Nach meiner ersten Rezension des SPIEGEL-Bestsellers von Hendrik Streeck
(https://www.nachdenkseiten.de/?tag=streeck-hendrik) ist der Autor im Dezember mit seinem Gegenspieler Drosten ins Beratungsgremium der Bundesregierung berufen worden. Wenigstens etwas! Denn zuvor hatte Hendrik Streeck von Pharma-Lobbyisten und Staatscomedians so einiges einstecken müssen, so dass sein Buch ein wenig eingeschüchtert dahergekommen war, teilweise sogar schludrig (ohne Literatur-, Sachwort- und Namens-Verzeichnis). Aber mit einer Fülle von – wenn auch stellenweise arg versimpelten – Erklärungen über unser Körperinnerstes ist es doch lesenswert. Denn es betitelt jenes Forschungsobjekt, das wirkungsvoller gegen Corona ist und bleibt als jedes Vakzin: »Unser Immunsystem« – welches ungeimpft über 90 Prozent aller schweren Krankheits-Verläufe verhindert. Könnte die Immun-Abwehr weltweit auch nur um zwei Prozent gesteigert werden, wäre das die Rettung vieler Millionen. Freilich: Unsere körpereigene Immunabwehr muss so nachhaltig wie dauerhaft, also auch politisch, kultiviert werden. Das wäre erfolgversprechender, als künftig dreimonatlich zu neuen Corona- und/oder Influenza-Impfungen zu zwingen – und damit womöglich den evolutionären Mutanten-Druck zu befeuern.
Streecks Empfehlungen, »wie wir unser Immunsystem stärken« (leider ohne Erwähnung der Heilwirkungen von Schlaf, Sauna und anderer Hyperthermie), beinhalten u. a. Hühnersuppe, Ingwer und frische Luft. Sie bleiben jedoch be- und verfangen in der Teilchen-Logik. Über sein Mikroskop gebeugt ruft der Virologe: »Lasst mich mit Politik in Ruhe! Ich studiere gerade die Bindung eines T-Zell-Rezeptoren an das Antigen.« Derweil wird soziale Spaltung zum Viren-Booster; enge Wohnungen in Wohnsilos, Gedränge in Öffis und Werkstatt werden zu Super-Spreadern. Und die armutsverschärfende Lockdownpolitik schwächt im »Corona-Kapitalismus der Gegenwart« (C. Butterwegge, isw-Report Nr. 127) die Immunabwehr zusätzlich. Aber die Zelle in der Petri-Schale oder unterm Mikroskop des Virologen wirkt halt erstmal unbeeindruckt vom Weltgeschehen.
Die Zelle ist nun mal, statt »seziert unter dem Bilde des Todes« (L. Feuerbach), nur im lebendigen Körper und dieser nur in der (Klassen-) Gesellschaft ganz zu begreifen. Dafür ist aber jede Einzelwissenschaft spontan zu borniert. Wenigstens täuscht Streeck nicht (wie der sich in Dauerwidersprüchen verheddernde Lauterbach) Allwissenheit vor. Streeck veröffentlicht seine Hilflosigkeit, wenn er fragt, wie eigentlich wirklich eine Schwächung der Immunabwehr zustande kommt. Der historisch-dialektische Materialismus könnte ihm weiterhelfen. Oder Shakespeare mit seiner Empfehlung, im Besonderen des Tropfens die Sonne, das Allgemeine, zu suchen, das hieße etwa, mit der Immun-Zelle auch die Arbeitsverhältnisse in den Blick zu nehmen. 2005 überschrieb die Universität Konstanz eine Studie mit: »Wie psychischer Stress das Immunsystem schwächt« (Annette Sommershof), wobei berufliche Überlastung die T-Leukozyten im peripheren Blut halbieren kann. Die Arbeitsverhältnisse zu humanisieren, würde also zum gewaltigen »Wellenbrecher« gegen sämtliche, auch noch vor uns liegenden Virus-Wellen. Der Kampf für soziale Investitionen, für höhere Tariflöhne und Abrüstung würden Virenverbreitung eingrenzen und Immunkräfte entfesseln. Aber über dieses Feld der Gesundheit sprach bislang kein Gesundheitsminister. Der Ex-Chef des Max-Planck-Instituts (Hendriks Nachnamensvetter) Professor Wolfgang Streeck, hatte darum kenntnisreich in der FAZ vom 10.1.2021 beklagt, Soziologen seien »am pandemischen vaterländischen Hilfsdienst nicht beteiligt. Ihre Fakten und Modelle sind nicht gefragt.«
Auch wenn Hendrik Streeck in seinem Buch aufklärerische und freche Thesen formuliert, so wie bereits in seiner berühmten Dom-Rede 2020, als er dem Panikorchester entgegenargumentiert hatte – die Zellwände der Virologie sprengt auch er nur selten. Einerseits empfiehlt er Immunstärkung etwa durch »Lachen für die Beta-Endorphinsteigerung« (S. 205). Andererseits schweigt er zu denen, die wenig zu lachen haben. Einerseits warnt er vor den besonderen Risiken für Menschen über 60 wegen erlahmter Immunsysteme (S. 108). Andererseits schweigt er dazu, dass als Konsequenz bei bestimmten Berufsgruppen (dort, wo Menschen nah aneinander arbeiten müssen) das Renteneintrittsalter unter 60 gedrückt werden müsste. Schon allein aus medizinischer Sicht müsste also der Ober-Covidiot Merz, der Rente erst ab 70 fordert, eher an den medialen Pranger als jede/r Querdenker*in. Aber die Prämissen jeglicher Aufklärung, zu fragen und zu zweifeln, kommen gerade vollends unter die staatlichen Räder. Muss man denn einen schwurbelnden Ketzer öffentlich steinigen, weil er fragt, ob es richtig ist, dass der eine oder andere Covid-Infizierte, der aber an Impffolgen verstorben ist, fortan als »Corona-Toter« die Klinik-Statistik bereichert? Aber auch Streeck fragt nicht nach, warum ausgerechnet in Coronazeiten über 4500 Intensivbetten weggekürzt wurden.
Im Mainstream bleibt er auch, wenn er die Homöopathie pauschal abkanzelt (S. 199). Als ob die Placeboeffekte von Globulis nicht ihre Parallelen auch in der Schulmedizin hätten, und als ob sich nicht hochbezahlte Scharlatane als allopathische »Halbgötter in Weiß« tarnen könnten. Samuel Hahnemanns (1755) Heilerfolge durch Umkehreffekte bei der Verdünnung von Giften und die des marxistischen Homöopathen und Dramatikers Friedrich Wolf (»Die Natur als Arzt und Heiler«, »Cyankali«) sind nicht so flott als Quacksalberei abzutun.
Streeck lobt mRNA-Impfstoffe als einen großen »Schritt für die Menschheit« (S. 187). Das kann irgendwann einmal so sein. (Aber vergessen wir nicht: 2009 erst wurde die mRNA-Gentherapie fürs Impfen überhaupt umdefiniert; aus gutem Grund hatten Zulassungsprozesse für Vakzine bis dahin zwischen sechs und acht Jahren gedauert. Und »Langzeitfolgen« zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie schon nach ein paar Monaten feststehen; was sogar Bundesregierung und RKI in ihrer Impf-Broschüre vom Mai zugeben mussten).
Ich (mit SputnikV geimpft und seit neun Monaten rasant ansteigenden Antikörpern) stehe da eher an der Seite derer, die, wie Sahra Wagenknecht und Joshua Kimmich, in einem »freien Land« eine freie Wahl sämtlicher von der WHO (und kürzlich sogar vom Europarat) anerkannten Vektor- und Tot-Impfstoffe fordern; andernfalls erscheint das ganze Booster-Pressing schnell als reiner BioNTech-Stamokap. Waren es doch die SteuerzahlerInnen, die zu 83 Prozent die Mainzer Entwicklungskosten gezahlt haben, während Aktienspekulant*innen nun den Patent-Profit abräumen. Gleichzeitig werden die in Kuba und Iran entwickelten Protein-Vakzine (weder mRNA noch Vektor) »Abdala« und »Soberana2«, die (laut Ärzteblatt) einen 92%igen Schutz gewähren, von den hiesigen Medien aus dem Markt geschwiegen. Mittlerweile hat Kuba nur 7,7 Neuinfektionen auf
100 000 Einwohner (UZ, 10.12.21).
Warum ist die Impfskepsis im Osten – trotz verwurzelter DDR-Impf-Erfahrung – wohl so hoch? Weil sich seit der Treuhand so viel »brüderliche Hilfe« aus dem Westen als Raubrittertum enttarnt hatte. Ist solch gewachsenes Misstrauen der Unteren gegen die Oberen als »Verschwörungsgeschwurbel« auf Dauer niederzuhalten? Politik hat immer etwas mit der Organisation von Immunabwehr, das große Ganze mit der kleinen Zelle zu tun. Oder nehmen wir die Kapitulation des »contact tracing« wegen zusammengekürzter Gesundheitsämter, wovon in letzter Zeit »leider in den Medien wenig zu hören« ist (Sozialmediziner Heinrich Niemann, UZ, 10.12.21). So würde ich dem Streeck-Buch in neuer Auflage mehr Sozial- und Pharmakritik wünschen. Aber dafür weniger kindliche Didaktik oder Lobhudeleien auf den Menschenfreund Bill Gates (S. 105), weil der bereits 2014 in Pharma-Unternehmen investiert hatte, die sogleich – oh Wunder – »erstmals 2016 eine Liste mit zehn Erregern aufgestellt« haben. Und dann »war es kaum eine Überraschung, dass sich im März 2020 plötzlich ein Erreger nach ganz oben auf dieser Liste« schob: SARS-CoV-2 (wofür Gates schon Jahre zuvor Impfaktien für 50 Mio. gekauft hatte).
Sympathisch, wenn Streeck Selbstzweifel zugibt: »Haben wir die Impfungen vielleicht, dank dem Schutz durch die angeborene Immunantwort, überschätzt? Und welche Variantenbildung könnte den Impf-Effekt zunichtemachen? (…) Meine Forschungsarbeit ist noch lange nicht zu Ende« (S. 108). Neben der zellularen Forschung ginge es immer auch darum, im Punktuellen das Universelle zu sehen, im Immunsystem buchstäblich die »Sonne« (und das Vitamin D), in den T-Leukozyten die Sozialverhältnisse. Das kann eigentlich auch Streeck, wenn er beschreibt (was der linke Biologe Rob Wallace im Freitag 43/20 und Prof. Kurt Langbein über »Zoonose« weiter ausführen), wie unter evolutionärem Druck das Abholzen von Regenwäldern und die Massentierhaltung gefährliche Virenstämme freisetzen (S. 219). Und wenn Streeck in der ARD am 22.11.21 die Panikmacher*innen als Krankmacher kritisiert und stattdessen milde Corona-Verläufe, Herdenimmunität und wesentlich abgeschwächte Letalitätskurven in greifbare Aussicht rückt. Endlich »mit dem Virus zu leben« empfahl er in dieser Sendung gemeinsam mit Prof. Andreas Gassen, der dort die Sterblichkeitshorrorzahlen auseinandernahm. In internationalen Studien (z. B. bereits im April 2021 in Stanford) waren die »Infection Fatality Rate« – also das Risiko, dass eine Covid-Infektion zum Tod führt – mit der subjektiven Wahrnehmung verglichen worden. So nehmen Menschen über 60 ihre Lebensgefahr 30- bis 40-mal höher wahr, als sie objektiv ist. Insofern wollen wir auch das Streeck-Buch empfehlen.
Hendrik Streeck, »Unser Immunsystem. Wunderwaffe unseres Körpers«, München (Piper) 2021, 221 Seiten, 22 €.