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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Heim ins Öster-Reich

Gro­ße Ereig­nis­se wur­den auf Pla­ka­ten und Hand­zet­teln mit gro­ßen Schlag­zei­len ange­kün­digt, im ver­gan­ge­nen Herbst in Südtirol/​Alto Adi­ge: »1918 – 2018: Berg­mes­se zum 100 Jah­re Geden­ken der Abtren­nung« – man beach­te die Schreib­wei­se – »Süd-Tirols am Kronplatz«.

Der Schau­platz des Spek­ta­kels am 23. Sep­tem­ber 2018, der Kron­platz, ist ein 2275 Meter hoher Berg bei Bru­neck, im Win­ter mit 119 Pisten und 32 Auf­stiegs­an­la­gen ein veri­ta­bler Hot Spot, im Som­mer von ver­schie­de­nen Sei­ten her Anzie­hungs­punkt für Berg­tou­ri­sten. Rein­hold Mess­ner hat auf dem Hoch­pla­teau sein MMM Coro­nes errich­tet, das jüng­ste der sechs Muse­en sei­nes Pro­jek­tes, mit wei­tem Rund­um­blick in die Dolomiten.

Unter dem Mot­to »Mäch­tig durch des Glau­bens Stüt­ze« rie­fen »die Puster­ta­ler Schüt­zen« dazu auf, »der Abtren­nung Süd-Tirols mit lan­des­üb­li­chem Emp­fang, Gedenk­re­den und einem Pon­ti­fi­kal­amt« zu gedenken.

»Als Gedenk­red­ner wer­den der Süd­ti­ro­ler Lan­des­haupt­mann Arno Kom­patscher, der Lan­des­kom­man­dant Elmar Tha­ler, der Alt­lan­des­haupt­mann des Bun­des­lan­des Tirol DDr. Her­wig van Staa und Sei­ne Kai­ser­li­che Hoheit Erz­her­zog Georg von Öster­reich sprechen.«

Höhe­punkt: die Ein­set­zung einer »Reli­quie des Seli­gen Kai­ser Karl in die Schüt­zen­ka­pel­le am Kron­platz«. Es ist ein histo­ri­scher Dank »in einer Zeit, in der sowohl die Geschich­te als auch der Väter­glau­be immer mehr ver­drängt« wer­den, denn: »Unter der Füh­rung des dama­li­gen Lan­des­va­ters Kai­ser Karl, des gefür­ste­ten Gra­fen von Tirol, haben sie [die Vor­fah­ren] bis zum Ende des Krie­ges für die Frei­heit und Ein­heit Tirols gekämpft.«

Und da die Schüt­zen des Puster­tals »mit der hei­li­gen Kir­che … glau­ben, dass die Gerech­ten das Ange­sicht Got­tes schau­en«, wird Karl an- und auf­ge­ru­fen »mit der gro­ßen Für­bit­te um: Frei­heit, Lan­des­ein­heit und gerech­ten Frie­den«. Der Habs­bur­ger und sei­ne Vasal­len sol­len halt bei der näch­sten Audi­enz von Ange­sicht zu Ange­sicht beim himm­li­schen Chef im Sin­ne der Schüt­zen ein gutes Wort ein­le­gen, wohl ganz nach dem Vor­bild gefal­le­ner Kämp­fer im mytho­lo­gi­schen Walhall.

Nun ist hier nicht der Platz, um die wech­sel­haf­te Geschich­te die­ser Regi­on dar­zu­stel­len, in der ein viru­len­tes Völk­chen lebt, das Deutsch, Ita­lie­nisch und Ladi­nisch spricht. Zu sei­ner Histo­rie gehö­ren, Pars pro Toto, der Volks­auf­stand um Andre­as Hofer, die Abtren­nung von Öster­reich nach dem Ersten Welt­krieg und die nach­fol­gen­de Ita­lia­ni­sie­rung, nach dem Zwei­ten Welt­krieg die Bom­ben­at­ten­ta­te der Sepa­ra­ti­sten, noch spä­ter weit­rei­chen­de Befug­nis­se im Rah­men des euro­päi­schen Inte­gra­ti­ons­pro­zes­ses als Auto­no­me Pro­vinz und schließ­lich die Grün­dung der »Euro­pa­uni­on Tirol-Süd­ti­rol-Tren­ti­no« zur För­de­rung einer die Staats­gren­zen über­schrei­ten­den Zusammenarbeit.


Mot­to der Stunde

»Es den­ken die Leu­te von gestern wie­der an morgen.«
(Franz Josef Degen­hardt, 1982, LP »Du bist anders als die andern«)

K. N.


Also, ver­las­sen wir die Reli­quie, den Him­mel und die Histo­rie, wid­men wir uns dem Hier und Heu­te. Aus der Süd­ti­ro­ler Lan­des­haupt­stadt Bozen und der öster­rei­chi­schen Lan­des­haupt­stadt Wien kam vor zwei, drei Jah­ren die Anre­gung, deutsch­spra­chi­ge Süd­ti­ro­ler, vom Aus­weis her Ita­lie­ner, auch mit der öster­rei­chi­schen Staats­bür­ger­schaft aus­zu­stat­ten, neu­er­dings alter­na­tiv mit einer euro­päi­schen. Ein Streit­the­ma, das in Rom Sepa­ra­ti­ons­äng­ste weck­te und noch im Mai die­ses Jah­res den ita­lie­ni­schen Außen­mi­ni­ster auf den Plan rief.

Im »Über­bau« aber ist man schon einen gehö­ri­gen Schritt wei­ter. (Sie erin­nern sich noch an die bei­den Kate­go­rien Basis und Über­bau der mar­xi­sti­schen Phi­lo­so­phie?) 2016 pro­du­zier­te die öster­rei­chi­sche Rund­funk­ge­sell­schaft ORF den Spiel­film »End­ab­rech­nung«. Ein Land­kri­mi im »Tatort«-Stil, der in Öster­reich spielt, mit einem öster­rei­chi­schen Ermitt­ler, einer öster­rei­chi­schen Kom­mis­sa­rin, einem öster­rei­chi­schen Staats­an­walt. Sein Regis­seur Umut Dağ, 1982 als Sohn eines kur­di­schen Ehe­paars in Wien gebo­ren, erhielt 2017 den öster­rei­chi­schen Fern­seh­preis »Romy« für die beste Regie.

Na und, wer­den sie sagen, was soll’s? Die Ant­wort lau­tet halt: Im »Über­bau« ist man schon einen Schritt wei­ter. Im Film herrscht eine Alter­na­tiv­welt, wie in Erzäh­lun­gen von Phil­ip K. Dick. Die Abtren­nung Süd­ti­rols vom Mut­ter­land Öster­reich hat nicht statt­ge­fun­den – oder sie wur­de irgend­wann rück­gän­gig gemacht. Zwar lie­gen die Berg­ket­ten ein­deu­tig in Süd­ti­rol und damit in Ita­li­en, eben­so wie die Städ­te Bozen und Meran, in denen ermit­telt wird. Doch auf den Plät­zen und Gebäu­den wehen öster­rei­chi­sche Fah­nen, die Autos haben öster­rei­chi­sche Kenn­zei­chen und die Ermitt­ler sind, wie erwähnt, Österreicher.

Am Mon­tag, 1. Juli 2019, hat das ZDF um 20.15 Uhr die­sen Kri­mi gesen­det. Ohne jeg­li­chen auf­klä­ren­den Hin­weis. Hat jemand etwas bemerkt?