Am 23. Februar fand im Deutschen Schauspielhaus Hamburg eine Kooperationsveranstaltung mit der ZEIT statt, deren Titel für sich sprach: »Gut, dass du russen-hassende Emanze deinen Kriegshetzsenf dazu gibst.« Der Untertitel erläuterte: »Sprache und Realität im Netz des Krieges«. Diese Erläuterung wiederum spielte dezent auf angebliche schicksalhafte Verstrickungen an.
Das Podium war so besetzt, dass keine inhaltlichen Auseinandersetzungen zu erwarten waren; sie fanden auch nicht statt. Als zusätzlicher dezenter Hinweis auf die gemeinsame Positionierung konnte ein Foto im Hintergrund dienen, auf dem in eine ukrainische Fahne das Bild einer Frau integriert war, die sich die Zeigefinger der ansonsten geballten Hände so vor ihr Gesicht hält, dass eine heftige Gemütsbewegung – vielleicht ein unterdrückter Schrei – zu erahnen ist.
Für die Vorstellung galt ein Einheitspreis von 5 € mit freier Platzwahl. Dementsprechend gut gefüllt war das Theater, als Jörg Lau (DIE ZEIT) seine Moderation begann. Das Podium setzte sich zusammen aus drei Frauen und einem Mann, die folgende Institutionen vertraten: Stiftung Wissenschaft und Politik, Institut für Europäische Politik, European Council on Foreign Relations und Universität der Bundeswehr München.
Statt die Äußerungen des Podiums zu referieren, sollen nur einige »Highlights« hervorgehoben werden. Die ihnen zuzuordnenden Namen sind in diesem Zusammenhang entbehrlich, da zwischen die einzelnen Beiträge inhaltlich kein Blatt Papier passte: Die gesellschaftliche Situation im heutigen Russland wurde verglichen mit der im Deutschen Reich »der 1930er und 1940er Jahre«. Wer denkt da nicht an die Unterstellung, die heutige russische Gesellschaft und Politik sei faschistisch geprägt? (Dieser Hinweis erfolgte später explizit.) Der ukrainischen Regierung wurde bescheinigt, dass die Institutionen funktionierten, mit dem Hinweis, Korruption werde inzwischen zunehmend stärker verfolgt. Als Argument gegen den Verdacht, sie würden von der Regierung bezahlt, führten zwei Personen auf dem Podium an, sie hätten schon lange, bevor die Regierung gehandelt hätte, für die Lieferung von Panzern plädiert.
Das mag genügen, um einen Eindruck zu vermitteln.
Die Gegenseite kam kaum zu Wort, außer indirekt, dadurch, dass ein Podiumsgast sich selbst zitierte, und zwar mit dem Begriff des »Nationalpazifismus« (mit Bezug auf die Wagenknecht/Schwarzer-Initiative), was sicher nicht schmeichelhaft gemeint war.
Die Polarisierung der Diskussion über den Ukraine-Krieg wurde bedauert; dagegen wurde Aufklärung, »ohne die Meinungen gegeneinander zu stellen«, empfohlen, was aber doch Vertrauen in die unanfechtbare Wahrheit der eigenen Position voraussetzt.
Die Statements wurden unterbrochen durch Blöcke von Lesungen: Ensemble-Mitglieder rezitierten hate-mails an die Podiumsmitglieder. Abgesehen davon, dass ich mich frage, was diese dazu gebracht haben mag, diese zur Verfügung zu stellen und sich auch noch öffentlich anzuhören, wurde der mögliche Zweck verfehlt, Empathie mit den Empfängerinnen auszulösen. Es wurde vielmehr dröhnend gelacht. Und das war vielleicht als Gegengewicht gegen das bedrückende Thema gedacht. (Immerhin konnten sie ihre Befindlichkeit anschließend darstellen.)
Seit einer Wahl-Veranstaltung mit Helmut Kohl im CCH Hamburg, als sich alle Anwesenden erhoben, um das Deutschland-Lied zu singen, habe ich mich nicht mehr so allein in einer Großveranstaltung gefühlt. Unterschied immerhin: Im Deutschen Schauspielhaus erhoben sich alle nur, um anschließend das Theater verlassen zu können. Immerhin.