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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ich bekenne mich untüchtig

Wir müs­sen kriegs­tüch­tig wer­den. Wir müs­sen wehr­haft sein. Und die Bun­des­wehr und die Gesell­schaft dafür auf­stel­len. (Boris Pisto­ri­us, deut­scher Verteidigungsminister)

Wenn ich mir die Mühe machen wür­de, jede unsäg­li­che Äuße­rung der Regie­rung in Deutsch­land mei­ner vol­len Auf­merk­sam­keit zu unter­zie­hen, wür­den die Schmer­zen im Kopf neue uner­träg­li­che Höhen erklim­men. Doch die Aus­sa­ge »Wir müs­sen kriegs­tüch­tig wer­den« hat sogar auf die­ser Nega­tiv-Ska­la eine ein­sa­me Spit­ze erreicht.

Die­ser Satz ist ja ein­ge­bet­tet in einen schon vor­be­rei­te­ten Reso­nanz­raum, in wel­chen u. a. der Vor­satz, Russ­land rui­nie­ren zu wol­len, einen gei­sti­gen Rah­men abge­steckt hat. Die­se Aus­sa­ge beinhal­tet ja, dass rund 140 Mil­lio­nen Rus­sen und Rus­sin­nen rui­niert wer­den sol­len. Es schließt alle ein, also vom Kind bis ins hohe Alter. Wel­ches Men­schen­bild hin­ter sol­chen und ande­ren Aus­sa­gen ste­hen mag, und wel­che Erwar­tun­gen dar­an geknüpft waren und sind, mag jeder für sich selbst ent­schei­den. Aber die ble­cher­ne Marsch­mu­sik hin zu mehr Mili­tär­aus­ga­ben gibt eine Rich­tung vor, der gefolgt wer­den soll.

Wir alle ken­nen den Begriff der Tüch­tig­keit (eine tüch­ti­ge Per­son etc.). Doch was ist kriegs­tüch­tig? Die­se Fra­ge ist ja nicht unwich­tig, wenn es uns doch schein­bar alle angeht, denn – Geschich­te droht sich in einer Far­ce zu wie­der­ho­len – in die­sem Zusam­men­hang wer­den ja offen­kun­dig kei­ne Klas­sen mehr gekannt! Ange­lehnt an einen Film­ti­tel über den Wie­ner Major Kottan aus den frü­hen 1980ern: »Dem Tüch­ti­gen gehört die Welt«, stell­te ich mir die ban­ge Fra­ge: Soll bald dem Kriegs­tüch­ti­gen die Welt gehö­ren? Der ange­spro­che­ne Film war eine Kri­mi­par­odie, doch die Mäch­ti­gen mei­nen es offen­kun­dig sehr ernst mit ihren Aussagen.

Ich for­mu­lie­re es mal anders: Wir sol­len also eine Ertüch­ti­gung durch­füh­ren, hin zum Krie­ge. Mit Clau­se­witz for­mu­liert, eine Ertüch­ti­gung hin zu jenem Akt der Gewalt, der den Geg­ner zur Erfül­lung des eige­nen Wil­lens zwingt. Das müss­te ein­schlie­ßen, dass da wenig­stens ein Geg­ner (bestimmt ein ganz böses Unrechts­re­gime!) schon bekannt sei. Und die­se Hin­wen­dung zur Ertüch­ti­gung, selbst­ver­ständ­lich unter der Knu­te von Befehl und Gehor­sam, kann sich nicht mit Miss­klän­gen von schnö­den Dis­kus­sio­nen um, zum Bei­spiel, sozia­le The­men oder gar den immer grö­ßer wer­den­den Spalt zwi­schen weni­gen Rei­chen und sehr vie­len Armen ablen­ken las­sen. Sol­che Fan­ta­ste­rei­en wären irgend­wie eine Zer­set­zung des anvi­sier­ten Zieles.

Man stel­le sich mal die­ses Sze­na­rio vor: Sozia­ler Unmut, nur weil man­che Super­rei­che immer rei­cher wer­den – auch durch Krieg –, und im Gegen­zug kol­la­biert das sozia­le System. So etwas wäre doch mit der Ziel­set­zung der Kriegs­tüch­tig­keit abso­lut unver­ein­bar, also auch jeg­li­che Form von auf­kom­men­dem Pro­test gegen die­se sozia­le Unge­rech­tig­keit. Auch Streiks wür­den dann wirk­lich die gro­ße amor­phe Wir-Gemein­schaft stö­ren, auf­grund des Unwil­lens, das gro­ße Gan­ze zu betrach­ten. Mensch muss die Letz­te Gene­ra­ti­on und deren Aktio­nen nicht mögen, und der Schrei­ber die­ser Zei­len ist kein Fan, aber sind wir uns alle ganz sicher, dass die­se doch recht über­zo­ge­ne Kri­mi­na­li­sie­rungs-Maschi­ne­rie nicht auch zukünf­tig gegen sozia­len Pro­test ins­ge­samt ange­wen­det wer­den könnte?

Ich weiß ja nicht, wie Sie es für sich sehen, lie­be Lese­rin, lie­ber Leser, aber ich hal­te mich, ohne jedes inne­re Bedau­ern, nicht für tüch­tig genug, die Zie­le des Herrn Pisto­ri­us zum Erfolg zu geleiten.