshaushalt, bzw. legt die Bundesregierung weitere »Konsolidierungsmaßnahmen« im Haushaltsentwurf für 2024 vor.
- Die ursprünglich veranschlagte Kindergrundsicherung von 12 Mrd. Euro liegt jetzt bei kläglichen 2,4 Mrd. Euro.
- Das 49-Euro-Ticket soll zwar erhalten bleiben, aber die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass es deutlich verteuert wird.
- 500 Mill. Euro Einsparung sieht der Bundeshaushalt 2024 bei Jobcentern vor, mit dem Ergebnis, dass u. a. Sozialkaufhäuser in einigen Städten geschlossen werden müssen wie z. B. das Diakonie-Sozialkaufhaus in Hohenwestedt oder das Sozialkaufhaus »Tisch und Teller« im hessischen Flörsheim, Anlaufpunkte insbesondere für abgehängte Menschen, Langzeitarbeitslose und Bürgergeld-Beziehende.
- Rund ein Fünftel der Mittel der Bundeszentrale für politische Bildung soll ebenfalls durch den neuen Bundeshaushalt gekürzt werden, entgegen der Vereinbarung im Koalitionsvertrag, der eine »Erhöhung der Demokratieförderung in Zeiten eines erstarkenden Extremismus« festlegte.
- Zuschüsse zum Bau, zur Modernisierung und Sanierung für Einrichtungen von Familienferienstätten werden um 1,6 Mill. Euro gekürzt.
- 3,5 Mill. Euro für den Bereich der Digitalisierung in Wohlfahrtsverbänden werden komplett gestrichen.
- Neben Kürzungen bei Unterstützungsleisten im Bereich Integration und Migration werden ca. 1 Mill. Euro für Leistungen und Fortbildungen in der Wohlfahrtspflege gekürzt.
- Die Förderungen des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) und des Bundesfreiwilligendienstes (BFD) sollen 2024 um insgesamt 78 Mill. Euro und 2025 um weitere 35 Mill. Euro reduziert werden. Vielerorts könnten Freiwilligendienste in Zukunft nicht mehr angeboten werden.
- Deutschland erlebt momentan die höchste Zuwanderung seit 70 Jahren. Für die Migrationsberatung sollen für das kommende Jahr 24 Mill. Euro weniger zur Verfügung stehen, was etwa einem Drittel der bisherigen Förderung entspricht.
Angesichts dieser unvollständigen Beispiele spricht der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes Ulrich Schneider von einer Zeitenwende sozialen Kahlschlags, in der »soziale Infrastruktur geschreddert« wird.
Die gemeinsame Aufforderung von ver.di und den Wohlfahrtsverbänden an die Ampelparteien, von derartigem sozialen Kahlschlag Abstand zu nehmen, Unterschriftensammlungen, Warnungen und Appelle allein reichen nicht aus. Wenn durch die zunehmende Militarisierung eine zunehmende Verarmung, die Zunahme individuellen Leidens und das Begreifen sozialer Benachteiligung in soziale Wut und kollektiven Widerstand mündet, gibt es begründete Hoffnung, eine sichtbare Kursänderung herbeizuführen. In einer Phase, in der Sozialreformen schon lange zu Ende gekommen sind, müssen die Betroffenen die Sache selbst in die Hand nehmen, anders geht es nicht.
Mit Beginn des letzten Jahrhunderts war eine nationale und imperiale Identifikation eine enorme gesellschaftliche Kraft, die, wie heute, soziale und friedensfördernde Ansprüche in Schach hielt bzw. auslöschte. Mit dieser historischen Erfahrung muss der Forderung nach einer »Kriegstauglichkeit« heute ein entschiedener Widerstand entgegengesetzt werden. Nur das Beharren auf ein sozial abgesichertes, friedliches Miteinander und die Unterstützung der Schwächsten, das bessere Leben als Ziel, machen eine humane Gesellschaft aus.