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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Herrschaftsinstrument Kommunikation

Kom­mu­ni­ka­ti­on ist ent­schei­dend, Füh­rungs­kräf­te sol­len sich mehr als Mode­ra­to­ren sehen – das sind The­men in Inter­net­fo­ren der Per­so­nal­ab­tei­lun­gen, neu­deutsch spricht man von Human Resour­ces, HR. Der »mensch­li­che Roh­stoff« soll zuneh­mend über Team­ar­beit orga­ni­siert wer­den. Dabei sind »agi­le Teams« bedeut­sam. »Die mei­sten Unter­neh­men wer­den sich nach der Coro­na-Kri­se anders auf­stel­len müs­sen«, for­dert Anne M. Schül­ler auf der Web­site der Ber­tels­mann Stif­tung www.zukunftderarbeit.de. »Sie brau­chen mehr Agilität.«

»Agi­le Arbeits­wei­sen stei­gern die Effi­zi­enz um bis zu zwölf Pro­zent«, behaup­tet die Bera­tungs­fir­ma Hor­váth & Part­ners. Bei die­sen Metho­den wer­den Auf­ga­ben an Grup­pen von Beschäf­tig­ten ver­teilt. Ein wich­ti­ger Aspekt ist die gemein­sa­me Kom­mu­ni­ka­ti­on, in den Arbeits­grup­pen sol­len maxi­mal zehn Per­so­nen tätig sein, damit Abspra­chen ein­fach und direkt blei­ben. Einen vor­ge­ge­be­nen Weg, eine Beschrei­bung ein­zel­ner Pro­jekt­schrit­te im Vor­feld gibt es nicht. Viel­mehr soll sich das Team selbst orga­ni­sie­ren. Für den ersten Zwi­schen­schritt, den Sprint, wer­den 30 Tage Zeit gege­ben. Jeden Tag fin­det ein Dai­ly Mee­ting statt, das maxi­mal 15 Minu­ten dau­ern darf. Um es auch tat­säch­lich kurz zu hal­ten, blei­ben die Team­mit­glie­der mei­stens stehen.

Vor­ge­setz­te neh­men an die­sen Bespre­chun­gen nicht teil. Viel­mehr wer­den Auf­ga­ben als »Rol­len« defi­niert. Neben den Team­mit­glie­dern gibt es einen Pro­duct Owner. Er reprä­sen­tiert for­mal den Kun­den, nimmt aber in der Pra­xis die Inter­es­sen des Unter­neh­mens wahr. Wei­ter­hin über­nimmt ein Beschäf­tig­ter die Rol­le des Mode­ra­tors. Er coacht den Pro­duct Owner und das Team in den agi­len Metho­den. Sei­ne beson­de­re Her­aus­for­de­rung ist der erfolg­rei­che Ablauf, und er ist für die Besei­ti­gung von Hin­der­nis­sen ver­ant­wort­lich, küm­mert sich um die Kosten­pla­nung oder um Personalbedarfsanforderungen.

Im Team wird gemein­sam über das Vor­ge­hen gespro­chen, es erfolgt ein Aus­tausch über Pro­ble­me im Pla­nungs­pro­zess. Eine Auf­wands­schät­zung ist bei­spiels­wei­se wich­ti­ger Bestand­teil der Pla­nung eines Soft­ware­pro­jek­tes. Klas­sisch wird dabei ein Lasten­heft ana­ly­siert und den Anfor­de­run­gen eine Anzahl kon­kre­ter Per­so­nen­ta­ge zuge­ord­net. Bei agi­len Metho­den läuft dies anders: Um den Auf­wand ein­zel­ner Auf­ga­ben jedes Arbeits­schrit­tes ein­schät­zen zu kön­nen, ver­wen­det man beim Plan­ning Poker Spiel­kar­ten mit Zah­len. Auf ein Kom­man­do hin hält jeder die Zahl hoch, die er als Zeit­auf­wand schätzt. Der Pro­duct Owner fasst die gemein­sam erar­bei­te­ten Soft­ware­an­for­de­run­gen in einem Pro­duct Back­log zusam­men, also einer Auf­ga­ben­li­ste, die er allen Team­mit­glie­dern jeder­zeit ver­füg­bar macht.

Es herrscht für alle Betei­lig­te enor­mer Zeit­druck. Zusa­gen dem Kun­den gegen­über wur­den gemacht, das Manage­ment setzt Termine.

Die Dar­stel­lung agi­ler Metho­den in ver­schie­de­nen Fach­bü­chern klingt schon fast nach demo­kra­ti­schen Prin­zi­pi­en. Die Pra­xis sieht aber anders aus. Kri­tisch sieht die Ent­wick­lung das Insti­tut für Sozi­al­wis­sen­schaft­li­che For­schung (ISF) Mün­chen. Aus Sicht der Beleg­schaft ist die­se Team­ar­beit »ein Ver­lust­ge­schäft; [die Mit­ar­bei­ter] wer­den […] in einem durch­ge­tak­te­ten Arbeits­pro­zess ein­ge­bun­den, der sie einem hohen Zeit- und Recht­fer­ti­gungs­druck aus­setzt, ihnen kei­ne Mög­lich­kei­ten bie­tet, über die Ver­aus­ga­bung ihrer Arbeits­kraft mit zu ver­fü­gen. Wis­sens­ar­beit wird dann am ›digi­ta­len Fließ­band‹ orga­ni­siert«, betont Andre­as Boes vom ISF München.

Dass der jewei­li­ge Zwi­schen­schritt, der Sprint, inner­halb von 30 Tagen abge­schlos­sen sein muss, ver­deut­licht, wel­cher Zeit­druck vom Unter­neh­men auf­ge­baut wird. In dem Zusam­men­hang fällt oft der Begriff Schätz­di­lem­ma: Wie kann ein Pro­gram­mie­rer den Auf­wand schät­zen, den die Auf­ga­be für ihn und ein Team bedeu­tet? Ein Vor­ge­hen nach agi­len Metho­den bedeu­tet: Ent­schei­den muss erst ein­mal der ein­zel­ne Beschäf­tig­te, wie hoch er den Auf­wand sieht. Gemein­sam wird dann im Team dar­über gesprochen.

Enor­mer Druck ent­steht durch Trans­pa­renz – denn im Pla­nungs­sta­di­um müs­sen die Pro­gram­mie­rer ihre Arbeits­wei­se offen­le­gen. Vor allem die Ein­schät­zung, wie­viel Zeit für ein­zel­ne Pro­gram­mier­schrit­te benö­tigt wird, setzt die Arbei­ten­den unter Zeitdruck.

In wis­sen­schaft­li­chen Unter­su­chun­gen zeigt sich, »dass die Bela­stun­gen für die Beschäf­tig­ten ins­ge­samt gestie­gen« sind. Exem­pla­risch argu­men­tiert ein Befrag­ter: »Die Inten­si­tät ist noch mal eine ande­re gewor­den.« Und: »Unter dem Ein­druck der Tak­tung ent­steht dann bei vie­len das Gefühl ›per­ma­nen­ten Zeit­drucks‹ und von ›Dau­er­stress‹«, berich­tet das ISF (Boes, Kämp­fer, Lan­ges, Lühr: »›Lean‹ und ›agil‹ im Büro«, For­schung aus der Hans-Böck­ler-Stif­tung, Sei­te 106). Das hin­dert Unter­neh­mens­be­ra­ter nicht, von Huma­ni­sie­rung durch agi­le Metho­den zu spre­chen. »Agi­li­tät för­dert Selbst­be­stim­mung ohne Ori­en­tie­rungs­ver­lust«, so der Wirt­schafts­psy­cho­lo­ge Car­sten Schermuly.