Hurra! Er hat und nutzt ihn wieder! Seinen trockenen Humor, mit dem er diesmal die gegenwärtige Gesellschaft betrachtet. Jahrzehntelang hat er sich ausschließlich kulturhistorisch interessanten Personen aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte gewidmet, nun bleibt er zwar auch in Brandenburg, aber er erfindet Konstellationen und Personen, Landschaften und Begebenheiten, erzählt in fein konstruierter Prosa, reiht Nebensatz an Hauptsatz und wieder einen Nebensatz – ein Erbe von Theodor Fontane oder Thomas Mann.
Im Mittelpunkt stehen Leonhardt (»Leo«) und Hedwig (»Hedy«) Leydenfrost, ein Geschwisterpaar, das erst im Alter wieder im Heimatdorf Wittenhagen wohnt. Hedy war einst im Westen aktive Grünen-Politikerin, Leo ein stiller, heimlich nörgelnder Bibliothekar. Die Vorbereitung von Hedys neunzigstem Geburtstag, der für eine Spendenaktion für Flüchtlingskinder genutzt werden soll, macht die Handlung aus, und dabei kann de Bruyn seinem Affen Zucker geben. Die persönlichen Interessen und Eigenheiten der einzelnen Dorfbewohner und Funktionäre kommen voll zum Zug, die politische Situation und der kommunale Umgang mit aktuellen Losungen werden von ihnen sehr eigenwillig und vor allem eigennützig interpretiert. Schließlich wird aus dem geplanten Flüchtlingsheim eine Wellness-Oase, denn die Flüchtlinge wollen nicht in die »Wüste«, und immer gewinnen die Wende-Gewinner.
So ganz neu ist das, was sich ereignet, nicht, aber wie es erzählt ist, ist ein Genuss! Feinste Ironie und vor allem der Blick auf Leo, der über die Geschehnisse von heute genauso nölt wie früher und bei aller Nörgelei ein Quentchen Recht hat. Köstlich!
Günter de Bruyn: »Der neunzigste Geburtstag. Ein ländliches Idyll«, S. Fischer, 272 Seiten, 22 €