Selbst viele Christen fallen fast vom Glauben ab, wenn man ihnen eröffnet, dass es in Deutschland tatsächlich Gesetze gibt, die während der sonntäglichen Hauptgottesdienst-Zeiten Versammlungen unter freiem Himmel untersagen und die an christlichen Feiertagen sogar die öffentliche Aufführung bestimmter Filme verbieten. Neben den Sonntagen und normalen Feiertagen (staatlich oder christlich) kennt die Feiertagsgesetzgebung auch noch sogenannte »stille Feiertage«. Hier sind die bereits geltenden Feiertagsregelungen noch einmal verschärft. Wochenmärkte, gewerbliche Ausstellungen, Zirkusaufführungen oder Volksfeste dürfen dann nicht stattfinden. Es herrscht Tanzverbot, Schank- und Speisebetrieb sind untersagt, auch auf allzu flotte Musik im Radio muss verzichtet werden. Die Programmmacher sind angehalten, auf eine Auswahl stiller, ruhiger Titel zu achten, die zum »Charakter des stillen Tages passen«. Unisono gilt die Vorgabe: Im Land soll Stille herrschen.
In Artikel 140 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist das alles geregelt. Dort heißt es: »Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.« Übernommen wurde dieser Grundsatz unverändert aus der Weimarer Reichsverfassung von 1919 (Art. 139 WRV). Wie genau der Schutz der Sonn- und Feiertage aussieht, wird per Landesgesetzgebung konkretisiert, so dass in Deutschland für jedes Bundesland ein eigenes Feiertagsgesetz gilt. Die Folge ist trotz grundsätzlicher Ähnlichkeiten ein föderales Kuddelmuddel an Regelungen im Detail. Gemeinsam ist den Feiertagsgesetzgebungen der Länder vor allem, dass sie christliche Feiertage in besonderer Weise schützen. Beispiel im Bundesland Hessen: Dort gilt ein sonntägliches Tanzverbot von 4-11 Uhr, selbst an Tagen, die aus christlicher Sicht Tage der Freude sind. Nordrhein-Westfalen kennt insgesamt 13 Feier- und Gedenktage, für die ein besonderer Feiertagsschutz gilt – neun davon sind christlicher Natur. Wie die Bürger sich an diesen Tagen zu verhalten haben, regelt das nordrhein-westfälische »Gesetz über die Sonn- und Feiertage«, das grundsätzlich alle »öffentlich bemerkbaren Arbeiten« verbietet, »die geeignet sind, die äußere Ruhe des Tages zu stören«. Besonderen Schutz genießen hierbei Gottesdienste. Können beispielsweise Märkte aufgrund einer Ausnahmegenehmigung doch an einem Sonn- oder Feiertag stattfinden, so dürfen auch diese erst nach der »ortsüblichen Zeit des Hauptgottesdienstes« beginnen. Die ortsübliche Zeit des Hauptgottesdienstes wird hierbei »von der örtlichen Ordnungsbehörde im Einvernehmen mit der Kirche festgelegt«. Eine Allianz von klerikalen Glaubens-Advokaten und staatlicher Verwaltung gehen hier gewissenhaft ans Werk und achten auf deren Einhaltung.Der besondere Schutz christlicher Gottesdienste nicht nur an Feiertagen, sondern an jedem einzelnen Sonntag des Jahres entstand zu einer Zeit, als die deutsche Bevölkerung mehrheitlich christlich war und der sonntägliche Gottesdienstbesuch ein weit verbreitetes Ritual. Nur, davon kann schon lange nicht mehr die Rede sein. Laut Hochrechnungen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) befindet sich in Deutschland seit Frühjahr 2022 erstmals seit Jahrhunderten keine Mehrheit der Menschen mehr im Schoß der beiden großen Kirchen. Dass ein besonderer Schutz der Gottesdienstzeiten in Feiertagsgesetzen nicht mehr zeitgemäß ist, dürfte damit eigentlich selbsterklärend sein.
Der höchste Schutz in allen Bundesländern gilt insgesamt aber dem Karfreitag. Christinnen und Christen denken am Karfreitag an einen Mann aus Nazareth, der vor rund 2000 Jahren am Kreuz hingerichtet wurde. Der Tag dient dem Gedenken an sein Leiden und Sterben. An Karfreitag ist es üblich, den Altar nicht zu schmücken. Auch die Kirchenglocken verstummen. Kirchlichem Einfluss auf die Politik ist es zu verdanken, dass an diesem Tag per Gesetz jedem Einwohner Deutschlands Zwangstrauer verordnet wird – egal, ob er dem christlichen Glauben angehört oder nicht. Zur Todesstunde von Jesus, um 15 Uhr, versammeln sich gläubige Christen zum Karfreitags-Gottesdienst. Für die evangelische Kirche stellt der Karfreitag sogar einen der höchsten Feiertage des Kirchenjahrs dar. Er zählt er zu den sogenannten »stillen Tagen« des Kirchenjahres. Davon gibt es viele: der Volkstrauertag, der Buß- und Bettag, der Totensonntag, an Heiligabend, der Aschermittwoch, der Gründonnerstag, sowie an Karfreitag und Karsamstag.
Nicht nur auf Tanz muss an diesen Tagen verzichtet werden, jede Form lauter und lustige Geselligkeit ist untersagt. Auch vergnügliche Filmvorführungen trifft der religiöse Bannstrahl. Rund 700 Filme sind mit einem Feiertagverbot belegt. Die FSK-Liste (Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) umfasst eine höchst kuriose Mischung von Werken der Filmkunst. Neben allerlei Action-, Science-Fiction-Filmen, auch Filmklassiker wie Harold and Maude, Manche mögen’s heiß oder Charley’s Tante dürfen nach dem Willen der FSK-Prüfer an stillen Tagen nicht gezeigt werden. Auf der Homepage der FSK findet sich ein Hinweis, nach welchem Kriterium über die Feiertagstauglichkeit eines Films entschieden wird: »Nicht freigegeben für die stillen Feiertage werden Filme, die dem Charakter dieser Feiertage so sehr widersprechen, dass eine Verletzung des religiösen und sittlichen Empfindens zu befürchten ist.« Willkommen im Gottesstaat Deutschland.
Doch Ungläubige, Gottlose und Nicht-christliche wollen solcherlei Bevormundung durch ein christlich geprägtes Feiertagsgesetz nicht mehr akzeptieren und sich nicht an die gesetzlich verordnete Stille halten. Bekannt wurde in diesem Zusammenhang vor allem der »Bochumer Brian«: Jedes Jahr am Karfreitag verstößt die säkulare Initiative Religionsfrei im Revier gezielt gegen die Feiertagsgesetzgebung von NRW, indem sie in Bochum öffentlich den Monty Python-Film Das Leben des Brian aufführt, der seit 1980 auf dem Feiertags-Index der FSK steht. Die karfreitagliche Brian-Filmvorführung ist inzwischen auch in anderen Bundesländern zur Tradition in säkularen Kreisen geworden. In München, Stuttgart und an zahlreichen anderen Orten laden tanzfreudige Atheisten zur säkularen Karfreitags-Party ein. Motto: »Heiden-Spaß statt Höllen-Qual«. Die Veranstaltung soll in ihrer Gesamtheit auch Ausdruck des Protests gegen das nicht mehr zeitgemäße und unverhältnismäßig einschränkende Feiertagsgesetz sein. Die Veranstalter verweisen dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das bereits 2016 das Verbot einer Münchener »Heidenspaß-Party« für verfassungswidrig erklärt hat.
Ohnehin gehen Rechts-Experten davon aus, dass die mehr oder weniger strikten Tanzverbote an Karfreitag im Zuge der schwindenden – vor allem konfessionell gebundenen – Religiosität in Deutschland durch Ausnahmeregelungen zunehmend zurückgenommen werden. Menschen, die sich an diesen Tagen laut vergnügen wollen, würden in ihrer Freiheit eingeschränkt. Auch wenn die Christengemeinde am Karfreitag zur stillen Einkehr aufruft, dürfe es keinen gesetzlichen Zwang zur Trauer für Ungläubige und gottlose Bürgerinnen und Bürger geben.
Wie aber könnte zukünftig eine zeitgemäße Feiertagsgesetzgebung aussehen? Vorschlag: Alle Menschen hierzulande bekommen – Gerechtigkeit muss sein! – neben den staatlichen Feiertagen ein Kontingent von, sagen wir, jährlich drei Tagen zur freien sinnstiftenden Verfügung. Tiefgläubige Christen könnten sich u. a. am Karfreitag dann frei nehmen, um intensiv um ihren Religionsgründer zu trauern, Muslime, um das Zuckerfest zu feiern, und Atheisten, um eine kleine Wanderung zu machen.
Hinweis: Dieser Text basiert auf einem längeren Artikel zur Feiertagsgesetzgebung von Daniela Wakonigg/Helmut Ortner, in: DAS KLERIKALE KARTELL – Warum die Trennung von Staat und Kirche überfällig ist, Nomen Verlag Frankfurt, 272 S., 24 €.