Auf der 30. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11. Januar, kam auch in diesem Jahr der wegen angeblichem Polizistenmord lebenslänglich seit 1991 in Frackville/Pennsylvania eingekerkerte Journalist und Autor Mumia Abu-Jamal per Direktschalte vom Prison Radio zu Wort. Mit seiner nach wie vor ungebrochenen, hoch charismatischen Stimme analysierte er psychologische Mechanismen des weltweiten, besonders aber in den reichen westlichen Ländern virulent gewordenen Rechtstrends beim Wahlvolk: Wenn Staaten ihre Pflichten gegenüber den Bürgern nicht mehr erfüllen wollen oder können, schüren sie Fremdenhass. Rechte Politiker verstünden es »meisterhaft, den Menschen Angst zu machen« – Angst vor Migranten, Schwarzen, Frauen, LGBTQ. Indem der »Überlebensinstinkt« geweckt werde, »lähmt uns die Angst. Sie raubt uns die Hoffnung und die Fähigkeit zur Mitmenschlichkeit.«
Der Angst Herr zu werden, ist allerdings keine Banalität. Dafür nannte Abu-Jamal das Beispiel eines Türken, der in einem Broadcast seine Angst vor syrischen Flüchtlingen geäußert habe, die wiederum aus Angst um ihr Leben aus dem Bürgerkriegsland Syrien in die Türkei geflohen waren. Einmal erzeugte Angst kann also einen Dominoeffekt von Ängsten auslösen.
Auf der Luxemburg-Konferenz sprach auch Jennifer Black, die zusammen mit Abu-Jamal kürzlich ein Buch mit dem Titel »Beneath the Mountain. An Anti-Prison-Reader« herausgegeben hat. Sie ist Spezialistin der Angst-Problematik und forscht am State College in Pennsylvania zu Hochrisiko-Aktivismus, Staatsterror, Ungerechtigkeiten in der Strafjustiz, Masseninhaftierungen und zur Theorie der sozialen Bewegungen. Hoffentlich liegt das von ihr und Abu-Jamal edierte Buch bald auch auf Deutsch vor. Es enthält Texte von Menschen aus den letzten 200 Jahren, die selbst »unter der Last« der Sklaverei und des brutalen Gefängnissystems der USA litten, sich aber selbstbewusst dagegen gewehrt und für eine humane Gesellschaft eingesetzt haben. Diese mutigen Kämpfer hatte Abu-Jamal im Blick, als er in seinem Statement davon sprach, dass die Angst eine »Emotion« sei, die überwindbar ist, wenn sich Menschen zusammenschließen, um organisiert gegen das neoliberale System vorzugehen, das die ängstlichem Ellenbogengesellschaften hervorbringt. Voraussetzung ist freilich, dass wir die Erzeugung von Ängsten als politisches Spiel erkennen, das uns zu manipulieren versucht und für rechte Politik und letztlich auch für Kriege instrumentalisieren will, in denen Arbeiter gegen Arbeiter kämpfen.
Abu-Jamal war einer der ersten der – über Prison Radio – mit großer Freude auf die Nachricht reagiert hat, dass der scheidende Präsident Joe Biden mit einer seiner letzten Amtshandlungen am 20. Januar den ebenfalls wegen angeblichem Polizistenmord verurteilten Aktivisten des American Indian Mouvement, Leonard Peltier, zwar nicht begnadigte, aber doch verfügt hat, ihn in Hausarrest zu entlassen. Peltier sei – so Abu-Jamal – ein »Kämpfer für sein Volk, ein fantastischer Künstler, ein liebenswerter Vertreter des menschlichen Geschlechts und ein Mann, der ganz er selbst blieb, ungeachtet aller Gebrechen, die Zeit und Alter ihm bescherten«.
Seit 1975 – also seit 50 Jahren – sitzt Peltier unter erschwerten Bedingungen in verschiedenen Gefängnissen ein und hat, wie Abu-Jamal, aus der Haft heraus publiziert. Vor allem ist er als Maler bekannt geworden. Sogar Hollywood-Stars sind stolz, Gemälde von ihm zu besitzen. Schon lange leidet Peltier an Diabetes und Nerventaubheit an Händen und Füßen: er benötigt zwei Operationen.
Trotz Bidens Geste bleibt der unbewiesene Schuldvorwurf erhalten, und es gibt auch kein Anrecht auf Entschädigung. Dennoch teilt Abu-Jamal Peltiers Erleichterung, der sagte, dass sich seine Situation schlagartig »millionenfach« verbessert habe. Am 18. Februar wird er zu seiner Familie in das Turtle Mountain Reservat zurückkehren und kann dann auch angemessene medizinische Behandlung erhalten.
Dass der Erlass über Peltiers bedingte Befreiung am selben Tag verfügt wurde, an dem auch eine große Zahl Palästinenser – vor allem Frauen und Jugendliche – aus israelischen Gefängnissen entlassen werden mussten, bezeichnet Abu-Jamal als einen doppelten Sieg des Widerstands – und auch als ein Zeichen, dass Menschen die Angst besiegen können. Er will uns vermitteln: Das Einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst.