Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Jugendstudien: Alles, was rechts ist?

Wie rechts ist die deut­sche Jugend? Wer das wis­sen will, muss sich zunächst sei­nes eige­nen Koor­di­na­ten­sy­stems ver­ge­wis­sern. Denn für Jung und Alt ist da seit eini­ger Zeit eini­ges ganz schön unüber­sicht­lich gewor­den. Was bedeu­tet es z. B. für sich als links ver­ste­hen­de Men­schen, wenn sie hören, dass ein renom­mier­ter mar­xi­sti­scher Gelehr­ter inzwi­schen von sich sagt: »Ich bin nicht links, ich bin Kom­mu­nist«. In der Wochen­zei­tung Frei­tag vom 4. März 2022 schreibt der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Georg Fül­berth kurz nach dem Beginn des Ukrai­ne-Krie­ges Ende Febru­ar 2022: »Am 25. Febru­ar fand eine Son­der­sit­zung des Bun­des­tags statt. Die Links­par­tei lehn­te Waf­fen­ex­por­te in die Ukrai­ne und die Erhö­hung der Rüstungs­aus­ga­ben ab, nicht aber Sank­tio­nen. Ami­ra Moha­med Ali, die Co-Vor­sit­zen­de der Links­frak­ti­on, mach­te Vor­schlä­ge für deren Fein­ju­stie­rung. Die jahr­zehn­te­lan­ge Nato-Ost­erwei­te­rung kri­ti­sier­te sie nicht. Dies über­ließ sie der AfD-Abge­ord­ne­ten Ali­ce Wei­del und auch ande­ren Red­nern von deren Frak­ti­on, die in die­sem Punkt (…) die Oppo­si­ti­ons­füh­rung über­nahm, anstel­le der Linkspartei.«

Fan­gen wir also mit der Ord­nung unse­rer Begrif­fe an – im Sin­ne des ita­lie­ni­schen Rechts­phi­lo­so­phen Nober­to Bob­bio.: Was ist links? »Links« soll sein der Ein­satz für sozia­le Gleich­heit und Gerech­tig­keit, für Demo­kra­ti­sie­rung und für Abrü­stung sowie fried­li­che Koexi­stenz im Gei­ste inter­na­tio­na­ler Soli­da­ri­tät. Was ist rechts? »Rechts« soll sein der Ein­satz oder die Akzep­tanz für sozia­le Ungleich­heit, für auto­ri­tä­re Bevor­mun­dung der Mehr­heit der Bevöl­ke­rung und für mili­tä­ri­sche Auf­rü­stung sowie natio­nal-ego­isti­sche Herr­schafts- und Macht­po­li­tik im Gei­ste inter­na­tio­na­ler Kon­kur­renz und Kampf gegen ande­re Staa­ten. Was davon zeich­net die Ampel-Regie­rung aus und was die Oppo­si­ti­ons­par­tei­en? Wie viel davon wird von wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en erfragt und von ein­fluss­rei­chen Medi­en berichtet?

Spre­chen wir zunächst über die The­ma­ti­sie­rung der Stu­die »Jugend in Deutsch­land 2024« (Schnetzer/​Hurrelmann/​Hampel 2024) in ver­schie­de­nen Leit­me­di­en. Für die reprä­sen­ta­ti­ve Stu­die wur­den im Janu­ar und Febru­ar 2024 etwa 2000 jun­ge Leu­te von 14 bis 29 Jah­ren befragt. Sie gaben Ant­wor­ten zu ihrer Par­tei­prä­fe­renz, zur Zufrie­den­heit mit ihrer per­sön­li­chen Lage (Finan­zen, Gesund­heit, beruf­li­che Chan­cen) und zu ihrer Beur­tei­lung der gesell­schaft­li­chen Lage (Wirt­schaft, Zusam­men­halt, poli­ti­sche Ver­hält­nis­se, Lebens­qua­li­tät in Deutsch­land). Im Ver­gleich zu den Befra­gun­gen der Vor­jah­re, so die Fest­stel­lung, ist die jun­ge Gene­ra­ti­on unzu­frie­de­ner gewor­den, beson­ders hin­sicht­lich ihrer gesell­schaft­lich-wirt­schaft­li­chen Lage. In der Tages­schau vom 23. April 2024 wur­den die wich­tig­sten Ergeb­nis­se zusam­men­ge­fasst: »Die gro­ßen Sor­gen der jun­gen Men­schen in Deutsch­land auf­grund von Infla­ti­on (65 Pro­zent), teu­rem Wohn­raum (54 Pro­zent) und Alters­ar­mut (48 Pro­zent), aber auch die Spal­tung der Gesell­schaft (49 Pro­zent) oder die Zunah­me von Flücht­lings­strö­men (41 Pro­zent) füh­ren zu hoher Unzu­frie­den­heit der jun­gen Gene­ra­ti­on mit ihrer Lebens­si­tua­ti­on und den poli­ti­schen Ver­hält­nis­sen.« Inter­es­san­ter­wei­se lässt der Autor des Bei­trags ver­schie­de­ne wich­ti­ge Sor­gen­ver­ur­sa­cher außen vor, genau­so wie deren Ent­wick­lung in den letz­ten zwei Jah­ren: Da wären vor allem der »Krieg in Euro­pa und in Nah­ost« mit immer­hin 60 Pro­zent (2022: 68; 2023: 59), der Kli­ma­wan­del mit 49 Pro­zent (2022: 55, 2023: 52), die Sor­gen hin­sicht­lich der »Wirt­schafts­kri­se« mit 48 Pro­zent (2022: 39; 2023: 45) oder auch das »Erstar­ken rechts­extre­mer Par­tei­en« mit 44 Pro­zent der Befrag­ten (2022: 35; 2023: 32). Schaut man die­se Anga­ben unbe­fan­gen an, so kann man unmög­lich zum Ergeb­nis kom­men, dass »die Jugend« rechts ein­ge­stellt ist. Sicht­bar wird jedoch eine Spal­tung der jun­gen Generation.

Wei­ter mit dem Tages­schau­be­richt: »Im Ver­gleich zu den frü­he­ren Stu­di­en scheint die Stim­mung der­zeit zu kip­pen. Das zeigt sich an einem hohen Aus­maß von psy­chi­schen Bela­stun­gen wie Stress, den 51 Pro­zent der Befrag­ten ange­ben. Ähn­lich zur Erschöp­fung (36 Pro­zent) und der Hilf­lo­sig­keit (17 Pro­zent), die in den ver­gan­ge­nen drei Jah­ren trotz des Abflau­ens der Coro­na-Pan­de­mie wei­ter ange­stie­gen sind. Es geben elf Pro­zent der Befrag­ten an, aktu­ell wegen psy­chi­scher Stö­run­gen in Behand­lung zu sein.« Dies wird noch deut­li­cher, zieht man die bei­den Vor­jah­res­wer­te hin­zu: Dem­nach haben sich von 2022 über 2023 bis 2024 Stress (45, 46, 51 Pro­zent), Erschöp­fung (32, 35, 36 Pro­zent), Gereizt­heit (22, 24, 25 Pro­zent), Hilf­lo­sig­keit (13, 14, 17 Pro­zent) oder Sui­zid­ge­dan­ken (7, 6, 8 Pro­zent) deut­lich erhöht. .

Öffent­li­ches Inter­es­se fand aber in allen »Leit­me­di­en« an erster Stel­le die von der Jugend­stu­die behaup­te­te Par­tei­en­prä­fe­renz. Bei­spiel Tages­schau: »Die AfD ste­he laut ihrer Befra­gung mit 22 Pro­zent aktu­ell an der Spit­ze der Wäh­ler­gunst bei den unter 30-Jäh­ri­gen (2022: 9 Pro­zent). AfD und CDU/​CSU hät­ten stark in der Gunst zuge­legt, die Regie­rungs­par­tei­en enorm ver­lo­ren. Dem­nach wür­den sich 20 Pro­zent für die CDU ent­schei­den (2022: 16 Pro­zent). Alle wei­te­ren Par­tei­en ver­lie­ren bei der jun­gen Gene­ra­ti­on Stim­men: Die Grü­nen lie­gen in der Gunst der jun­gen Wäh­ler zur­zeit bei 18 Pro­zent (2022: 27 Pro­zent), die SPD bei 12 Pro­zent (2022: 14 Pro­zent), die FDP bei acht Pro­zent (2022: 19 Pro­zent). Ein Vier­tel bezeich­ne­te sich als unentschlossen.«

Doch trotz der sin­ken­den Ampel-Wer­te und stei­gen­der Uni­ons- und AFD-Wahl­ab­sich­ten kann »die Jugend« kaum als »rechts« gekenn­zeich­net wer­den, wie dies in vie­len Bei­trä­gen nach Ver­öf­fent­li­chung der Stu­die gesche­hen ist. Denn was ist »rechts«, was ist »links«? In Ver­bin­dung mit den ermit­tel­ten Sor­gen vie­ler jun­ger Men­schen, ist z. B. die gesun­ke­ne Zustim­mung zur Ampel kei­nes­wegs »rechts«. Genau­so wenig lässt sich ein »Rechts­ruck« mit der 5-Pro­zent-Zustim­mung zum Bünd­nis Sahra Wagen­knecht (BSW) oder den stei­gen­den Zah­len bei den Unent­schlos­se­nen belegen.

Dass die vor­herr­schen­de ver­öf­fent­lich­te Mei­nung in Poli­tik, Medi­en und Wis­sen­schaft auch nach der Euro­pa­wahl auf die Dra­ma­ti­sie­rung einer angeb­li­chen Rechts­ent­wick­lung unter jun­gen Men­schen zielt, zei­gen die nack­ten Zah­len: Die AFD wur­de von der gesam­ten Wahl­be­völ­ke­rung zu 16 Pro­zent gewählt und bei den unter 25Jährigen erhielt sie eben­falls 16 Pro­zent. Das bedeu­tet zwar für die unter 25Jährigen eine Ver­drei­fa­chung der AFD-Pro­zen­te im Ver­hält­nis zur letz­ten EU-Wahl (und eine Ver­drit­te­lung der Grü­nen-Pro­zen­te), jedoch kei­nen wesent­li­chen »Aus­rei­ßer« im Ver­hält­nis zu den älte­ren Alters­grup­pen. Im Gegen­teil. Denn wäh­rend der Baye­ri­sche Rund­funk am 11. Juni 2024 titel­te »Euro­pa­wahl 2024: Arbei­ter­par­tei AfD – die Jugend wählt rechts«, konn­ten die ver­link­ten Stu­di­en­ergeb­nis­se von Infra­test Dimap auf der glei­chen Home­page die Behaup­tung über »die Jugend« deut­lich ent­kräf­ten. Zwar erhielt die AFD bei den Arbei­tern tat­säch­lich von allen Par­tei­en die höch­sten Wer­te (33 Pro­zent), konn­te das aber für die Jung­wäh­ler kei­nes­wegs von sich sagen. Bei den 16- bis 24-jäh­ri­gen Wäh­lern schnit­ten die Uni­on mit 17 Pro­zent, die AFD mit 16 Pro­zent, die Grü­nen mit 11 Pro­zent, die SPD mit 9 Pro­zent, die FDP mit 7 Pro­zent, die LINKE mit 6 Pro­zent und das BSW mit 6 Pro­zent ab. Zugleich wähl­ten etwa 28 Pro­zent der jun­gen Wäh­ler nicht-eta­blier­te Par­tei­en, wie DIE PARTEI, VOLT, Tier­schutz­par­tei usw. 84 Pro­zent der Jungwähler/​innen gaben ihre Stim­me also nicht der AFD. Eine Über­schrift wie »die Jugend wählt rechts« ist somit falsch.

Auf­ge­teilt auf alle Alters­grup­pen ermit­tel­te Infra­test Dimap für die Gesamt­wäh­ler­schaft: 16 Pro­zent für die AFD (wie gesagt) bei den 16- bis 24Jährigen, 18 Pro­zent bei den 25- bis 34Jährigen, 20 Pro­zent bei den 35- bis 44Jährigen. Bei den 45- bis 59Jährigen wie­der 18 Pro­zent, bei den 60- bis 69Jährigen 15 Pro­zent und bei den über 70Jährigen nur 8 Pro­zent. Wenn also eine Alters­grup­pe als beson­ders AFD-affin beschrie­ben wer­den könn­te, so wären dies die 35- bis 44Jährigen. »Die« Jugend unter 25 lässt sich dem­ge­gen­über eher als »durch­schnitt­lich« beschreiben.

Den­noch spricht fast der gesam­te libe­ra­le Medi­en-Main­stream von ARD, ZDF, SWR, Süd­deut­sche, Stern, Deutsch­land­funk, Baye­ri­scher Rund­funk usw. seit der Jugend­stu­die von Schnetzer/​Hurrelmann/​Hampel und nach den EU-Wah­len vom »Rechts­ruck« der Jugend. Nur die FAZ vom 20. Juni 2024 kam nach einer wei­te­ren Jugend-Befra­gung durch das Allens­bach-Insti­tut zu einer kon­trä­ren Ansicht: »17 Pro­zent der Deut­schen unter 30 fin­den die AfD am sym­pa­thisch­sten. Ins­ge­samt ist die Jugend aber eher links als rechts, wie eine Allens­bach-Umfra­ge für die FAZ zeigt. In den ver­gan­ge­nen Mona­ten gab es wie­der­holt auf­ge­reg­te öffent­li­che Dis­kus­sio­nen über die poli­ti­sche Ori­en­tie­rung der jun­gen Gene­ra­ti­on. Vor weni­gen Jah­ren sei sie noch über­wie­gend links gewe­sen, habe sich vor allem für Umwelt- und Kli­ma­schutz inter­es­siert, nun sei sie nach rechts gerückt, sei fru­striert und per­spek­tiv­los und habe sich unter dem Ein­fluss der sozia­len Medi­en der AfD zuge­wandt.« Doch, so der FAZ-Autor Tho­mas Peter­sen: »Wer jung ist, steht eher links der Mitte.«

Doch ist damit die Fra­ge geklärt, was links ist und was rechts?

Was der Medi­en-Main­stream in den letz­ten Jah­ren jun­gen Men­schen für ihre poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on so anzu­bie­ten hat­te, geht auf kei­ne Kuh-Haut: Wer Coro­na-Nar­ra­ti­ve und -Maß­nah­men kri­ti­sier­te, war »AFD-nah« und »rechts«, wer sich nicht imp­fen las­sen woll­te, war »Nazi«, »Impf-Ter­ro­rist« und »Sozi­al­schäd­ling« (vgl. Frei­tag v. 27. Juni 2024); wer gegen Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne argu­men­tiert, ist wie die AFD, also »rechts«; wer die Kriegs­ver­bre­chen in Gaza ablehnt, ist bestimmt »rechts« (aber nicht wie die AFD, die das in Ord­nung fin­det; geht ja gegen Mus­li­me); wer nicht stern­chen-gen­dert, spricht wie die AFD; wer sich die Kli­ma­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung (Wär­me­pum­pen, Frack­ing-Gas, Ver­bren­ner-Aus­stieg, E-Autos) nicht lei­sten kann oder will, ist ein »Kli­ma-Leug­ner«, also eben­falls rechts und mit der AFD. Bei der Anzahl der hier­bei Dif­fa­mier­ten ist es fast ein Wun­der, dass nicht noch viel mehr jun­ge wie alte Men­schen zur AFD-Wahl getrie­ben wurden.

Ein poli­ti­scher, wis­sen­schaft­li­cher und media­ler Main­stream for­dert ver­lo­gen »Nie wie­der Krieg – nie wie­der Faschis­mus«. Alle völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriffs­krie­ge durch Nato-Staa­ten in den letz­ten drei Jahr­zehn­ten blen­det der Main­stream aus. Die eige­ne Kom­pli­zen­schaft beim sau­di­schen Krieg im Jemen, das eige­ne Schwei­gen zum aser­bai­dscha­ni­schen Angriff auf Arme­ni­en sowie zu den tür­ki­schen oder israe­li­schen Aggres­sio­nen gegen Irak oder Syri­en inter­es­sie­ren seit eini­gen Jah­ren genau­so wenig. Der ein­zi­ge völ­ker­rechts­wid­ri­ge Angriffs­krieg ist offen­bar der Krieg Russ­lands in der Ukrai­ne seit dem 24. Febru­ar 2022 – ohne Berück­sich­ti­gung der Vor­ge­schich­te, ver­steht sich: Nato-Expan­sio­nis­mus seit Jahr­zehn­ten, Regime-Chan­ge vor über 10 Jah­ren mit Natio­na­li­sten und Neo-Faschi­sten, Bom­bar­de­ment der ost­ukrai­ni­schen Zivil­be­völ­ke­rung mit schwe­rer Artil­le­rie durch von Nato-Staa­ten bewaff­ne­te Kie­wer-Mili­tärs und rechts­extre­me Para­mi­li­tärs seit 2014? Hat es alles nicht gege­ben; alles nur Kreml-Pro­pa­gan­da. Also »rechts«.

Abge­se­hen von Marie-Agnes Strack-Zim­mer­mann, der »Euro­figh­te­rin«, der fana­ti­schen Rus­sen-Has­se­rin und Rüstungs-Lob­by­istin der FDP, dem, so die Heu­te Show, selbst-ernann­ten »Ich-bin-gut-für-den-Volkssturm«-Mitglied pla­ka­tier­ten im EU-Wahl­kampf die GRÜNEN für »Anti­fa­schis­mus« und die SPD für »FRIEDEN«. Für alle drei Ampel-Par­tei­en, für die CDU/​CSU sowie für die AFD steht fest, dass Mili­ta­ri­sie­rung, Auf­rü­stung und die »Kriegs­tüch­tig­keit« Deutsch­lands vor­an­ge­trie­ben wer­den sol­len. Eine ein­drucks­vol­le, aber nicht so benann­te »Quer­front« zwi­schen »rechts« und »links«, die sich hin­sicht­lich der Kom­pli­zen­schaft bei der geno­zi­da­len »Selbst­ver­tei­di­gung« der siebt­stärk­sten Atom-Macht der Welt im Gaza-Strei­fen noch ein­mal unter­strei­chen lässt. Es muss nicht erwähnt wer­den, dass der poli­ti­sche, media­le und wis­sen­schaft­li­che Main­stream dar­an kei­ner­lei Anstoß nimmt. Das macht er mit Regel­mä­ßig­keit nur dann, wenn zum Bei­spiel lin­ke Poli­ti­ker gegen Waf­fen­lie­fe­run­gen in die Ukrai­ne und für Diplo­ma­tie plä­die­ren und AFD-Poli­ti­ker dem zustim­men. Erst dann han­delt es sich natür­lich um eine zu ver­teu­feln­de »Quer­front«. Ähn­li­ches konn­te auch im Zusam­men­hang mit der Kri­tik der Coro­na-Maß­nah­men fest­ge­stellt wer­den. Wer für Schul-Öff­nun­gen oder gegen die Impf­pflicht war, woll­te bestimmt »über Lei­chen gehen« und war ein »Coro­na-Leug­ner«, »Covidi­ot« oder gleich »Nazi«, also rechts. Für einen jun­gen Men­schen, der unter die­sen poli­ti­schen und media­len Bedin­gun­gen auf­ge­wach­sen ist, dürf­te es eini­ger­ma­ßen schwer sein, sich im »Rechts-Links«-Koordinaten-System zurechtzufinden.

In der Zwi­schen­zeit wur­de ein »Geheim­plan gegen Deutsch­land« ent­deckt. Das von der Bun­des­re­gie­rung geför­der­te Recher­che-Por­tal Cor­rec­tiv ermit­tel­te im Novem­ber 2023 »Depor­ta­ti­ons­plä­ne« und eine Art »Wann­see-Kon­fe­renz 2.0«. Im Janu­ar 2024 wur­de die Öffent­lich­keit über das rech­te Tref­fen in der Pots­da­mer Vil­la Adlon und über die dort dis­ku­tier­ten »gehei­men« Plä­ne zur »Remi­gra­ti­on« von Asyl­su­chen­den oder Aus­län­dern mit Blei­be­recht sowie bestimm­ten Deut­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund infor­miert – und demon­striert seit­her auch brav dage­gen, also »gegen rechts« und »für die Demo­kra­tie«. Wenn es etwas gibt, was deut­sche Rech­te seit über 100 Jah­ren fort­wäh­rend for­dern, so ist dies die Aus­sied­lung, Aus­wei­sung, Abschie­bung von (wahl­wei­se und je nach Ver­ständ­nis) man­chen bis allen »Nicht-Deut­schen«. Die auch von der Syl­ter Bour­geoi­sie-Jugend gesun­ge­ne »Ausländer-raus«-Parole ist dem­nach kein »Geheim­nis« des deut­schen Rechts­extre­mis­mus. Umso bes­ser, wenn sich Men­schen gemein­sam dage­gen­stel­len. War­um aber Demon­stran­ten – wie in Pots­dam – akzep­tie­ren, dass an ihrer Sei­te Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz und Bun­des­au­ßen­mi­ni­ste­rin Anna­le­na Baer­bock ste­hen, erschließt sich nicht. Immer­hin hat­te Scholz gera­de beschlos­sen, »im gro­ßen Maße abzu­schie­ben« (also »Remi­gra­ti­on« zu betrei­ben). Und Anna­le­na Baer­bock hat­te schon im Juni 2023 dem so genann­ten »Asyl­kom­pro­miss« der EU zuge­stimmt, also Grenz­ver­fah­ren mit Haft­la­gern an der EU-Außen­gren­ze, von denen auch Kin­der nicht gene­rell aus­ge­nom­men sein sol­len. Dabei hät­ten die deut­schen Grü­nen den Beschluss ver­hin­dern können.

Es gibt zahl­lo­se wei­te­re Bei­spiel für rech­te Poli­tik unter lin­ker Flag­ge. Die Regie­rung hat die Unter­ver­sor­gung des Bil­dungs­we­sens, der Flücht­lings­be­treu­ung, des Bür­ger­gel­des oder der Kin­der­grund­si­che­rung zu ver­ant­wor­ten, aber bläht den Rüstungs­etat, das Mili­tär, die Waf­fen­ex­por­te immer wei­ter auf – inklu­si­ve der damit ver­bun­de­nen Eskalationsgefahren.

DAS ist rechts, DAS ist lebens­ge­fähr­li­che, rech­te Poli­tik. Als »rechts« dif­fa­miert wer­den aber nur ihre Kritiker.

Auch vor die­sem Hin­ter­grund soll­ten die ver­schie­de­nen Jugend-Stu­di­en und deren poli­ti­sche, media­le und wis­sen­schaft­li­che The­ma­ti­sie­rung kri­tisch betrach­tet wer­den. Es drängt sich der Ver­dacht auf, dass sich die ver­öf­fent­lich­te Mei­nung fast aus­schließ­lich dafür inter­es­siert, wie vie­le jun­ge Men­schen beab­sich­ti­gen, die AFD und NICHT die eta­blier­ten Par­tei­en zu wäh­len. Wie vie­le also nach »rechts« drif­ten und nicht die herr­schen­de rech­te Poli­tik »der Mit­te« unter­stüt­zen. Die Lebens­la­gen und Sor­gen der jun­gen Wäh­ler schei­nen neben­säch­lich zu sein, inter­es­sie­ren nicht. Womit womög­lich eine zen­tra­le Ursa­che für die trot­zi­ge Wahl der AFD benannt wäre. Wes­sen Kri­tik und Zwei­fel stän­dig als »rechts« dif­fa­miert wer­den, wird sicher nicht mehr die­je­ni­gen wäh­len, die ihn auf die­se Wei­se in die Ecke drän­gen wollen.

 

Ausgabe 15.16/2024