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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Heftiger Kalter Krieg Nr. 2

Eli­sa­beth Noel­le-Neu­mann war Mit­ar­bei­te­rin von Goeb­bels’ Blatt Das Reich; The­ma: Juden als unse­re Fein­de. Sie schrieb eine Dis­ser­ta­ti­on über den Ein­fluss der Juden auf die öffent­li­che Mei­nung der USA. Auch ihr Ehe­mann Erich Peter Neu­mann sei kurz vor­ge­stellt: Er war erst NSDAP-, dann CDU-Mit­glied, zeit­wei­lig MdB. Er war ihr Arbeits­kol­le­ge – Res­sort­lei­ter in Das Reich. Nach 1945 grün­de­ten bei­de die Gesell­schaft zum Stu­di­um der öffent­li­chen Mei­nung und das Insti­tut für Demo­sko­pie Allens­bach. Bei­de leben nicht mehr, aber ihr Geist lebt.

Dies war nicht nur bis zum Jahr 2010 der Fall. Da wur­de das Jubi­lä­um des Allens­ba­cher Insti­tuts gefei­ert, und Kanz­le­rin Ange­la Mer­kel hielt die Fest­re­de. Sie führ­te laut Regie­rungs­bul­le­tin vom 3. März 2010 aus, sie sei zutiefst davon über­zeugt, dass es rich­tig ist, »dass wir eine reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie und kei­ne ple­bis­zi­tä­re Demo­kra­tie haben«, denn: »Wir kön­nen im Rück­blick auf die Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik sagen, dass all die gro­ßen Ent­schei­dun­gen kei­ne demo­sko­pi­sche Mehr­heit hat­ten, als sie gefällt wur­den.« Die Ein­füh­rung der Sozia­len Markt­wirt­schaft, die Wie­der­be­waff­nung, die Ost­ver­trä­ge, der Nato-Dop­pel­be­schluss, das Fest­hal­ten an der Ein­heit, die Ein­füh­rung des Euro und auch die zuneh­men­de Über­nah­me von »Ver­ant­wor­tung« durch die Bun­des­wehr in der Welt – fast alle die­se Ent­schei­dun­gen sind gegen die Mehr­heit der Deut­schen erfolgt.

Also Demo­kra­tie? Kei­ne Spur. Allens­bach half, Mei­nun­gen im Volk auf­zu­spü­ren – und dann dage­gen zu hal­ten. Das Grund­ge­setz sieht die Wil­lens­bil­dung durch Wah­len und Abstim­mun­gen vor. Abstim­mun­gen? Da gab es das Ver­bot der Volks­be­fra­gung zur Remi­li­ta­ri­sie­rung, die im April 1951 star­te­te. Die west­deut­sche Frie­dens­be­we­gung sam­mel­te unzäh­li­ge Unter­schrif­ten. Die Orga­ni­sa­to­ren der Befra­gung, der Haupt­aus­schuss zur Volks­be­fra­gung, wur­den im August 1954 zu lan­gen Haft­stra­fen ver­ur­teilt. Unter ihnen Oskar Neu­mann, füh­ren­des Mit­glied der VVN.

Ein Jahr vor dem Start der Volks­be­fra­gung – die übri­gens in der DDR von der Regie­rung durch­ge­führt wur­de und das Nein zur Wie­der­be­waff­nung Deutsch­lands erbrach­te – star­te­te der welt­wei­te Stock­hol­mer Appell gegen die Atom­rü­stung. Vie­le Mil­lio­nen Unter­schrif­ten wur­den welt­weit gesam­melt. Der Welt­frie­dens­rat hat­te den Appell beschlos­sen, sei­ne Anhän­ger wur­den in der BRD poli­tisch ver­folgt. Die KPD, 1956 ver­bo­ten, stand wie­der im ille­ga­len Rin­gen, vor­her bereits die FDJ. Rund 10.000 Anti­mi­li­ta­ri­sten wur­den in der Zeit bis 1968 ein­ge­sperrt. Der VVN wur­de – aller­dings erfolg­los – das Ver­bot angedroht.

Es herrsch­te der Kal­te Krieg. Und sei­ne Wie­der­ho­lung droht. Um gegen den Kriegs­geg­ner Russ­land vor­zu­ge­hen, wur­de das Straf­ge­setz­buch geän­dert. Fah­nen mit Ham­mer und Sichel zu zei­gen, könn­te der Volks­ver­het­zung mit­tels Haken­kreuz gleich­ge­setzt wer­den. Wer die Volks­ab­stim­mung mit den Füßen orga­ni­siert, also gro­ße Demon­stra­tio­nen der Frie­dens­be­we­gung, und wer zudem hun­dert­tau­sen­de Unter­schrif­ten unter ein »Mani­fest für den Frie­den« sam­melt – wie es Sahra Wagen­knecht und Ali­ce Schwar­zer taten –, bekommt den gan­zen Druck zu spü­ren, zu dem Medi­en und Poli­ti­ker fähig sind. Das Ver­samm­lungs­recht wur­de in vie­len Bun­des­län­dern ver­schlech­tert. Über 30.000 Ver­ei­ne erklär­ten, auf poli­ti­sches Enga­ge­ment zu ver­zich­ten, um nicht den Sta­tus der Gemein­nüt­zig­keit zu ver­lie­ren. Nicht zu über­se­hen: die Ein­schrän­kung der Pres­se­frei­heit, bei­spiels­wei­se durch die ganz offen bekun­de­te Absicht der Bun­des­re­gie­rung, die jun­ge Welt mög­lichst aus­zu­schal­ten. Und dann erfolg­te noch das Ver­bot der Aus­rei­se für den VVN-BdA-Bun­des­vor­sit­zen­den Flo­ri­an Gut­sche, der an einem anti­fa­schi­sti­schen Pro­test in Sofia teil­neh­men woll­te. Gleich­zei­tig wur­de deut­schen Neo­na­zis die Rei­se nach Bul­ga­ri­en zu einer faschi­sti­schen »Gedenk­ak­ti­on« gestattet.

Weder zu Ade­nau­ers noch zu Schmidts Zei­ten hat­te die Rüstungs­po­li­tik je eine Mehr­heit in der Bevöl­ke­rung hin­ter sich. Das wur­de auf jener Tagung des Allens­bach-Insti­tuts bekannt. Ein­mal gelang es in der BRD-Geschich­te, die öffent­li­che Mei­nung zur ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung zu machen, das war in den Acht­zi­gern in der Aus­ein­an­der­set­zung um die Nachrüstung.

Das erin­nert dar­an, dass es sich lohnt, dafür ein­zu­tre­ten, dass die öffent­li­che Mei­nung Druck auf die ver­öf­fent­li­chen­den Medi­en macht. Und auch: Die alter­na­ti­ven Medi­en unter­stüt­zen! Übri­gens: Die Süd­deut­sche Zei­tung vom 21./22. Febru­ar 2023 brach­te »sogar schon die Lie­fe­rung von F-16-Kampf­jets ins Spiel«. Jetzt wer­den die­se gelie­fert. Packen wir es an: Schluss damit.

Eine Neu­auf­la­ge des Stock­hol­mer Appells scheint drin­gend. Der Wort­laut. »Wir for­dern das abso­lu­te Ver­bot der Atom­waf­fe als einer Waf­fe des Schreckens und der Mas­sen­ver­nich­tung der Bevöl­ke­rung. Wir for­dern die Errich­tung einer stren­gen inter­na­tio­na­len Kon­trol­le, um die Durch­füh­rung des Ver­bo­tes zu sichern. Wir sind der Ansicht, dass die Regie­rung, die als erste die Atom­waf­fe gegen irgend­ein Land benutzt, ein Ver­bre­chen gegen die Mensch­heit begeht und als Kriegs­ver­bre­cher zu behan­deln ist. Wir rufen alle Men­schen der Welt, die guten Wil­lens sind, auf, die­sen Appell zu unterzeichnen.«