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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ich klage mich an

In mei­ner Erzie­hung oder dem, was dar­in nicht statt­fand, ist eini­ges schief­ge­lau­fen. Ich kann mich für das gegen­wär­ti­ge Kriegs­ge­schrei nicht posi­tiv enga­gie­ren. Wenn die heu­ti­gen Wie­der­gän­ger eines Grö­ßen­wahn­sin­ni­gen, statt von »tota­ler Waf­fen­lie­fe­rung«, von der Auf­ga­be spre­chen, »All-In«, wie jüngst Rode­rich Kie­se­wet­ter, CDU, füh­le ich mich ent­setzt. Mei­ne Zwei­fel an dem Sinn die­ser Aus­sa­ge füh­re ich nicht nur auf Kriegs­mü­dig­keit zurück.

Ich kla­ge mich an, weil ich ein »erbärm­li­cher Lump« bin und die­sen Krieg nicht als einen Ver­tei­di­gungs­krieg für unse­re »Wer­te« betrach­ten kann. Mein Wider­wil­le reicht nahe an »Wehr­kraft­zer­set­zung« her­an, weil ich mei­nen Unglau­ben mög­lichst laut kom­mu­ni­zie­re, auch wenn mir nur weni­ge Men­schen zuhören.

Ich kla­ge mich an, weil ich die Dau­er­schlei­fen im öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk nicht mehr ertra­gen kann, wo gestanz­te For­meln prä­sen­tiert wer­den und, wenn Wider­sprü­che nicht mehr geleug­net wer­den kön­nen, die Mel­dun­gen durch »wei­nen­de Kin­der« über­malt wer­den. Gefüh­le sol­len das Nach­den­ken erschwe­ren oder unmög­lich machen. Jour­na­li­sten nen­nen das Storytelling.

Ich kla­ge mich an. Zwar ken­ne ich noch kei­nen Volks­ge­richts­hof, aber des­sen Funk­ti­on ist ohne­hin zu den Talk­shows von Caren Mios­ga oder Mar­kus Lanz aus­ge­wan­dert und wird dort genüss­lich durch­ge­spielt. Und so sehe ich, wie ande­re »ange­klagt« wer­den, wes­we­gen ich mich nicht ganz so allein fühle.

Ich kla­ge mich an, weil ich zwi­schen den ver­gan­ge­nen pro­pa­gan­di­sti­schen Unter­stüt­zun­gen zwei­er Welt­krie­ge durch die christ­li­chen Kir­chen und der »ethi­schen Recht­fer­ti­gung von Waf­fen­lie­fe­run­gen« eine Ver­bin­dung her­stel­le. Die­se Kir­chen haben bei den prä­emp­ti­ven Krie­gen der USA kaum mit der Wim­per gezuckt, holen nun aber Ethik aus dem Arse­nal ihrer Pro­pa­gan­da her­aus, obwohl sie erkenn­bar nichts wis­sen als das, was in den Medi­en dar­ge­bo­ten wird. Sie erken­nen nicht ein­mal mehr die Defi­ni­ti­ons­macht der herr­schen­den Mäch­te. Kir­chen waren für Geld immer gern bereit, Kom­pro­mis­se ein­zu­ge­hen, um ihre eige­ne Macht zu sichern. Hit­ler wur­de an die Macht geho­ben. Die Bezeich­nung »ergrif­fen« ist durch­aus schief und sehr ein­sei­tig gedacht und behauptet.

Ich kla­ge mich an, weil ich so vol­ler Zwei­fel bin, wenn mir Aus­sa­gen von Poli­ti­kern um die Ohren gehau­en wer­den, die sich in gro­ßen Zah­len nur stän­dig über­bie­ten. Einst und vor nicht lan­ger Zeit waren es 10 Mio. E-Mobi­le, dann ein paar Mil­lio­nen Wär­me­pum­pen, schließ­lich eine Ver­dop­pe­lung oder Ver­drei­fa­chung der Wind­kraft­an­la­gen und so wei­ter. Zah­len groß und unvor­stell­bar, aber kaum aus­rei­chend Lei­tun­gen, um den Strom dort­hin zu beför­dern, wo er benö­tigt wird.

Ich kla­ge mich an, dass es mir an Soli­da­ri­tät fehlt, weil ich immer noch kei­nen Organ­spen­der­aus­weis habe, denn mir wider­strebt der Gedan­ke, wie ein Ersatz­teil­la­ger aus­ge­schlach­tet wer­den zu kön­nen, nicht zuletzt, um den Geld­in­ter­es­sen der Trans­plan­ta­ti­ons­fan­ta­sien dien­lich zu sein.

Ich kla­ge mich an, weil ich im pri­va­ten Bereich mit Kon­sum­zu­rück­hal­tung auf Kri­sen­ge­schrei ant­wor­te, statt mei­ner Pflicht als Kon­sum­bür­ger nach­zu­kom­men und einen Bei­trag zum Wachs­tum des Brut­to­in­lands­pro­duk­tes zu leisten.

Ich kla­ge mich an, weil ich dem Ord­nungs­wahn etli­cher Nach­barn nicht fol­gen will und mei­nen Gar­ten für aller­lei Getier öff­ne und auch die Rat­ten nicht gleich erschla­ge, nur weil sie Alles­fres­ser sind, wie wir Men­schen. Wer ist hier mehr Pla­ge, die Rat­ten oder die Men­schen? Rat­ten­pla­ge als Pro­blem der Kul­tur­fol­ger, oder ist die Pla­ge in der Kul­tur zu sehen, die in hohem Umfang eine des Kon­sums und des Weg­wer­fens ist? Dem Can­di­de von Vol­taire wur­de wenig­stens in sei­nem Gar­ten die Ruhe gelas­sen, heu­te schau­en Nach­barn mit Argus­au­gen, ob es jemand wagt, aus der Rei­he zu tanzen.

Ich kla­ge mich an, weil ich mei­ne alten Erfah­run­gen mit die­sem unse­rem Staat, »in der besten aller mög­li­chen Wel­ten« nicht ver­ges­sen kann. Die poli­ti­sche Poli­zei hät­te mir bei Nicht­un­ter­wer­fung 1964 hin­ter­her gern das Able­gen einer Abitur­prü­fung unmög­lich gemacht. Spä­ter wur­de mir bei der dama­li­gen Post für die Tätig­keit als Brief­zu­stel­ler stän­dig ein Bekennt­nis abver­langt, einer Rei­he von Orga­ni­sa­tio­nen nicht anzu­ge­hö­ren. Das konn­te ich fast noch beja­hen, aber, wohin ich gehör­te und was ich dach­te, dar­über habe ich gelo­gen. Der dama­li­ge Staat hat­te sich selbst dele­gi­ti­miert, denn die alten Nazis hat­ten in gro­ßem Umfang nur ihre Män­tel­chen nach dem Wind gehängt und besetz­ten wie­der wich­ti­ge Posten in Par­tei­en und Universitäten.

Ich kla­ge mich an, an die Göt­ter die­ses Staa­tes nicht zu glau­ben, und um dem die Kro­ne auf­zu­set­zen, über­haupt an kei­nen Gott und sei­ne Inter­pre­ten. Seit dem seli­gen Sokra­tes wer­den sol­che Men­schen gern vor Gerich­te gezerrt, um sie ent­we­der in den Tod zu trei­ben oder doch wenig­sten mund­tot zu machen. Was unter­schei­det den phy­si­schen Tod vom gesell­schaft­li­chen? Nun sicher ist, man kann in der Ruhig­stel­lung auf bes­se­re Zei­ten hof­fen. »Als er sieb­zig war und gebrech­lich, dräng­te es den Leh­rer doch nach Ruh. Denn die Güte war im Lan­de wie­der ein­mal schwäch­lich und die Bos­heit nahm an Kräf­ten wie­der ein­mal zu. Und er gür­te­te den Schuh« (Brecht).

Ich kla­ge mich an, dass ich trotz der vie­len per­sön­li­chen Nie­der­la­gen nicht ablas­sen will, zu philosophieren.

Ich kla­ge mich an, weil ich mei­nen Schwur im KZ-Sach­sen­hau­sen aus mei­ner Sicht nicht erfüllt habe, näm­lich alles dafür zu tun, dass von deut­schem Boden kein Krieg mehr aus­geht. Vor wel­chen Pan­zer kön­nen wir uns stel­len, damit die­se nicht in einem Drit­ten Waf­fen­gang mit Russ­land ein­ge­setzt wer­den? Nach dem hei­li­gen Krieg von 1914 folg­te der »Ver­nich­tungs­krieg« gegen ein Land, was viel zu groß war im Ver­hält­nis zum dyna­mi­schen Deutsch­land, dem es immer an Roh­stof­fen fehl­te oder an einer »Korn­kam­mer«. Ich kla­ge mich an, weil ich Muster erken­ne, wo die hohen Prie­ster der Wer­te kei­ne sehen wol­len, und die­je­ni­gen, die es kön­nen, als hal­be Ver­rä­ter ein­stu­fen. Die High­tech-Fre­gat­te Hes­sen dampft schon mal los, so dass sich eine Dis­kus­si­on im Par­la­ment über ein Ein­satz­man­dat erüb­rigt. Und ich kann nicht schwim­men und mich an den Bug die­ses Unge­heu­ers klammern.