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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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In schlechter Gesellschaft

Freie Mei­nungs­äu­ße­rung ver­läuft (sich) in einem abge­steck­ten Feld öffent­lich gesetz­ter Rezep­ti­ons­be­din­gun­gen. Indem die­se a prio­ri defi­nie­ren, ob/​wann eine Mei­nung eine Befas­sung mit ihr über­haupt ver­dient, machen sie, höf­lich gesagt, eine vor­ur­teils­lo­se Aus­ein­an­der­set­zung zu The­men nicht gera­de leicht; schließ­lich ist bekannt: »Sprich nicht mit Fremden!«

Ein kur­ren­tes Bei­spiel für die­se Grund­sätz­lich­keit ist die von wirk­lich auf­rech­ten Demo­kra­ten beher­zig­te Paro­le, alles von der AfD Geäu­ßer­te sei, weil von ihr stam­mend, des Bösen, und ihr müs­se ange­sichts ihres offen­sicht­lich immer noch »fruchtbar(en) Schoß(es)« von einer wehr­haf­ten Demo­kra­tie ein­fach der Zugang zu Öffent­lich­keit ver­wehrt wer­den – wie gesagt, prin­zi­pi­ell und ohne Ver­su­che, dage­gen zu argu­men­tie­ren; unter­näh­me man das, so lie­ße man sich fata­ler­wei­se auf Sub­jek­te ein, von denen man schon weiß, dass man mit ihnen nicht reden kann und soll. (Pro­phy­la­xe gegen suspek­tes Mei­nen unheil­bar »Bera­tungs­re­si­sten­ter«, denen nur mit »Dekon­ta­mi­na­ti­on«, also Kon­takt­ver­mei­dung und -abbruch oder nöti­gen­falls Zwang bei­zu­kom­men sei, war auch schon zu Coro­na­zei­ten geboten.)

Somit wer­den cou­ra­gier­te Omas, von denen man zugleich auch schon weiß, dass sie anson­sten mit ihren über­lan­gen Leben uns Nütz­lin­gen nur noch auf der Tasche lie­gen, für ihren Furor im Kampf gegen rechts beklatscht. Dem­ge­gen­über begeht z. B. ein Freerk Huis­ken mit sei­nen Argu­men­ten (in sei­nem Buch Flücht­lings­ge­sprä­che) gegen Neo­na­zis mit sei­nem Bezug auf deren Aus­sa­gen einen Ver­stoß gegen die gute Sit­te, »sau­ber zu blei­ben«, und ver­fällt dem Ver­dacht einer Ver­ste­he­rei von schlech­ter Gesell­schaft. Für als »links« Dekla­rier­tes, das unter dem Ober­be­griff »Tota­li­ta­ris­mus« (von dem man nur, sapi­en­ti sat, weiß, dass er abgrund­tief Böses bezeich­net) rot ange­stri­che­nes Braun sei, gilt Näm­li­ches. Wie F. J. Degen­hardt sang, spielt man mit Schmud­del­kin­dern nicht, und es ist höch­ste Zeit, mit nai­vem Ertra­gen Fehl­ge­lei­te­ter auf­zu­hö­ren. So kreuz­zug­mä­ßig wie die Ansa­gen von Pisto­ri­us fällt mitt­ler­wei­le die Unge­müt­lich­keit demo­kra­ti­scher Dis­kus­si­ons­kul­tur aus. Einem unent­weg­ten manich­äi­schen Aus­deu­ten von Gutem und Bösem kann eine Befas­sung mit der Welt, wie sie ist, bloß hin­der­lich sein.

Zur För­de­rung die­ser Per­spek­ti­ve – »Der Hori­zont der mei­sten Men­schen ist ein Kreis mit dem Radi­us Null. Und das nen­nen sie ihren Stand­punkt.« (Ein­stein zuge­schrie­ben) – trägt auch die Vier­te Gewalt ihr Scherf­lein bei. Bei­spiels­wei­se indem sie ein »Aus­län­der raus!« enga­giert nun als eine fei­ne Sache pro­pa­giert, da Scholz, Baer­bock und Merz die Migranten»flut« im Anschluss an See­ho­fer zur »Mut­ter unser aller Sor­gen« erklärt haben. Die inhalt­li­che Über­ein­stim­mung der Staats­rä­son mit der Posi­ti­on der AfD, der nur das Jam­mern über Urhe­ber­rechts­ver­let­zung bleibt, wol­len nicht nur die Omas nicht zur Kennt­nis neh­men. Nun, da die Stim­mungs­ma­che, das Boot sei voll, von aus­ge­wie­sen demo­kra­ti­schen und somit ver­trau­ens­wür­di­gen Macht­ha­bern kommt, kur­siert als all­ge­mein­ver­ständ­lich ein grund­sätz­li­cher Vor­be­halt gegen Leu­te und »Men­schen­schlä­ge«, die von außen kom­men: Sie kön­nen nun ein­mal wegen ihrer »Kul­tur«, ihrer nun ein­mal irgend­wie unüber­wind­ba­ren »Rück­stän­dig­keit«, ihrer mit­ge­brach­ten »eth­ni­schen«, aber bei­lei­be nicht aus »Ras­se« (das will man nicht gesagt haben, aber mei­nen wird man es ja wohl noch dür­fen) rüh­ren­den »Inte­gra­ti­ons­un­fä­hig­keit« (man sehe sich nur ihre par­al­lel­ge­sell­schaft­li­chen Sit­ten und Gebräu­che an) und ihrer Prä­gun­gen durch »Ismen« aller Art, von denen der wirk­li­che Deut­sche qua Geburt, unver­däch­ti­ger noch durch Abstam­mung (ein ent­la­sten­der Nach­weis müss­te sich doch bei­brin­gen las­sen) frei ist, ein­fach »nicht zu uns pas­sen« (es sei denn sie erle­di­gen anste­hen­de Drecks-, Quäl- und Hightech-Arbeiten).

Unter Migran­ten gibt es den Griff zu Gewalt, und sie ist, da von außen rüh­rend, impor­tiert, wie es so schön heißt. Im Jar­gon: Das Hier­sein von Unnüt­zen brin­ge nicht nur ein lei­stungs­lo­ses Erschlei­chen nicht für sie gemünz­ter sozia­ler Wohl­ta­ten mit sich, son­dern die Auf­ge­nom­me­nen trü­gen vor allem eben auch eine Dis­po­si­ti­on zu Gewalt in sich, die jeder­zeit aus­bre­chen kön­ne. Ohne Migran­ten, denen so zahl­reich wie nur mög­lich Asyl­be­rech­ti­gung abzu­spre­chen ist, gäbe es die Bedro­hung des euro­päi­schen »Gar­tens« durch den »Dschun­gel« (J. Bor­rell) denn auch nicht. Zusätz­lich zur sich von selbst ver­ste­hen­den deut­schen »Kriegs­tüch­tig­keit« hat die­ses Feind­bild mitt­ler­wei­le im »gesun­den Men­schen­ver­stand« auch der deut­schen Intel­li­gent­sia Kon­junk­tur. Der Mei­nungs­wind hat sich gedreht. Frü­her hieß es unter Auf­ge­klär­ten: »Ich habe nichts gegen Aus­län­der; eini­ge mei­ner besten Freun­de sind Aus­län­der.« Dage­gen heu­te »ohne fal­sche Scham«: »Eini­ge mei­ner besten Freun­de sind Aus­län­der, aber was zu viel ist, ist zu viel.« Der Kla­ge über eine »explo­si­ve Mischung« schlie­ßen sich übri­gens nicht weni­ge hier leben­de ehe­ma­li­ge Aus­län­der patrio­tisch inte­griert an. Der lau­fen­de Wahl­kampf wird von sei­nen Käm­pen gera­de auch an der Front gegen die Völ­ker­wan­de­rung, nun ein­mal eine der Pla­gen aus der Büch­se der Pan­do­ra, geführt.

Das Bei­spiel der gewen­de­ten Öffent­lich­keit beab­sich­tigt nicht, einer alter­na­ti­ven Kla­ge Mate­ri­al zu lie­fern; jener näm­lich, heut­zu­ta­ge sei das Gute, das es ehe­mals als Aus­län­derfreund­lich­keit gege­ben habe, unter die Räder gekom­men. Mit der alt­mo­di­schen Losung, in der Frem­de sei jeder Aus­län­der, wur­de ein posi­tiv gewen­de­ter Ras­sis­mus gepflegt. Das Axi­om vom Flüchtling/​Migranten/​Ausländer als einem im Grun­de und an sich edlen, gut­wil­li­gen oder zumin­dest schuld­lo­sen Men­schen­schlag erfor­der­te denn auch ein Bestrei­ten von Vor­komm­nis­sen, die das heh­re Bild trüben.

Viel­mehr geht es dar­um: Wie auch bei der Beschäf­ti­gung mit ande­ren The­men von Innen- und Außen­po­li­tik neh­men Freun­de wie Fein­de des Aus­län­ders Sach­la­gen, Gescheh­nis­se und Hand­lun­gen als Pro­ble­me und Her­aus­for­de­run­gen wahr, die Staat, kapi­ta­li­sti­sche Öko­no­mie und die ter­ri­to­ri­al als Nati­on Zusam­men­ge­fass­ten zu bewäl­ti­gen haben. Zum Gedei­hen der letzteren.

Inmit­ten der das Wahl­volk mit Anstran­den­den zu über­wäl­ti­gen dro­hen­den Des­ori­en­tie­rung lie­fert Robert Habeck einen Licht­blick: »Zuver­sicht!« Die muss es ein­fach brin­gen – per Unter­ha­ken und vor allem: ihn Wäh­len. Cool, ne? Und mehr oder was ande­res geht ja auch gar nicht. Schließ­lich will nie­mand »ver­kehrt leben«. Das ist doch ein­mal ein ein­leuch­ten­des »Argu­ment«. Es kommt ja auch von einem Mini­ster. Na dann. Spie­len wir also beim Zap­fen­streich »Ich bete an die Macht…«. Die Lie­be zu ihr haben wir mit dem rich­ti­gen Wesen ja schon – und wie­so soll­te an ihm nach zwei in die Hosen gegan­ge­nen Welt­krie­gen nicht end­lich die Welt in einem drit­ten gene­sen kön­nen? Pisto­ri­us weiß es und macht es – wie gehabt dafür, dass wir in die­sem unse­ren Land beru­higt, aber all­zeit wach­sam & bereit sein sowie für Kano­nen statt But­ter shop­pen gehen kön­nen. Enga­gie­ren wir uns also der­weil statt mit einer Oppo­si­ti­on dage­gen mit einer gegen alle, die »unser Ver­der­ben« sind, weil sie nicht hier­her­ge­hö­ren. Prost, und Merz sei schon ein­mal Dank!