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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Im Cyberkrieg

Wie beginnt Krieg? Viel­leicht so: Im Juni leg­ten die USA mili­tä­ri­sche Com­pu­ter­sy­ste­me des Iran lahm. Das Inter­net­por­tal Ger­man For­eign Poli­cy berich­te­te (24.6.2019), Washing­ton habe die Voll­mach­ten des U.S. Cyber Com­mand erwei­tert; jetzt dür­fe auch die Strom­ver­sor­gung feind­li­cher Staa­ten unter­bro­chen wer­den. Schon 2010 konn­te der Iran einen Com­pu­ter­an­griff auf sei­ne Atom­an­la­gen mit dem Virus Stux­net auf­decken, das nach über­ein­stim­men­den Anga­ben von Exper­ten und Insi­dern von den USA und Isra­el gegen Iran ein­ge­setzt wor­den war.

Von inter­na­tio­na­len Rüstungs­kon­zer­nen gespon­sert, tra­fen sich kürz­lich hoch­ran­gi­ge NATO-Mili­tärs, Poli­ti­ker sowie Rüstungs­in­du­stri­el­le zu einer Kon­fe­renz in Kal­kar, »um den kom­bi­nier­ten Ein­satz aller Waf­fen­gat­tun­gen auf allen Ebe­nen der Kriegs­füh­rung – von Angrif­fen im Inter­net, also dem Cyber­krieg, bis zum Krieg aus dem und im Welt­raum« zu pla­nen (jun­ge Welt, 28.9.2019). Die Esse­ner Frie­dens­be­we­gung pro­te­stier­te unter dem Mot­to »Frie­dens­per­spek­ti­ven statt Kriegs­pla­nung« gegen den Kongress.

Die Bun­des­wehr rüstet auf – auch für den Cyber­krieg. Zu den Teil­streit­kräf­ten Heer, Mari­ne und Luft­waf­fe zählt jetzt auch »Cyber«, das Inter­net ist mili­tä­ri­sches Ope­ra­ti­ons­ge­biet. Seit April 2018 arbei­tet das Zen­trum für Cyber-Ope­ra­tio­nen (ZCO) dar­an, eine »erfolg­rei­che und bedro­hungs­ge­rech­te Auf­trags­er­fül­lung der Bun­des­wehr im Zeit­al­ter der Digi­ta­li­sie­rung und hybri­der Kriegs­füh­rung« zu gewähr­lei­sten, wie im Inter­net­por­tal der Bun­des­wehr zu lesen ist. Das deut­sche Mili­tär betei­lig­te sich auch am NATO-Manö­ver »Locked Shields«: Laut Übungs­plan war die Chlor­zu­fuhr in den Was­ser­wer­ken mit Hil­fe eines Schad­pro­gramms mani­pu­liert wor­den, um das Trink­was­ser zu ver­gif­ten. Und da der Feind mit Fake News in den sozia­len Netz­wer­ken die Bevöl­ke­rung ver­wirr­te, soll­te er durch geeig­ne­te Gegen­in­for­ma­tio­nen bekämpft werden.

Wann also beginnt Krieg? Als War­nung an den rus­si­schen Prä­si­den­ten Putin ver­stärk­ten die USA ihre Mani­pu­la­ti­on der Strom­net­ze Russ­lands – so berich­te­te die New York Times. Unter US-Prä­si­dent Trump sei­en sol­che Aktio­nen zur Vor­be­rei­tung von Sabo­ta­ge aus­ge­baut wor­den (hei­se online, 16.6.2019). Der Cyber­krieg bleibt aber kein »Pri­vi­leg« der Groß­mäch­te. Cyber­auf­rü­stung betrei­ben inzwi­schen etwa 100 Staa­ten. Sie alle befas­sen sich mit der Kriegs­füh­rung mit­hil­fe der Infor­ma­ti­ons- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­nik, mit der Soft­ware als Waffe.

In einer Bro­schü­re der Infor­ma­ti­ons­stel­le Mili­ta­ri­sie­rung IMI (»Krieg im Infor­ma­ti­ons­raum«, auch kosten­los als PDF) beschreibt Hans-Jörg Kreow­ski, wie mit Schad­soft­ware (Viren, Wür­mer und Tro­ja­ner) Spio­na­ge, Pro­pa­gan­da und Mani­pu­la­ti­on betrie­ben wird, Com­pu­ter­sy­ste­me umfunk­tio­niert und lahm­ge­legt und gan­ze Anla­gen fern­ge­steu­ert oder zer­stört wer­den kön­nen. Die »Vor­tei­le« der IT-Kriegs­füh­rung sind offen­sicht­lich: Sie ist bil­lig, lässt kaum Rück­schlüs­se auf die Urhe­ber zu, schont eige­ne Kräf­te. Damit begün­stigt sie auch Angrif­fe unter­halb der offe­nen Kriegs­schwel­le. Und: Angrif­fen unter »fal­scher Flag­ge« sind Tür und Tor geöff­net. Immer wie­der wird etwa Russ­land beweis­los der Cyber­at­tacken beschul­digt, ohne die Fra­ge zu stel­len, wel­che Mäch­te ein Inter­es­se haben, das Feind­bild Russ­land durch »Fal­se Flag«-Aktionen zu pfle­gen (vgl. dazu Ralph Hart­mann in Ossietzky 21/​2018).

Angrif­fe zie­len nicht nur auf mili­tä­ri­sche Anla­gen, son­dern auf die Grund­ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung: auf Was­ser- und Ener­gie­ver­sor­gung, Ver­kehr, Ver­wal­tung, Kran­ken­häu­ser. Wann jemals hat Kriegs­füh­rung auf die Bedürf­nis­se, die Sor­gen und auf das Leben der Men­schen Rück­sicht genom­men? Nach der Gen­fer Kon­ven­ti­on müss­ten Cyber­waf­fen ver­bo­ten wer­den – zumin­dest in ihrer offen­si­ven Ver­wen­dung. Aber was küm­mert Bun­des­wehr und Bun­des­re­gie­rung das huma­ni­tä­re Völ­ker­recht bei der Auf­rü­stung? Offen prei­sen sie die Angriffs­fä­hig­keit: »Offen­si­ve Cyber-Fähig­kei­ten der Bun­des­wehr haben grund­sätz­lich das Poten­zi­al, das Wirk­spek­trum der Bun­des­wehr in mul­ti­na­tio­na­len Ein­sät­zen signi­fi­kant zu erwei­tern.« (BMVg, 16.4.2015, ver­öf­fent­licht von Netzpolitik.org) Wie geden­ken Poli­ti­ker und Mili­tärs, bei gehei­men Cyber­ope­ra­tio­nen dem Par­la­ments­vor­be­halt gerecht zu wer­den? Offen­sicht­lich gar nicht.

NATO und EU im Info-Krieg

Jede Auf­rü­stung, jeder Krieg benö­tigt ein kla­res Feind­bild und eine effek­ti­ve Stra­te­gie zur Beein­flus­sung der Bevöl­ke­rung. So auch der Cyber­krieg. Das Feind­bild Russ­land und Putin bau­en Poli­ti­ker und Medi­en seit Jah­ren auf, häm­mern es gera­de­zu ein. Jür­gen Wag­ner von IMI zitiert in der erwähn­ten Bro­schü­re aus einem Arbeits­pa­pier der Bun­des­aka­de­mie für Sicher­heits­po­li­tik: »Wir soll­ten uns nicht der Illu­si­on hin­ge­ben […], dass der der­zei­ti­ge Kon­flikt mit Russ­land von vor­über­ge­hen­der Dau­er sei. […] In sei­nem Krieg gegen den Westen greift Russ­land auf ver­schie­de­ne Instru­men­te zurück.« (Russ­land führt Krieg gegen uns? Die het­ze­ri­sche Spra­che dient der eige­nen Kriegs­vor­be­rei­tung.) Das Ziel sei, mit Mit­teln der vir­tu­el­len Kriegs­füh­rung »das Ver­trau­en der west­li­chen Gesell­schaft in die eige­nen Insti­tu­tio­nen und poli­ti­schen zu unter­gra­ben«. Mit dem Arse­nal der »hybri­den Kriegs­füh­rung«, vor allem mit Pro­pa­gan­da und aggres­si­ven Cyber­at­tacken ver­su­che Russ­land, poli­ti­sche Pro­zes­se hier­zu­lan­de zu beein­flus­sen. Das schwin­den­de Ver­trau­en der Bevöl­ke­rung in Poli­tik und rea­le Demo­kra­tie: nur Ergeb­nis feind­li­cher Propaganda?

Der angeb­li­che rus­si­sche Cyber­krieg dient dem Westen als Argu­ment für Gegen­maß­nah­men: Die Bun­des­aka­de­mie hält die För­de­rung von Initia­ti­ven und der Zivil­ge­sell­schaft in Russ­land für not­wen­dig. Nicht ein direk­ter Regime­wech­sel, wohl aber die »Ent­ste­hung alter­na­ti­ver poli­ti­scher Eli­ten in Russ­land« ist das Ziel. Dafür müs­sen krea­ti­ve tech­no­lo­gi­sche und recht­li­che Lösun­gen ange­strebt wer­den. Konn­ten wir sol­che Akti­vi­tä­ten des Westens nicht bereits in Län­dern wie Vene­zue­la und der Ukrai­ne ver­fol­gen? Allem Anschein nach bedie­nen sich die West­mäch­te beim Kampf gegen »hybri­de Bedro­hun­gen« – so das neue Schlag­wort des Mili­tärs – genau der Mit­tel, die dem »Feind« ange­la­stet wer­den. Der Kampf um die Deu­tungs­ho­heit ist ein ent­schei­den­der Teil der Stra­te­gie des Cyber­krie­ges. Aber selbst­ver­ständ­lich wer­den hybri­de Bedro­hun­gen wie »mas­si­ve Des­in­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen unter Ver­wen­dung sozia­ler Medi­en zur Kon­trol­le poli­ti­scher Nar­ra­ti­ve oder zur Radi­ka­li­sie­rung …« nur beim Feind ausgemacht.

Das west­li­che Mili­tär­bünd­nis will in den Köp­fen die Kern­bot­schaft die Kern­bot­schaft ver­an­kern, es bekämp­fe die wirk­lich bösen Men­schen, die die Men­schen­rech­te ver­let­zen, wie es in einer NATO-Stu­die heißt. Hier kommt deut­lich die Ten­denz zum Vor­schein, die Nor­man Paech in sei­nem Buch »Men­schen­rech­te« (Papy­Ros­sa, 2019) so cha­rak­te­ri­siert: »Unter dem huma­ni­tä­ren Man­tel des Men­schen­rechts­en­ga­ge­ments kommt all­zu deut­lich der nack­te Kampf um geo­po­li­ti­sche Vor­tei­le zum Vor­schein« – Men­schen­rech­te im Dien­ste des Krie­ges. Und der Infor­ma­ti­ons­krieg muss auch an der Hei­mat­front geführt wer­den. Die Geheim­dien­ste in der EU müs­sen, wie Wag­ner beschreibt, Daten dar­über sam­meln, wer Pro­pa­gan­da des Fein­des kon­su­miert; die­se erkennt man dar­an, dass sie staat­li­che Inter­es­sen zu unter­gra­ben sucht. In die­sem Sinn ist es fol­ge­rich­tig, wenn die Tages­zei­tung jun­ge Welt vom Ver­fas­sungs­schutz beob­ach­tet wird und das Nach­rich­ten­por­tal Rus­sia Today sich stän­dig des Pro­pa­gan­da­vor­wurfs erweh­ren muss.

Vie­le for­dern: Der eska­lie­ren­de Cyber- und Infor­ma­ti­ons­krieg ist zu äch­ten, denn er ver­stößt gegen das Völ­ker­recht, die UN-Char­ta und selbst gegen den NATO-Ver­trag. Er ist unkon­trol­lier­bar und kann im Fall eines ver­hee­ren­den Cyber­an­griffs sogar den kol­lek­ti­ven Ver­tei­di­gungs­me­cha­nis­mus der NATO aus­lö­sen. Staa­ten ist zwar nicht die Abwehr von Cyber­an­grif­fen zu ver­weh­ren. Es gibt aber kei­nen Grund, sie dem Mili­tär zu über­las­sen. Umso mehr, als die Bun­des­wehr offen­si­ve Ope­ra­tio­nen ganz selbst­ver­ständ­lich zu ihren Auf­ga­ben zählt und das Bun­des­in­nen­mi­ni­ste­ri­um an einem Geset­zes­pa­ket zum »Hack­back« arbei­tet, also an »akti­ver Gefah­ren­ab­wehr« – was zahl­rei­che Initia­ti­ven und Fach­leu­te als eben­so sinn­los und gefähr­lich wie auch für ver­fas­sungs­wid­rig halten.

Oberst­leut­nant John Zim­mer­mann übte im August für den Wis­sen­schaft­li­chen Dienst des Bun­des­ta­ges (»Ver­schluss­sa­che – Nur für den Dienst­ge­brauch«) klar Kri­tik an den Plä­nen. In sei­nem von Netzpolitik.org öffent­lich gemach­ten Gut­ach­ten heißt es, man kön­ne »unin­ten­dier­te Schä­den« an Zivi­li­sten und zivi­len Ein­rich­tun­gen nicht ver­mei­den; Wett­rü­sten und Mili­ta­ri­sie­rung wür­den »mehr neue Pro­ble­me schaf­fen als bestehen­de lösen«. Gene­rell sei das »Zie­hen von kla­ren defi­ni­to­ri­schen Gren­zen zwi­schen Angriff und Ver­tei­di­gung kaum mög­lich«. Die Bun­des­wehr sol­le sich »auf den defen­si­ven Schutz ihrer Struk­tu­ren und Ein­rich­tun­gen beschränken«.

Die Bun­des­wehr sol­le sich »auf den defen­si­ven Schutz ihrer Struk­tu­ren und Ein­rich­tun­gen beschränken«.

Ein klei­ner Video­bei­trag des Forums Infor­ma­ti­ke­rIn­nen für Frie­den und gesell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung FIFF fasst im Titel zusam­men, wor­auf es ankommt: »Cyber­peace statt Cyber­war« (s. unter die­sem Titel bei you­tube). Es gibt wich­ti­ge Grün­de dafür, Cyber­war genau­so zu äch­ten wie che­mi­sche und bio­lo­gi­sche Waf­fen. Deut­sche Poli­ti­ker soll­ten Ver­ant­wor­tung über­neh­men und den Cyber­wett­lauf stop­pen sowie Abrü­stungs­in­itia­ti­ven unter­stüt­zen oder selbst ergreifen.

Der Nega­tiv­preis Big­Brot­he­rA­ward 2017 ging an die Bun­des­wehr und die Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­rin Ursu­la von der Ley­en, »für die mas­si­ve digi­ta­le Auf­rü­stung der Bun­des­wehr mit dem neu­en ›Kom­man­do Cyber- und Infor­ma­ti­ons­raum‹ (Kdo­CIR)«. Die von Rolf Gös­s­ner gehal­te­ne Lau­da­tio ist in Ossietzky 10/​2017 nachzulesen.