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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Joe Bidens Zwangsjacke

Es wür­de auf Gesichts­ver­lust hin­aus­lau­fen, woll­te die EU von die­ser Über­ein­kunft noch ein­mal abrücken: Zwar soll das im Dezem­ber final aus­ge­han­del­te Inve­sti­ti­ons­ab­kom­men mit Chi­na erst Anfang 2022 wäh­rend der fran­zö­si­schen Rats­prä­si­dent­schaft unter­zeich­net wer­den, doch besie­gelt ist es alle­mal. Ein Erfolg der soeben zu Ende gegan­ge­nen deut­schen Ratspräsidentschaft.

Ein Agree­ment wie die­ses ist dazu ange­tan, die seit dem Wahl­sieg Joe Bidens gern beschwo­re­ne Rück­kehr zu gedeih­li­chen trans­at­lan­ti­schen Bezie­hun­gen zu beein­flus­sen, wenn nicht zu bela­sten. Die EU gibt zu ver­ste­hen, dass sie einem kon­fron­ta­ti­ven Ver­hält­nis zu Chi­na nichts abge­win­nen kann, weil damit nichts zu gewin­nen ist. Es geht ihr um eine mög­lichst stö­rungs­freie Han­del­sagen­da, gestützt auf einen gere­gel­ten Markt­zu­gang für euro­päi­sche wie chi­ne­si­sche Inve­sto­ren und einen fai­ren Wett­be­werb. Den sol­len weder unter­schied­li­che Arbeits­stan­dards (bei­de Sei­ten erken­nen die ILO-Kern­nor­men an) noch die jewei­li­ge Pra­xis des Kli­ma- und Umwelt­schut­zes verzerren.

Die Biden-Admi­ni­stra­ti­on steht im Unter­schied dazu vor der Fra­ge, ob sie den von ihren Vor­gän­gern geerb­ten Han­dels­krieg der Straf­zöl­le und Ein­fuhr­li­mi­tie­rung fort­set­zen soll. Egal, wie sie ver­fährt – der Kon­kur­renz mit Chi­na lässt sich schwer­lich ent­ge­hen, zumal nicht allein Riva­li­tät zwi­schen Welt­mäch­ten, son­dern ein Wett­be­werb der Syste­me aus­zu­tra­gen ist. Der chi­ne­si­sche Staats­ka­pi­ta­lis­mus bie­tet der libe­ra­len ame­ri­ka­ni­schen Ver­si­on die Stirn, er hat nicht nur vor einem Jahr­zehnt den Welt­fi­nanz­kol­laps ohne signi­fi­kan­te Bles­su­ren über­stan­den, son­dern zeigt sich auch der Coro­na-Kri­se gewach­sen. Schon im III. Quar­tal 2020 ver­buch­te die chi­ne­si­sche Öko­no­mie wie­der ein Plus von 4,9 Pro­zent beim Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP), was den Ein­bruch vom Früh­jahr aus­glei­chen und für die noch aus­ste­hen­de Jah­res­bi­lanz mit einem Zuwachs von zwei Pro­zent rech­nen ließ. Dies erscheint umso bemer­kens­wer­ter, als nach den vor­läu­fi­gen Anga­ben des Inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds (IWF) die gesam­te Welt­wirt­schaft 2020 um 4,4 Pro­zent geschrumpft sein dürfte.

Auch unter Donald Trump hat sich für die USA ein Trend fort­ge­setzt, der bereits wäh­rend der Prä­si­dent­schaft Barack Oba­mas (2009-2017) erkenn­bar war: Das Macht­ge­fäl­le zwi­schen den USA und Chi­na wird gerin­ger. In der Kon­se­quenz kol­li­die­ren auch die geo­po­li­ti­schen Ambi­tio­nen bei­der Staa­ten mehr als jemals zuvor. Dafür maß­ge­bend ist nicht allein Pekings Stre­ben nach einer Hege­mo­nie im asia­tisch-pazi­fi­schen Raum, vor­ran­gig im Süd­chi­ne­si­schen Meer, son­dern eine selbst­be­wuss­te öko­no­mi­sche Macht­pro­jek­ti­on. Sie zehrt von der 2013 gestar­te­ten Inve­sti­ti­ons­in­itia­ti­ve der »Neu­en Sei­den­stra­ße« (One Belt, One Road) und pro­fi­tiert von der im Novem­ber mit dem RCEP-Abkom­men eta­blier­ten Frei­han­dels­zo­ne 14 asia­ti­scher Staa­ten, dar­un­ter Japan, Süd­ko­rea, Austra­li­en, Neu­see­land und Indonesien.

So befin­det sich die fern­öst­li­che Volks­re­pu­blik in einer benei­dens­wer­ten Posi­ti­on: Sie kann abwar­ten und eine inzwi­schen erreich­te wirt­schaft­li­che Dyna­mik aus­ko­sten, die mit­ten in einer glo­ba­len Pan­de­mie zu Kri­sen­re­si­stenz ver­hilft. Joe Biden muss sich dem gewach­sen zei­gen, sein außen­po­li­ti­sches Ver­mö­gen wird sich im Umgang mit Chi­na bewei­sen, eher nicht dar­in, gro­ße bünd­nis­po­li­ti­sche Pflöcke ein­zu­schla­gen, um etwa der NATO wie­der mehr Halt zu geben.

Ohne­hin kann die west­li­che Alli­anz nicht davon »erlöst« wer­den, dass die seit lan­gem schwe­len­de Debat­te über mehr euro­päi­sche Eman­zi­pa­ti­on von Ame­ri­ka bis hin zu stra­te­gi­scher Auto­no­mie voll ent­brannt ist. Schon weil Emma­nu­el Macron der Regie­rung Mer­kel mit ihrer trans­at­lan­ti­schen Retro-Per­spek­ti­ve Paro­li bie­tet, bleibt die NATO von Sinn- und Stra­te­gie­fra­gen nicht ver­schont. Und so viel dürf­te unstrit­tig sein: Beharrt das Bünd­nis auf dem glo­ba­len Akti­ons­ra­di­us, ist das auf Dau­er nur rea­li­stisch, wenn die USA wie­der in gewohn­ter Wei­se als Füh­rungs­macht agie­ren. Wer­den sie? Kön­nen sie das überhaupt?

Wohl um dem tra­di­tio­nel­len Rol­len­ver­ständ­nis Gel­tung zu ver­schaf­fen, will Gene­ral­se­kre­tär Stol­ten­berg die NATO mit einer Chi­na-Agen­da ver­se­hen. Mehr eine poli­ti­sche als stra­te­gi­sche Opti­on, doch unver­kenn­bar dem Bestre­ben geschul­det, sich der Biden-Regie­rung als Sekun­dant ihres Chi­na-Kur­ses anzu­die­nen. Was sich vom Effekt her frei­lich erst dann beur­tei­len lässt, wenn es ein sol­ches Tableau tat­säch­lich gibt.

Eine Renais­sance des trans­at­lan­ti­schen Ein­ver­neh­mens dürf­te davon frei­lich weni­ger abhän­gen als vom Ver­hal­ten der künf­ti­gen US-Regie­rung bei inter­na­tio­na­len Kon­flik­ten, von denen Euro­pa nicht nur berührt, son­dern betrof­fen ist. Vom Ran­king her ste­hen dabei der Iran und das unge­klär­te Schick­sal des Nukle­ar­ab­kom­mens von 2015 oben­an. Es erscheint illu­sio­när, dar­auf zu hof­fen, dass sich die USA zügig wie­der einem Agree­ment anschlie­ßen, aus dem Donald Trump im Mai 2018 mit viel obses­si­ver Dra­ma­tik aus­ge­stie­gen ist. Woll­te Biden das kor­ri­gie­ren, brauch­te er das Wohl­ver­hal­ten des Iran, das nur dann zu erwar­ten wäre, soll­te der rigi­de Sank­ti­ons­mo­dus gelockert wer­den. Als Trump am 8. Mai 2018 eine Exe­cu­ti­ve Order unter­schrieb, nach der jedes aus­län­di­sche Unter­neh­men, das wei­ter mit dem Iran Geschäf­te macht, sank­tio­niert wird, stand eines außer Fra­ge: Die USA bre­chen das Atom­ab­kom­men, nicht die Isla­mi­sche Repu­blik, die zunächst auf Gegen­maß­nah­men ver­mut­lich in der Erwar­tung ver­zich­tet hat­te, die drei EU-Signa­tar­staa­ten – Groß­bri­tan­ni­en, Deutsch­land, Frank­reich (EU-3) – wür­den ihr bei­ste­hen, die ärg­sten Schä­den eines reso­lu­ten Embar­gos zu kom­pen­sie­ren. Was sich als irri­ge Hoff­nung erwies. Es fehl­te in der EU am Wil­len wie der Fähig­keit, einer eigen­stän­di­gen Iran-Poli­tik zu fol­gen. Nun hat sich Tehe­ran dar­an erin­nert und legt bei der Aus­ein­an­der­set­zung über sein Nukle­ar­pro­gramm wie­der auf Selbst­be­haup­tung Wert. Das galt schon 2002 bei den ersten Son­die­run­gen mit den EU-3, hat sich 2015 bei den fina­len Wie­ner Ver­hand­lun­gen über den Atom­deal fort­ge­setzt und bleibt bis heu­te so. Am 1. Janu­ar hat die ira­ni­sche Atom­be­hör­de die Inter­na­tio­na­le Atom­ener­gie­agen­tur IAEA von ihrer Absicht unter­rich­tet, eine begrenz­te Men­ge an Uran (120 Kilo­gramm) wie­der auf 20 Pro­zent anzu­rei­chern. Gin­ge es nach dem Nukle­ar­ver­trag, wären maxi­mal 3,67 Pro­zent erlaubt – nur hat das Abkom­men in sei­ner jet­zi­gen Form aus­ge­sorgt. Es anzu­pas­sen, bleibt ein from­mer Wunsch. Die Regie­rung Biden wird ihn nicht erfül­len. Kon­fron­ta­ti­on und Abwar­ten heißt die Devi­se, ein ent­spann­tes Ver­hält­nis zwi­schen den USA und Isra­el ver­spricht das allemal.

Dort hat­te die Dau­er­re­gie­rung von Ben­ja­min Netan­ja­hu ein zer­rüt­te­tes Ver­hält­nis zu Barack Oba­ma und sei­nem Zwei-Staa­ten-Ide­al für Palä­sti­na. Sie konn­te auf­at­men und auf­blü­hen, als ihr die Zeit mit Donald Trump beschie­den war. Der ließ die US-Bot­schaft nach Jeru­sa­lem ver­le­gen, erklär­te die israe­li­sche Sied­lungs­po­li­tik für völ­ker­rechts­kon­form (also qua­si unum­kehr­bar) und prä­sen­tier­te im Janu­ar 2020 einen Nah­ost­plan, der einen Palä­sti­nen­ser­staat als demi­li­ta­ri­sier­te Enti­tät auf höch­stens 70 Pro­zent der West­bank und als Haupt­stadt nicht Ost­je­ru­sa­lem, son­dern den Ost­je­ru­sa­le­mer Vor­ort Abu Dis vor­sah – eine defi­ni­ti­ve Absa­ge an den Oslo-Pro­zess. Auch von die­ser ver­stie­ge­nen Par­tei­lich­keit kön­nen Biden und sein Außen­mi­ni­ster Ant­o­ny Blin­ken nicht abrücken, ohne den Vor­wurf zu ris­kie­ren, damit die Sicher­heit Isra­els zu gefähr­den. Dort herrscht wie­der Wahl­kampf, weil vor­aus­sicht­lich am 23. März über die vier­te Knes­set in zwei Jah­ren zu ent­schei­den ist. Das heißt, die neue US-Regie­rung wird frü­he­stens Ende April, eher spä­ter wis­sen, mit wem sie es zu tun hat. Joe Biden sind außen­po­li­tisch nicht voll­ends die Hän­de gebun­den, doch bewe­gen kann er sich nicht eben viel.