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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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In Italien nichts Neues?

Nun ist seit dem 10. Sep­tem­ber eine 66. Regie­rung (seit 1945) im Amt. Für vie­le ein Auf­at­men nach einer der bizarr­sten Hoch­som­mer­kri­sen Italiens.

Exakt einen Monat zuvor hat­te der seit einem Jahr amtie­ren­de Innen­mi­ni­ster Matteo Sal­vi­ni den Regie­rungs­pakt mit dem Movi­men­to 5 Stel­le (M5S, zu Deutsch: Fünf-Ster­ne-Bewe­gung) ad hoc in der Hoff­nung auf­ge­kün­digt, damit sofor­ti­ge Neu­wah­len pro­vo­zie­ren zu kön­nen. Der Chef der rechts­extre­men Lega, die bei der Par­la­ments­wahl im März 2018 gera­de 17 Pro­zent der Stim­men erhielt (bei einer Wahl­ent­hal­tung von knapp 30 Pro­zent), hat­te sich im äußerst wack­li­gen Regie­rungs­pakt mit dem M5S als laut­star­ker auto­ri­tä­rer Macher pro­fi­liert. Nun woll­te er den bei der Euro­pa­wahl im Mai ein­ge­fah­re­nen Stim­men­zu­wachs der Lega (auf 34 Pro­zent) kapi­ta­li­sie­ren, auf sei­ne künf­ti­ge Vor­herr­schaft in einer neu­en Regie­rung (einem Rechts­bünd­nis mit Ber­lus­co­nis For­za Ita­lia und Melo­nis Fra­tel­li d’Italia) set­zend. Die Rech­nung ging nicht auf.

Über die Hin­ter­grün­de des ris­kan­ten Aktes lässt sich nur spe­ku­lie­ren. Auch in Brüs­sel war man irri­tiert, denn eine sol­che Rechts-Regie­rung in der dritt­größ­ten Öko­no­mie Euro­pas hät­te das Gewicht der Visegrád-Staa­ten (Polen, Tsche­chi­en, Ungarn, Slo­wa­kei) inner­halb der EU stär­ken kön­nen. Doch der ita­lie­ni­sche Staats­prä­si­dent, der in einer Regie­rungs­kri­se zum poli­tisch Han­deln­den wird, ermög­lich­te eine ande­re Lösung: eine Regie­rungs­bil­dung aus den bis dahin ver­fein­de­ten Spit­zen von Par­ti­to Demo­cra­ti­co (PD) und M5S – um Neu­wah­len abzu­weh­ren. Ver­fas­sungs­ge­mäß beauf­trag­te Prä­si­dent Mat­tar­el­la die bei­den stärk­sten Par­tei­en der letz­ten Par­la­ments­wahl 2018, nun die Geschicke des Lan­des zu len­ken. Inter­es­san­ter­wei­se war es Matteo Ren­zi, der die­se Lösung sofort befür­wor­te­te, nach­dem er sie vor einem Jahr arro­gant ver­wor­fen hat­te. Er hat zwar nicht mehr den Par­tei­vor­sitz der PD, aber immer noch sei­ne star­ke Haus­macht und droht wie­der, mit ihr eine neue Par­tei zu grün­den. Auch in der Fünf-Ster­ne-Bewe­gung gibt es meh­re­re Stim­men, die ent­schei­den – inklu­si­ve der Fünf-Ster­ne-Inter­net­platt­form Rous­se­au, die die Basis ein­be­zieht. Die­se Situa­ti­on macht aller­dings das neue Regie­rungs­la­ger unüber­sicht­lich und Ent­schei­dun­gen schwie­rig. Sie wird in Zukunft ein hohes Maß an Kom­pro­miss­fä­hig­keit und Koor­di­na­ti­on erfor­dern, das der erneut beauf­trag­te Regie­rungs­chef Con­te nun garan­tie­ren will.

Der ange­schla­ge­ne Sal­vi­ni ruft der­weil zum Kampf auf gegen die Regie­rung des »Staats­streichs«, wie er sie nennt. Die Mei­nung der Wäh­ler zur Halt­bar­keit der neu­en Regie­rung ist – den Umfra­gen nach – stark gespal­ten. Man darf gespannt sein.

Wor­um geht es? Die im letz­ten Jahr von Lega und M5S auf den Weg gebrach­ten Sozi­al­re­for­men zur Armuts­be­kämp­fung in der von vie­len Jah­ren Austeri­täts­po­li­tik geschwäch­ten Gesell­schaft erhö­hen die Staats­aus­ga­ben, was Brüs­sel und Ber­lin nicht gou­tier­ten und die Finanz­welt mit sofor­ti­ger Erhö­hung der Zins­spe­ku­la­ti­on auf die ita­lie­ni­schen Staats­pa­pie­re beant­wor­te­te. Der aus die­sem soge­nann­ten Spread resul­tie­ren­de erhöh­te Zins­auf­schlag für Staats­an­lei­hen bela­ste­te die ita­lie­ni­sche Staats­kas­se in nur einem Jahr zusätz­lich mit etwa 20 Mil­li­ar­den Euro. Der Auf­schlag sank rapi­de, als die neue Regie­rung in Aus­sicht stand, was nun Mil­li­ar­den ein­spa­ren wird. Dass sie dann aber für ande­re drin­gen­de Aus­ga­ben zur Ver­fü­gung ste­hen, ist mehr als frag­lich. Der Pri­mär­haus­halt ist zwar seit Jah­ren aus­ge­gli­chen, aber die hohe Zins­last für die Staats­schuld lässt eben kei­ne wei­te­ren finan­zi­el­len Spielräume.

Das inner­halb weni­ger Tage zusam­men­ge­schweiß­te Zweck­bünd­nis aus M5S und der stark ange­schla­ge­nen PD steht nun sofort vor der Qua­dra­tur des Krei­ses, denn die Auf­stel­lung des Staats­haus­hal­tes für 2020 steht kurz­fri­stig an: Der neue Finanz­mi­ni­ster muss inner­halb des Brüs­se­ler Fis­kal­pakt-Kor­setts – des Euro­päi­schen Sta­bi­li­täts­me­cha­nis­mus (ESM) – Gel­der für drin­gend nöti­ge öffent­li­che Inve­sti­tio­nen auf­trei­ben, die Arbeit und Brot für vie­le schaf­fen könn­ten. Ein Wider­spruch in sich. Solan­ge der nicht auf­ge­bro­chen wer­den kann, bleibt es immer nur bei finan­zi­el­len Bro­sa­men für Inve­sti­tio­nen, die der Rezes­si­on kei­nen wirk­li­chen Ein­halt gebie­ten kön­nen. Immer­hin hat die PD sich nun im Regie­rungs­pro­gramm den sozia­len Belan­gen der Bür­ger, für die M5S sich ein­ge­setzt hat, wie­der ange­nä­hert, zwei­fel­los ein Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung. Doch woher soll das Geld dafür kom­men, wenn nicht neue Steu­er­ein­nah­men (zum Bei­spiel durch Ver­mö­gen­steu­er oder Bekämp­fung der Steu­er­flucht) ermög­licht wer­den kön­nen? Aber die sind nicht in Aus­sicht, und so bleibt wie­der nur der klei­ne Spiel­raum aus dem Spread, de fac­to unter stren­ger EU-Kon­trol­le. Auch die Beset­zung der neu­en EU-Kom­mis­si­on lässt auf kei­ne wesent­li­chen Ände­run­gen schlie­ßen. Der Hand­lungs­spiel­raum des neu­en EU-Finanz­kom­mis­sars Pao­lo Gen­ti­lo­ni wird begrenzt sein. Der sich den­noch opti­mi­stisch geben­de Regie­rungs­chef Con­te, der sofort nach sei­ner Ver­ei­di­gung nach Brüs­sel flog, bekam denn auch gleich einen Dämp­fer: Ursu­la von der Ley­en wird ihm zwar in der Fra­ge der Flücht­lings­ver­tei­lung in Euro­pa etwas ent­ge­gen­kom­men, damit die skan­da­lö­se Hafen­sper­rung Sal­vi­nis been­det wird, das ihr poli­tisch zugrun­de­lie­gen­de Dub­lin-Abkom­men wird aber nicht refor­miert. Für eine prin­zi­pi­el­le Locke­rung des ESM gibt es gleich­falls kein grü­nes Licht, nur eine Hoff­nung auf grü­ne EU-Pro­jek­te zum Klimaschutz.

Sal­vi­ni wird es vor­aus­sicht­lich leicht haben, aus der Oppo­si­ti­on die künf­ti­gen Maß­nah­men der neu­en Regie­rung, die sich in vie­ler Hin­sicht schwer tun wird, anzu­grei­fen, denn eine lin­ke Oppo­si­ti­on als Kon­kur­renz gibt es im Par­la­ment seit Jah­ren nicht mehr.

Han­delt es sich also wie­der nur um eine Ver­än­de­rung, bei der alles so bleibt, wie es ist? Oder kann die pro­pul­si­ve Rol­le des Staa­tes gestärkt wer­den, die im letz­ten Jahr­zehnt bis zur Unkennt­lich­keit ver­küm­mer­te? Man kann der neu­en Regie­rung nur wün­schen, dass sie nicht an den vie­len vor ihr lie­gen­den Klip­pen zer­schel­le. Denn soll­te sie schei­tern, wird Ita­li­en für lan­ge Zeit nach rechts abdriften.