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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Hebenshausen wacht au

Hebens­hau­sen ist ein Orts­teil der Gemein­de Neu-Eichen­berg. Es gibt hier als Sehens­wür­dig­kei­ten eine evan­ge­li­sche und eine katho­li­sche Kir­che sowie ein ehe­ma­li­ges Syn­ago­gen­ge­bäu­de. An der Haupt­stra­ße lädt ein Gast­haus ein und am Orts­rand ein Haus des Sports.

Hebens­hau­sen liegt im Drei­län­der­eck von Hes­sen, Nie­der­sach­sen und Thü­rin­gen auf hes­si­schem Gebiet. Der Ort mit heu­te cir­ca 450 Ein­woh­nern hat in der Geschich­te nie eine Rol­le gespielt oder gar über­ört­li­che Schlag­zei­len gelie­fert. Frü­her hät­te man gesagt: Hier sagen sich Fuchs und Hase »Gute Nacht«. Das wird sich nun wohl ändern: Hebens­hau­sen liegt näm­lich auch im Drei­au­to­bahnen­eck Rich­tung Han­no­ver, Kassel/​Frankfurt/​Würzburg und Leipzig/​Dresden, dazu seit 1990 in der »neu­en« Mit­te Deutsch­lands, und das hat seit­dem unge­ahn­te Akti­vi­tä­ten der ört­li­chen Poli­ti­ker und Begehr­lich­kei­ten von »Immo­bi­li­en­ent­wick­lern« geweckt: Hier kön­ne doch vor­züg­lich ein Logi­stik­zen­trum ent­ste­hen, wodurch vie­le, vie­le neue Arbeits­plät­ze in die­ser abge­le­ge­nen Regi­on ent­ste­hen wür­den – so hieß es schon vor 20 Jah­ren, und ein Bür­ger­ent­scheid im Jahr 2004 erbrach­te 63 Pro­zent Zustimmung.

Danach geschah erst ein­mal gar nichts. Doch dann, im Juni 2018, ver­kauf­te die Hes­si­sche Land­ge­sell­schaft (HLG) als »staat­li­che Treu­hand­stel­le für länd­li­che Boden­ord­nung« 80 Hekt­ar besten Acker­bo­dens an die Bens­hei­mer Dietz AG.

Die Bür­ger­mei­ste­rin von Neu-Eichen­berg froh­lock­te: »Tau­send Arbeits­plät­ze wer­den neu geschaf­fen. Bür­ger wer­den sich bei uns ansie­deln.« »Natür­lich gibt es auch Geg­ner des Pro­jek­tes«, wuss­te die Sozi­al­de­mo­kra­tin, doch »Angst vor Bür­ger­pro­te­sten braucht die Poli­tik nicht zu haben«, erklär­te sie mit Hin­weis auf den Bür­ger­ent­scheid von 2004 im Göt­tin­ger Tage­blatt (19.6.2018, »Pro­jekt­ent­wick­ler schlägt in Neu-Eichen­berg zu«).

Inzwi­schen ist bekannt gewor­den: Das geplan­te Logi­stik­zen­trum soll eines der größ­ten euro­pa­weit wer­den mit 15 Meter hohen Logi­stik­hal­len, die dann von hun­der­ten Lastern täg­lich ange­fah­ren wer­den – mit stei­gen­der Ten­denz gemäß der »Ziel­set­zung« des Bens­hei­mer Unter­neh­mens: »Sub­stanz und Wachs­tum [ist unser] unter­neh­me­ri­sches Ziel«. Dem Plan des neu­en Deut­sche-Bahn-Chefs Richard Lutz, den Güter­ver­kehr nach und nach von den umwelt­schäd­li­chen Lastern auf die Schie­ne zu ver­le­gen, steht das »Pro­jekt Hebens­hau­sen« fun­da­men­tal entgegen.

Nun sind die Bür­ger auf­ge­wacht. An vie­len Häu­sern des klei­nen Dor­fes hän­gen gro­ße Pla­ka­te: »Logi­stik­zen­trum bleib uns vom Acker« – »Acker bleibt« – »Bee­te statt Beton«, und auf der ver­kauf­ten Flä­che, die grö­ßer ist als der gan­ze Ort Hebens­hau­sen, wur­de inzwi­schen eine Zelt­stadt auf­ge­baut. Unter­stüt­zer und Umwelt­schüt­zer gegen den immensen »Flä­chen­fraß« mit Boden­ver­sie­ge­lung kom­men aus dem Umland und den Städ­ten Kas­sel, Wit­zen­hau­sen und Göt­tin­gen, zum Bei­spiel von der Bewe­gung »Ende Gelän­de Göt­tin­gen« und »Fri­days for Future«. Unter­stüt­zung von der hes­si­schen Lan­des­re­gie­rung ist aller­dings nicht zu erwar­ten. Die HLG wird in ihrem acht­köp­fi­gen Auf­sichts­rat von dem Staats­se­kre­tär Jens Deut­schen­dorf (Grü­ne) als Vor­sit­zen­der geführt und unter­liegt der Staats­auf­sicht durch den Hes­si­schen Mini­ster für Wirt­schaft, Ener­gie, Ver­kehr und Woh­nen, Tarek Al-Wazir (Grü­ne), Mini­ster seit 2014. Ach ja, die Grü­nen, die Umweltfreunde.

Man­fred Sohn Fünf nach zwölf

Die Dis­kus­si­on um die »Gren­zen des Wachs­tums« ist nicht neu. Im Jah­re 1972 erschien die Stu­die des Club of Rome unter dem Ori­gi­nal­ti­tel »The Limits to Growth«. Sie führ­te – von den Autoren auch so gewollt – zu einer Dis­kus­si­on, die sich unter der Über­schrift, es sei »fünf vor zwölf« zusam­men­fas­sen ließe.

Ab August 2018 löste die schwe­di­sche Schü­le­rin Gre­ta Thun­berg mit ihren regel­mä­ßi­gen Sit-ins vor dem Par­la­ments­ge­bäu­de in Stock­holm die »Fri­days for Future«-Bewegung aus, an der sich am 15. März die­ses Jah­res welt­weit annäh­rend zwei Mil­lio­nen Men­schen – über­wie­gend Schü­le­rin­nen und Schü­ler – betei­lig­ten. In ihren Reden weist Thun­berg dar­auf hin, wenn nicht sofort etwas gesche­he, lösen »wir«, also die Spe­zi­es Mensch, eine »irrever­si­ble Ket­ten­re­ak­ti­on jen­seits mensch­li­cher Kon­trol­le aus«. Sie wer­de zum Ende der Zivi­li­sa­ti­on, wie wir sie ken­nen, führen.

Thun­berg ver­wen­det zwar den Begriff »fünf vor zwölf« nicht, aber das Muster ist das­sel­be: Noch sei es nicht zu spät.

Der Ver­gleich zwi­schen bei­den Ereig­nis­sen, die nahe­zu ein hal­bes Jahr­hun­dert aus­ein­an­der­lie­gen, führt ent­we­der zu der Schluss­fol­ge­rung, Den­nis Mea­dows und die ande­ren hät­ten 1972 geirrt – es war damals nicht fünf vor zwölf, son­dern besten­falls halb zwölf gewe­sen. Oder die Uhr ist seit­dem ste­hen­ge­blie­ben. Oder aber die Agi­ta­ti­ons­fi­gur, der sich sowohl Mea­dows als auch Thun­berg bedien­ten bezie­hungs­wei­se bedie­nen, ist zumin­dest für eine der bei­den falsch.

Es spricht vie­les dafür, dass letz­te­res zutrifft. Die Mehr­heit der Wis­sen­schaft­ler, die sich mit den Grün­den der Erd­er­wär­mung befas­sen, füh­ren sie auf Men­schen­werk zurück. Ursa­chen­un­ab­hän­gig ist es Fakt, dass die Durch­schnitts­tem­pe­ra­tur der erd­na­hen Atmo­sphä­re sich zügig erhöht und das Errei­chen des Zie­les, die Erhö­hung auf 1,5 Grad Cel­si­us gegen­über der vor­in­du­stri­el­len Zeit zu begren­zen, nicht mehr mög­lich ist. Sind tat­säch­lich die mensch­li­chen Akti­vi­tä­ten dafür ver­ant­wort­lich und nicht etwa Ver­än­de­run­gen auf der Son­nen­ober­flä­che, wird sich das nicht abbrem­sen, son­dern beschleu­ni­gen: Wäh­rend in Deutsch­land hef­tig um das Abschal­ten der hie­si­gen 150 Koh­le­kraft­wer­ke mit einer Kapa­zi­tät von 45 Giga­watt gestrit­ten wird, pla­nen die 120 größ­ten Ener­gie­kon­zer­ne der Welt auf die­sem Glo­bus zur Zeit den Bau von 1400 neu­en Koh­le­kraft­wer­ken mit einer Gesamt­ka­pa­zi­tät von 670 Giga­watt – über­wie­gend in Chi­na, Indo­ne­si­en, Viet­nam, Paki­stan, Ban­gla­desch, aber auch zum Bei­spiel in Südafrika.

Es sieht also alles danach aus, dass es nicht mehr fünf vor, son­dern fünf nach zwölf ist.

Den Grund hat wie­der­um rund 100 Jah­re vor Den­nis Mea­dows ein ande­rer, Karl Marx, gefun­den und in sei­nem bekann­te­sten Buch, dem »Kapi­tal« in den Satz geklei­det, die kapi­ta­li­sti­sche Pro­duk­ti­on wer­de, wenn sie nicht über­wun­den wür­de, die »Spring­quel­len allen Reich­tums« unter­gra­ben, »die Erde und den Arbei­ter« (MEW 23, Kapi­tel 13). Weil das nach wie vor stimmt, ist auch eine ande­re belieb­te Denk- und Argu­men­ta­ti­ons­fi­gur falsch: Häu­fig wird – auch in lin­ken Zei­tun­gen – geschrie­ben, es kön­ne ja sein, dass die Natur­zer­stö­rung inner­halb des Kapi­ta­lis­mus nicht mehr auf­halt­bar sei. Aber weil – sie­he oben – die Zeit so drän­ge, müs­se die Fra­ge der Umwelt­zer­stö­rung noch inner­halb kapi­ta­li­sti­scher Rah­men­be­din­gun­gen gelöst wer­den, sonst wür­de die Zivi­li­sa­ti­on unter­ge­hen, ohne die es ein Vor­an­schrei­ten zum Sozia­lis­mus nicht geben könne.

Die Fak­ten spre­chen eine ande­re, här­te­re, wahl-ärme­re Spra­che. Die Kli­ma­ver­schie­bun­gen wer­den nicht nur Län­der wie den Iran oder Irak für gro­ße Men­schen­men­gen so unbe­wohn­bar machen wie es jetzt schon die Wüste Saha­ra ist. Schon zu unse­ren Leb­zei­ten wer­den gro­ße Tei­le Spa­ni­ens zur Wüste wer­den und die dort jetzt noch Leben­den zwin­gen, ihr Dasein in ande­ren, grü­ne­ren Regio­nen zu fri­sten. Die Flücht­lings­wel­le des Jah­res 2015 oder auch die Wahl­er­geb­nis­se zum Euro­pa­par­la­ment 2019, die zum Teil der unge­bil­det-rohe Reflex angst­ge­trie­be­ner Mas­sen auf die­se Flücht­lings­wel­le waren, sind bei­de nur das Vor­spiel grö­ße­rer Ereignisse.

Vor allem aber ist es Wunsch­den­ken zu mei­nen, es kön­ne eine inner­ka­pi­ta­li­sti­sche Lösung geben, weil doch sonst ange­sichts der Schwä­che der Lin­ken alles ver­lo­ren sei. Die 120 Ener­gie­kon­zer­ne han­deln inner­halb der kapi­ta­li­sti­schen Logik fol­ge­rich­tig. Solan­ge Markt und Tausch­wirt­schaft das gesell­schaft­li­che Han­deln prä­gen, gibt es kei­ne »Gren­ze des Wachs­tums« außer der dann von der Natur gesetz­ten. Die Natur wird nicht den Unter­gang der Mensch­heit anord­nen. Die Eski­mos auf der einen und die Bedui­nen auf der ande­ren Sei­te bewei­sen die Anpas­sungs­fä­hig­keit die­ser Spe­zi­es zumin­dest extre­men Kli­ma­be­din­gun­gen gegen­über. Wir befin­den uns seit 1989, dem Jahr des Schei­terns des nach der »Pari­ser Kom­mu­ne« zwei­ten Ver­suchs, die Ver­nunft an die Stel­le des Han­delns »hin­ter dem Rücken der Pro­du­zen­ten«, also der Tausch­wirt­schaft zu set­zen, im Epo­chen­bruch. Er führt zu poli­ti­schen Ver­hält­nis­sen, die alles bis­her Gewohn­te umpflü­gen werden.

Der Kapi­ta­lis­mus wird weder Frie­den noch Gerech­tig­keit noch Kli­ma­ret­tung brin­gen. Es gibt kei­ne ande­re Per­spek­ti­ve als den Sozia­lis­mus, also die welt­wei­te Auf­he­bung des Pri­vat­ei­gen­tums an Pro­duk­ti­ons­mit­teln und die gesamt­ge­sell­schaft­li­che Pla­nung ihres Ein­sat­zes auf der Basis von kom­mu­na­len Asso­zia­tio­nen frei­er Pro­du­zen­ten. Die­ser Sozia­lis­mus wird – weil es eben nicht mehr fünf vor, son­dern fünf nach zwölf ist – nicht aus der Blü­te des Kapi­ta­lis­mus her­vor­bre­chen. Die­se Blü­te ver­welkt vor unse­ren Augen. Das führt zu zwei Schlussfolgerungen.

Zum einen wird sich die an Marx und Engels ori­en­tie­ren­de Lin­ke zu der von ihnen schon ein­mal erklom­me­nen Höhe der Erkennt­nis hin­sicht­lich der Gleich­wer­tig­keit von Arbeit und Natur als den bei­den Quel­len all unse­rer Reich­tü­mer – nicht nur der mate­ri­el­len – hin­auf­zu­ar­bei­ten haben. Das geht nicht ohne Selbst­kri­tik. Völ­lig kon­zen­triert auf die Besei­ti­gung der Armut für die Arbei­ten­den war die Pra­xis des gro­ßen Ver­suchs von 1917 bis 1989 eben auch geprägt von einer Gering­schät­zung der marx’schen War­nun­gen, die Men­schen sei­nen »nicht Eigen­tü­mer der Erde«, son­dern nur ihre Nutz­nie­ßer und sie hät­ten »sie als boni patres den nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen ver­bes­sert zu hin­ter­las­sen«. Es reicht nicht, wie in den 20er Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts und danach für ein hal­bes Jahr­hun­dert gelun­gen, an die Spit­ze des Kamp­fes um die Wür­de der Arbeit zu kom­men. Die Lin­ke muss, will sie nicht ver­sa­gen, auch an die Spit­ze des Kamp­fes um unse­re natür­li­chen Lebens­grund­la­gen kom­men. Die Per­spek­ti­ve Sozia­lis­mus – der eine Grund­vor­aus­set­zung für den Erhalt unse­rer Lebens­grund­la­gen ist – wird sich zu ver­bin­den haben mit tages­po­li­ti­schen For­de­run­gen, die noch im Rah­men des Kapi­ta­lis­mus einer­seits ver­nünf­tig wären, ande­rer­seits aber eine system­spren­gen­de Kraft ent­fal­ten. Um das nur am Bei­spiel Mobi­li­tät zu kon­kre­ti­sie­ren: Zu bekämp­fen ist die ver­lo­ge­ne Schein­lö­sung, nur Antriebs­sy­ste­me in den Mil­lio­nen Autos zu erset­zen. Eine kli­ma­ret­ten­de »Wen­de« in der Mobi­li­tät wäre erst erreicht, wenn die Pro­duk­ti­on von Por­sche-Fahr­zeu­gen gestoppt und der mas­sen­haf­te Umstieg vom Indi­vi­du­al­ver­kehr auf öffent­li­chen, kol­lek­tiv orga­ni­sier­ten Ver­kehr erreicht ist. Dazu gehört auch eine Kon­tin­gen­tie­rung von Flug­rei­sen und das Been­den des Wahn­sinns, dass für jeden Bun­des­bür­ger pro Jahr fünf Ton­nen Güter expor­tiert und acht impor­tiert wer­den – also die Umkehr der Glo­ba­li­sie­rung und die Erzwin­gung kon­se­quent regio­na­li­sier­ter Wirt­schafts­kreis­läu­fe. Die For­de­run­gen wären im Kapi­ta­lis­mus zu dekla­rie­ren – ihre Ver­wirk­li­chung wür­de aber die Öff­nung einer sozia­li­sti­schen Per­spek­ti­ve erfor­dern. An der Tat­sa­che, dass eine sol­che poli­ti­sche Dyna­mik auf bereits ver­dorr­ter Erde auf­blü­hen wür­de, ändert das ange­sichts der inzwi­schen ange­rich­te­ten Schä­den ver­mut­lich aber nichts.