Freie Meinungsäußerung verläuft (sich) in einem abgesteckten Feld öffentlich gesetzter Rezeptionsbedingungen. Indem diese a priori definieren, ob/wann eine Meinung eine Befassung mit ihr überhaupt verdient, machen sie, höflich gesagt, eine vorurteilslose Auseinandersetzung zu Themen nicht gerade leicht; schließlich ist bekannt: »Sprich nicht mit Fremden!«
Ein kurrentes Beispiel für diese Grundsätzlichkeit ist die von wirklich aufrechten Demokraten beherzigte Parole, alles von der AfD Geäußerte sei, weil von ihr stammend, des Bösen, und ihr müsse angesichts ihres offensichtlich immer noch »fruchtbar(en) Schoß(es)« von einer wehrhaften Demokratie einfach der Zugang zu Öffentlichkeit verwehrt werden – wie gesagt, prinzipiell und ohne Versuche, dagegen zu argumentieren; unternähme man das, so ließe man sich fatalerweise auf Subjekte ein, von denen man schon weiß, dass man mit ihnen nicht reden kann und soll. (Prophylaxe gegen suspektes Meinen unheilbar »Beratungsresistenter«, denen nur mit »Dekontamination«, also Kontaktvermeidung und -abbruch oder nötigenfalls Zwang beizukommen sei, war auch schon zu Coronazeiten geboten.)
Somit werden couragierte Omas, von denen man zugleich auch schon weiß, dass sie ansonsten mit ihren überlangen Leben uns Nützlingen nur noch auf der Tasche liegen, für ihren Furor im Kampf gegen rechts beklatscht. Demgegenüber begeht z. B. ein Freerk Huisken mit seinen Argumenten (in seinem Buch Flüchtlingsgespräche) gegen Neonazis mit seinem Bezug auf deren Aussagen einen Verstoß gegen die gute Sitte, »sauber zu bleiben«, und verfällt dem Verdacht einer Versteherei von schlechter Gesellschaft. Für als »links« Deklariertes, das unter dem Oberbegriff »Totalitarismus« (von dem man nur, sapienti sat, weiß, dass er abgrundtief Böses bezeichnet) rot angestrichenes Braun sei, gilt Nämliches. Wie F. J. Degenhardt sang, spielt man mit Schmuddelkindern nicht, und es ist höchste Zeit, mit naivem Ertragen Fehlgeleiteter aufzuhören. So kreuzzugmäßig wie die Ansagen von Pistorius fällt mittlerweile die Ungemütlichkeit demokratischer Diskussionskultur aus. Einem unentwegten manichäischen Ausdeuten von Gutem und Bösem kann eine Befassung mit der Welt, wie sie ist, bloß hinderlich sein.
Zur Förderung dieser Perspektive – »Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius Null. Und das nennen sie ihren Standpunkt.« (Einstein zugeschrieben) – trägt auch die Vierte Gewalt ihr Scherflein bei. Beispielsweise indem sie ein »Ausländer raus!« engagiert nun als eine feine Sache propagiert, da Scholz, Baerbock und Merz die Migranten»flut« im Anschluss an Seehofer zur »Mutter unser aller Sorgen« erklärt haben. Die inhaltliche Übereinstimmung der Staatsräson mit der Position der AfD, der nur das Jammern über Urheberrechtsverletzung bleibt, wollen nicht nur die Omas nicht zur Kenntnis nehmen. Nun, da die Stimmungsmache, das Boot sei voll, von ausgewiesen demokratischen und somit vertrauenswürdigen Machthabern kommt, kursiert als allgemeinverständlich ein grundsätzlicher Vorbehalt gegen Leute und »Menschenschläge«, die von außen kommen: Sie können nun einmal wegen ihrer »Kultur«, ihrer nun einmal irgendwie unüberwindbaren »Rückständigkeit«, ihrer mitgebrachten »ethnischen«, aber beileibe nicht aus »Rasse« (das will man nicht gesagt haben, aber meinen wird man es ja wohl noch dürfen) rührenden »Integrationsunfähigkeit« (man sehe sich nur ihre parallelgesellschaftlichen Sitten und Gebräuche an) und ihrer Prägungen durch »Ismen« aller Art, von denen der wirkliche Deutsche qua Geburt, unverdächtiger noch durch Abstammung (ein entlastender Nachweis müsste sich doch beibringen lassen) frei ist, einfach »nicht zu uns passen« (es sei denn sie erledigen anstehende Drecks-, Quäl- und Hightech-Arbeiten).
Unter Migranten gibt es den Griff zu Gewalt, und sie ist, da von außen rührend, importiert, wie es so schön heißt. Im Jargon: Das Hiersein von Unnützen bringe nicht nur ein leistungsloses Erschleichen nicht für sie gemünzter sozialer Wohltaten mit sich, sondern die Aufgenommenen trügen vor allem eben auch eine Disposition zu Gewalt in sich, die jederzeit ausbrechen könne. Ohne Migranten, denen so zahlreich wie nur möglich Asylberechtigung abzusprechen ist, gäbe es die Bedrohung des europäischen »Gartens« durch den »Dschungel« (J. Borrell) denn auch nicht. Zusätzlich zur sich von selbst verstehenden deutschen »Kriegstüchtigkeit« hat dieses Feindbild mittlerweile im »gesunden Menschenverstand« auch der deutschen Intelligentsia Konjunktur. Der Meinungswind hat sich gedreht. Früher hieß es unter Aufgeklärten: »Ich habe nichts gegen Ausländer; einige meiner besten Freunde sind Ausländer.« Dagegen heute »ohne falsche Scham«: »Einige meiner besten Freunde sind Ausländer, aber was zu viel ist, ist zu viel.« Der Klage über eine »explosive Mischung« schließen sich übrigens nicht wenige hier lebende ehemalige Ausländer patriotisch integriert an. Der laufende Wahlkampf wird von seinen Kämpen gerade auch an der Front gegen die Völkerwanderung, nun einmal eine der Plagen aus der Büchse der Pandora, geführt.
Das Beispiel der gewendeten Öffentlichkeit beabsichtigt nicht, einer alternativen Klage Material zu liefern; jener nämlich, heutzutage sei das Gute, das es ehemals als Ausländerfreundlichkeit gegeben habe, unter die Räder gekommen. Mit der altmodischen Losung, in der Fremde sei jeder Ausländer, wurde ein positiv gewendeter Rassismus gepflegt. Das Axiom vom Flüchtling/Migranten/Ausländer als einem im Grunde und an sich edlen, gutwilligen oder zumindest schuldlosen Menschenschlag erforderte denn auch ein Bestreiten von Vorkommnissen, die das hehre Bild trüben.
Vielmehr geht es darum: Wie auch bei der Beschäftigung mit anderen Themen von Innen- und Außenpolitik nehmen Freunde wie Feinde des Ausländers Sachlagen, Geschehnisse und Handlungen als Probleme und Herausforderungen wahr, die Staat, kapitalistische Ökonomie und die territorial als Nation Zusammengefassten zu bewältigen haben. Zum Gedeihen der letzteren.
Inmitten der das Wahlvolk mit Anstrandenden zu überwältigen drohenden Desorientierung liefert Robert Habeck einen Lichtblick: »Zuversicht!« Die muss es einfach bringen – per Unterhaken und vor allem: ihn Wählen. Cool, ne? Und mehr oder was anderes geht ja auch gar nicht. Schließlich will niemand »verkehrt leben«. Das ist doch einmal ein einleuchtendes »Argument«. Es kommt ja auch von einem Minister. Na dann. Spielen wir also beim Zapfenstreich »Ich bete an die Macht…«. Die Liebe zu ihr haben wir mit dem richtigen Wesen ja schon – und wieso sollte an ihm nach zwei in die Hosen gegangenen Weltkriegen nicht endlich die Welt in einem dritten genesen können? Pistorius weiß es und macht es – wie gehabt dafür, dass wir in diesem unseren Land beruhigt, aber allzeit wachsam & bereit sein sowie für Kanonen statt Butter shoppen gehen können. Engagieren wir uns also derweil statt mit einer Opposition dagegen mit einer gegen alle, die »unser Verderben« sind, weil sie nicht hierhergehören. Prost, und Merz sei schon einmal Dank!