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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Herr Richter, was spricht er?

Der deut­sche Straf­pro­zess lebt von festen Regeln. Man­che von ihnen bestehen schon seit über 100 Jah­ren. Teil­wei­se sind sie inzwi­schen zu Ritua­len gewor­den, deren Ver­än­de­rung vor allem in Krei­sen der Rich­ter­schaft nicht erwünscht ist. Ein­ge­fah­re­ne Glei­se sind mit­un­ter bequem, und gern hört man das Argu­ment, was sich »bewährt« habe, müs­se man doch nicht ändern.

Seit eini­ger Zeit bestehen Bestre­bun­gen, den Inhalt von Haupt­ver­hand­lun­gen vor den Land­ge­rich­ten bes­ser zu doku­men­tie­ren. Bis­lang ist es so, dass in Ver­fah­ren, wo in erster Instanz vor dem Land­ge­richt ange­klagt wird (das sind zum Bei­spiel Mord- oder Tot­schlags­de­lik­te und ande­re Ver­bre­chen, die mit fünf Jah­ren Frei­heits­stra­fe auf­wärts bedroht sind) oder über eine Beru­fung gegen ein Urteil eines Amts­ge­richts zu ent­schei­den ist, das zu füh­ren­de Pro­to­koll nur die wesent­li­chen Förm­lich­kei­ten wie­der­gibt. Das sind die Per­so­na­li­en der Ange­klag­ten und der Zeu­gen sowie die Ver­le­sung von bestimm­ten Doku­men­ten oder die Ver­kün­dung des Urteils. Nicht wie­der­ge­ge­ben wird bei­spiels­wei­se, was der Ange­klag­te zu den gegen ihn erho­be­nen Beschul­di­gun­gen vor­ge­bracht hat, und auch nicht, was Zeu­gen, die zur Sache befragt wur­den, aus­ge­sagt haben. Das führt zu der eher maka­bren Situa­ti­on, dass min­de­stens einer der betei­lig­ten Rich­te­rin­nen oder Rich­ter eige­ne Auf­zeich­nun­gen über den Inhalt die­ser Aus­sa­gen anfer­ti­gen muss, wäh­rend die Pro­to­kol­lan­tin Pau­se hat. Die­se rich­ter­li­chen Auf­zeich­nun­gen wer­den aber nicht Bestand­teil der Ver­fah­rens­ak­te und ver­schwin­den nach der Ver­kün­dung eines Urteils im nir­gend­wo. Nicht sel­ten kommt es dann vor, dass sich Ver­fah­rens­be­tei­lig­te nach Erhalt des schrift­li­chen Urteils mit­un­ter wun­dern, wie sub­jek­tiv die Aus­sa­gen dar­in wie­der­ge­ge­ben und dem­entspre­chend rich­ter­lich gewür­digt werden.

Um dem zu begeg­nen. besteht schon seit lan­gem – vor allem aus Krei­sen der Anwalt­schaft – die For­de­rung, den Inhalt der Ange­klag­ten- und Zeu­gen­aus­sa­gen förm­lich fest­zu­hal­ten, ent­we­der durch Füh­rung eines wesent­li­chen Wort­pro­to­kolls oder durch Video­auf­zeich­nung, die spä­ter­hin ver­schrif­tet wer­den kann. Das bräch­te Rechts­si­cher­heit für alle Betei­lig­ten, weil der Inhalt von Aus­sa­gen damit jeder­zeit auch nach durch­ge­führ­ter Haupt­ver­hand­lung noch ein­deu­tig nach­zu­voll­zie­hen ist.

Auf einem vor weni­gen Jah­ren durch­ge­führ­ten Exper­ten­se­mi­nar, wel­ches vom Deut­schen Anwalt­ver­ein orga­ni­siert wur­de, ist die The­ma­tik hef­tig dis­ku­tiert wor­den, und nahe­zu alle Anwe­sen­den waren sich einig, dass es aller­höch­ste Zeit ist, die Doku­men­ta­ti­on der Aus­sa­gen zu ver­bes­sern. Ein dort gehal­te­nes Refe­rat einer Kol­le­gin, die die Art der Doku­men­ta­ti­on der Haupt­ver­hand­lung in allen euro­päi­schen Län­dern unter­sucht hat­te, brach­te zum Vor­schein, dass die Bun­des­re­pu­blik nahe­zu an letz­ter Stel­le steht und so wohl heu­te kaum Chan­cen hät­te, in die Euro­päi­sche Uni­on auf­ge­nom­men zu wer­den. Das lässt auf­hor­chen. Ande­re Län­der, die erst viel spä­ter einen demo­kra­ti­schen Weg ein­ge­schla­gen haben, sind dies­be­züg­lich sehr viel weiter.

Inzwi­schen ist die The­ma­tik auch bei der Bun­des­re­gie­rung ange­kom­men, und es wur­de erkannt, dass es not­wen­dig ist, hier Ver­än­de­run­gen her­bei­zu­füh­ren. Der gegen­wär­tig amtie­ren­de Bun­des­ju­stiz­mi­ni­ster hat dazu auch Plä­ne für eine Video­auf­zeich­nung von Haupt­ver­hand­lun­gen im Straf­pro­zess ent­wickelt. Das rief jetzt zahl­rei­che Rich­ter auf den Plan, die er gegen sich auf­brach­te. Angeb­lich gefähr­de das Vor­ha­ben alle drei Maxi­men des Straf­pro­zes­ses, die Wahr­heits­fin­dung, die Gerech­tig­keit und den Rechts­frie­den, wie einem aktu­el­len Beschluss der Prä­si­den­tin­nen und Prä­si­den­ten der Ober­lan­des­ge­rich­te, des Ber­li­ner Kam­mer­ge­richts, des Baye­ri­schen Ober­sten Lan­des­ge­richts und des Bun­des­ge­richts­hofs zu ent­neh­men ist. Die Argu­men­ta­ti­on ver­mag wenig zu über­zeu­gen, da gera­de durch eine bes­se­re Doku­men­ta­ti­on Wahr­heits­fin­dung und Gerech­tig­keit ver­bes­sert wer­den kön­nen. Der Refe­ren­ten­ent­wurf des Justiz­mi­ni­ste­ri­ums beinhal­tet, dass die Haupt­ver­hand­lung künf­tig in Bild und Ton auf­ge­zeich­net wer­den soll und spä­ter­hin mit­tels einer Tran­skrip­ti­ons­soft­ware in ein Text­do­ku­ment umge­wan­delt wird. Dadurch bräuch­ten Mit­schrif­ten von Rich­tern, die immer nur sub­jek­tiv sein kön­nen, nicht mehr für die Urteils­be­grün­dung her­an­ge­zo­gen zu wer­den, weil dann ein­deu­ti­ge Zita­te der Aus­sa­gen von Ange­klag­ten und Zeu­gen mög­lich sind. War­um dies der Rechts­si­cher­heit scha­den soll, erschließt sich dem Betrach­ter nicht. Oder geht es am Ende doch dar­um, die bis­he­ri­gen Spiel­räu­me wei­ter bei­zu­be­hal­ten, mit­un­ter auch aus Bequem­lich­keit? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.