Dem wohl wichtigsten Kopf der europäischen Aufklärung begegnet man oft in Berlin-Brandenburg. Das kommt daher, dass Voltaire eine Zeitlang zum Hofstaat von Friedrich dem Großen gehörte. Und auch in Frankfurt am Main ist sein Name ins öffentliche Bewusstsein gemeißelt: Seit 1962 macht dort der »Club Voltaire« Furore. Das ist eine »linksalternative kulturelle Einrichtung«, wie Wikipedia ausweist, und die älteste mit dieser Bezeichnung, denn es konstituierten sich – während und nach der 1968er Studentenbewegung – in einigen westdeutschen Städten weitere Clubs dieses Namens.
Urheber und Mitorganisator des Frankfurter »Club Voltaire« war Heiner Halberstadt, den kurz zuvor die SPD, der er 1946 beigetreten war, rausgeworfen hatte. Wegen kommunistischer Betätigung. Später trat er der Partei wegen der Ostpolitik von Willy Brandt wieder bei, doch Mitte der neunziger Jahre war der Riemen endgültig runter. Damit kam er jedoch nur seinem neuerlichen Ausschluss zuvor. Halberstadt schloss sich der PDS an und saß für sie eine Legislatur im Frankfurter Stadtparlament. Seit 2007 arbeitete er rebellisch und renitent, wie von ihm erwartet, in Berlin im Ältestenrat beim Parteivorstand der Linken mit, er tat dies, solange seine Gesundheit es ihm erlaubte.
In allen Gremien, auch in diesem, fiel er mit seiner geradlinigen Haltung auf. Wegen seiner Erfahrung, wegen seiner Prinzipienfestigkeit, wegen seiner Ausdauer und Aufrichtigkeit. Als Antifaschist entzog er sich dem Militärdienst, indem er gegen Ende des Krieges als 17-Jähriger untertauchte, als Pazifist half er GIs, zu desertieren, die nicht in Vietnam verheizt werden wollten. Er war bei Ostermärschen und Sozialprotesten dabei und holte kritische Köpfe in den Club – aus den USA Leute von Black Panther und Künstlerinnen wie Joan Baez, aus der DDR Anna Seghers und Christa Wolf. Oft saß der Verfassungsschutz im Publikum – den Treffpunkt in einer Seitenstraße der »Fressgass«, unweit der Alten Oper, hatten viele im Visier, die argwöhnisch verfolgten, wie im Geiste Voltaires Aufklärung über Vergangenheit und Gegenwart betrieben wurde. Oder dass dort heimatvertriebene Franzosen, Algerier, Spanier und, nach dem faschistischen Putsch 1973, auch Chilenen willkommen waren und solidarische Unterstützung fanden.
Halberstadt war die Seele, oder wie die Frankfurter Rundschau schrieb, das »linke Gewissen« der Stadt. Er rührte die Trommel für ein linkes Bündnis, solange es ging. Nun ist Heiner Halberstadt mit 92 Jahren in Frankfurt am Main verstorben. Nicht nur bei den Ostermärschen sah man die Lücke, die er hinterließ.