Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Hendrik Streeck und das Große im Kleinen

Nach mei­ner ersten Rezen­si­on des SPIEGEL-Best­sel­lers von Hen­drik Streeck
(https://www.nachdenkseiten.de/?tag=streeck-hendrik) ist der Autor im Dezem­ber mit sei­nem Gegen­spie­ler Dro­sten ins Bera­tungs­gre­mi­um der Bun­des­re­gie­rung beru­fen wor­den. Wenig­stens etwas! Denn zuvor hat­te Hen­drik Stre­eck von Phar­ma-Lob­by­isten und Staats­co­me­di­ans so eini­ges ein­stecken müs­sen, so dass sein Buch ein wenig ein­ge­schüch­tert daher­ge­kom­men war, teil­wei­se sogar schlud­rig (ohne Lite­ra­tur-, Sach­wort- und Namens-Ver­zeich­nis). Aber mit einer Fül­le von – wenn auch stel­len­wei­se arg ver­sim­pel­ten – Erklä­run­gen über unser Kör­per­in­ner­stes ist es doch lesens­wert. Denn es beti­telt jenes For­schungs­ob­jekt, das wir­kungs­vol­ler gegen Coro­na ist und bleibt als jedes Vak­zin: »Unser Immun­sy­stem« – wel­ches unge­impft über 90 Pro­zent aller schwe­ren Krank­heits-Ver­läu­fe ver­hin­dert. Könn­te die Immun-Abwehr welt­weit auch nur um zwei Pro­zent gestei­gert wer­den, wäre das die Ret­tung vie­ler Mil­lio­nen. Frei­lich: Unse­re kör­per­ei­ge­ne Immun­ab­wehr muss so nach­hal­tig wie dau­er­haft, also auch poli­tisch, kul­ti­viert wer­den. Das wäre erfolg­ver­spre­chen­der, als künf­tig drei­mo­nat­lich zu neu­en Coro­na- und/​oder Influ­en­za-Imp­fun­gen zu zwin­gen – und damit womög­lich den evo­lu­tio­nä­ren Mutan­ten-Druck zu befeuern.

Stre­ecks Emp­feh­lun­gen, »wie wir unser Immun­sy­stem stär­ken« (lei­der ohne Erwäh­nung der Heil­wir­kun­gen von Schlaf, Sau­na und ande­rer Hyper­ther­mie), beinhal­ten u. a. Hüh­ner­sup­pe, Ing­wer und fri­sche Luft. Sie blei­ben jedoch be- und ver­fan­gen in der Teil­chen-Logik. Über sein Mikro­skop gebeugt ruft der Viro­lo­ge: »Lasst mich mit Poli­tik in Ruhe! Ich stu­die­re gera­de die Bin­dung eines T-Zell-Rezep­to­ren an das Anti­gen.« Der­weil wird sozia­le Spal­tung zum Viren-Boo­ster; enge Woh­nun­gen in Wohn­si­los, Gedrän­ge in Öffis und Werk­statt wer­den zu Super-Sprea­dern. Und die armuts­ver­schär­fen­de Lock­down­po­li­tik schwächt im »Coro­na-Kapi­ta­lis­mus der Gegen­wart« (C. But­ter­weg­ge, isw-Report Nr. 127) die Immun­ab­wehr zusätz­lich. Aber die Zel­le in der Petri-Scha­le oder unterm Mikro­skop des Viro­lo­gen wirkt halt erst­mal unbe­ein­druckt vom Weltgeschehen.

Die Zel­le ist nun mal, statt »seziert unter dem Bil­de des Todes« (L. Feu­er­bach), nur im leben­di­gen Kör­per und die­ser nur in der (Klas­sen-) Gesell­schaft ganz zu begrei­fen. Dafür ist aber jede Ein­zel­wis­sen­schaft spon­tan zu bor­niert. Wenig­stens täuscht Stre­eck nicht (wie der sich in Dau­er­wi­der­sprü­chen ver­hed­dern­de Lau­ter­bach) All­wis­sen­heit vor. Stre­eck ver­öf­fent­licht sei­ne Hilf­lo­sig­keit, wenn er fragt, wie eigent­lich wirk­lich eine Schwä­chung der Immun­ab­wehr zustan­de kommt. Der histo­risch-dia­lek­ti­sche Mate­ria­lis­mus könn­te ihm wei­ter­hel­fen. Oder Shake­speare mit sei­ner Emp­feh­lung, im Beson­de­ren des Trop­fens die Son­ne, das All­ge­mei­ne, zu suchen, das hie­ße etwa, mit der Immun-Zel­le auch die Arbeits­ver­hält­nis­se in den Blick zu neh­men. 2005 über­schrieb die Uni­ver­si­tät Kon­stanz eine Stu­die mit: »Wie psy­chi­scher Stress das Immun­sy­stem schwächt« (Annet­te Som­mers­hof), wobei beruf­li­che Über­la­stung die T-Leu­ko­zy­ten im peri­phe­ren Blut hal­bie­ren kann. Die Arbeits­ver­hält­nis­se zu huma­ni­sie­ren, wür­de also zum gewal­ti­gen »Wel­len­bre­cher« gegen sämt­li­che, auch noch vor uns lie­gen­den Virus-Wel­len. Der Kampf für sozia­le Inve­sti­tio­nen, für höhe­re Tarif­löh­ne und Abrü­stung wür­den Viren­ver­brei­tung ein­gren­zen und Immun­kräf­te ent­fes­seln. Aber über die­ses Feld der Gesund­heit sprach bis­lang kein Gesund­heits­mi­ni­ster. Der Ex-Chef des Max-Planck-Insti­tuts (Hen­driks Nach­na­mens­vet­ter) Pro­fes­sor Wolf­gang Stre­eck, hat­te dar­um kennt­nis­reich in der FAZ vom 10.1.2021 beklagt, Sozio­lo­gen sei­en »am pan­de­mi­schen vater­län­di­schen Hilfs­dienst nicht betei­ligt. Ihre Fak­ten und Model­le sind nicht gefragt.«

Auch wenn Hen­drik Stre­eck in sei­nem Buch auf­klä­re­ri­sche und fre­che The­sen for­mu­liert, so wie bereits in sei­ner berühm­ten Dom-Rede 2020, als er dem Panik­or­che­ster ent­ge­gen­ar­gu­men­tiert hat­te – die Zell­wän­de der Viro­lo­gie sprengt auch er nur sel­ten. Einer­seits emp­fiehlt er Immun­stär­kung etwa durch »Lachen für die Beta-Endor­phin­stei­ge­rung« (S. 205). Ande­rer­seits schweigt er zu denen, die wenig zu lachen haben. Einer­seits warnt er vor den beson­de­ren Risi­ken für Men­schen über 60 wegen erlahm­ter Immun­sy­ste­me (S. 108). Ande­rer­seits schweigt er dazu, dass als Kon­se­quenz bei bestimm­ten Berufs­grup­pen (dort, wo Men­schen nah anein­an­der arbei­ten müs­sen) das Ren­ten­ein­tritts­al­ter unter 60 gedrückt wer­den müss­te. Schon allein aus medi­zi­ni­scher Sicht müss­te also der Ober-Covidi­ot Merz, der Ren­te erst ab 70 for­dert, eher an den media­len Pran­ger als jede/​r Querdenker*in. Aber die Prä­mis­sen jeg­li­cher Auf­klä­rung, zu fra­gen und zu zwei­feln, kom­men gera­de voll­ends unter die staat­li­chen Räder. Muss man denn einen schwur­beln­den Ket­zer öffent­lich stei­ni­gen, weil er fragt, ob es rich­tig ist, dass der eine oder ande­re Covid-Infi­zier­te, der aber an Impf­fol­gen ver­stor­ben ist, fort­an als »Coro­na-Toter« die Kli­nik-Sta­ti­stik berei­chert? Aber auch Stre­eck fragt nicht nach, war­um aus­ge­rech­net in Coro­na­zei­ten über 4500 Inten­siv­bet­ten weg­ge­kürzt wurden.

Im Main­stream bleibt er auch, wenn er die Homöo­pa­thie pau­schal abkan­zelt (S. 199). Als ob die Pla­ce­bo­ef­fek­te von Glo­bu­lis nicht ihre Par­al­le­len auch in der Schul­me­di­zin hät­ten, und als ob sich nicht hoch­be­zahl­te Schar­la­ta­ne als all­o­pa­thi­sche »Halb­göt­ter in Weiß« tar­nen könn­ten. Samu­el Hah­ne­manns (1755) Heil­erfol­ge durch Umkehr­ef­fek­te bei der Ver­dün­nung von Gif­ten und die des mar­xi­sti­schen Homöo­pa­then und Dra­ma­ti­kers Fried­rich Wolf (»Die Natur als Arzt und Hei­ler«, »Cyan­ka­li«) sind nicht so flott als Quack­sal­be­rei abzutun.

Stre­eck lobt mRNA-Impf­stof­fe als einen gro­ßen »Schritt für die Mensch­heit« (S. 187). Das kann irgend­wann ein­mal so sein. (Aber ver­ges­sen wir nicht: 2009 erst wur­de die mRNA-Gen­the­ra­pie fürs Imp­fen über­haupt umde­fi­niert; aus gutem Grund hat­ten Zulas­sungs­pro­zes­se für Vak­zi­ne bis dahin zwi­schen sechs und acht Jah­ren gedau­ert. Und »Lang­zeit­fol­gen« zeich­nen sich nicht dadurch aus, dass sie schon nach ein paar Mona­ten fest­ste­hen; was sogar Bun­des­re­gie­rung und RKI in ihrer Impf-Bro­schü­re vom Mai zuge­ben mussten).

Ich (mit Sput­nikV geimpft und seit neun Mona­ten rasant anstei­gen­den Anti­kör­pern) ste­he da eher an der Sei­te derer, die, wie Sahra Wagen­knecht und Joshua Kim­mich, in einem »frei­en Land« eine freie Wahl sämt­li­cher von der WHO (und kürz­lich sogar vom Euro­pa­rat) aner­kann­ten Vek­tor- und Tot-Impf­stof­fe for­dern; andern­falls erscheint das gan­ze Boo­ster-Pres­sing schnell als rei­ner BioNTech-Sta­mo­kap. Waren es doch die Steu­er­zah­le­rIn­nen, die zu 83 Pro­zent die Main­zer Ent­wick­lungs­ko­sten gezahlt haben, wäh­rend Aktienspekulant*innen nun den Patent-Pro­fit abräu­men. Gleich­zei­tig wer­den die in Kuba und Iran ent­wickel­ten Pro­te­in-Vak­zi­ne (weder mRNA noch Vek­tor) »Abda­la« und »Soberana2«, die (laut Ärz­te­blatt) einen 92%igen Schutz gewäh­ren, von den hie­si­gen Medi­en aus dem Markt geschwie­gen. Mitt­ler­wei­le hat Kuba nur 7,7 Neu­in­fek­tio­nen auf
100 000 Ein­woh­ner (UZ, 10.12.21).

War­um ist die Impf­skep­sis im Osten – trotz ver­wur­zel­ter DDR-Impf-Erfah­rung – wohl so hoch? Weil sich seit der Treu­hand so viel »brü­der­li­che Hil­fe« aus dem Westen als Raub­rit­ter­tum ent­tarnt hat­te. Ist solch gewach­se­nes Miss­trau­en der Unte­ren gegen die Obe­ren als »Ver­schwö­rungs­ge­schwur­bel« auf Dau­er nie­der­zu­hal­ten? Poli­tik hat immer etwas mit der Orga­ni­sa­ti­on von Immun­ab­wehr, das gro­ße Gan­ze mit der klei­nen Zel­le zu tun. Oder neh­men wir die Kapi­tu­la­ti­on des »cont­act tra­cing« wegen zusam­men­ge­kürz­ter Gesund­heits­äm­ter, wovon in letz­ter Zeit »lei­der in den Medi­en wenig zu hören« ist (Sozi­al­me­di­zi­ner Hein­rich Nie­mann, UZ, 10.12.21). So wür­de ich dem Stre­eck-Buch in neu­er Auf­la­ge mehr Sozi­al- und Phar­ma­kri­tik wün­schen. Aber dafür weni­ger kind­li­che Didak­tik oder Lob­hu­de­lei­en auf den Men­schen­freund Bill Gates (S. 105), weil der bereits 2014 in Phar­ma-Unter­neh­men inve­stiert hat­te, die sogleich – oh Wun­der – »erst­mals 2016 eine Liste mit zehn Erre­gern auf­ge­stellt« haben. Und dann »war es kaum eine Über­ra­schung, dass sich im März 2020 plötz­lich ein Erre­ger nach ganz oben auf die­ser Liste« schob: SARS-CoV-2 (wofür Gates schon Jah­re zuvor Impf­ak­ti­en für 50 Mio. gekauft hatte).

Sym­pa­thisch, wenn Stre­eck Selbst­zwei­fel zugibt: »Haben wir die Imp­fun­gen viel­leicht, dank dem Schutz durch die ange­bo­re­ne Immun­ant­wort, über­schätzt? Und wel­che Vari­an­ten­bil­dung könn­te den Impf-Effekt zunich­te­ma­chen? (…) Mei­ne For­schungs­ar­beit ist noch lan­ge nicht zu Ende« (S. 108). Neben der zel­lu­la­ren For­schung gin­ge es immer auch dar­um, im Punk­tu­el­len das Uni­ver­sel­le zu sehen, im Immun­sy­stem buch­stäb­lich die »Son­ne« (und das Vit­amin D), in den T-Leu­ko­zy­ten die Sozi­al­ver­hält­nis­se. Das kann eigent­lich auch Stre­eck, wenn er beschreibt (was der lin­ke Bio­lo­ge Rob Wal­lace im Frei­tag 43/​20 und Prof. Kurt Lang­bein über »Zoo­no­se« wei­ter aus­füh­ren), wie unter evo­lu­tio­nä­rem Druck das Abhol­zen von Regen­wäl­dern und die Mas­sen­tier­hal­tung gefähr­li­che Viren­stäm­me frei­set­zen (S. 219). Und wenn Stre­eck in der ARD am 22.11.21 die Panikmacher*innen als Krank­ma­cher kri­ti­siert und statt­des­sen mil­de Coro­na-Ver­läu­fe, Her­den­im­mu­ni­tät und wesent­lich abge­schwäch­te Leta­li­täts­kur­ven in greif­ba­re Aus­sicht rückt. End­lich »mit dem Virus zu leben« emp­fahl er in die­ser Sen­dung gemein­sam mit Prof. Andre­as Gas­sen, der dort die Sterb­lich­keits­hor­ror­zah­len aus­ein­an­der­nahm. In inter­na­tio­na­len Stu­di­en (z. B. bereits im April 2021 in Stan­ford) waren die »Infec­tion Fata­li­ty Rate« – also das Risi­ko, dass eine Covid-Infek­ti­on zum Tod führt – mit der sub­jek­ti­ven Wahr­neh­mung ver­gli­chen wor­den. So neh­men Men­schen über 60 ihre Lebens­ge­fahr 30- bis 40-mal höher wahr, als sie objek­tiv ist. Inso­fern wol­len wir auch das Stre­eck-Buch empfehlen.

Hen­drik Stre­eck, »Unser Immun­sy­stem. Wun­der­waf­fe unse­res Kör­pers«, Mün­chen (Piper) 2021, 221 Sei­ten, 22 €.