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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Heinrich Fink zum Gedenken

Der Theo­lo­ge Hein­rich Fink war mir in der DDR auf­ge­fal­len als einer, den das The­ma Faschis­mus, ins­be­son­de­re die Juden­ver­fol­gung, nicht los­ließ. So als ich 1968 das von ihm her­aus­ge­ge­be­ne, sehr bewe­gen­de Buch »Stär­ker als die Angst. Den sechs Mil­lio­nen, die kei­nen Ret­ter fan­den« las. Wenig spä­ter enga­gier­te er sich zusam­men mit Bre­mer Pasto­ren in der »Lidi­ce-Initia­ti­ve«, in der es um die Aner­ken­nung deut­scher Schuld als Vor­aus­set­zung für ehr­lich gemein­te Annä­he­rung ging.

Die eige­ne Bio­gra­fie hat­te ihn gelehrt, was es heißt, als Indi­vi­du­um in die Geschich­te gewor­fen zu sein. 1935 als Sohn eines Bau­ern im bes­sa­ra­bi­schen Korn­tal gebo­ren, wur­den die deut­schen Sied­ler von den Nazis über ent­beh­rungs­rei­che Flucht erst nach Polen, dann »Heim ins Reich« beor­dert. Nir­gends ganz dazu­zu­ge­hö­ren bedeu­te­te neben schmerz­li­cher Her­ab­set­zung auch die Chan­ce, aus gewis­ser Distanz den Blick für das not­wen­di­ge Gegen­hal­ten nicht zu ver­lie­ren (sie­he »Als ich der Iwan war« in Ossietzky 9/​2015).

Hein­rich Fink pro­mo­vier­te an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät (HU) zur Leh­re des Base­ler Theo­lo­gen Karl Barth, der sich als radi­kal­de­mo­kra­ti­scher Sozia­list ver­stand. Gott sei die »gro­ße Stö­rung« mensch­li­chen Tuns, hieß es bei ihm. Da scheint sich Hei­ner gedacht zu haben: Von Gott ler­nen, heißt stö­ren lernen.

Ich lern­te den Dekan der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der HU Hein­rich Fink im Okto­ber 1989 ken­nen, als sich in Ber­lin die erste Unab­hän­gi­ge Unter­su­chungs­kom­mis­si­on der DDR bil­de­te. Wir woll­ten die Befehls­struk­tu­ren wäh­rend der gewalt­sa­men Miss­hand­lun­gen von pro­te­stie­ren­den Demon­stran­ten durch Poli­zei und Sicher­heits­kräf­te anläss­lich des 40. Jah­res­ta­ges der DDR in Ber­lin auf­decken. Fink und sei­ne erwach­se­nen Kin­der waren, ker­zen­hal­tend, nahe der Geth­se­ma­n­e­kir­che wie vie­le ande­re von Poli­zi­sten mit Schlag­stöcken trak­tiert wor­den. Gut doku­men­tiert ist sei­ne her­aus­for­dern­de Befra­gung von Egon Krenz vor der Kom­mis­si­on, wel­che Instanz denn nun für die­se Über­grif­fe ver­ant­wort­lich zu machen sei. Mit dem Enthu­si­as­mus der dama­li­gen Tage befand er: Wir haben jetzt die Mög­lich­keit, ein neu­es Ver­ständ­nis von Poli­zei in den zusam­men­wach­sen­den Staat einzubringen.

Trotz aller Wider­setz­lich­keit habe ich Hein­rich Fink als sanf­ten, warm­her­zi­gen Men­schen erlebt, der aller­dings wuss­te, dass die erstreb­te Har­mo­nie nur über Aus­ein­an­der­set­zung zu gewin­nen ist. Viel­leicht auch des­halb wur­de er in jenen Herbst­ta­gen im Kon­zil, unter vier Kan­di­da­ten, mit 72 Pro­zent zum Rek­tor der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät gewählt. Auch hier ging es ihm um Erneue­rung aus eige­ner Kraft. Und das funk­tio­nier­te zunächst. Inzwi­schen waren auch die Stu­den­ten auf­ge­wacht, mit unab­hän­gi­ger Stu­den­ten­zeit­schrift, Stu­den­ten­rat und Stu­den­ten­par­la­ment kämpf­ten sie für eine Abkehr von den kon­ser­va­ti­ven Struk­tu­ren der Pro­fes­so­ren-Uni­ver­si­tät. Und sie beka­men Zuspruch von den Kom­mi­li­to­nen der Frei­en Uni­ver­si­tät, der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät, ja der Sorbonne.

Der Fun­ke begann auf den Westen über­zu­sprin­gen. Auf einem Stu­di­en­tag der theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Tübin­gen wur­de eine Reso­lu­ti­on ver­ab­schie­det, in der es hieß, die bun­des­deut­sche pro­te­stan­ti­sche Kir­che sei auf dem Weg, »ihr staats­kon­form obrig­keits­hö­ri­ges Ver­hal­ten fort­zu­set­zen … Es ist Zeit, für eine grund­le­gen­de Kri­tik des Kapi­ta­lis­mus.« Und die SPD schlug einen Run­den Tisch auch für Bonn vor. Die taz warn­te am 9. Dezem­ber 1989: »Denk­bar, dass Bonn bald den Wie­der­ver­ei­ni­gungs­pro­zess mas­siv beschleu­ni­gen will, um den mög­li­chen Demo­kra­ti­sie­rungs­druck aus dem Osten zu brechen.«

»Wie die Hum­boldt-Uni­ver­si­tät gewen­det wur­de«, davon erzählt der letz­te DDR-Rek­tor in sei­nem gleich­na­mi­gen Buch auf detail­lier­te, bedrücken­de Wei­se. Dass die Dog­ma­ti­ker, die unkrea­ti­ven Büro­kra­ten abge­setzt wer­den, war von den Bür­ger­recht­lern beab­sich­tigt. Dass aber flä­chen­deckend abge­räumt wird, auch unter poli­tisch unbe­schol­te­nen, hoch­qua­li­fi­zier­ten Spe­zia­li­sten, sogar unter links geblie­be­nen Dis­si­den­ten wie Rudolf Bah­ro, das war nicht beabsichtigt.

Genau die­se Art von Demü­ti­gung woll­te Hein­rich Fink an sei­ner Hum­boldt-Uni­ver­si­tät ver­mei­den. Er hat­te dafür die Stu­den­ten und den Aka­de­mi­schen Senat hin­ter sich. In sei­nem Buch erzählt er, wie der dama­li­ge Wis­sen­schafts­se­na­tor Erhardt (CDU) den­noch Abwick­ler ins Haus schick­te: Etwa den ein­sti­gen SS-Sturm­bann­füh­rer der Pan­zer­gre­na­dier­di­vi­si­on »Götz von Ber­li­chin­gen«, die sich unter ande­rem an der Okku­pa­ti­on Grie­chen­lands betei­ligt hat­te. Jener Wil­helm Krel­le war als »Grün­dungs­de­kan« für den Fach­be­reich Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten ein­ge­setzt, nicht gewählt. Ein­ver­nehm­lich mit sei­nem Sena­tor ver­kün­de­te er: »Kein Mar­xist wird sei­nen Fuß über die Schwel­le die­ses Hau­ses set­zen, solan­ge ich hier das Sagen habe.«

Fink schil­der­te, wie die Hum­boldt-Uni­ver­si­tät die ein­zi­ge war, die es wag­te, gegen die Abwick­lun­gen gericht­lich vor­zu­ge­hen. Auch weil die gleich­be­rech­tig­te Teil­nah­me von Stu­den­ten in allen Gre­mi­en noch nicht zer­schla­gen war. Wie er im Novem­ber 1991 von Mit­glie­dern des Stu­den­ten­par­la­ments gebe­ten wur­de, doch wie­der als Rek­tor zu kan­di­die­ren. Wie just in die­sem Moment von der dama­li­gen Gauck-Behör­de Ver­däch­ti­gun­gen lan­ciert wur­den, Fink habe für die Sta­si gear­bei­tet. Ein »bestell­tes Ding«, wie Rudolf Bah­ro schimpfte.

Es ging um unbe­wie­se­ne und unbe­weis­ba­re Vor­wür­fe, da es Zeu­gen der Ankla­ge nicht gab und die eigent­li­che Akte ver­nich­tet war. Eine damals nicht sel­te­ne Gro­tes­ke, in der einen nichts so bela­ste­te wie ver­schwun­de­ne Akten. Ste­fan Heym frag­te: »Was ist das für eine Demo­kra­tie, was für ein Rechts­staat, in dem ein Mann von einer Ver­wal­tungs­in­stanz für schul­dig erklärt und bestraft wer­den kann, ohne dass ein Beweis sei­ner Schuld vor­ge­legt, ohne dass er sel­ber auch nur gehört wor­den wäre von einem der hohen Her­ren der Kommission?«

»Unsern Hei­ner nimmt uns kei­ner«, skan­dier­ten die Stu­den­ten im über­füll­ten Audi­to­ri­um Maxi­mum. Im Podi­um saßen, neben Rudolf Bah­ro und Ste­fan Heym, Chri­sta und Ger­hard Wolf, Chri­stoph Hein, Käthe Rei­chel und auch ich – wir pro­te­stier­ten gegen die gei­sti­ge Wüste der unbe­leg­ten Ver­däch­ti­gun­gen, die zur Metho­de gewor­den waren, wenn man unbe­que­me Leu­te aus­schal­ten woll­te. Unter dem Vor­wand, poli­ti­sche Alt­la­sten zu ent­sor­gen, wur­den ein­träg­li­che Posten an meist zweit­ran­gi­ge, kon­ser­va­ti­ve West­im­por­te ver­ge­ben. Fink muss­te mit anse­hen, wie im ersten Jahr­fünft fast 2500 Uni­ver­si­täts­mit­ar­bei­ter zu gehen hat­ten. Sei­ne eige­ne frist­lo­se Ent­las­sung hat­te das Ber­li­ner Land­ge­richt als rechts­wid­rig ein­ge­stuft, ande­re Gerich­te ver­nein­ten dies mit dehn­ba­ren For­mu­lie­run­gen. Dabei war das ein­zi­ge bela­sten­de Indiz, der Anruf eines IM Hei­ner vom Kir­chen­tag bei der Sta­si, durch Auf­deckung des Klar­na­mens des wirk­li­chen Anru­fers zusammengebrochen.

Es hat­te sei­ne inne­re Logik, dass Hein­rich Fink als Par­tei­lo­ser eini­ge Jah­re für die PDS im Bun­des­tag saß. Und danach elf Jah­re Vor­sit­zen­der und bis zu sei­nem Tod Ehren­vor­sit­zen­der der Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Naziregimes/​Bund der Anti­fa­schi­stin­nen und Anti­fa­schi­sten (VVN-BdA) war. Zuletzt hat es ihn fas­sungs­los gemacht, dass in die­sem Deutsch­land, mit sei­nem mas­si­ven Nazi­pro­blem, im rechts­la­sti­gen baye­ri­schen Ver­fas­sungs­schutz­be­richt die Orga­ni­sa­ti­on der Ver­folg­ten des Nazi­re­gimes und ihrer Nach­kom­men als »links­extre­mi­stisch beein­flusst« ein­ge­stuft wird und dar­auf­hin ein sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Ber­li­ner Finanz­se­na­tor in vor­aus­ei­len­dem Gehor­sam der Ver­ei­ni­gung die Gemein­nüt­zig­keit abspre­chen will. Und dass auf Anfra­ge der Par­tei Die Lin­ke nach kon­kre­ten Grün­den, vom Staats­se­kre­tär beim Bun­des­mi­ni­ster des Innern, Gün­ter Krings, die Ant­wort kam, Aus­künf­te über die VVN-BdA, also über die­je­ni­gen, die den Kampf gegen Rechts zum Pro­gramm erho­ben haben, könn­ten »nega­ti­ve Fol­gen für die künf­ti­ge Arbeits­fä­hig­keit und Auf­ga­ben­er­fül­lung der Ver­fas­sungs­schutz­be­hör­den haben« (Druck­sa­che 19/​17233). Sich nicht mit Ver­däch­ti­gun­gen abzu­fin­den, die zu begrün­den nicht für nötig befun­den wer­den, dazu hat Hein­rich Fink vie­le ermu­tigt. Neben Nie­der­la­gen gab es auch immer wie­der Erfolge.

»Die Phi­lo­so­phen haben die Welt nur ver­schie­den inter­pre­tiert, es kommt aber dar­auf an, sie zu ver­än­dern.« Es ist Hei­ner Finks per­sön­li­chem Ein­satz zu ver­dan­ken, dass die 11. Feu­er­bach-The­se von Karl Marx in der Ein­gangs­hal­le der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät nicht ent­fernt wur­de, son­dern als Kul­tur­denk­mal kon­ser­viert wer­den muss­te. Bei aller Trau­er wird sich die Erin­ne­rung durch­set­zen: Die­sen Hei­ner nimmt uns keiner.