Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

In der zweiten Reihe

Wenn Hon­ecker und Bre­sch­new sich zum Fami­li­en­bild stell­ten, stand er weiß­haa­rig im Hin­ter­grund. Nicht zu über­se­hen. Er muss­te sei­nen Chef all­jähr­lich im Som­mer auf die Krim beglei­ten, wo sich die bei­den Par­tei­chefs tra­fen. Unter vier Augen. Nun ja, die Dol­met­scher waren dabei, und eini­ge Bera­ter auch. Bru­no Mahl­ow war bei­des. Er war als Kind in der Sowjet­uni­on auf­ge­wach­sen und hat­te als Zwan­zig­jäh­ri­ger Außen­po­li­tik in Mos­kau stu­diert. In den sech­zi­ger Jah­ren arbei­te­te er im diplo­ma­ti­schen Dienst der DDR, in Peking eine Zeit lang als 1. Bot­schafts­se­kre­tär. Danach wech­sel­te er in den Par­tei­ap­pa­rat, von 1973 bis 1989 war er Stell­ver­tre­ten­der Lei­ter der Abtei­lung Inter­na­tio­na­le Ver­bin­dun­gen des ZK der SED. In die­ser Eigen­schaft und mit die­ser Qua­li­fi­ka­ti­on – Hon­ecker sprach kein Rus­sisch – hat­te Mahl­ow das Ohr des ersten Man­nes, aber wuss­te, was sich geziem­te: Als Par­tei­sol­dat gehör­te man in die zwei­te Rei­he, die Büh­ne stand allein dem Gene­ral zu.

Ver­mut­lich schrieb Mahl­ow des­halb kei­ne Memoi­ren. Er scheu­te, wie die mei­sten sei­ner Gene­ra­ti­on und Pro­fes­si­on, in schrift­li­chen Mit­tei­lun­gen die Ver­wen­dung des Per­so­nal­pro­no­mens »Ich«. In den drei Bän­den mit Reden, Zei­tungs­bei­trä­gen und Leser­brie­fen, die ich von ihm edier­te, fin­den sich die­se drei Buch­sta­ben nicht. Und unan­ge­neh­me Din­ge, die ein ver­meint­lich exi­stie­ren­des Nar­ra­tiv beschä­dig­ten, ver­schwieg er. Sei­ne schwan­ge­re Frau wur­de von gewalt­tä­ti­gen Roten Gar­den wäh­rend der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on ange­grif­fen: kein Wort. Kei­ne Sil­be dar­über, dass letzt­lich er die­se unsäg­li­chen Inter­kit-Kon­fe­ren­zen plat­zen ließ. Mos­kau lud die Ver­bün­de­ten seit 1967 zu Kon­fe­ren­zen, um die Bru­der­par­tei­en auf Linie gegen Chi­na zu brin­gen. Die KPdSU-Abord­nung kam stets mit vor­be­rei­te­tem Pro­to­koll, die Dele­ga­tio­nen muss­ten nur noch unter­schrei­ben. Die Chi­ne­sen nann­ten die­se Kon­fe­ren­zen fan­hua guo­ji (»anti­chi­ne­si­sche Inter­na­tio­na­le«) und lagen damit nicht falsch. 1982 ver­wei­ger­te der Lei­ter der SED-Abord­nung die Unter­schrift. Nun war das gewiss kein Allein­gang Bru­no Mahl­ows, aber er war schließ­lich auf der Krim und anders­wo dabei gewe­sen, wenn Bre­sch­new Hon­ecker wie einen Schul­bu­ben an den Ohren zog und ihn ein­drück­lich warn­te, auf Peking her­ein­zu­fal­len. Mahl­ow han­del­te nicht gegen sei­ne Über­zeu­gung. Sei­ne Ver­wei­ge­rung führ­te aber dazu, dass sich die Chi­na-Kom­mis­si­on des Polit­bü­ros des ZK der KPdSU mit dem »Vor­fall« beschäf­tig­te und den SED-Gene­ral­se­kre­tär Hon­ecker nament­lich kri­ti­sier­te. In den fol­gen­den Jah­ren schlos­sen sich ande­re Bru­der­de­le­ga­tio­nen an, 1985 war die­ses anti­quier­te kon­fron­ta­ti­ve Gre­mi­um tot. Erle­digt, noch bevor Gor­bat­schow kam.

Geschich­ten die­ser Art, kaum doku­men­tiert und dar­um auch nicht bekannt, wur­den allen­falls durch Zeit­zeu­gen wie Mahl­ow über­lie­fert. Doch sie erzähl­ten die­se nur hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand und nicht in dicken Erin­ne­rungs­bü­chern. Und je wei­ter die Zeit vor­an­schrei­tet, desto weni­ger Men­schen haben davon über­haupt Kennt­nis oder inter­es­sie­ren sich dafür. Es begann doch nicht erst mit Gor­bat­schow, als der bei­spiels­wei­se die Idee vom gemein­sa­men euro­päi­schen Haus kre­ierte und dafür im Westen beju­belt wur­de. Mahl­ow erin­ner­te daran,
dass bereits Bre­sch­new bei sei­nem Bonn-Besuch 1981 die­se Illu­si­on in die Welt gesetzt habe – Illu­si­on des­halb, weil ohne Kon­zept und kon­kre­te Vor­schlä­ge für eine aus­ba­lan­cier­te Sicher­heits­struk­tur. Mahl­ow nann­te das unrea­li­stisch und ver­ant­wor­tungs­los. Der Kreml habe »auch unter den auf­rich­ti­gen Ver­bün­de­ten« damit Ver­wir­rung und Ver­un­si­che­rung gestiftet.

Bru­no Bru­no­witsch war ein wacher, kri­ti­scher Geist. Und ein höchst dis­zi­pli­nier­ter Par­tei­sol­dat. Er zwang sich selbst auf Krücken noch zur Teil­nah­me am öffent­li­chen Leben. Wir sahen uns regel­mä­ßig am zwei­ten Janu­ar­sonn­tag in Fried­richs­fel­de, am 23. Febru­ar an den Pan­zern in Tier­gar­ten und am 8. Mai am Sowje­ti­schen Ehren­mal in Ber­lin-Trep­tow, wir tran­ken gemein­sam Wod­ka in der Rus­si­schen Bot­schaft oder folg­ten Kon­zer­ten, als es die dort noch gab. Trotz aller Ver­wer­fun­gen und Ärger­nis­se waren bestimm­te Über­zeu­gun­gen bei ihm uner­schüt­ter­lich. »Als Kind deut­scher Kom­mu­ni­sten und Anti­fa­schi­sten wur­de ich 1937 in Mos­kau gebo­ren, mei­ne Kind­heit ver­brach­te ich in Astra­chan und schließ­lich im zen­tral­asia­ti­schen Usbe­ki­stan.« Er habe die Ent­beh­run­gen, die Lei­den und die Lei­stun­gen der rus­si­schen Men­schen im Hin­ter­land erlebt. Ihm müs­se nie­mand erklä­ren, was Krieg bedeu­tet. Er litt an den Mel­dun­gen, die uns täg­lich aus der Ukrai­ne erreich­ten. Man kann sagen: Er ging dar­an zugrun­de. Ende Febru­ar ist Bru­no Mahl­ow, ein Mann aus der zwei­ten Rei­he, verstorben.

Und hat vie­le Geschich­ten mit sich genommen.