Diesmal wurden keine Bücher verbrannt in den ersten Tagen des Mai. Aber es gab ironische Parallelen, einige davon nur allzu erschreckend!
Es war der 10. Mai in Deutschlands schrecklichem Jahr 1933, Hitler war kaum drei Monate an der Macht, als Studenten und Mitarbeiter die Universitätsbibliotheken von verbotenen Büchern leerten und sie, schätzungsweise 20.000 Bücher von über hundert Autoren, in die Flammen eines riesigen Feuers warfen. Die meisten Autoren waren deutsch – jüdisch, atheistisch, liberal, links, Bertolt Brecht, Anna Seghers, Sigmund Freud und Magnus Hirschfeld, aber auch einige ausländische Werke wurden in die Flammen geworfen – Maxim Gorki, Ernest Hemingway, Jack London, John Dos Passos.
Einundneunzig Jahre später, an diesem 3. Mai, auf dem berühmten Berliner Boulevard Unter den Linden und im Innenhof der Universität, aus der damals die Bücher herausgezerrt worden waren, wurden einige der heutigen Studenten, die mutig und entschlossen waren, das genaue Gegenteil der Nazis von 1933, gewaltsam in bereitstehende Polizeiautos verfrachtet. Die Studenten von 1933 befürworteten den Mord und bereiteten sich auf den Völkermord vor, der danach folgte. Die Studenten des Jahres 2024 protestieren gegen Mord und Völkermord.
Der Regierende Bürgermeister, die Behörden behaupteten, es seien verbotene Hamas-Parolen gerufen worden, und haben damit das brutale Anlegen von Handschellen und die Verhaftungen gerechtfertigt. Es ist möglich, dass einige arabische Teilnehmer, die von den Nachrichten und Bildern aus Gaza emotional bewegt sind, diese Gefühle verallgemeinert haben. Wer weiß das schon? Und ist das wichtig?
Diese Gruppe war nicht antisemitisch; sie umfasste auch jüdische Studenten, einige von ihnen israelische Exilanten. Der Geist dieser ersten dreihundert Demonstranten richtete sich, wie bei ähnlichen Szenen an anderen Hochschulen und Universitäten in Deutschland und anderen Ländern – und so mutig überall in den USA – gegen die Zerstörung von Häusern, Moscheen, Kirchen, Bibliotheken, Schulen und Universitäten in Gaza, die schlimmer ist als jede andere seit 1945, und gegen die Tötung von mehr als 35.000 Menschen, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, und die physische und psychische Verstümmelung von so vielen mehr.
Aber diese Demonstrationen, deren Zahl nun rapide ansteigt, sind mehr als das. Für viele sind sie auch Ausdruck des Protests gegen die gesamte Situation, die sich in Deutschland, und nicht nur in Deutschland, abspielt. Hass liegt in der Luft, jahrhundertealte Überlegenheitsgefühle gegenüber »minderwertigen« Menschen, wachsender Druck, immer zerstörerischere Waffen zu bauen und sich auf ihren Einsatz vorzubereiten – natürlich immer »in berechtigter Selbstverteidigung«, ob in Gaza, in Litauen, Estland oder für Blockaden gegen Menschen an den Grenzen in Texas, Arizona oder entlang der Mittelmeerküste. Und mit diesem Hass wuchs auch der Druck zur Konformität. Bloß nicht aufmucken – oder sonst!
Solche Tendenzen werden immer stärker und zielen auf die Erlangung der totalen Macht ab, und das nicht nur bei den offensichtlich rechtsextremen Gruppen! Denn viele der tatsächlichen, akzeptierten Führer haben Verbindungen zu den milliardenschweren Profiteuren, die scharf sind auf neue Konflikte und mehr Villen, Jets und Yachten.
Es ist der neue Geist des Protests gegen diese Entwicklungen, die Suche nach neuen Antworten, der die herrschenden Kreise beunruhigt, ja ängstigt. Deshalb schicken sie die Polizei in die Hind’s Hall oder in den Innenhof der Humboldt-Universität. Manchmal setzen sie sich durch und können den Widerstand brechen, manchmal können lokale Siege errungen werden. Aber es ist die lang erwartete Bewegung, die zählt, und ihr Aufeinandertreffen mit ebenso mutigen Arbeitern in Automobilwerken, bei Walmart oder Starbucks, oder in Zentralafrika und Zentralamerika.
Die Ironie des Ganzen ist, dass der Schauplatz der Demonstration am Freitag (3. Mai) der Innenhof der Humboldt-Universität im Osten Berlins war, die diesen Namen kurz nach der Niederlage der Nazis und der Befreiung Berlins durch die Rote Armee am 8. Mai 1945 erhielt. Auf die heutigen Kämpfer blickt die Statue Alexander von Humboldts, eines großen Wissenschaftlers und Entdeckers, der sich in den 1820er Jahren leidenschaftlich gegen die Sklaverei, die er in Lateinamerika und den USA erlebte, und gegen Unterdrückung überall einsetzte. Ein würdiger Mäzen.
Und im Inneren des stattlichen Gebäudes (in dem einst Albert Einstein lehrte), und trotz der vielen Veränderungen, die der Charakter der Universität im Laufe der Jahre erfahren hat, ist ein Satz in goldenen Lettern über einer breiten zentralen Treppe erhalten geblieben. Er stammt von einem anderen berühmten Mann, der hier studiert hat, und der ebenfalls als sehr relevant angesehen werden könnte. Der Autor war kein anderer als Karl Marx. Die Worte lauteten: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.«
Vielleicht ist es die Angst vor der Wiederbelebung eines solchen Geistes, die den Bürgermeister und viele Politiker so wütend und besorgt gemacht und die Polizei auf den Plan gerufen hat. Hoffen wir, dass die besseren Analogien Vorbilder sind, nicht die beängstigenden!
Victor Grossman (96), geboren als Stephen Wechsler am 11. März 1928 in New York City, ist ein US-amerikanischer Publizist, der in Berlin lebt. Seine jüdischen Großeltern stammten aus Odessa und aus dem Baltikum. In der McCarthy-Ära als Kommunist mit Haft bedroht, floh er über Österreich in die DDR, wobei er schwimmend die Donau durchquerte. 1954 bis 1958 studierte er Journalistik an der Fakultät für Journalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig. Wir haben uns aus aktuellem Anlass entschlossen, diesen Text abzudrucken, der auf einer Reihe US-amerikanischer Websites im Original und in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek publiziert wurde. Inzwischen haben fast 100 Lehrkräfte von Berliner Universitäten zusammen mit mehr als 150 Lehrenden anderer Universitäten den Ruf nach der Polizei und ihren Einsatz kritisiert. Die Übersetzung des Textes aus dem Englischen besorgte Uli Brockmeyer.