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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Jan van Eyck – eine optische Sensation

Er wur­de schon im 16. Jahr­hun­dert als der eigent­li­che Grün­der­va­ter der gro­ßen nie­der­län­di­schen Maler­schu­le betrach­tet. Ver­mut­lich um 1390/​1400 gebo­ren und 1441 in Brüg­ge gestor­ben, war Jan van Eyck Hof­ma­ler und »valet de chambre« (Kam­mer­die­ner) des Her­zogs Phil­ipp des Guten von Bur­gund, der ihn auch mit eini­gen wich­ti­gen Mis­sio­nen betrau­te, und hat in den letz­ten zehn Lebens­jah­ren auch zahl­rei­che Tafeln für Bür­ger, Adli­ge und Kle­ri­ker geschaf­fen. Doch nur noch etwa 20 sind heu­te im Ori­gi­nal, eini­ge wei­te­re in alten Kopien erhal­ten. Schon um die Mit­te des 15. Jahr­hun­derts waren ein­zel­ne sei­ner Wer­ke bereits der Stolz fürst­li­cher Samm­lun­gen in Ita­li­en und Spa­ni­en, und sein offen­bar schon zu Leb­zei­ten bestehen­der Ruhm soll­te bis weit ins 16. Jahr­hun­dert hin­ein­wach­sen. Stolz wur­de er den ita­lie­ni­schen Mei­stern Michel­an­ge­lo, Raf­fa­el und Tizi­an sowie dem deut­schen Prot­ago­ni­sten Dürer als nie­der­län­di­sches Pen­dant an die Sei­te gestellt.

Die Ber­li­ner Gemäl­de­ga­le­rie besitzt allein drei Ori­gi­na­le, meh­re­re Wer­ke aus sei­ner Werk­statt und auch zeit­ge­nös­si­sche Kopien in ihrer Samm­lung flä­mi­scher Male­rei des 13. Jahr­hun­derts. In Vor­be­rei­tung eines wis­sen­schaft­li­chen Bestands­ka­ta­lo­ges der nie­der­län­di­schen und fran­zö­si­schen Male­rei von 1200 bis 1480 sind die in ihrem Besitz befind­li­chen Wer­ke van Eycks gemäl­de­tech­nisch unter­sucht und mit neue­sten Ver­fah­ren behut­sam restau­riert wor­den. So kommt gera­de zu die­sem Zeit­punkt die inter­ak­ti­ve digi­ta­le Pro­jek­ti­on der Wer­ke van Eycks, die vom Bozar-Cent­re for Fine Arts und dem KIK-IRPA (Roy­al Insti­tu­te for Cul­tu­ral Heri­ta­ge) in Brüs­sel ent­wickelt wur­de, höchst gelegen.

Die Wer­ke van Eycks kön­nen in wand­gro­ßem For­mat betrach­tet, selbst win­zig gele­ge­ne Ein­zel­hei­ten auf­ge­löst, wie­der­keh­ren­de Moti­ve mit­ein­an­der ver­gli­chen wer­den. Der Betrach­ter wird förm­lich in die Gemäl­de hin­ein­ge­zoomt (ein schreck­li­ches Wort, aber wie soll man es anders aus­drücken?) und erlebt die vir­tuo­se Mal­wei­se, den uner­schöpf­li­chen Detail­reich­tum, den man mit dem blo­ßen Auge über­haupt nicht wahr­neh­men kann. Mit der Lupe kann zudem der Betrach­ter eigen­stän­dig in den Mikro­kos­mos des Bil­des ein­tau­chen. Und doch bleibt die mime­ti­sche Qua­li­tät des Ori­gi­nals erhal­ten. Jan van Eycks Male­rei mit ihrem Ein­falls­reich­tum, ihrem das klein­ste Detail erfas­sen­den Rea­lis­mus und ihrer tech­ni­schen Voll­kom­men­heit konn­te noch nie so inten­siv erfasst werden.

Das Ver­kün­di­gungs­di­pty­chon (1433-1435) – es befin­det sich im Museo Nacio­nal Thys­sen-Bor­ne­mis­za in Madrid – zeigt van Eycks Aus­ein­an­der­set­zung mit der Drei­di­men­sio­na­li­tät. Im Medi­um mono­chro­mer Male­rei täuscht der Maler eine unge­fass­te Stein­skulp­tur vor. Maria und der Erz­engel Gabri­el ragen aus ihren sepa­ra­ten, fla­chen Nischen hin­aus in den Raum des Betrach­ters hin­ein. Die­se Augen­täu­sche­rei, die­ser Trompe-d’oeil-Effekt ist so per­fekt, dass die Gren­ze zwi­schen Bild­trä­ger und Rah­men auf­ge­ho­ben wird. Van Eyck mal­te nicht nur die Figu­ren sowie deren fin­gier­te Spie­ge­lun­gen täu­schend echt, son­dern hob auch die Illu­si­on von Skulp­tur durch die frei auf Maria zu schwe­ben­de Tau­be des Hei­li­gen Gei­stes auf, um die Über­le­gen­heit der Male­rei unter Beweis zu stel­len. Sei­ne klei­ne, auf 1437 datier­te Bar­ba­ra von Niko­me­di­en aus Ant­wer­pen, eine mono­chro­me Pin­sel­zeich­nung auf einer grun­dier­ten Holz­ta­fel, darf als »pro­gram­ma­ti­sches Kunst­stück« gel­ten. Die Ver­grö­ße­rung erweist es beson­ders deut­lich: Hin­ter der auf einer Anhö­he sit­zen­den Hei­li­gen ragt im Mit­tel­grund des Bil­des ihr Attri­but, der Turm, als Teil einer in Ent­ste­hung begrif­fe­nen Kir­che vor einer wei­ten Land­schaft auf. Detail­liert hat van Eyck hier den spät­go­ti­schen Bau­be­trieb in sei­nen zahl­lo­sen Arbeits­schrit­ten geschildert.

Der inten­si­ve Blick des Gold­schmie­des Jan de Lee­uw (1436) aus dem Kunst­hi­sto­ri­schen Muse­um Wien über­brückt die Distanz zwi­schen Kunst und Rea­li­tät und ist ein ein­dring­li­cher Beweis für van Eycks Genie. Dage­gen ist das Drei­vier­tel-Por­trät des Bau­douin de Lan­noy (um 1435) aus der Gemäl­de­ga­le­rie Ber­lin das ein­zi­ge erhal­te­ne Bild­nis, das uns einen Ein­blick in van Eycks Por­träts von bur­gun­di­schen Staats­män­nern gibt.

Ein Mei­ster­stück der Detailma­le­rei in klein­stem Maß­stab ist die Madon­na am Brun­nen (1439). Mit dem Bild­nis der Mar­ga­re­ta van Eyck aus Brüg­ge zählt es zu den spä­te­sten datier­ten Wer­ken. Hier ver­merk­te van Eyck auch sei­ne Devi­se »AIC IXH XAN« (So gut ich es ver­mag), was für einen Künst­ler der dama­li­gen Zeit von einem bemer­kens­wer­ten Selbst­be­wusst­sein zeugt. Das Por­trät der Frau des Malers ist in der Nähe der Licht­quel­le, einem Fen­ster, das sich in ihren Augen spie­gelt. Sie hat sich umge­dreht und sieht den Betrach­ter an. Der Hell-Dun­kel-Kon­trast wie­der­um ver­leiht dem Bild­nis eines Man­nes mit blau­em Cha­pe­ron (1428-1430) aus dem Bru­ken­thal-Muse­um in Sibiu eine inten­si­ve Pla­sti­zi­tät und Lebens­echt­heit. Die lin­ke Hand ruht illu­sio­ni­stisch auf dem (ver­schol­le­nen) Rah­men und die rech­te ragt schein­bar aus der Bild­ebe­ne heraus.

Der Gen­ter Altar in der Kathe­dra­le von Sankt Bavo – seit 2012 wird er auf­wän­dig restau­riert – gilt als Höhe­punkt der spät­mit­tel­al­ter­li­chen Kunst. Geöff­net misst das Reta­bel 375 cm in der Höhe und 520 cm in der Brei­te. Es besteht aus 12 ein­zel­nen Tafeln, von denen 8 klapp­bar und dop­pel­sei­tig bemalt sind. Statt des abge­tön­ten Kolo­rits und der fla­chen Bild­räu­me ent­fal­tet sich auf den Innen­flü­geln ein Leuch­ten und Schim­mern von Gold und Edel­stei­nen, Per­len, kost­ba­ren Stof­fen, im unte­ren Regi­ster auch tie­fe Land­schaf­ten mit üppi­ger Vege­ta­ti­on. Dort stre­ben auf den Flü­geln und der Mit­tel­ta­fel ver­schie­de­ne Grup­pen von Hei­li­gen auf das Lamm Got­tes – Sym­bol Chri­sti – zu, das im Zen­trum der Kom­po­si­ti­on auf einem Altar­tisch steht und aus sei­ner Sei­ten­wun­de Blut in einen Mess­kelch strö­men lässt. Über dem Lamm schwebt in einer Aureo­le die Tau­be des Hl. Gei­stes. Ein Brun­nen bezeich­net das Was­ser des Lebens. Hier wird eines der zen­tra­len Myste­ri­en der katho­li­schen Kir­che, die Eucha­ri­stie, anschau­lich nach­voll­zieh­bar gemacht. Wir haben es mit einem Aller­hei­li­gen­bild zu tun, wobei der Him­mel der Hei­li­gen durch eine herr­li­che Land­schaft wie­der­ge­ge­ben wird. In der Mit­te thront die Tri­ni­tät in der Gestalt Chri­sti, jener sicht­ba­ren Form, die Gott selbst bei der Mensch­wer­dung ange­nom­men hat. In senk­rech­ter Les­art lässt sich der mit der Tia­ra Bekrön­te eher als Gott­va­ter auf­fas­sen, der die unter ihm schwe­ben­de Tau­be und das Lamm Got­tes auf dem Altar zu einer anders gestal­te­ten Tri­ni­tät vervollständigt.

An den Rän­dern der Innen­ta­fel sind Adam und Eva, nackt und fast lebens­groß, dar­ge­stellt, sie erin­nern an den Sün­den­fall und die Ver­trei­bung aus dem Gar­ten Eden. Adam ist schrei­tend dar­ge­stellt, dabei scheint sein rech­ter Fuß aus der Bild­ebe­ne her­aus­zu­ra­gen. Eva hält in der Hand die Frucht vom Baum der Erkennt­nis, hier als Zitrus­frucht dar­ge­stellt. Bei­de bedecken die Scham mit Fei­gen­blät­tern – der Sün­den­fall ist also bereits gesche­hen. Die­se Dar­stel­lung ist für ein Altar­bild höchst ungewöhnlich.

Eycks Male­rei zeich­net sich vor allem durch eine außer­ge­wöhn­li­che Schau­lust aus. Stets ver­such­te der Künst­ler die sicht­ba­re Welt bis ins letz­te Detail zu erfas­sen. Dies spie­gelt sich in sei­nen wei­ten Land­schafts­hin­ter­grün­den wider, in sei­nen detail­rei­chen kirch­li­chen und pro­fa­nen Inte­ri­eur-Dar­stel­lun­gen sowie in sei­ner akri­bi­schen Wie­der­ga­be aller Gegen­stän­de, Ober­flä­chen und Stof­fe. Er sug­ge­riert sowohl Drei­di­men­sio­na­li­tät als auch All­an­sich­tig­keit, indem er die Sta­tu­en der Hei­li­gen sowie deren fin­gier­te Spie­ge­lun­gen täu­schend echt mal­te. All das wird nun durch die­se über­wäl­ti­gen­de Mul­ti­me­dia-Schau ganz nah, jedes Detail offen­ba­rend, an den Betrach­ter herangeholt.

War­um nur lässt man den Betrach­ter in der Deu­tung des Wer­kes van Eycks so allein, wäre ihm nicht doch wenig­stens ein Falt­blatt will­kom­men gewesen?

Zoom auf van Eyck. Mei­ster­wer­ke im Detail. Kul­tur­fo­rum, Gemäl­de­ga­le­rie, Mat­thäi­kirch­platz, Di bis Fr 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Sa + So 10-18 Uhr, bis 3. März 2024.