Elisabeth Noelle-Neumann war Mitarbeiterin von Goebbels’ Blatt Das Reich; Thema: Juden als unsere Feinde. Sie schrieb eine Dissertation über den Einfluss der Juden auf die öffentliche Meinung der USA. Auch ihr Ehemann Erich Peter Neumann sei kurz vorgestellt: Er war erst NSDAP-, dann CDU-Mitglied, zeitweilig MdB. Er war ihr Arbeitskollege – Ressortleiter in Das Reich. Nach 1945 gründeten beide die Gesellschaft zum Studium der öffentlichen Meinung und das Institut für Demoskopie Allensbach. Beide leben nicht mehr, aber ihr Geist lebt.
Dies war nicht nur bis zum Jahr 2010 der Fall. Da wurde das Jubiläum des Allensbacher Instituts gefeiert, und Kanzlerin Angela Merkel hielt die Festrede. Sie führte laut Regierungsbulletin vom 3. März 2010 aus, sie sei zutiefst davon überzeugt, dass es richtig ist, »dass wir eine repräsentative Demokratie und keine plebiszitäre Demokratie haben«, denn: »Wir können im Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik sagen, dass all die großen Entscheidungen keine demoskopische Mehrheit hatten, als sie gefällt wurden.« Die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, die Wiederbewaffnung, die Ostverträge, der Nato-Doppelbeschluss, das Festhalten an der Einheit, die Einführung des Euro und auch die zunehmende Übernahme von »Verantwortung« durch die Bundeswehr in der Welt – fast alle diese Entscheidungen sind gegen die Mehrheit der Deutschen erfolgt.
Also Demokratie? Keine Spur. Allensbach half, Meinungen im Volk aufzuspüren – und dann dagegen zu halten. Das Grundgesetz sieht die Willensbildung durch Wahlen und Abstimmungen vor. Abstimmungen? Da gab es das Verbot der Volksbefragung zur Remilitarisierung, die im April 1951 startete. Die westdeutsche Friedensbewegung sammelte unzählige Unterschriften. Die Organisatoren der Befragung, der Hauptausschuss zur Volksbefragung, wurden im August 1954 zu langen Haftstrafen verurteilt. Unter ihnen Oskar Neumann, führendes Mitglied der VVN.
Ein Jahr vor dem Start der Volksbefragung – die übrigens in der DDR von der Regierung durchgeführt wurde und das Nein zur Wiederbewaffnung Deutschlands erbrachte – startete der weltweite Stockholmer Appell gegen die Atomrüstung. Viele Millionen Unterschriften wurden weltweit gesammelt. Der Weltfriedensrat hatte den Appell beschlossen, seine Anhänger wurden in der BRD politisch verfolgt. Die KPD, 1956 verboten, stand wieder im illegalen Ringen, vorher bereits die FDJ. Rund 10.000 Antimilitaristen wurden in der Zeit bis 1968 eingesperrt. Der VVN wurde – allerdings erfolglos – das Verbot angedroht.
Es herrschte der Kalte Krieg. Und seine Wiederholung droht. Um gegen den Kriegsgegner Russland vorzugehen, wurde das Strafgesetzbuch geändert. Fahnen mit Hammer und Sichel zu zeigen, könnte der Volksverhetzung mittels Hakenkreuz gleichgesetzt werden. Wer die Volksabstimmung mit den Füßen organisiert, also große Demonstrationen der Friedensbewegung, und wer zudem hunderttausende Unterschriften unter ein »Manifest für den Frieden« sammelt – wie es Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer taten –, bekommt den ganzen Druck zu spüren, zu dem Medien und Politiker fähig sind. Das Versammlungsrecht wurde in vielen Bundesländern verschlechtert. Über 30.000 Vereine erklärten, auf politisches Engagement zu verzichten, um nicht den Status der Gemeinnützigkeit zu verlieren. Nicht zu übersehen: die Einschränkung der Pressefreiheit, beispielsweise durch die ganz offen bekundete Absicht der Bundesregierung, die junge Welt möglichst auszuschalten. Und dann erfolgte noch das Verbot der Ausreise für den VVN-BdA-Bundesvorsitzenden Florian Gutsche, der an einem antifaschistischen Protest in Sofia teilnehmen wollte. Gleichzeitig wurde deutschen Neonazis die Reise nach Bulgarien zu einer faschistischen »Gedenkaktion« gestattet.
Weder zu Adenauers noch zu Schmidts Zeiten hatte die Rüstungspolitik je eine Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich. Das wurde auf jener Tagung des Allensbach-Instituts bekannt. Einmal gelang es in der BRD-Geschichte, die öffentliche Meinung zur veröffentlichten Meinung zu machen, das war in den Achtzigern in der Auseinandersetzung um die Nachrüstung.
Das erinnert daran, dass es sich lohnt, dafür einzutreten, dass die öffentliche Meinung Druck auf die veröffentlichenden Medien macht. Und auch: Die alternativen Medien unterstützen! Übrigens: Die Süddeutsche Zeitung vom 21./22. Februar 2023 brachte »sogar schon die Lieferung von F-16-Kampfjets ins Spiel«. Jetzt werden diese geliefert. Packen wir es an: Schluss damit.
Eine Neuauflage des Stockholmer Appells scheint dringend. Der Wortlaut. »Wir fordern das absolute Verbot der Atomwaffe als einer Waffe des Schreckens und der Massenvernichtung der Bevölkerung. Wir fordern die Errichtung einer strengen internationalen Kontrolle, um die Durchführung des Verbotes zu sichern. Wir sind der Ansicht, dass die Regierung, die als erste die Atomwaffe gegen irgendein Land benutzt, ein Verbrechen gegen die Menschheit begeht und als Kriegsverbrecher zu behandeln ist. Wir rufen alle Menschen der Welt, die guten Willens sind, auf, diesen Appell zu unterzeichnen.«