Einer der leidenschaftlichsten und talentiertesten Lyriker des Vormärz war
Georg Herwegh, der den Ruf eines »Klassikers« der politischen Lyrik erlangte. Am 31. Mai 1817 in Stuttgart als Sohn eines Gastwirts geboren, besuchte er zunächst das Gymnasium seiner Heimatstadt und später das protestantisch-theologische Seminar in Maulbronn. 1835 nahm der junge Herwegh am Tübinger Stift ein Theologiestudium auf, aber bereits ein Jahr später wurde er wegen »im höchsten Grad injuriösen Betragens« verwiesen. Das darauffolgende Jurastudium brach er aus freien Stücken ab.
Herwegh zog nach Stuttgart, wo er in der Redaktion der Zeitschrift Europa. Chronik der gebildeten Welt eine Anstellung fand und erste eigene Texte veröffentlichen konnte. Die beginnende schriftstellerische Karriere wurde jedoch durch den Militärdienst unterbrochen. Nach einer erneuten Einberufung desertierte er in die Schweiz, wo er seinen Wohnsitz bald in Zürich einrichtete, das damals neben Paris Zufluchtsort für viele revolutionäre Geister aus ganz Europa war. Hier entstanden die beiden Teile seiner »Gedichte eines Lebendigen«, die ein Bestseller wurden und trotz Verbot Herwegh mit einem Schlag bekannt machten. Aufrührerische Liedzeilen wie »Der Freiheit eine Gasse« wurden als Fanal im Vormärz verstanden. Die Gedichte übten zwar scharfe Kritik an den politischen Zuständen, beschworen die deutsche Einheit und den Kampf gegen Unterdrückung, waren aber auch voller revolutionärer Schwärmerei.
Im Oktober 1841 (bis Februar 1842) unternahm Herwegh eine Reise nach Paris, wo er unter anderem mit Heinrich Heine zusammentraf, der später das »vage, unfruchtbare Pathos« seiner Tendenzgedichte kritisierte – beispielsweise in dem berühmt gewordenen Gedicht »Herwegh, du eiserne Lerche«. Als Herwegh nach Deutschland zurückkehrte, glich der Empfang einem Triumphzug. In Frankfurt traf er mit Karl Gutzkow zusammen, in Köln mit Karl Marx, in Leipzig mit Heinrich Laube und Robert Blum sowie in Dresden mit Iwan Turgenjew und dem russischen Revolutionär Michail Bakunin. Auch Friedrich Wilhelm IV. wünschte den gefeierten Verfasser der Gedichte, die in Preußen jedoch verboten waren, kennenzulernen und so kam es am 19. November 1842 zu einer (wohl verhängnisvollen) Audienz, um die sich bis heute viele Legenden ranken.
Aus Preußen wegen Majestätsbeleidigung ausgewiesen, ging Herwegh wieder in Schweiz. In Baden heiratete er die gleichaltrige Emma Siegmund (1817 – 1904), die hochgebildete Tochter eines Seidenwarenhändlers, die er in Berlin kennengelernt hatte. Sie sollte später eine frühe und radikale Vorkämpferin der Frauenrechtsbewegung werden. Aus der Ehe gingen drei Söhne hervor. Mit den Honoraren von seinen Büchern und Emmas reichlicher Mitgift ließen sich die jungen Eheleute in Paris nieder, wo sie fast ein großbourgeoises Leben führten, was selbst Freunde zu abfälligen Bemerkungen veranlasste.
Während der 1848er-Unruhen versuchte Herwegh, nicht nur wortmächtig, sondern auch tatkräftig die Aufständischen in Baden zu unterstützen. Er wurde politischer Führer einer »Deutschen demokratischen Legion«, die sich aus Arbeitern und Handwerkern zusammensetzte. Diese »Hilfslegion« wurde jedoch von der württembergischen Infanterie gestellt und geschlagen. Herwegh und seiner Frau blieb nur die Flucht in die Schweiz. Als »verunglückte Revolutionsfigur« kehrte er Anfang 1849 nach Paris zurück.
1861 suchte Ferdinand Lassalle (1825-1864) Herwegh auf und bat ihn, zur bevorstehenden Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) ein »begeistertes und begeisterndes Gedicht« zu verfassen. Das »Bundeslied« mit der berühmt gewordenen Strophe: »Mann der Arbeit, aufgewacht! / Und erkenne deine Macht! / Alle Räder stehen still, / wenn dein starker Arm es will«, wurde sofort ein großer Erfolg und entwickelte sich zu einer Hymne auf das revolutionäre Proletariat.
Nach einer allgemeinen politischen Amnestie konnten Georg und Emma Herwegh 1866 nach Deutschland zurückkehren. Sie siedelten nach Lichtenthal bei Baden-Baden über. Da die Schuldenlast immer mehr drückte, sah man sich gezwungen, in Zürich Hausrat, Wertsachen und Teile seiner Bibliothek zu versteigern. Mit Übersetzungen versuchten Georg (William Shakespeare) und Emma (Giuseppe Garibaldi) ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Obwohl Herwegh mit seinen Gedichten stets die deutsche Einheit heraufbeschworen hatte, verurteilte er den Deutsch-Französischen Krieg und Bismarcks Reichsgründung aus »Blut und Eisen«. Inmitten des allgemeinen patriotischen Hurra-Gebrülls war Herwegh unsentimental geblieben – anders als seine Alt-1848er-Dichterkollegen August Heinrich Hoffmann von Fallersleben oder Ferdinand Freiligrath, die sich der nationalen Begeisterungswelle anschlossen, versöhnte er sich nicht mit dem kaiserlichen Deutschland.
Im neuen Kaiserreich des »Eisernen Kanzlers« war der »Gesang« der »eisernen Lerche« nicht gefragt. Noch in seinen letzten Gedichten wandte er sich gegen den preußisch-deutschen Militarismus und Chauvinismus. Still vergingen die Lebensjahre – voller Anfeindungen und fast schon vergessen. Georg Herwegh starb am 7. April 1875 im Alter von 58 Jahren an einer Lungenentzündung. Seinem Wunsch entsprechend ließ ihn seine Frau in Liestal (Kanton Basel-Land) »in freier republikanischer Erde« bestatten.
Herweghs Gedichte, seine Vorstellungen und Ideale sind bis heute unvermindert aktuell. Emma Herwegh erlebte noch das 20. Jahrhundert, sie starb am 24. März 1904 und wurde ebenfalls in Liestal beigesetzt.
Leseempfehlung: Georg Herwegh: Vor der Freiheit sei kein Frieden, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023 (Edition Paulskirche, Band 12), 160 S., 14 €.