Im Erzgebirge ticken die Menschen anders. Leider. Im September hat das Erzgebirge noch zwei Direktkandidaten der AfD in den Bundestag geschickt, dann wurde es still im Land der Löffelschnitzer. Zumindest, was das Impfen anging. Der Landkreis verzeichnet noch immer die niedrigste Impfquote im ohnehin schon impflahmen Sachsen. Dafür holte das Erzgebirge Ende November den Rekord als erste Region Deutschlands, die eine Inzidenz von über 2000 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner aufwies.
Erst kurz vorher war der Weihnachtsmarkt von Annaberg-Buchholz abgesagt worden. Bis zuletzt hatte der dortige Oberbürgermeister von der Landesregierung eine Sonderregelung – sprich: Ausnahme – für die Veranstaltung gefordert. Sein Grundtenor: Die Erzgebirgler halten sich von Natur aus von Fremden fern. Da kann es gar nicht zu Menschenansammlungen kommen, auch nicht auf dem Markt. Erst die Notverordnung des Landes zwang den OB, laut städtischer Pressemitteilung »mit dem Herzen am richtigen Fleck« ausgestattet, in die Knie. Wer in dem abgelaufenen Jahr Räuchermännchen und Schwibbögen kaufen wollte, musste das online tun.
Seitdem brodelt es im Gebirge. Wie es vom Chefarzt des Klinikums in Aue heißt, kennen die Eingeborenen keinen Mund-Nasen-Schutz und keine Hygieneregeln. Bei Demonstrationen gegen die nicht eingehaltenen Regeln werden regelmäßig Krankenhauseinfahrten blockiert. Schlimmer noch: Mit NS-Slogans auf ihren Plakaten fluten die Bergbewohner die Städte im Umland und skandieren dort die Sprüche der rechtsradikalen »Freien Sachsen«. Möglich wird das, weil selbst lokale Ärzte in ihren Praxen laissez faire spielen und weil die Mitarbeiter der Ordnungsämter lieber grüßen statt abstrafen und die Polizei auch illegale Zusammenrottungen aufmarschieren lässt.
Warum die Menschen im Erzgebirge so renitent sind, lässt sich nur ansatzweise erklären. Die Region liegt seit jeher im Abseits, erst geografisch hinter der Strichmeile entlang der böhmischen Grenze, seit dem Ende des Industriezeitalters auch wirtschaftlich. Im Zukunftsatlas belegt die Region verlässlich einen der letzten Plätze, sie gehört zu den zehn ärmsten Landkreisen Deutschlands. Man darf sich hier zu Recht vergessen fühlen, denn seit der Erfindung des Schnitzmessers hat die Region mit keinerlei Innovation auf sich aufmerksam gemacht. Die durchschnittliche Bevölkerung ist immer schlechter ausgebildet, altert und nimmt vor allem ab. Von daher darf man von außen optimistisch in die Zukunft sehen. Aktuell bewohnen die Erzgebirgler allerdings noch den einwohnerreichsten Landkreis Sachsens.
Nun könnte man es mit den Worten des letzten sächsischen Königs sagen: »Macht doch euern Dreck alleene!« Aber so einfach ist es nicht, denn die erkrankten Gebirgler fluten eben auch die Kliniken in Leipzig und Dresden. Längst werden die infizierten Sachsen quer durch die Republik geflogen, weil die Corona- zur Versorgungskrise geworden ist. Was im Erzgebirge vor sich geht, muss also auch normale Menschen sorgen.
Ungeachtet dessen reckt sich ein weiterer Held des Erzgebirges empor. Jens Weißflog, einst Bronzesieger von Thuner Bay, klagt darüber, dass in Oberwiesenthal die Hotels – auch seins – leer stehen müssen. Urlaub im Hochrisikogebiet – für den Skispringer kein Problem. Böse Zungen könnten nun behaupten, dass die Leute im Erzgebirge ja ordentlich dazu beigetragen haben, dass die Lage so ist, wie sie ist. Aber leider muss man wohl besser still sein, selbst wenn man fernab des Gebirges in Leipzigs flachem Norden wohnt, sonst verabreden sich wieder dubiose Telegram-Gestalten in irgendwelchen Parks, um den nächsten Fackellauf zu planen.