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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Herwegh, die »eiserne Lerche«

Einer der lei­den­schaft­lich­sten und talen­tier­te­sten Lyri­ker des Vor­märz war
Georg Her­wegh, der den Ruf eines »Klas­si­kers« der poli­ti­schen Lyrik erlang­te. Am 31. Mai 1817 in Stutt­gart als Sohn eines Gast­wirts gebo­ren, besuch­te er zunächst das Gym­na­si­um sei­ner Hei­mat­stadt und spä­ter das pro­te­stan­tisch-theo­lo­gi­sche Semi­nar in Maul­bronn. 1835 nahm der jun­ge Her­wegh am Tübin­ger Stift ein Theo­lo­gie­stu­di­um auf, aber bereits ein Jahr spä­ter wur­de er wegen »im höch­sten Grad inju­riö­sen Betra­gens« ver­wie­sen. Das dar­auf­fol­gen­de Jura­stu­di­um brach er aus frei­en Stücken ab.

Her­wegh zog nach Stutt­gart, wo er in der Redak­ti­on der Zeit­schrift Euro­pa. Chro­nik der gebil­de­ten Welt eine Anstel­lung fand und erste eige­ne Tex­te ver­öf­fent­li­chen konn­te. Die begin­nen­de schrift­stel­le­ri­sche Kar­rie­re wur­de jedoch durch den Mili­tär­dienst unter­bro­chen. Nach einer erneu­ten Ein­be­ru­fung deser­tier­te er in die Schweiz, wo er sei­nen Wohn­sitz bald in Zürich ein­rich­te­te, das damals neben Paris Zufluchts­ort für vie­le revo­lu­tio­nä­re Gei­ster aus ganz Euro­pa war. Hier ent­stan­den die bei­den Tei­le sei­ner »Gedich­te eines Leben­di­gen«, die ein Best­sel­ler wur­den und trotz Ver­bot Her­wegh mit einem Schlag bekannt mach­ten. Auf­rüh­re­ri­sche Lied­zei­len wie »Der Frei­heit eine Gas­se« wur­den als Fanal im Vor­märz ver­stan­den. Die Gedich­te übten zwar schar­fe Kri­tik an den poli­ti­schen Zustän­den, beschwo­ren die deut­sche Ein­heit und den Kampf gegen Unter­drückung, waren aber auch vol­ler revo­lu­tio­nä­rer Schwärmerei.

Im Okto­ber 1841 (bis Febru­ar 1842) unter­nahm Her­wegh eine Rei­se nach Paris, wo er unter ande­rem mit Hein­rich Hei­ne zusam­men­traf, der spä­ter das »vage, unfrucht­ba­re Pathos« sei­ner Ten­denz­ge­dich­te kri­ti­sier­te – bei­spiels­wei­se in dem berühmt gewor­de­nen Gedicht »Her­wegh, du eiser­ne Ler­che«. Als Her­wegh nach Deutsch­land zurück­kehr­te, glich der Emp­fang einem Tri­umph­zug. In Frank­furt traf er mit Karl Gutz­kow zusam­men, in Köln mit Karl Marx, in Leip­zig mit Hein­rich Lau­be und Robert Blum sowie in Dres­den mit Iwan Tur­gen­jew und dem rus­si­schen Revo­lu­tio­när Michail Baku­nin. Auch Fried­rich Wil­helm IV. wünsch­te den gefei­er­ten Ver­fas­ser der Gedich­te, die in Preu­ßen jedoch ver­bo­ten waren, ken­nen­zu­ler­nen und so kam es am 19. Novem­ber 1842 zu einer (wohl ver­häng­nis­vol­len) Audi­enz, um die sich bis heu­te vie­le Legen­den ranken.

Aus Preu­ßen wegen Maje­stäts­be­lei­di­gung aus­ge­wie­sen, ging Her­wegh wie­der in Schweiz. In Baden hei­ra­te­te er die gleich­alt­ri­ge Emma Sieg­mund (1817 – 1904), die hoch­ge­bil­de­te Toch­ter eines Sei­den­wa­ren­händ­lers, die er in Ber­lin ken­nen­ge­lernt hat­te. Sie soll­te spä­ter eine frü­he und radi­ka­le Vor­kämp­fe­rin der Frau­en­rechts­be­we­gung wer­den. Aus der Ehe gin­gen drei Söh­ne her­vor. Mit den Hono­ra­ren von sei­nen Büchern und Emmas reich­li­cher Mit­gift lie­ßen sich die jun­gen Ehe­leu­te in Paris nie­der, wo sie fast ein groß­bour­geoi­ses Leben führ­ten, was selbst Freun­de zu abfäl­li­gen Bemer­kun­gen veranlasste.

Wäh­rend der 1848er-Unru­hen ver­such­te Her­wegh, nicht nur wort­mäch­tig, son­dern auch tat­kräf­tig die Auf­stän­di­schen in Baden zu unter­stüt­zen. Er wur­de poli­ti­scher Füh­rer einer »Deut­schen demo­kra­ti­schen Legi­on«, die sich aus Arbei­tern und Hand­wer­kern zusam­men­setz­te. Die­se »Hilfs­le­gi­on« wur­de jedoch von der würt­tem­ber­gi­schen Infan­te­rie gestellt und geschla­gen. Her­wegh und sei­ner Frau blieb nur die Flucht in die Schweiz. Als »ver­un­glück­te Revo­lu­ti­ons­fi­gur« kehr­te er Anfang 1849 nach Paris zurück.

1861 such­te Fer­di­nand Lass­alle (1825-1864) Her­wegh auf und bat ihn, zur bevor­ste­hen­den Grün­dung des All­ge­mei­nen Deut­schen Arbei­ter­ver­eins (ADAV) ein »begei­ster­tes und begei­stern­des Gedicht« zu ver­fas­sen. Das »Bun­des­lied« mit der berühmt gewor­de­nen Stro­phe: »Mann der Arbeit, auf­ge­wacht! /​ Und erken­ne dei­ne Macht! /​ Alle Räder ste­hen still, /​ wenn dein star­ker Arm es will«, wur­de sofort ein gro­ßer Erfolg und ent­wickel­te sich zu einer Hym­ne auf das revo­lu­tio­nä­re Proletariat.

Nach einer all­ge­mei­nen poli­ti­schen Amne­stie konn­ten Georg und Emma Her­wegh 1866 nach Deutsch­land zurück­keh­ren. Sie sie­del­ten nach Lich­ten­thal bei Baden-Baden über. Da die Schul­den­last immer mehr drück­te, sah man sich gezwun­gen, in Zürich Haus­rat, Wert­sa­chen und Tei­le sei­ner Biblio­thek zu ver­stei­gern. Mit Über­set­zun­gen ver­such­ten Georg (Wil­liam Shake­speare) und Emma (Giu­sep­pe Gari­bal­di) ihren Lebens­un­ter­halt zu bestreiten.

Obwohl Her­wegh mit sei­nen Gedich­ten stets die deut­sche Ein­heit her­auf­be­schwo­ren hat­te, ver­ur­teil­te er den Deutsch-Fran­zö­si­schen Krieg und Bis­marcks Reichs­grün­dung aus »Blut und Eisen«. Inmit­ten des all­ge­mei­nen patrio­ti­schen Hur­ra-Gebrülls war Her­wegh unsen­ti­men­tal geblie­ben – anders als sei­ne Alt-1848er-Dich­ter­kol­le­gen August Hein­rich Hoff­mann von Fal­lers­le­ben oder Fer­di­nand Frei­li­grath, die sich der natio­na­len Begei­ste­rungs­wel­le anschlos­sen, ver­söhn­te er sich nicht mit dem kai­ser­li­chen Deutschland.

Im neu­en Kai­ser­reich des »Eiser­nen Kanz­lers« war der »Gesang« der »eiser­nen Ler­che« nicht gefragt. Noch in sei­nen letz­ten Gedich­ten wand­te er sich gegen den preu­ßisch-deut­schen Mili­ta­ris­mus und Chau­vi­nis­mus. Still ver­gin­gen die Lebens­jah­re – vol­ler Anfein­dun­gen und fast schon ver­ges­sen. Georg Her­wegh starb am 7. April 1875 im Alter von 58 Jah­ren an einer Lun­gen­ent­zün­dung. Sei­nem Wunsch ent­spre­chend ließ ihn sei­ne Frau in Lies­tal (Kan­ton Basel-Land) »in frei­er repu­bli­ka­ni­scher Erde« bestatten.

Her­weghs Gedich­te, sei­ne Vor­stel­lun­gen und Idea­le sind bis heu­te unver­min­dert aktu­ell. Emma Her­wegh erleb­te noch das 20. Jahr­hun­dert, sie starb am 24. März 1904 und wur­de eben­falls in Lies­tal beigesetzt.

Lese­emp­feh­lung: Georg Her­wegh: Vor der Frei­heit sei kein Frie­den, Kie­pen­heu­er & Witsch, Köln 2023 (Edi­ti­on Pauls­kir­che, Band 12), 160 S., 14 €.