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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ist das Grundgesetz gültig?

Das Grund­ge­setz hat ja bereits sei­ne Jähr­chen auf dem Buckel. Mir kommt es so vor, dass es bis zum Arti­kel 146 nicht oder sehr sel­ten gele­sen wird. Denn die­ser Arti­kel bestimmt ein­deu­tig, dass die­ses Grund­ge­setz längst nicht mehr gül­tig ist.

Wäh­rend der Kon­fe­renz »Deutsch­land in bester Ver­fas­sung? Der Auf­bruch in Hes­sen und Bran­den­burg. Der Neu­be­ginn in Pots­dam vor 20 Jah­ren. Das Grund­ge­setz heu­te« am 23. Mai 2012 im Ceci­li­en­hof und im Haus der Bran­den­bur­gisch-Preu­ßi­schen Geschich­te sind wei­te­re zehn Jah­re ver­flos­sen, ohne dass sich zum Arti­kel 146 etwas Neu­es erge­ben hätte.

In der »Pots­da­mer Erklä­rung« vom 23. Mai 2012 heißt es: »Das Grund­ge­setz für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land wur­de als Pro­vi­so­ri­um für die BRD geschaf­fen.« Es wur­de in der Woche vom 16. Bis 22. Mai 1949 von den Volks­ver­tre­tun­gen der betei­lig­ten deut­schen Län­der – mit Aus­nah­me Bay­erns – mit Zwei-Drit­tel-Mehr­heit angenommen.

Die Ver­fas­sung der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik von 1949 betrach­te­te Deutsch­land als unteil­ba­re demo­kra­ti­sche Repu­blik. Der Arti­kel 146 GG für die BRD ent­hält impli­zit das Ein­ge­ständ­nis der man­geln­den demo­kra­ti­schen Legi­ti­ma­ti­on: »Die­ses Grund­ge­setz, das nach Voll­endung der Ein­heit und Frei­heit Deutsch­lands für das gesam­te deut­sche Volk gilt, ver­liert sei­ne Gül­tig­keit an dem Tage, an dem eine Ver­fas­sung in Kraft tritt, die von dem deut­schen Vol­ke in frei­er Ent­schei­dung beschlos­sen wor­den ist.«

Die in Pots­dam am 23. Mai 2012 zusam­men gekom­me­nen Per­sön­lich­kei­ten ver­tra­ten die Mei­nung, dass die Zeit reif war, den Arti­kel 146 des Grund­ge­set­zes für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zu ver­wirk­li­chen. Zahl­rei­che Fra­gen lässt das Grund­ge­setz für die BRD unbe­rück­sich­tigt, die teil­wei­se bereits in den Län­der­ver­fas­sun­gen, die unter demo­kra­ti­scher Betei­li­gung der Bevöl­ke­rung ver­ab­schie­det wur­den, ent­hal­ten sind. Zu den offe­nen Fra­gen des Grund­ge­set­zes gehö­ren insbesondere:

  • Die Auf­nah­me sozia­ler Grund­rech­te und die Kon­kre­ti­sie­rung des Sozialstaatsprinzips;
  • ein strik­tes Ver­bot der Pri­va­ti­sie­rung bis­her staat­li­cher Ein­rich­tun­gen im Bereich der öffent­li­chen Daseins­vor­sor­ge sowie eine wirk­sa­me Regu­lie­rung des Bankensektors;
  • das Ver­fah­ren der Volksgesetzgebung;
  • eine aus­drück­li­che­re Fest­le­gung auf die Friedensstaatlichkeit;
  • das Ver­bot von Kriegs­ein­sät­zen der Bun­des­wehr im Ausland;
  • eine Anti­fa­schis­mus­klau­sel;
  • die Auf­nah­me von Kin­der­rech­ten und des Schut­zes von eth­ni­schen Minderheiten.

Abschlie­ßend heißt es in der »Pots­da­mer Erklä­rung« vom 23. Mai 2012: »Eine deut­sche Ver­fas­sung soll­te den Pro­zess sozia­ler Gerech­tig­keit, Demo­kra­tie und Frie­den in der Euro­päi­schen Uni­on beför­dern und stär­ken. Das drit­te Jahr­zehnt der Ver­ei­ni­gung hat schon begon­nen, die Zeit ist reif, um in eine Ver­fas­sungs­dis­kus­si­on ein­zu­tre­ten, an deren Ende eine Ver­fas­sung in Kraft tritt, die von dem deut­schen Volk in frei­er Ent­schei­dung beschlos­sen wor­den ist.«