Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Kampf um die Pressefreiheit

Um die Frei­heit der Pres­se ist es nicht gut bestellt. Die Repres­sio­nen gegen Jour­na­li­sten und Jour­na­li­stin­nen neh­men welt­weit zu. Das geht aus der Jah­res­bi­lanz der Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on Repor­ter ohne Gren­zen (RSF) her­vor. Dem­nach sit­zen der­zeit (Dezem­ber 2022) min­de­stens 533 Men­schen in Gefäng­nis­sen, nur weil sie das getan hat­ten, was ihr Beruf von ihnen ver­langt: Sie hat­ten recher­chiert, foto­gra­fiert, kom­men­tiert und berich­tet. Eine erschüt­tern­de Bilanz: Es ist die höch­ste Zahl an regi­strier­ten Inhaf­tie­run­gen, seit die Sta­ti­stik erho­ben wird. Die Hälf­te aller Inhaf­tier­ten sitzt in Gefäng­nis­sen in nur fünf Län­dern ein: Chi­na, Myan­mar, Iran, Viet­nam und Bela­rus. Aber auch in Russ­land, dar­auf ver­weist der Bericht, greift der Staat gegen Jour­na­li­sten und Jour­na­li­stin­nen hart durch. Wer nach Beginn des Angriffs­krie­ges gegen die Ukrai­ne im Land geblie­ben ist, muss ange­sichts der dra­ko­ni­schen Stra­fen im Unter­grund arbei­ten. Für das »Ver­brei­ten von Falsch­in­for­ma­tio­nen über die rus­si­sche Armee« – also kri­ti­sche Bei­trä­ge und Kom­men­ta­re zu Kriegs­füh­rung und Mili­tär­ak­tio­nen – dro­hen bis zu 15 Jah­re Gefängnis.

»Auto­ri­tä­re Regime gehen ver­stärkt dazu über, stö­ren­de Jour­na­li­stin­nen und Jour­na­li­sten ein­fach weg­zu­sper­ren«, heißt es im Bericht. Welt­weit sind im Jahr 2022 bis­lang 57 Medi­en­schaf­fen­de getö­tet wor­den, im Vor­jahr waren es 48 gewe­sen. Mit einem Anteil von fast 65 Pro­zent kam die Mehr­zahl der getö­te­ten Jour­na­li­stin­nen und Jour­na­li­sten außer­halb von Kriegs­ge­bie­ten ums Leben, teil­te RSF mit. Ein Beruf mit töd­li­chem Risiko.

Das gefähr­lich­ste Land bleibt Mexi­ko: Dort wur­den min­de­stens elf Jour­na­li­stin­nen und Jour­na­li­sten ermor­det. In einer Erklä­rung mit dem Titel »Mexi­ko muss han­deln, um sei­ne Jour­na­li­sten zu schüt­zen«, for­der­te Repor­ter ohne Gren­zen schon im Juli die Regie­rung von Prä­si­dent López Obra­dor dazu auf, die Sicher­heit für die Medi­en­schaf­fen­den in sei­nem Land zu ver­bes­sern. Bis­her ohne Wir­kung. Die Gewalt in Mexi­ko hat mitt­ler­wei­le erschrecken­de Aus­ma­ße ange­nom­men. Im Schnitt wer­den 94 Mor­de pro Tag regi­striert. Fast immer steckt das orga­ni­sier­te Ver­bre­chen dahin­ter. Wer recher­chiert und berich­tet, ris­kiert sein Leben. Ohne­hin: Der ame­ri­ka­ni­sche Dop­pel­kon­ti­nent gilt auch ins­ge­samt als die gefähr­lich­ste Regi­on für Jour­na­li­stin­nen und Jour­na­li­sten. Fast die Hälf­te aller getö­te­ten Medi­en­schaf­fen­den kam dort ums Leben.

Ein­schüch­te­rung, Repres­si­on, Ver­haf­tung – die Frei­heit der Pres­se ist welt­weit in Gefahr, wenn sie denn über­haupt gewährt wird. In vie­len Län­dern kann davon kei­ne Rede sein. Ein Blick in die Rang­li­ste der Pres­se­frei­heit ist erschüt­ternd – doch nicht über­ra­schend. Im hin­ter­sten Teil der Tabel­le befin­det sich nach wie vor Chi­na (Platz 175) – unter ande­rem auf­grund nahe­zu all­um­fas­sen­der Inter­net­zen­sur und Über­wa­chung sowie Pro­pa­gan­da im In- und Aus­land. In Iran (178) beob­ach­tet RSF seit dem ver­gan­ge­nen Jahr eine Zunah­me von will­kür­li­chen Ver­haf­tun­gen und Ver­ur­tei­lun­gen. Tota­li­tä­re Regime, die seit Jah­ren auf den letz­ten Plät­zen ran­gie­ren, machen auch dies­mal die Plät­ze unter sich aus: Turk­me­ni­stan (177), Eri­trea (179) und Nord­ko­rea (180). Alle drei haben gemein­sam, dass die jewei­li­ge Regie­rung die kom­plet­te Kon­trol­le über alle Infor­ma­ti­ons­flüs­se hält; eine unzen­sier­te Bericht­erstat­tung ist unmöglich.

Doch es gibt auch erfreu­li­che Kon­stan­ten. In der Rang­li­ste der Pres­se­frei­heit machen wie in den ver­gan­ge­nen Jah­ren die skan­di­na­vi­schen Län­der die Spit­zen­plät­ze unter sich aus: Zum sech­sten Mal in Fol­ge liegt Nor­we­gen auf Platz 1, unter ande­rem auf­grund eines gro­ßen Medi­en­plu­ra­lis­mus, gro­ßer Unab­hän­gig­keit der Medi­en von der Poli­tik, star­ker Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­set­ze und eines trotz gele­gent­li­cher Online-Attacken jour­na­li­sten­freund­li­chen Kli­mas. Es fol­gen Däne­mark (2) und Schwe­den (3) mit ähn­lich guten Vor­aus­set­zun­gen für jour­na­li­sti­sche Bericht­erstat­tung. Mit Est­land (4) ist erst­mals eine ehe­ma­li­ge Sowjet­re­pu­blik auf den vor­de­ren Plät­zen geli­stet. Anders als in ande­ren Län­dern ver­zich­ten in die­sen Län­dern Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker weit­ge­hend auf Attacken auf Medi­en­schaf­fen­de, was eine kri­ti­sche, freie Bericht­erstat­tung ermög­licht. Auch auf die zuneh­men­de Online-Het­ze haben die dor­ti­gen Medi­en­häu­ser mit diver­sen Schutz­maß­nah­men für ihre Beschäf­tig­ten reagiert. Auf Platz 5 folgt Finnland.

Und wie steht es um Deutsch­land? Die Lage hier­zu­lan­de (Rang 16 von 180) hat sich um drei Plät­ze (Vor­jahr: Rang 13) leicht ver­schlech­tert. Für die­se Ent­wick­lung sind drei Grün­de zen­tral: eine Gesetz­ge­bung, die Jour­na­li­stin­nen und Jour­na­li­sten sowie ihre Quel­len gefähr­det, abneh­men­de Medi­en­viel­falt sowie Gewalt bei Demon­stra­tio­nen. Die Zahl der gewalt­sa­men Angrif­fe lag mit 80 von RSF veri­fi­zier­ten Fäl­len so hoch wie noch nie seit Beginn der Doku­men­ta­ti­on im Jahr 2013. Bereits im Vor­jahr war mit 65 Fäl­len ein Nega­tiv­re­kord erreicht wor­den. Die mei­sten der Angrif­fe (52 von 80) ereig­ne­ten sich bei Pro­te­sten des »Querdenken«-Spektrums gegen Coro­na-Maß­nah­men, an denen regel­mä­ßig gewalt­be­rei­te Neo­na­zis und rech­te Grup­pen teil­nah­men. Kein Pres­se­aus­weis schütz­te davor, mit­un­ter bespuckt, nie­der­ge­brüllt und an der Arbeit behin­dert zu wer­den. Dass Betrof­fe­ne sich häu­fig über man­geln­de Unter­stüt­zung durch die Poli­zei beklag­ten, lässt die Attacken noch düste­rer erschei­nen. Zudem wur­den 12 Angrif­fe der Poli­zei auf die Pres­se dokumentiert.

Auf der Ebe­ne der Gesetz­ge­bung kri­ti­siert RSF die Cyber­si­cher­heits­stra­te­gie der Bun­des­re­gie­rung, die nur man­geln­den Quel­len­schutz garan­tiert und eine Aus­wei­tung der Befug­nis­se für Sicher­heits­be­hör­den vor­sieht. Mit der Reform des Ver­fas­sungs­schutz­rechts räum­te der Deut­sche Bun­des­tag im Juni 2021 erst­mals allen Nach­rich­ten­dien­sten die Mög­lich­keit ein, mit­tels Späh­soft­ware in Smart­phones und Com­pu­ter ein­zu­drin­gen und ver­schlüs­sel­te Nach­rich­ten und Tele­fo­na­te via Signal, Tele­gram, Whats­App und Co. mit­zu­schnei­den. Auch das Defi­zit beim Aus­kunfts­recht von Medi­en gegen­über Bun­des­be­hör­den wird kri­ti­siert. Schließ­lich wird die wei­ter abneh­men­de Pres­se­viel­falt bei den Tages­zei­tun­gen moniert. Kein guter Zustand.

Es braucht Kri­tik und Kon­trol­le. Unse­re Demo­kra­tie ist eine fra­gi­le Kon­struk­ti­on, die Frei­heit der Pres­se eines ihrer Herz­stücke. Es gilt, was Albert Camus einst zur koope­ra­ti­ven Bedingt­heit von Frei­heit und Pres­se schrieb: »Eine freie Pres­se kann gut oder schlecht sein, aber eine Pres­se ohne Frei­heit kann nur schlecht sein«. Wir soll­ten ihm unein­ge­schränkt zustimmen.

Mehr Infor­ma­tio­nen: https://www.reporter-ohne-grenzen.de.