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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Hitlers Pferde und der enthauptete Lenin

Die Dau­er­aus­stel­lung »Ent­hüllt. Ber­lin und sei­ne Denk­mä­ler« in der Zita­del­le Ber­lin-Span­dau ist »Deutsch­lands größ­ter archäo­lo­gi­scher Gift­schrank« genannt wor­den, weil sie zuvor in Depots ver­bor­ge­ne, heu­te Miss­fal­len erre­gen­de sowie nach Macht­wech­seln ver­gra­be­ne oder zer­stör­te Denk­mä­ler ver­eint. Die ehe­mals Geehr­ten ste­hen nun in ein­drucks­vol­len Posen, denn lei­den­de Men­schen sind nicht dar­un­ter, geformt aus Bron­ze, Mar­mor oder Gra­nit, im ehe­ma­li­gen Pro­vi­ant­ma­ga­zin der Festung. Die gemein­hin üblich gewor­de­nen Hin­weis­ta­feln mit mah­nen­den und beleh­ren­den Tex­ten feh­len: Besu­cher kön­nen sich also beim Anblick der wohl hun­dert Skulp­tu­ren und Mahn­ma­le ganz unbe­fan­gen ihrem Wider­wil­len oder ihrer Zunei­gung hingeben.

So wer­den vie­le mei­nen, Ger­hard von Scharn­horst, gleich rechts hin­ter dem Ein­gang, gehö­re nicht in den besag­ten Gift­schrank. In der Tat hät­te der Gene­ral­stabs­chef Blü­chers und Schöp­fer eines Volks­hee­res, der mili­tä­ri­sche Pri­vi­le­gi­en des Adels eben­so wie die Prü­gel­stra­fe abschaff­te, einen wür­di­ge­ren Ort ver­dient. Frü­her stand er im Ver­lauf zwei­er Jahr­hun­der­te nahe der Neu­en Wache Unter den Lin­den, ist dann jedoch im ver­ein­ten Deutsch­land offen­bar in Ungna­de gefal­len. Nun gibt es heu­te gute Grün­de, aus dem Ber­li­ner Stadt­bild zu ver­schwin­den. Scharn­horst wur­de, wie auch Bülow von Den­ne­witz, eben­falls ein Frei­heits­kämp­fer, angeb­lich wegen schäd­li­cher Auto­ab­ga­se dar­aus ent­fernt. Ver­mut­lich geschah das aller­dings eher auf das Betrei­ben jener Eife­rer hin, die mei­nen, Preu­ßen sei in histo­ri­scher Kon­ti­nui­tät mit Ausch­witz verbunden.

Scharn­horst steht nach­denk­lich auf sei­nen Säbel gestützt. Er erscheint unschlüs­sig, ob er für das zusam­men­ge­roll­te Doku­ment in sei­ner Lin­ken einen inter­es­sier­ten Emp­fän­ger fin­den wird. Lui­se ist ein­fach nur schön, trägt eine Rose auf dem Mie­der­band. Ihrem Fried­rich – kein Herr­scher in die­sem Saal trägt eine der­art schlich­te Uni­form ohne Lit­ze, Tres­sen und Aus­zeich­nun­gen: wir sind hier noch in Preu­ßen –, ihrem Fried­rich also hat der Bild­hau­er einen Kranz in die Hand gege­ben, obwohl er wahr­haf­tig nicht das war, was man einen strah­len­den Sie­ger nennt. Es wird kein Lor­beer sein, wohl Eichen­laub: das Sinn­bild für Stand­haf­tig­keit und Treue.

Gleich neben­an tum­melt sich ein Rei­gen bran­den­bur­gi­scher Mark­gra­fen, Kur­für­sten und preu­ßi­scher Köni­ge. Über­all Schwer­ter, Hel­me, Ket­ten­hem­den – krie­ge­ri­scher Histo­ris­mus in der Bil­den­den Kunst. Nur feh­len den Dar­ge­stell­ten hin und wie­der Nasen und Ohren, bis­wei­len sogar der gan­ze Kopf oder Glied­ma­ßen. So ist dem Sol­da­ten­kö­nig irgend­wann die Rech­te abhan­den­ge­kom­men, und sei­nem Sohn, her­nach der Gro­ße genannt, fehlt ein Arm.

In Auf­trag gege­ben hat die ursprüng­lich im Ber­li­ner Tier­gar­ten auf­ge­stell­ten Skulp­tu­ren der von preu­ßi­schen Idea­len weit ent­fern­te Kai­ser Wil­helm II. Der Mon­arch ließ es sich dabei nicht neh­men, den Bild­hau­ern die Hal­tung und selbst den Gesichts­aus­druck der Dar­ge­stell­ten vor­zu­schrei­ben. Spä­ter sind die Stand­bil­der ein wenig umher­ge­wan­dert, im Zwei­ten Welt­krieg meist beschä­digt und danach im Park des Schlos­ses Bel­le­vue ver­gra­ben wor­den: deut­sche Geschich­te in einer Nuss­scha­le. Schon 1918 for­der­te der Revo­lu­tio­när Hans Paa­sche im Ber­li­ner Voll­zugs­rat, die mar­mor­nen Bild­wer­ke an der »Pup­pen­al­lee« zu spren­gen, aber sei­ne sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Mit­strei­ter ver­hin­der­ten der­glei­chen. Kurt Tuchol­sky hin­ge­gen schlug damals spot­tend vor, ein­fach die Köp­fe der Skulp­tu­ren gegen repu­bli­ka­ni­sche aus­zu­tau­schen und dich­te­te: »Lass uns vor­über­ge­hen /​ und lächeln – denn wir wis­sen ja Bescheid. /​ Ich glaub, wir las­sen still die Pup­pen ste­hen /​ als Doku­men­te einer gro­ßen Zeit.«

Der näch­ste Saal wird von einem gewal­ti­gen Pferd aus Bron­ze beherrscht: das Maul von einer unsicht­ba­ren Kan­da­re auf­ge­ris­sen, unna­tür­lich weit gebläh­te Nüstern, die ver­dreh­ten Augen einer rasen­den Krea­tur, stark her­vor­tre­ten­de Mus­kel­strän­ge. Da sind Erläu­te­run­gen zu Zeit und Ort der Ent­ste­hung oder ein Hin­weis auf die Ein­schuss­lö­cher im Rumpf unnö­tig. Im Werk­ver­zeich­nis sei­nes Schöp­fers heißt es, gemein­sam mit sei­nem Gegen­part, »Schrei­ten­de Pfer­de« und stand einst an der Gar­ten­sei­te von Hit­lers Neu­er Reichs­kanz­lei. Es war mutig und klug, die Bron­zen – das zwei­te Pferd steht im Schau­de­pot – aus­zu­stel­len. Vor allem war es ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ter als zum Bei­spiel das unter­wür­fi­ge Ver­hal­ten jener bedien­ste­ten Anti­fa­schi­sten, die poli­ti­schen Geg­nern den ehren­den Besuch in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern ver­bie­ten. Natür­lich wur­de auch in Span­dau befürch­tet, die Aus­stel­lung kön­ne nun zum Wall­fahrts­ort natio­nal­so­zia­li­stisch gesinn­ter Wie­der­gän­ger wer­den. (Das nahe Kriegs­ver­bre­cher­ge­fäng­nis Span­dau, in dem eini­ge der in Nürn­berg ver­ur­teil­ten Kriegs­ver­bre­cher ihre Stra­fen ver­büß­ten, ist wegen sol­cher Beden­ken nach dem Tod des letz­ten Insas­sen abge­ris­sen wor­den.) Von der nicht gerin­ge­ren Gefahr, dass Anhän­ger des ehe­ma­li­gen Muf­tis von Jeru­sa­lem vor den »Hit­ler­pfer­den« ihre Gebets­tep­pi­che aus­brei­ten könn­ten, hat hin­ge­gen nie­mand gesprochen.

Nach­dem die Pfer­de 1939 ihre Plät­ze an der Neu­en Reichs­kanz­lei ein­ge­nom­men hat­ten, wur­den sie schon vier Jah­re spä­ter nach Wrie­zen am Rand des Oder­bruchs geschafft, um sie vor Zer­stö­rung wäh­rend der Bom­ben­an­grif­fe zu schüt­zen. Nach dem Ende des Krie­ges erschie­nen die »Schrei­ten­den Pfer­de« dann als Beu­te­stücke auf einem Sport­platz der Roten Armee in Ebers­wal­de. Kunst­hi­sto­ri­kern gal­ten sie als ver­schol­len, doch irgend­wann kurz nach dem Fall der Mau­er spür­te sie ein Unter­neh­mer aus Rhein­land-Pfalz auf. Er erwarb die angeb­lich bereits zer­säg­ten Bron­ze­pfer­de von einem kor­rup­ten sowje­ti­schen Offi­zier und ließ sie in den Westen Deutsch­lands schaf­fen, wo Kunst­fahn­der sie gemein­sam mit wei­te­ren Ton­nen »Nazi­schrott« 2015 entdeckten.

Eine aben­teu­er­li­che Geschich­te, von der sich im Hin­blick auf die bis­wei­len zwie­lich­ti­ge Rechts­la­ge man­ches im letz­ten Saal der Aus­stel­lung fort­setzt. Die­ser Raum ist der beleb­te­ste, denn oft ste­hen dort Besu­cher bei­sam­men und spre­chen erregt mit­ein­an­der. Sie tun das meist vor einem nahe­zu zwei Meter mes­sen­den Kopf aus ukrai­ni­schem Gra­nit. Der offen­kun­dig von einer rie­si­gen Skulp­tur abge­säg­te Kopf trägt die Gesichts­zü­ge Lenins, des einst von einer Deut­schen gebo­re­nen Kal­mückens­oh­nes, der aus dem Schwei­zer Exil kam und zum Füh­rer der rus­si­schen Revo­lu­ti­on und des Roten Ter­rors wur­de. Geformt hat ihn ein ukrai­ni­scher Bild­hau­er. Deut­sche hin­ge­gen haben das Denk­mal bestellt, errich­tet und zer­stört. Der Kopf liegt, so wie er weg­ge­wor­fen in einer Kies­gru­be auf­ge­fun­den wur­de, auf der Sei­te. Aus sei­nem Schei­tel sehen vier ein­ge­bohr­te Trans­port­bol­zen her­vor. Good bye, Lenin.

Davor wer­den immer noch die Dis­kus­sio­nen der neun­zi­ger Jah­re geführt. Damals stand die gigan­ti­sche, 19 Meter hohe Sta­tue Lenins im Stadt­teil Fried­richs­hain im Osten Ber­lins – für man­chen eine Kult­fi­gur, für vie­le ein Sinn­bild für den zur Dik­ta­tur ver­stei­ner­ten Sozia­lis­mus. Vor dem Abriss im Novem­ber 1991 trug das Denk­mal lan­ge Zeit ein Spruch­band mit der Paro­le der fried­li­chen Revo­lu­ti­on von 1989: »Kei­ne Gewalt!« Ver­ge­bens, und das mag die bis heu­te andau­ern­den Streit­ge­sprä­che sowie man­ches Wahl­er­geb­nis im Osten Deutsch­lands erklä­ren: Die Men­schen, so hat­ten sie das Nahen der Demo­kra­tie ver­stan­den, woll­ten gefragt wer­den. Statt­des­sen sahen sie ohn­mäch­tig das rigo­ro­se Wir­ken der Treu­hand, den wort­lo­sen Ein­zug frem­der Poli­ti­ker und Büro­kra­ten, den hasti­gen Macht­wech­sel in Medi­en, Hoch­schu­len, Uni­ver­si­tä­ten und Groß­be­trie­ben. Wie gut, dass der Kopf hier dar­an gemahnt.

Wenn Vor­wür­fe und Streit­ge­sprä­che hef­ti­ger wer­den, dann wird das oft von zwei wei­te­ren Aus­stel­lungs­ob­jek­ten in jenem Saal her­vor­ge­ru­fen: vom plum­pen Bron­ze­ab­bild zwei­er Sol­da­ten im Wach­dienst an der Mau­er sowie vom Glas­pris­ma­block aus der Neu­en Wache Unter den Lin­den, des­sen ewi­ge Flam­me nun erlo­schen ist. Wenn jemand die Mau­er­wäch­ter noch schätzt, dann lässt er es sich gewöhn­lich nicht anmer­ken und weicht aus. Der – von Hel­mut Kohl ange­ord­ne­te – Aus­tausch von Glas­pris­ma und Flam­me gegen eine Pla­stik nach Käthe Koll­witz (»Mut­ter mit totem Sohn«) jedoch erregt bei­der­seits Ver­är­ge­rung. Nicht weni­ge Besu­cher, man­cher davon nann­te es »Vater besu­chen«, wenn er nicht wuss­te, wo das Grab sei­nes Vaters zu suchen war, haben irgend­wann vor der Flam­me und den im Boden ein­ge­las­se­nen Urnen des unbe­kann­ten Sol­da­ten und des unbe­kann­ten Wider­stands­kämp­fers gestan­den. Kaum einer kann sich des­halb mit den Ver­än­de­run­gen abfin­den. Ande­re wie­der­um bekla­gen, auch die neue Gestal­tung erin­ne­re nicht an Frau­en, nicht an Juden oder an ande­re Opfer des Nationalsozialismus.

Ein bron­ze­ner Rei­ter Unter den Lin­den sieht im Kreis sei­ner Gene­rä­le den Ver­än­de­run­gen gelas­sen zu, wäh­rend Kant und Les­sing sich mit einem Platz unterm Pfer­de­hin­tern begnü­gen müs­sen – ihn wird man schon des­halb nicht anrüh­ren, weil wir gera­de wie­der ein­mal recht krie­ge­risch gestimmt sind.