In meiner Erziehung oder dem, was darin nicht stattfand, ist einiges schiefgelaufen. Ich kann mich für das gegenwärtige Kriegsgeschrei nicht positiv engagieren. Wenn die heutigen Wiedergänger eines Größenwahnsinnigen, statt von »totaler Waffenlieferung«, von der Aufgabe sprechen, »All-In«, wie jüngst Roderich Kiesewetter, CDU, fühle ich mich entsetzt. Meine Zweifel an dem Sinn dieser Aussage führe ich nicht nur auf Kriegsmüdigkeit zurück.
Ich klage mich an, weil ich ein »erbärmlicher Lump« bin und diesen Krieg nicht als einen Verteidigungskrieg für unsere »Werte« betrachten kann. Mein Widerwille reicht nahe an »Wehrkraftzersetzung« heran, weil ich meinen Unglauben möglichst laut kommuniziere, auch wenn mir nur wenige Menschen zuhören.
Ich klage mich an, weil ich die Dauerschleifen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr ertragen kann, wo gestanzte Formeln präsentiert werden und, wenn Widersprüche nicht mehr geleugnet werden können, die Meldungen durch »weinende Kinder« übermalt werden. Gefühle sollen das Nachdenken erschweren oder unmöglich machen. Journalisten nennen das Storytelling.
Ich klage mich an. Zwar kenne ich noch keinen Volksgerichtshof, aber dessen Funktion ist ohnehin zu den Talkshows von Caren Miosga oder Markus Lanz ausgewandert und wird dort genüsslich durchgespielt. Und so sehe ich, wie andere »angeklagt« werden, weswegen ich mich nicht ganz so allein fühle.
Ich klage mich an, weil ich zwischen den vergangenen propagandistischen Unterstützungen zweier Weltkriege durch die christlichen Kirchen und der »ethischen Rechtfertigung von Waffenlieferungen« eine Verbindung herstelle. Diese Kirchen haben bei den präemptiven Kriegen der USA kaum mit der Wimper gezuckt, holen nun aber Ethik aus dem Arsenal ihrer Propaganda heraus, obwohl sie erkennbar nichts wissen als das, was in den Medien dargeboten wird. Sie erkennen nicht einmal mehr die Definitionsmacht der herrschenden Mächte. Kirchen waren für Geld immer gern bereit, Kompromisse einzugehen, um ihre eigene Macht zu sichern. Hitler wurde an die Macht gehoben. Die Bezeichnung »ergriffen« ist durchaus schief und sehr einseitig gedacht und behauptet.
Ich klage mich an, weil ich so voller Zweifel bin, wenn mir Aussagen von Politikern um die Ohren gehauen werden, die sich in großen Zahlen nur ständig überbieten. Einst und vor nicht langer Zeit waren es 10 Mio. E-Mobile, dann ein paar Millionen Wärmepumpen, schließlich eine Verdoppelung oder Verdreifachung der Windkraftanlagen und so weiter. Zahlen groß und unvorstellbar, aber kaum ausreichend Leitungen, um den Strom dorthin zu befördern, wo er benötigt wird.
Ich klage mich an, dass es mir an Solidarität fehlt, weil ich immer noch keinen Organspenderausweis habe, denn mir widerstrebt der Gedanke, wie ein Ersatzteillager ausgeschlachtet werden zu können, nicht zuletzt, um den Geldinteressen der Transplantationsfantasien dienlich zu sein.
Ich klage mich an, weil ich im privaten Bereich mit Konsumzurückhaltung auf Krisengeschrei antworte, statt meiner Pflicht als Konsumbürger nachzukommen und einen Beitrag zum Wachstum des Bruttoinlandsproduktes zu leisten.
Ich klage mich an, weil ich dem Ordnungswahn etlicher Nachbarn nicht folgen will und meinen Garten für allerlei Getier öffne und auch die Ratten nicht gleich erschlage, nur weil sie Allesfresser sind, wie wir Menschen. Wer ist hier mehr Plage, die Ratten oder die Menschen? Rattenplage als Problem der Kulturfolger, oder ist die Plage in der Kultur zu sehen, die in hohem Umfang eine des Konsums und des Wegwerfens ist? Dem Candide von Voltaire wurde wenigstens in seinem Garten die Ruhe gelassen, heute schauen Nachbarn mit Argusaugen, ob es jemand wagt, aus der Reihe zu tanzen.
Ich klage mich an, weil ich meine alten Erfahrungen mit diesem unserem Staat, »in der besten aller möglichen Welten« nicht vergessen kann. Die politische Polizei hätte mir bei Nichtunterwerfung 1964 hinterher gern das Ablegen einer Abiturprüfung unmöglich gemacht. Später wurde mir bei der damaligen Post für die Tätigkeit als Briefzusteller ständig ein Bekenntnis abverlangt, einer Reihe von Organisationen nicht anzugehören. Das konnte ich fast noch bejahen, aber, wohin ich gehörte und was ich dachte, darüber habe ich gelogen. Der damalige Staat hatte sich selbst delegitimiert, denn die alten Nazis hatten in großem Umfang nur ihre Mäntelchen nach dem Wind gehängt und besetzten wieder wichtige Posten in Parteien und Universitäten.
Ich klage mich an, an die Götter dieses Staates nicht zu glauben, und um dem die Krone aufzusetzen, überhaupt an keinen Gott und seine Interpreten. Seit dem seligen Sokrates werden solche Menschen gern vor Gerichte gezerrt, um sie entweder in den Tod zu treiben oder doch wenigsten mundtot zu machen. Was unterscheidet den physischen Tod vom gesellschaftlichen? Nun sicher ist, man kann in der Ruhigstellung auf bessere Zeiten hoffen. »Als er siebzig war und gebrechlich, drängte es den Lehrer doch nach Ruh. Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu. Und er gürtete den Schuh« (Brecht).
Ich klage mich an, dass ich trotz der vielen persönlichen Niederlagen nicht ablassen will, zu philosophieren.
Ich klage mich an, weil ich meinen Schwur im KZ-Sachsenhausen aus meiner Sicht nicht erfüllt habe, nämlich alles dafür zu tun, dass von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgeht. Vor welchen Panzer können wir uns stellen, damit diese nicht in einem Dritten Waffengang mit Russland eingesetzt werden? Nach dem heiligen Krieg von 1914 folgte der »Vernichtungskrieg« gegen ein Land, was viel zu groß war im Verhältnis zum dynamischen Deutschland, dem es immer an Rohstoffen fehlte oder an einer »Kornkammer«. Ich klage mich an, weil ich Muster erkenne, wo die hohen Priester der Werte keine sehen wollen, und diejenigen, die es können, als halbe Verräter einstufen. Die Hightech-Fregatte Hessen dampft schon mal los, so dass sich eine Diskussion im Parlament über ein Einsatzmandat erübrigt. Und ich kann nicht schwimmen und mich an den Bug dieses Ungeheuers klammern.