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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kämpfer gegen die Furcht

Auf der 30. Inter­na­tio­na­len Rosa-Luxem­burg-Kon­fe­renz am 11. Janu­ar, kam auch in die­sem Jahr der wegen angeb­li­chem Poli­zi­sten­mord lebens­läng­lich seit 1991 in Frackville/​Pennsylvania ein­ge­ker­ker­te Jour­na­list und Autor Mumia Abu-Jamal per Direkt­schal­te vom Pri­son Radio zu Wort. Mit sei­ner nach wie vor unge­bro­che­nen, hoch cha­ris­ma­ti­schen Stim­me ana­ly­sier­te er psy­cho­lo­gi­sche Mecha­nis­men des welt­wei­ten, beson­ders aber in den rei­chen west­li­chen Län­dern viru­lent gewor­de­nen Rechts­trends beim Wahl­volk: Wenn Staa­ten ihre Pflich­ten gegen­über den Bür­gern nicht mehr erfül­len wol­len oder kön­nen, schü­ren sie Frem­den­hass. Rech­te Poli­ti­ker ver­stün­den es »mei­ster­haft, den Men­schen Angst zu machen« – Angst vor Migran­ten, Schwar­zen, Frau­en, LGBTQ. Indem der »Über­le­bens­in­stinkt« geweckt wer­de, »lähmt uns die Angst. Sie raubt uns die Hoff­nung und die Fähig­keit zur Mitmenschlichkeit.«

Der Angst Herr zu wer­den, ist aller­dings kei­ne Bana­li­tät. Dafür nann­te Abu-Jamal das Bei­spiel eines Tür­ken, der in einem Broad­cast sei­ne Angst vor syri­schen Flücht­lin­gen geäu­ßert habe, die wie­der­um aus Angst um ihr Leben aus dem Bür­ger­kriegs­land Syri­en in die Tür­kei geflo­hen waren. Ein­mal erzeug­te Angst kann also einen Domi­no­ef­fekt von Äng­sten auslösen.

Auf der Luxem­burg-Kon­fe­renz sprach auch Jen­ni­fer Black, die zusam­men mit Abu-Jamal kürz­lich ein Buch mit dem Titel »Beneath the Moun­tain. An Anti-Pri­son-Rea­der« her­aus­ge­ge­ben hat. Sie ist Spe­zia­li­stin der Angst-Pro­ble­ma­tik und forscht am Sta­te Col­lege in Penn­syl­va­nia zu Hoch­ri­si­ko-Akti­vis­mus, Staats­ter­ror, Unge­rech­tig­kei­ten in der Straf­ju­stiz, Mas­sen­in­haf­tie­run­gen und zur Theo­rie der sozia­len Bewe­gun­gen. Hof­fent­lich liegt das von ihr und Abu-Jamal edier­te Buch bald auch auf Deutsch vor. Es ent­hält Tex­te von Men­schen aus den letz­ten 200 Jah­ren, die selbst »unter der Last« der Skla­ve­rei und des bru­ta­len Gefäng­nis­sy­stems der USA lit­ten, sich aber selbst­be­wusst dage­gen gewehrt und für eine huma­ne Gesell­schaft ein­ge­setzt haben. Die­se muti­gen Kämp­fer hat­te Abu-Jamal im Blick, als er in sei­nem State­ment davon sprach, dass die Angst eine »Emo­ti­on« sei, die über­wind­bar ist, wenn sich Men­schen zusam­men­schlie­ßen, um orga­ni­siert gegen das neo­li­be­ra­le System vor­zu­ge­hen, das die ängst­li­chem Ellen­bo­gen­ge­sell­schaf­ten her­vor­bringt. Vor­aus­set­zung ist frei­lich, dass wir die Erzeu­gung von Äng­sten als poli­ti­sches Spiel erken­nen, das uns zu mani­pu­lie­ren ver­sucht und für rech­te Poli­tik und letzt­lich auch für Krie­ge instru­men­ta­li­sie­ren will, in denen Arbei­ter gegen Arbei­ter kämpfen.

Abu-Jamal war einer der ersten der – über Pri­son Radio – mit gro­ßer Freu­de auf die Nach­richt reagiert hat, dass der schei­den­de Prä­si­dent Joe Biden mit einer sei­ner letz­ten Amts­hand­lun­gen am 20. Janu­ar den eben­falls wegen angeb­li­chem Poli­zi­sten­mord ver­ur­teil­ten Akti­vi­sten des Ame­ri­can Indi­an Mou­ve­ment, Leo­nard Pel­tier, zwar nicht begna­dig­te, aber doch ver­fügt hat, ihn in Haus­ar­rest zu ent­las­sen. Pel­tier sei – so Abu-Jamal – ein »Kämp­fer für sein Volk, ein fan­ta­sti­scher Künst­ler, ein lie­bens­wer­ter Ver­tre­ter des mensch­li­chen Geschlechts und ein Mann, der ganz er selbst blieb, unge­ach­tet aller Gebre­chen, die Zeit und Alter ihm bescherten«.

Seit 1975 – also seit 50 Jah­ren – sitzt Pel­tier unter erschwer­ten Bedin­gun­gen in ver­schie­de­nen Gefäng­nis­sen ein und hat, wie Abu-Jamal, aus der Haft her­aus publi­ziert. Vor allem ist er als Maler bekannt gewor­den. Sogar Hol­ly­wood-Stars sind stolz, Gemäl­de von ihm zu besit­zen. Schon lan­ge lei­det Pel­tier an Dia­be­tes und Ner­ven­taub­heit an Hän­den und Füßen: er benö­tigt zwei Operationen.

Trotz Bidens Geste bleibt der unbe­wie­se­ne Schuld­vor­wurf erhal­ten, und es gibt auch kein Anrecht auf Ent­schä­di­gung. Den­noch teilt Abu-Jamal Pel­tiers Erleich­te­rung, der sag­te, dass sich sei­ne Situa­ti­on schlag­ar­tig »mil­lio­nen­fach« ver­bes­sert habe. Am 18. Febru­ar wird er zu sei­ner Fami­lie in das Turt­le Moun­tain Reser­vat zurück­keh­ren und kann dann auch ange­mes­se­ne medi­zi­ni­sche Behand­lung erhalten.

Dass der Erlass über Pel­tiers beding­te Befrei­ung am sel­ben Tag ver­fügt wur­de, an dem auch eine gro­ße Zahl Palä­sti­nen­ser – vor allem Frau­en und Jugend­li­che – aus israe­li­schen Gefäng­nis­sen ent­las­sen wer­den muss­ten, bezeich­net Abu-Jamal als einen dop­pel­ten Sieg des Wider­stands – und auch als ein Zei­chen, dass Men­schen die Angst besie­gen kön­nen. Er will uns ver­mit­teln: Das Ein­zi­ge, was wir fürch­ten müs­sen, ist die Furcht selbst.