Er wurde schon im 16. Jahrhundert als der eigentliche Gründervater der großen niederländischen Malerschule betrachtet. Vermutlich um 1390/1400 geboren und 1441 in Brügge gestorben, war Jan van Eyck Hofmaler und »valet de chambre« (Kammerdiener) des Herzogs Philipp des Guten von Burgund, der ihn auch mit einigen wichtigen Missionen betraute, und hat in den letzten zehn Lebensjahren auch zahlreiche Tafeln für Bürger, Adlige und Kleriker geschaffen. Doch nur noch etwa 20 sind heute im Original, einige weitere in alten Kopien erhalten. Schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts waren einzelne seiner Werke bereits der Stolz fürstlicher Sammlungen in Italien und Spanien, und sein offenbar schon zu Lebzeiten bestehender Ruhm sollte bis weit ins 16. Jahrhundert hineinwachsen. Stolz wurde er den italienischen Meistern Michelangelo, Raffael und Tizian sowie dem deutschen Protagonisten Dürer als niederländisches Pendant an die Seite gestellt.
Die Berliner Gemäldegalerie besitzt allein drei Originale, mehrere Werke aus seiner Werkstatt und auch zeitgenössische Kopien in ihrer Sammlung flämischer Malerei des 13. Jahrhunderts. In Vorbereitung eines wissenschaftlichen Bestandskataloges der niederländischen und französischen Malerei von 1200 bis 1480 sind die in ihrem Besitz befindlichen Werke van Eycks gemäldetechnisch untersucht und mit neuesten Verfahren behutsam restauriert worden. So kommt gerade zu diesem Zeitpunkt die interaktive digitale Projektion der Werke van Eycks, die vom Bozar-Centre for Fine Arts und dem KIK-IRPA (Royal Institute for Cultural Heritage) in Brüssel entwickelt wurde, höchst gelegen.
Die Werke van Eycks können in wandgroßem Format betrachtet, selbst winzig gelegene Einzelheiten aufgelöst, wiederkehrende Motive miteinander verglichen werden. Der Betrachter wird förmlich in die Gemälde hineingezoomt (ein schreckliches Wort, aber wie soll man es anders ausdrücken?) und erlebt die virtuose Malweise, den unerschöpflichen Detailreichtum, den man mit dem bloßen Auge überhaupt nicht wahrnehmen kann. Mit der Lupe kann zudem der Betrachter eigenständig in den Mikrokosmos des Bildes eintauchen. Und doch bleibt die mimetische Qualität des Originals erhalten. Jan van Eycks Malerei mit ihrem Einfallsreichtum, ihrem das kleinste Detail erfassenden Realismus und ihrer technischen Vollkommenheit konnte noch nie so intensiv erfasst werden.
Das Verkündigungsdiptychon (1433-1435) – es befindet sich im Museo Nacional Thyssen-Bornemisza in Madrid – zeigt van Eycks Auseinandersetzung mit der Dreidimensionalität. Im Medium monochromer Malerei täuscht der Maler eine ungefasste Steinskulptur vor. Maria und der Erzengel Gabriel ragen aus ihren separaten, flachen Nischen hinaus in den Raum des Betrachters hinein. Diese Augentäuscherei, dieser Trompe-d’oeil-Effekt ist so perfekt, dass die Grenze zwischen Bildträger und Rahmen aufgehoben wird. Van Eyck malte nicht nur die Figuren sowie deren fingierte Spiegelungen täuschend echt, sondern hob auch die Illusion von Skulptur durch die frei auf Maria zu schwebende Taube des Heiligen Geistes auf, um die Überlegenheit der Malerei unter Beweis zu stellen. Seine kleine, auf 1437 datierte Barbara von Nikomedien aus Antwerpen, eine monochrome Pinselzeichnung auf einer grundierten Holztafel, darf als »programmatisches Kunststück« gelten. Die Vergrößerung erweist es besonders deutlich: Hinter der auf einer Anhöhe sitzenden Heiligen ragt im Mittelgrund des Bildes ihr Attribut, der Turm, als Teil einer in Entstehung begriffenen Kirche vor einer weiten Landschaft auf. Detailliert hat van Eyck hier den spätgotischen Baubetrieb in seinen zahllosen Arbeitsschritten geschildert.
Der intensive Blick des Goldschmiedes Jan de Leeuw (1436) aus dem Kunsthistorischen Museum Wien überbrückt die Distanz zwischen Kunst und Realität und ist ein eindringlicher Beweis für van Eycks Genie. Dagegen ist das Dreiviertel-Porträt des Baudouin de Lannoy (um 1435) aus der Gemäldegalerie Berlin das einzige erhaltene Bildnis, das uns einen Einblick in van Eycks Porträts von burgundischen Staatsmännern gibt.
Ein Meisterstück der Detailmalerei in kleinstem Maßstab ist die Madonna am Brunnen (1439). Mit dem Bildnis der Margareta van Eyck aus Brügge zählt es zu den spätesten datierten Werken. Hier vermerkte van Eyck auch seine Devise »AIC IXH XAN« (So gut ich es vermag), was für einen Künstler der damaligen Zeit von einem bemerkenswerten Selbstbewusstsein zeugt. Das Porträt der Frau des Malers ist in der Nähe der Lichtquelle, einem Fenster, das sich in ihren Augen spiegelt. Sie hat sich umgedreht und sieht den Betrachter an. Der Hell-Dunkel-Kontrast wiederum verleiht dem Bildnis eines Mannes mit blauem Chaperon (1428-1430) aus dem Brukenthal-Museum in Sibiu eine intensive Plastizität und Lebensechtheit. Die linke Hand ruht illusionistisch auf dem (verschollenen) Rahmen und die rechte ragt scheinbar aus der Bildebene heraus.
Der Genter Altar in der Kathedrale von Sankt Bavo – seit 2012 wird er aufwändig restauriert – gilt als Höhepunkt der spätmittelalterlichen Kunst. Geöffnet misst das Retabel 375 cm in der Höhe und 520 cm in der Breite. Es besteht aus 12 einzelnen Tafeln, von denen 8 klappbar und doppelseitig bemalt sind. Statt des abgetönten Kolorits und der flachen Bildräume entfaltet sich auf den Innenflügeln ein Leuchten und Schimmern von Gold und Edelsteinen, Perlen, kostbaren Stoffen, im unteren Register auch tiefe Landschaften mit üppiger Vegetation. Dort streben auf den Flügeln und der Mitteltafel verschiedene Gruppen von Heiligen auf das Lamm Gottes – Symbol Christi – zu, das im Zentrum der Komposition auf einem Altartisch steht und aus seiner Seitenwunde Blut in einen Messkelch strömen lässt. Über dem Lamm schwebt in einer Aureole die Taube des Hl. Geistes. Ein Brunnen bezeichnet das Wasser des Lebens. Hier wird eines der zentralen Mysterien der katholischen Kirche, die Eucharistie, anschaulich nachvollziehbar gemacht. Wir haben es mit einem Allerheiligenbild zu tun, wobei der Himmel der Heiligen durch eine herrliche Landschaft wiedergegeben wird. In der Mitte thront die Trinität in der Gestalt Christi, jener sichtbaren Form, die Gott selbst bei der Menschwerdung angenommen hat. In senkrechter Lesart lässt sich der mit der Tiara Bekrönte eher als Gottvater auffassen, der die unter ihm schwebende Taube und das Lamm Gottes auf dem Altar zu einer anders gestalteten Trinität vervollständigt.
An den Rändern der Innentafel sind Adam und Eva, nackt und fast lebensgroß, dargestellt, sie erinnern an den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Garten Eden. Adam ist schreitend dargestellt, dabei scheint sein rechter Fuß aus der Bildebene herauszuragen. Eva hält in der Hand die Frucht vom Baum der Erkenntnis, hier als Zitrusfrucht dargestellt. Beide bedecken die Scham mit Feigenblättern – der Sündenfall ist also bereits geschehen. Diese Darstellung ist für ein Altarbild höchst ungewöhnlich.
Eycks Malerei zeichnet sich vor allem durch eine außergewöhnliche Schaulust aus. Stets versuchte der Künstler die sichtbare Welt bis ins letzte Detail zu erfassen. Dies spiegelt sich in seinen weiten Landschaftshintergründen wider, in seinen detailreichen kirchlichen und profanen Interieur-Darstellungen sowie in seiner akribischen Wiedergabe aller Gegenstände, Oberflächen und Stoffe. Er suggeriert sowohl Dreidimensionalität als auch Allansichtigkeit, indem er die Statuen der Heiligen sowie deren fingierte Spiegelungen täuschend echt malte. All das wird nun durch diese überwältigende Multimedia-Schau ganz nah, jedes Detail offenbarend, an den Betrachter herangeholt.
Warum nur lässt man den Betrachter in der Deutung des Werkes van Eycks so allein, wäre ihm nicht doch wenigstens ein Faltblatt willkommen gewesen?
Zoom auf van Eyck. Meisterwerke im Detail. Kulturforum, Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, Di bis Fr 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Sa + So 10-18 Uhr, bis 3. März 2024.