8.5.: Cпасибо (spasibo) heißt danke
Erst- und einmalig in der jüngeren Geschichte ist der 8. Mai in Berlin ein Feiertag (in der DDR bis 1967 und 1985). An den sowjetischen Ehrenmälern im Tiergarten und im Treptower Park und auf den sowjetischen Ehrenfriedhöfen in vielen anderen Städten gedenken Tausende, darunter viele russische Familien, der Befreier vom deutschen Faschismus vor 75 Jahren. Wegen der Corona-Einschränkungen wird auf zentrale Veranstaltungen verzichtet. Wir selbst fahren am langen Wochenende in den Garten zum Feiern, ich war tags zuvor bei der Kranzniederlegung der Linksfraktion im Tiergarten dabei. Sevim Dağdelen und Gregor Gysi legten namens der Fraktion einen Kranz mit »Cпасибо«, »Merci«, »Thank you« und »Danke« nieder.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lässt bei der zentralen, coronabedingt kleinen Gedenkveranstaltung vor der Neuen Wache Lorenz Jansky, Trompeter der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker, »Der gute Kamerad« spielen. Die Rote Armee und die Völker der Sowjetunion, die den Hauptteil an der Befreiung hatten, werden von dem SPD-Politiker mit keinem Wort erwähnt. Auch die Vorsitzenden der Partei Die Linke, Katja Kipping und Bernd Riexinger, lassen sie in einer gemeinsamen Erklärung unerwähnt. Das passt zu ihren Bemühungen um ein »politisch linkes Gegenprojekt«, um eine Koalition mit SPD und russophoben Grünen nach der nächsten Bundestagswahl und einen »sozial-ökologischen Kurswechsel« beziehungsweise einen »linken Green New Deal«. Die Linke soll dafür »Ökopartei mit sozialem Gewissen« werden, wie es die Süddeutsche Zeitung, der das 14-seitige Papier vorab zur Berichterstattung zugespielt wurde, trefflich formuliert.
Gegner von Papst Franziskus melden sich mit einer Stellungnahme zur Corona-Krise zu Wort, die Wasser auf die Mühlen der sogenannten Hygiene-Demonstrationen mit Esoterikern, Impfgegnern und rechten Trittbrettfahrern ist. Das unter anderem von Erzbischof Carlo Maria Viganò, Hongkongs Kardinal Zen und dem deutschen Kardinal Müller verfasste Papier unterstellt, die global ergriffenen Schutzmaßnahmen dienten der »Kriminalisierung persönlicher und sozialer Beziehungen«. So ernst der Kampf gegen Covid-19 sein möge, dürfe er nicht »als Vorwand zur Unterstützung unklarer Absichten supranationaler Einheiten dienen, die sehr starke politische und wirtschaftliche Interessen verfolgen«. Auch die Franziskus-Feinde negieren die Frage: Warum wohl sitzen die Volksrepublik China und Trumps USA, das sozialistische Kuba und die NATO-Staaten im Kampf gegen Corona im selben Boot?
13.5.: Schutzimpfung für das EU-Militär
Den Ländern der EU und der Welt droht die größte Wirtschaftskrise seit der Großen Depression in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die Folgekosten der Corona-Pandemie sind lange nicht absehbar. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell warnt die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union davor, angesichts des wirtschaftlichen Drucks die Militärausgaben zu »vernachlässigen«. Dem EU-Chefdiplomaten zufolge hat Covid-19 »eine neue Bedrohung mit sich gebracht«. Erfordert sei »ein stärkeres Europa in der Welt«.
Wie RT deutsch berichtet, richteten sogenannte Verteidigungsexperten aus Spanien, Italien, Großbritannien, Frankreich und Litauen bereits im April einen Appell an die politischen Entscheidungsträger der EU und forderten diese dazu auf, »die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, anstatt die Mittel zu kürzen, um Geld für die wirtschaftliche Reaktion auf die Coronavirus-Krise freizusetzen«. Angesichts der Tatsache, dass die EU-Regierungen milliardenschwere Konjunkturprogramme auflegten und notwendige Kürzungen in ihre Ausgabenpläne einkalkulierten, »sollten die Verteidigungshaushalte sofort gegen starke Einschnitte ›geimpft‹ werden, bevor die ersten Anzeichen von Sparmaßnahmen zu erkennen sind«.
14.5.: AKW ade
Bewegende Bilder aus Süddeutschland: Gut 35 Jahre nach den ersten von mir miterlebten Demonstrationen in Philippsburg werden dort morgens um 6 Uhr die beiden Kühltürme der abgeschalteten Atomkraftwerke gesprengt. Mein Lateinnachhilfelehrer Kurt Wolff hatte mich seinerzeit als Jugendlichen zu den Friedens- und Umweltprotesten in der Nachbargemeinde mitgenommen und politisch sozialisiert. Wegen der Corona-Krise war der genaue Abrisstermin geheim gehalten worden, um nicht zu viele Schaulustige anzuziehen. Im SWR werden Anwohner mit Tränen in den Augen gezeigt, die ob der jahrzehntelang kilometerweit zu sehenden Meiler nun die Orientierung zu verlieren fürchten. Ich dagegen im fernen Berlin freue mich und wünschte nur, mein politischer Ziehvater hätte das noch erleben können.
20.5.: »Bella Ciao« mit Folgen
Im türkischen Izmir ertönt aus mehreren Moscheelautsprechern statt Gebetsaufrufen das antifaschistische Widerstandslied »Bella Ciao«. Die islamistische Regierungspartei AKP spricht von einer »abscheulichen Tat«, Erdoğan-treue Medien von einer »widerlichen Attacke«. Wegen der Hackeraktion wird der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge eine Frau verhaftet. Ihr soll, wie auch allen, die die Aktion in den sozialen Medien im Internet geteilt haben, der Prozess gemacht werden wegen »Verunglimpfung religiöser Werte«.
21.5.: Krude Appelle gegen Dialog
US-Präsident Donald Trump bekommt bei seinem täglichen China-Bashing Applaus von unerwarteter Seite. Im Vorfeld des vom 13. bis 15. September in Leipzig geplanten EU-China-Gipfels appelliert die autonome Szene unter keingipfel.noblogs.org, »mit uns zusammen den Gipfel anzugreifen!« »Den Herrschenden keine Ruhe – nicht hier in Leipzig und nicht anderswo! Nein zum EU-China-Gipfel!« In dasselbe Horn bläst die Linksjugend Solid: »Es ist pervers. Während in China Millionen von Menschen den Knüppel der chinesischen Staatsmacht erleiden müssen, im Mittelmeer tagtäglich Menschen unter den Augen der EU ersaufen und in Deutschland im Namen des Profites Menschen in die Obdachlosigkeit zwangsgeräumt werden, sollen in Leipzig die Regierenden der EU und Chinas auf unsere Kosten wie König/-innen hausen und verhandeln.« – Ja, was sollen China und die EU sonst tun als verhandeln, wenn Trump mit den Säbeln rasselt, Krieg führen? Dialog, Dialog, Dialog muss das linke Gebot der Stunde heißen. Alles andere ist Wasser auf die Mühlen des Trump’schen Bellizismus.
Ein Trost: In der Bevölkerung verfängt die antichinesische Stimmungsmache nicht, wie eine Umfrage der Körber-Stiftung zeigt. Mehr als ein Drittel der Deutschen sieht heute in China den Partner Nummer eins außerhalb Europas. Im September 2019 waren erst 24 Prozent der Befragten der Meinung, die Beziehungen zu China seien wichtiger als die zu den USA. Jetzt sind 36 Prozent dieser Meinung. Die Gegenposition, dass Amerika für Deutschland wichtiger ist als China, wird jetzt lediglich von 37 Prozent vertreten, im September waren es noch 50 Prozent. Der unterschiedliche Umgang mit der Corona-Pandemie zeigt Wirkung.